Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 17.12.2021 · IWW-Abrufnummer 226479

    Landgericht Frankfurt a. M.: Urteil vom 01.11.2021 – 2-01 S 191/20

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    AG Frankfurt Abteilung 30. Einzelrichter

    16.10.2020


    nachgehend LG, 1. November 2021, 2-01 S 191/20, Die Berufung wurde zurückgewiesen.

    Tenor

    1. Die Klage wird abgewiesen.
    2. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
    3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des gesamten auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Tatbestand

    Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus der Datenschutzgrundverordnung.

    Der Kläger und der Beklagte sind Mitglieder der … des … e.V. (im Folgenden: …). Der Kläger ist zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung 16 Jahre alt. Er ist als Trainer im Bereich des Sportkletterns … aktiv. In … besteht eine sogenannte Klettergruppe, in welcher Sportklettern als Leistungssport gefördert wird.

    Zwischen dem … e.V. und dem Beklagten kam es zu Unstimmigkeiten dergestalt, dass nach seinen Vorstellungen die … zu leistungsorientiert ausgerichtet ist. Im Zuge dieser Konflikte ließ sich der Beklagte am 19.10.2018 vom Vorstand der … die Budgetplanung der … für das Jahr 2018 aushändigen. Aus dieser Budgetplanung (Bl. 6 d. A.) ergab sich unter anderem, dass dem Kläger ‒ sein Name wurde vollständig in dem Formular genannt ‒ im Jahr 2018 ein Trainerhonorar von 600,00 EUR gezahlt werden sollte.

    Der Beklagte empfand diese Bezahlung als für … zu teuer und stellte am 24.11.2018 einen Antrag zur Ergänzung der Tagesordnung der (nächsten) Mitgliederversammlung der …, um eine Diskussion der Sportförderungsstrategie zu erreichen (s. Bl. 9 d. A., Uabs. 9). Der Vorstand lehnte den Antrag des Beklagten, die Wirtschaftlichkeit der aus Sicht des Beklagten zu hohen Trainervergütung auf der Mitgliederversammlung zu diskutieren, ab. Daraufhin übersendete der Beklagte am 11.3.2019 die Budgetplanung nebst Anregung, sich mit der Wirtschaftlichkeit der ‒ u.a. ‒ Trainerbezahlung selbstständig auseinanderzusetzen, damit eine Diskussion auf der nächsten Mitgliederversammlung stattfinden könne. Der Beklagte übersendete diese Mail über eine sog. Google Group. Empfänger der Mail waren Mitglieder der Gruppe ….“. Diese Abkürzung steht für ….

    Google Groups ist ein vom US-amerikanischen Unternehmen Google LLC betriebener Online-Dienst, der es ermöglichst, bestimmte Internetforen zu durchsuchen und zu nutzen. Eigene Foren, die Mailinglisten entsprechen, können eingerichtet werden. Der Beklagte hat hier die Budgetplanung über eine Mailingliste, die als „Google Group“ organisiert war, verschickt.

    Der Kläger behauptet, die Budgetplanung sei dem Beklagten unter dem Hinweis ausgehändigt worden, diese sei streng vertraulich zu behandeln. Der Beklagte hätte das Dokument „Budgetplanung“ nicht über den Verteiler, die Google Group schicken dürfen. Durch die Übersendung über den Verteiler hätten vereinsfremde Dritte, die sich in dem Verteiler befunden hätten, auf persönliche Daten des Klägers Zugriff erlangt. Dies entspräche einem Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung. Neben vereinsfremden Dritten seien im Übrigen durch die Verwendung von „Google Groups“ eine unzulässige Drittlandübermittlung der Daten erfolgt. Google sei ein amerikanisches Unternehmen, weshalb von einer Drittlandübermittlung auszugehen sei.

    Der Kläger ist der Ansicht, ihm sei durch die unberechtigte Weitergabe seiner persönlichen Daten ein Schaden dergestalt entstanden, dass zu besorgen sei, dass ihm gesellschaftliche Nachteile entstünden. Insbesondere könne der Ruf des Klägers geschädigt werden, indem das Bild konstruiert werde, der Kläger bereichere sich auf Kosten des Vereins und damit der Vereinsmitglieder (Bl. 3 d. A.). Deshalb habe er aufgrund dieses Verstoßes gegen die Datenschutzgrundverordnung einen Schadensersatzanspruch aus Art. 82 DSGVO.

    Der Kläger beantragt,

    1. den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Schadensersatz, mindestens aber 2.500,00 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

    2. den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 697,82 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.4.2019 zu zahlen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Er behauptet, dass es sich bei dem „…“-Verteiler um einen vereinsinternen und geschlossenen Verteiler gehandelt habe. Die Parteien haben einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO am 5.8.2020 und am 11.8.2020 zugestimmt. Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts wird auf die Akte verwiesen.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist unbegründet.

    Der Vater des Klägers konnte den Kläger in dem Prozess ausweislich der am 6.10.2020 bei Gericht eingereichten Ermächtigung alleine vertreten, denn die ebenfalls nach § 1629 Abs. 1 BGB personensorgeberechtigte Mutter ermächtigte den Klägervater.

    Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 82 der DSGVO. Art. 82 Abs. 1 DSGVO statuiert, dass jeder Person, der wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist, ein Anspruch auf Schadenersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den Auftragsverarbeiter zusteht.

    Unabhängig von der Frage, ob überhaupt ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung erfolgte und die Datenverarbeitung rechtswidrig i.S.v. Art. 5 f. der DSGVO erfolgte, ist weder ein materieller, noch ein immaterieller Schaden bei dem Kläger erkennbar. Ein immaterieller Schaden besteht nicht alleine durch die Weitergabe der Information über den Kläger, dass und welche Trainervergütung er innerhalb des …vereins erhält. An einer erkennbaren Persönlichkeitsverletzung, die zu einem immateriellen Schadensersatzanspruch führen könnte, fehlt es hier.

    Mit der Einführung von Art. 82 Abs. 1 DSGVO kann eine betroffene Person für jede Verletzung der DSGVO durch Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten auch ein angemessenes Schmerzensgeld verlangen. Insbesondere bei der Zugänglichmachung von Daten einer betroffenen Person für Dritte ohne ihr Einverständnis muss ein Schadensersatzanspruch einen immateriellen Schaden abdecken.

    Ein irgendwie gearteter (immaterieller) Schaden ist jedoch Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch.

    Der EuGH hat in anderem Zusammenhang entschieden, dass Schadensersatz vor dem Hintergrund des europarechtlichen Wirksamkeitsgrundsatzes (effet utile) eine abschreckende Wirkung haben kann (EuGH (Vierte Kammer), Urt. v. 17.12.2015 ‒ C-407/14 (Arjona Camacho/Securitas Seguridad España), abrufbar unter beckonline, Rn. 26). Schadensersatzpflichten könnten Schutzvorschriften der DSGVO auch auf praktischer Ebene durchsetzen, was grundsätzlich für ein weites Verständnis des immateriellen Schadensersatzanspruchs nach Art. 82 Abs. 1 der DSGVO sprechen würde.

    Auch bedarf es entsprechend des Wortlauts von Art. 82 Abs. 1 DSGVO keiner schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung mehr für ein Entstehen eines Schadensersatzanspruchs (so auch LG Karlsruhe, Urt. v. 2.8.2019 ‒ 8 O 26/19 = BeckRS 2019, 17459; Plath/Becker, DSGVO, 3. Aufl. Art. 82, Rn. 4; Gola/Piltz, DS-GVO, 2. Aufl., Art. 82 Rn. 13). Dafür spricht ebenfalls Erwägungsgrund 146 der Datenschutzgrundverordnung, der ausführt:

    „Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter sollte Schäden, die einer Person aufgrund einer Verarbeitung entstehen, die mit dieser Verordnung nicht im Einklang steht, ersetzen. Der Verantwortliche oder der Auftragsverarbeiter sollte von seiner Haftung befreit werden, wenn er nachweist, dass er in keiner Weise für den Schaden verantwortlich ist. Der Begriff des Schadens sollte im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs weit auf eine Art und Weise ausgelegt werden, die den Zielen dieser Verordnung in vollem Umfang entspricht.“

    Allerdings kann trotzdem nicht jeder Verstoß gegen die DSGVO zu einer Ausgleichspflicht führen. Der Verpflichtung zum Ausgleich eines immateriellen Schadens muss eine benennbare und tatsächliche Persönlichkeitsverletzung gegenüberstehen. Diese Persönlichkeitsrechtsverletzung kann insbesondere in einer „Bloßstellung“ liegen (vgl. LG Karlsruhe, a.a.O.). Ein irgendwie gearteter Schaden muss einer Ersatzpflicht vorausgehen, immaterielle Bagatellschäden sind nicht ersatzfähig. So führt das OLG Dresden in einer Entscheidung vom 11.6.2019 (4 U 760/19, abrufbar unter juris, Rn. 13) treffend aus:

    „Das Datenschutzrecht schützt zwar per se ein subjektives Recht, das einen starken Bezug zum persönlichen Empfinden des Einzelnen hat. Dennoch ist Art. 82 nicht so auszulegen, dass er einen Schadensersatzanspruch bereits bei jeder individuell empfundenen Unannehmlichkeit oder bei Bagatellverstößen ohne ernsthafte Beeinträchtigung für das Selbstbild oder Ansehen einer Person begründet (Becker in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, Artikel 82 DSGVO, Rn. 4c). Insbesondere kann der Hinweis auf einen „vollständigen und wirksamen Schadensersatz“ in Erwägungsgrund 146 der DSGVO nicht in diesem Sinne verstanden werden (so auch Lach, jurisPR-ITS 5/2019 Anm. 3). Die Wahrung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG und des Schutzes personenbezogener Daten nach Art. 8 GRC gebieten einen solchen Ausgleich regelmäßig nicht. Anders mag dies in den Fällen sein, in denen der datenschutzrechtliche Verstoß eine Vielzahl von Personen in gleicher Weise betrifft und Ausdruck einer bewussten, rechtswidrigen und im großen Stil betriebenen Kommerzialisierung ist (Becker in: Plath, DSGVO/BDSG, 3. Aufl. 2018, Artikel 82 DSGVO, Rn. 4d).“

    Ein irgendwie gearteter Schaden erfordert auch Art. 82 Abs. 1 DSGVO für eine Ersatzpflicht. Soweit die Schwelle von bloßer Unannehmlichkeit zu ernsthafter Beeinträchtigung nicht überwunden ist, besteht keine Ersatzpflicht für den Datenverarbeiter. Ein immaterieller Schaden kann insbesondere in einer „öffentliche Bloßstellung“ liegen, die dann durch den Schadensersatzanspruch kompensiert werden kann (Nemitz in Ehmann/Selmayr, Datenschutz-Grundverordnung, 2. Auflage 2018, Art. 82 Rn. 13).

    Im Fall des Klägers besteht eine öffentliche Bloßstellung allerdings nicht. Der Kläger trägt vor, dass durch die Weitergabe des Dokuments „Budget 2018“ für den Kläger gesellschaftliche Nachteile zu besorgen sind. Es bestehe die Möglichkeit, dass im Zusammenhang mit der begleitenden Korrespondenz der Beklagten eine Rufschädigung für den Kläger zu befürchten sei, da der unberechtigten Offenlegung der personenbezogenen Daten und des Geldbezugs für den Kläger der Vorwurf gemacht würde, dies sei für den Verein zu teuer. Dies könne zu dem Gedanken führen, der Kläger bereichere sich auf Kosten des Vereins und der Vereinsmitglieder (Bl. 4 d. Akte).

    Dass aus dem Budgetplan und des Zugänglichmachens von Daten an Dritte eine Rufschädigung des Klägers folgen kann, ist nicht ersichtlich. Der Kläger verdiente sich durch die Trainertätigkeit im Verein mehr oder weniger ein Taschengeld von 600,00 EUR. Es handelt sich ‒ soweit dies im Prozess vorgetragen wurde ‒ um richtige Informationen, der Kläger erhielt für seine Trainertätigkeit tatsächlich 600,00 EUR. Eine Rufschädigung liegt fern und kann vom Kläger nicht hinreichend dargelegt werden. Die entfernte Möglichkeit einer Rufschädigung genügt den Substantiierungsanforderungen im Rahmen von Art. 82 Abs. 1 DSGVO nicht.

    Andere Schadensersatzansprüche, insbesondere aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5, 6 der DSGVO, scheitern ebenfalls am Vorliegen eines Schadens.

    Die Nebenforderung auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten teilt das Schicksal der geltend gemachten Hauptforderung.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 709 S. 1, 2, 711 S. 1, 2 ZPO.