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  • 03.01.2012 · IWW-Abrufnummer 120001

    BGH: Beschluss vom 15.11.2011 – II ZR 304/09

    Verursacht ein Vereinsmitglied durch grob fahrlässiges Handeln einen Schaden des Vereins, kommt eine Haftungsprivilegierung des Mitglieds auch bei unentgeltlicher Tätigkeit nicht in Betracht.


    Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. November 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann, den Richter Dr. Strohn, die Richterin Dr. Reichart und die Richter Dr. Drescher und Born

    beschlossen:

    Tenor:

    Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil des 11. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts vom 24. September 2009 aufgehoben.

    Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

    Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 573.932 € festgesetzt.

    Gründe

    1

    I. Die Klägerin nimmt als Gebäudeversicherer des H. 1886 e.V. (im Folgenden: Verein) den Beklagten aus übergegangenem Recht auf Schadenersatz in Höhe von 573.932 € wegen eines Brandschadens am Vereinsheim in Anspruch. Der Beklagte, der ebenso wie der Streithelfer den Beruf eines Schlossers erlernt hat, war Mitglied des Vereins. Aufgrund eines Vorstandsbeschlusses vom 24. Januar 2005 führte er unter Mithilfe des Streithelfers auf dem Dach des Vereinsheims unentgeltlich Schweißarbeiten durch. Im Zuge der Arbeiten entfernte er teilweise die auf der Holzschalung des Flachdaches aufgebrachte Bitumendachbahn, befestigte die an dem - für den Regenablauf hergestellten - Wasserkasten angebrachten Laschenbleche am Holzdach, verschweißte mit einem Elektroschweißgerät den Kasten an einem Eisenträger und brachte schließlich auf einer Fläche von etwa 0,5 qm eine neue Bitumendachbahn auf, die er zuvor mit einem Propangasbrenner erhitzte. Zur Brandvorsorge stellten der Beklagte und der Streithelfer, der vom Boden aus Handreichungen erledigte und auf Funkenflug achten sollte, zwei Feuerlöscher und einen Eimer mit Wasser bereit. Nach Abschluss der Arbeiten bemerkte der Beklagte, dass sich unter der Holzschalung die Dämmung entzündet hatte. Trotz sofortiger Löschversuche brannte das Vereinsheim vollständig ab.

    2

    Die Klägerin zahlte zur Regulierung des Schadens an den Verein eine Versicherungsleistung in Höhe von 573.932 €. Der Haftpflichtversicherer des Beklagten lehnte eine Eintrittsverpflichtung ab.

    3

    Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht (OLG Schleswig, NJW-RR 2010, 957) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.

    4

    II. Die Beschwerde ist begründet und führt unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

    5

    1. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 544 Abs. 7 ZPO).

    6

    Die Klägerin hat im Verfahren erster Instanz vorgetragen, der Beklagte habe grob fahrlässig gehandelt, weil er bei der aus Holz bestehenden Dachkonstruktion mit offener Flamme Klebearbeiten an Bitumenbahnen ausgeführt habe; es sei verboten, Heißbitumenarbeiten an Holzdächern mit offener Flamme durchzuführen. Diesen Vortrag hat sie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellt. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin unter Bezugnahme auf dieses Vorbringen gerügt, dass sich das Landgericht damit nicht auseinandergesetzt habe und ihre Beweisangebote übergangen worden seien. Das Berufungsgericht hat, ohne sachverständige Hilfe in Anspruch zu nehmen, angenommen, der Beklagte habe allenfalls leicht fahrlässig gehandelt; ein grob fahrlässiges Verhalten sei nicht zu erkennen. Es hat seine Beurteilung unter anderem darauf gestützt, dass die Handlungsweise des Beklagten nicht unverantwortlich sei, weil nach allgemeiner Lebenserfahrung Bitumenbahnen als Dachbelag von Holzdächern häufig Verwendung fänden und das Dach des Vereinsheims bereits zuvor mit verschweißten Bitumenbahnen gedeckt gewesen sei.

    7

    Damit hat das Berufungsgericht einen fachspezifischen Sachverstand für sich in Anspruch genommen, der ihm nicht ohne weiteres zukommt. Es hätte, ohne den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör zu verletzen, nur dann gemäß § 286 ZPO zu dieser Einschätzung kommen dürfen, wenn es dargelegt hätte, dass es über hinreichende Sachkunde verfügte, um den von der Klägerin behaupteten Verstoß gegen handwerkliche Regeln und Vorschriften zu beurteilen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 2008, - II ZR 67/07, WM 2008, 1453 Rn. 3; Urteil vom 22. Februar 2011 - II ZR 146/09, ZIP 2011, 766 Rn. 25). Dazu enthält das Berufungsurteil keine Ausführungen.

    8

    2. Der Verfahrensfehler ist entscheidungserheblich. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht nach sachverständiger Beratung grob fahrlässiges Handeln bejaht und zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

    9

    a) Wie das Berufungsgericht zutreffend gesehen hat, schließt grob fahrlässiges Handeln eine Haftungsprivilegierung des Beklagten gegenüber dem Verein auch bei unentgeltlicher Tätigkeit aus (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1983 - II ZR 252/82, BGHZ 89, 153, 160; Urteil vom 13. Dezember 2004 - II ZR 17/03, ZIP 2005, 345, 346). Grob fahrlässig ist ein Handeln, bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen, wobei auch subjektive, in der Person des Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen sind. Ob ein vorwerfbares Handeln als grob fahrlässig zu bewerten ist, ist vom Tatrichter unter Würdigung aller Umstände nach pflichtgemäßem Ermessen zu beurteilen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1983 - II ZR 252/82, BGHZ 89, 153, 160 f.; Urteil vom 13. Dezember 2004 - II ZR 17/03, ZIP 2005, 345, 347). Dürfen - wie von der Klägerin behauptet - Heißbitumenarbeiten an Holzdächern mit offener Flamme nicht durchgeführt werden, stellt dies einen Umstand dar, der für die Beurteilung der Schwere des objektiven Pflichtverstoßes des Beklagten und damit auch des Fahrlässigkeitsgrades seines Handelns von maßgeblicher Bedeutung ist und deshalb nicht unberücksichtigt bleiben darf. Zwar lässt ein objektiv grober Pflichtverstoß nicht regelhaft den Schluss auf subjektive Unentschuldbarkeit zu; jedoch kann vom äußeren Geschehensablauf und vom Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden (BGH, Urteil vom 29. Januar 2003 - IV ZR 173/01, NJW 2003, 1118, 1119). Umstände, die im Falle eines objektiv schweren Pflichtverstoßes den Beklagten subjektiv entlasten könnten, hat das Berufungsgericht bisher nicht festgestellt.

    10

    b) Das Beweisangebot der Klägerin ist nicht deshalb unbeachtlich, weil ein nach § 67 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. auf die Klägerin übergegangener Anspruch des Vereins gegen den Beklagten durch einen im Versicherungsverhältnis vereinbarten Regressverzicht ausgeschlossen ist. Hiervon kann auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen nicht davon ausgegangen werden.

    11

    aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der vom Vermieter abgeschlossene Gebäudeversicherungsvertrag, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte für eine Mitversicherung des Sachersatzinteresses des Mieters vorliegen, ergänzend dahin auszulegen, dass ihm ein Regressverzicht des Versicherers für die Fälle zu entnehmen ist, in denen der Mieter einen Schaden durch einfache Fahrlässigkeit verursacht hat (BGH, Urteil vom 8. November 2000 - IV ZR 298/99, BGHZ 145, 393, 398; Urteil vom 13. September 2006 - IV ZR 273/05, BGHZ 169, 86 Rn. 8), und zwar auch dann, wenn der Mieter eine den Schaden an gemieteten Sachen deckende Haftpflichtversicherung hat (BGH, Urteil vom 13. September 2006 - IV ZR 273/05, BGHZ 169, 86 Rn. 9; Urteil vom 27. Januar 2010 - IV ZR 129/09, BGHZ 184, 148 Rn. 9). Diese Grundsätze gelten auch für den Fall eines unentgeltlichen Nutzungsverhältnisses (BGH, Urteil vom 13. September 2006 - IV ZR 116/05, NJW 2006, 3711 Rn. 12).

    12

    bb) Ob diese Grundsätze auch Anwendung finden, wenn - wie hier - ein versicherter Verein durch ein Vereinsmitglied geschädigt wird, kann auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen offen bleiben. Denn die Annahme eines Regressverzichts kommt - ihre Anwendbarkeit unterstellt - nur bei einfacher Fahrlässigkeit, nicht jedoch bei einem von der Klägerin geltend gemachten grob fahrlässigen Handeln des Vereinsmitglieds in Betracht. Zur Klärung der Frage, welches Maß an Fahrlässigkeit dem Beklagten vorzuwerfen ist, sind - wie ausgeführt - weitere Feststellungen erforderlich.

    Bergmann

    Strohn

    Reichart

    Drescher

    Born

    VorschriftenBGB § 27 Abs. 3, § 254 F, § 670