Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Anrechnung eines „Übererlöses“ bei Inzahlunggabe des Unfallwagens?

    Erzielt der Geschädigte durch die Inzahlunggabe seines unfallbeschädigten Fahrzeugs beim Neuwagenkauf ohne besondere Anstrengungen einen Erlös, der den auf dem regionalen Markt sonst erzielbaren Restwert übersteigt, muss er sich diesen Erlös als Restwert anrechnen lassen (LG Saarbrücken 22.3.13, 13 S 199/12, Abruf-Nr. 132465).

     

    Sachverhalt und Entscheidungsgründe

    Im Schadensgutachten sind die Reparaturkosten mit brutto 10.167,46 EUR, eine Wertminderung von 2.500 EUR und ein Wiederbeschaffungswert von brutto 16.000 EUR (Regelsteuer) ausgewiesen. Der Restwert des erst sechs Monate alten Pkw wurde nicht ermittelt. Ca. drei Wochen nach dem Unfall gab der Kl. ihn unrepariert beim Kauf eines Neufahrzeugs für 6.250 EUR in Zahlung. Weitere vier Monate später erhielt er von dem bekl. Haftpflicht-VR ein - bereits abgelaufenes - Restwertangebot eines überörtlichen Anbieters über 6.670 EUR.

     

    Der anwaltlich vertretene Kl. rechnete den Fahrzeugschaden auf Nettoreparaturkostenbasis ab und klagte die Differenz zum regulierten Wiederbeschaffungsaufwand ein. Seiner Ansicht nach entspricht der erzielte Inzahlungnahmepreis nicht dem wahren Marktwert. Dieser liege bei allenfalls 5.500 EUR. Demgegenüber meinen die Bekl., als Restwert sei, wenn ihr Angebot nicht zum Zuge komme, mindestens der erzielte Erlös anzusetzen. Deshalb liege ein Totalschaden vor, sodass der Kl. nur den Wiederbeschaffungsaufwand beanspruchen könne.

     

    Das AG Saarbrücken ist der Berechnung der Bekl. gefolgt. Den Restwert hat es mit dem Inzahlunggabebetrag von 6.250 EUR gleichgesetzt. Die Berufung des Kl. war teilweise erfolgreich. Im Ausgangspunkt stimmt das LG mit dem AG darin überein, dass der Schaden auf der Basis der Wiederbeschaffungskosten abzurechnen sei. Da der Kl. den Wagen vor Ablauf der Sechsmonatsfrist unrepariert veräußert habe, sei sein Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt. Als Restwert sei in der Tat der vom Kl. erzielte Erlös von 6.250 EUR anzusetzen. Der angebotene Sachverständigenbeweis zur Höhe des auf dem regionalen Markt „normal“ erzielbaren Restwerts sei nicht zu erheben. Entscheidend sei der tatsächlich erzielte Erlös, da er nicht auf überobligationsmäßigen Anstrengungen beruhe.

     

    Den Teilerfolg der Berufung begründet das LG damit, dass, anders als vom AG angenommen, der Bruttowiederbeschaffungswert maßgeblich sei, weil beim Ersatzkauf Umsatzsteuer tatsächlich angefallen sei.

     

    Praxishinweis

    Ein Fall mit Haken und Ösen. Auch wenn es für den BGH keine 70-Prozent-Grenze gibt: Bei Reparaturkosten, die - wie hier - diesen Grenzwert unterschreiten, sehen manche Sachverständige weiterhin davon ab, den Restwert zu ermitteln. Für den Geschädigten wie für seinen Anwalt ist das problematisch. Denn wie soll mangels Restwertangabe die richtige Abrechnungsstufe gefunden werden? Wie soll der Anwalt erkennen, ob die Sechsmonatsfrist zu beachten ist? Der Anwalt des Kl. hat auf Reparaturkostenbasis abgerechnet: Nettoreparaturkosten plus Wertminderung. Die Sechsmonatsfrist war für ihn ersichtlich kein Thema. Und die Umsatzsteuer aus dem Ersatzkauf hat er, aus welchem Grund auch immer, außen vor gelassen.

     

    Spätestens seit BGH VA 13, 55 = NJW 13, 1151 ist klar: Wer bei einem rechnerischen Reparaturschaden (Abrechnungsstufe 1) den Weg der Ersatzbeschaffung wählt, hat Anspruch auf Ersatz tatsächlich angefallener Umsatzsteuer, begrenzt auf die Umsatzsteuer aus der Reparaturkostenkalkulation. Für den BGH ist das kein Fall einer fiktiven Abrechnung, auch kein Mix-Fall. Vielmehr wird konkret auf der Grundlage der Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs abgerechnet. M.a.W.: Der Geschädigte kann Abrechnung auf Brutto-Ersatzbeschaffungsbasis verlangen, begrenzt auf den fiktiven Brutto-Reparaturaufwand. Im Interesse des Geschädigten liegt es, ein regelbesteuertes Fahrzeug zu erwerben. Dann hat er 19 statt nur 2,4 oder null Prozent in der Tasche.

     

    Und was ist mit dem Restwert? Ein vom Sachverständigen ermittelter Betrag, normalerweise maßgeblich, existierte nicht. Das Angebot des VR zog schon deshalb nicht, weil es im Zeitpunkt der Inzahlunggabe noch nicht vorlag. Damit bleibt die Alternative: auf dem regionalen Markt erzielbarer Restwert oder der tatsächlich erzielte Erlös? Letzteres, meint das LG. Es unterstellt einen überdurchschnittlichen Erlös („Übererlös“), sagt aber zugleich, dass er nicht auf „überobligationsmäßige Anstrengungen“ des Kl. zurückgeht. Dabei überträgt die Kammer die BGH-Rechtsprechung, der mehr oder weniger normale Verkaufsgeschäfte zugrunde liegen, auf den Fall der Inzahlunggabe, ohne auf die Problematik des dort erfahrungsgemäß verdeckt gewährten Rabatts näher einzugehen.

     

    • Ein verdeckter Rabatt steht nicht dem Schädiger, sondern dem Geschädigten zu (OLG Köln NZV 94, 24 = VersR 93, 1291; s. auch Ex-BGH-Richter v. Gerlach, DAR 93, 204).

     

    • Im Übrigen fragt sich, ob die Kammer dem Kl. Gelegenheit gegeben hat, das Zustandekommen des Anrechnungsbetrags näher zu erläutern (dazu BGH NJW 85, 2469 a.E.). Möglicherweise erklärt er sich auch daraus, dass dem Kl. ein offener Rabatt auf den Neuwagen nicht oder nicht in der Höhe wie bei einem reinen Barkauf gewährt worden ist. Das würde die Bewertung zugunsten des Geschädigten beeinflussen. Denn die Erlösspitze hat mit dem Zustand des Unfallfahrzeugs nichts zu tun.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Abrechnung des Fahrzeugschadens nach BGH - neuester Stand: Eggert, VA 12, 169
    • Checkliste zur Abrechnung des Fahrzeugschadens nach BGH: Eggert/Ernst, VA 12, 171
    Quelle: Ausgabe 09 / 2013 | Seite 145 | ID 42244171