· Fachbeitrag · Praxiskosten
Nur einzelne Körner oder schon ein Haufen? So motivieren Sie Ihr Team zur Sparsamkeit
von Dipl.-Kfm. Thomas Schneider, Essen
| Neben der Maximierung des Praxisumsatzes bliebt die Kostensenkung ein wesentlicher Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg einer Zahnarztpraxis. Eng mit den Kosten verbunden ist der Ressourcenverbrauch. Harte Sanktionen bzw. eine „Nulltoleranzpolitik“ erscheinen kaum praktikabel und wirken lebensfremd. Sicher sind betriebswirtschaftliche Sparmaßnahmen sinnvoll. Allerdings fragen betroffene Mitarbeiter oft, ob ihr Verhalten einen Unterschied macht, den Ressourcenverbrauch zu senken und die Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Bei der Motivation zur Verhaltensänderung hilft eine uralte Frage: Wie viele Körner ergeben einen Haufen? |
Eine uralte Frage, aber keine einfache Antwort
Dieses sog. Sorites-Paradoxon bewegt Menschen schon seit der Antike. Wann wird aus einem Nichthaufen ein Haufen? Nicht wenn einem Weizenkorn ein Zweites hinzugefügt wird, auch nicht, wenn ein Drittes oder Viertes hinzukommt. Irgendwann ist aber ein Haufen entstanden. Die Frage ist auch in einer Zahnarztpraxis von großer Bedeutung ‒ vor allem beim Ressourcenverbrauch. Nur weil eine Leuchte zwei Minuten länger brennt oder auf dem Weg zum Heimbesuch am Bahnübergang das Fahrzeug nicht ausgeschaltet wird, werden die Kosten kaum messbar zunehmen. Wenn sich jedoch alle Praxismitglieder ständig so verhalten, mit Sicherheit. Keine Praxis kann dauerhaft bestehen, wenn eine bestimmte Anzahl von Beschäftigten als „Trittbrettfahrer“ nicht im Sinne der Praxis denkt und handelt. In kleinen Organisationen fällt Trittbrettfahren leichter auf, je größer also z. B. eine Zahnarztpraxis ist, desto eher ist sie mit dem Trittbrettfahren konfrontiert.
Und doch gibt keine einfache Antwort: Es gibt keine klaren Grenzen, kein Raum- oder Gewichtsmaß, keinen Geldbetrag, der die ultimative Lösung ist, keinen Praxisinhaber, der die Grenze festlegen kann. Genaue Grenzen sind sogar schädlich: Sie fördern tendenziell die Trittbrettfahrer-Mentalität, weil Betroffene erkennen, dass die Grenze noch nicht erreicht bzw. durch ihr Handeln überschritten ist. Dies bestätigt die Ansicht, dass das eigene Trittbrettfahren für die Gemeinschaft ohne erkennbare bzw. messbare Folgen bleibt.
Verhaltensnormen und -vorgaben sind als Lösung zu unklar
Die ersten Verhaltensvorgaben bzw. -normen waren überwiegend religiös fundiert (z. G. Zehn Gebote, Jesu Gebot der Nächstenliebe). Im ausgehenden 18. Jh. formulierte Kant im Kategorischen Imperativ: „Handle stets so, dass dein Handeln die Grundlage eines allgemeinen Gesetzes sein kann.“ Menschen handeln jedoch selten derart eindeutig. Ist eine Abweichung ein „Verstoß“ oder allenfalls eine „flexible Auslegung“ einer Vorgabe? Ist eine einzige Abweichung von der Norm schlimm oder menschlich? Wo fängt der Haufen an?
Konfrontieren Sie Ihre Mitarbeiter mit ihrem eigenen Handeln!
Jede einfache „Lösung“ beruht auf unplausiblen Modifikationen der menschlichen Überzeugungen. Die „Lösung“ besteht vielmehr darin andere, ebenso schwere Paradoxien aufzuzeigen und die Beschäftigten mit der kumulierten Wirkung ihres eigenen Handelns zu konfrontieren.
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1.000 Folterknechte haben jeder ein anderes Opfer. Jeder drückt 1.000-mal auf den Knopf seines Folterapparates. Den zusätzlichen Schmerz durch einen einzigen Knopfdruck spürt kein Opfer, die Gesamtwirkung von 1.000 Knopfdrücken erzeugt aber entsetzliche Schmerzen. Die Folterer bekommen Gewissensbisse. Ab sofort drückt jeder Folterknecht den Knopf eines Folterapparats nur ein einziges Mal, dafür aber bei jeder der 1.000 Maschinen. Kein Folterer verschlimmert durch seine Einzelaktion den Schmerz des Opfers spürbar, aber die Opfer leiden im gleichen Ausmaß. |
Trittbrettfahren bringt die Praxis an den Rand des Scheiterns
Wie viel ist genug? Ist die Grenze unbekannt oder umstritten, ist dies eine Einladung zum Trittbrettfahren. Verkalkuliert sich nur ein Einzelner, verlieren alle. Dies führt zu einer Praxis, die sich ständig am Rand des Scheiterns befindet.
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In diesen Fällen lohnt sich Trittbrettfahren. | In diesem Fall lohnt sich Trittbrettfahren nur bedingt |
Es ist egal, ob ich meinen Beitrag leiste. Ich profitiere kurzfristig, aber langfristig scheitert die Praxis. |
Dann sollte ich nur Trittbrettfahren, wenn die anderen genug zum Erfolg der Praxis beitragen, dass dies auch ohne meinen Beitrag stattfinden kann. |
Appellieren Sie an die Gesamtheit der Mitarbeiter!
Ein Trittbrettfahrer lehnt nicht Vorgaben kategorisch ab, verstößt auch nicht laufend dagegen, konstruiert allerdings im Einzelfall eine Erklärung, die den Verstoß rechtfertigt. Seine Argumente beziehen sich nicht auf den Einzelfall, sondern auf ein Verhaltensmuster. Eine Gesamtschau aller Folgen lehnt er ab. Für den Einzelnen ist der Verstoß ein Weizenkorn, für die Praxis der Teil eines Getreidehaufens. Daher können Sie Appelle nur an das gesamte Team richten. Stellen Sie dieses nicht unter Generalverdacht. Fordern Sie aber dazu auf, gegen Ressourcenverbrauch dort einzuschreiten, wo er bemerkt wird. Da Ihre Beschäftigten an einem sicheren Arbeitsplatz interessiert sein dürften, können Sie das Interesse vieler Beteiligter voraussetzen.
Leben Sie das gewünschte Handeln vor!
Als Praxisinhaber sollten Sie selbst kein Trittbrettfahrer sein. Denn Mitarbeiter vergleichen Darstellung nach Außen und Realität nach Innen miteinander und nehmen sich Ihr Handeln zum Vorbild.
Literatur
- Jonathan Aldred, Der korrumpierte Mensch, Klett-Cotta, Stuttgart, 2019