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  • · Abschleppkosten

    Abschleppen in die Heimatwerkstatt sowie Abschleppen in zwei Etappen

    Bild: © Ronald Rampsch - stock.adobe.com

    Die Abschleppkosten als solche sind das Paradebeispiel für eine Schadenposition, die ‒ so die vom BGH formulierte Voraussetzung für die Anwendung des subjektbezogenen Schadenbegriffs ‒ dem Einfluss des Geschädigten entzogen ist, weil die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten nicht kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Zwei Schauplätze laufen aber außerhalb des „Hakenrisikos“: Der Transport von der Unfallstelle in die weit entfernte Heimatwerkstatt und der Transport in zwei Etappen, nämlich erst zum Abschlepper, dann zur Werkstatt.

    1. Der Transport von der Unfallstelle in die Heimatwerkstatt

    Der Geschädigte veranlasst, dass ein Fahrzeug von der Unfallstelle in die weit entfernte Heimatwerkstatt transportiert wird. Der Versicherer stellt sich auf den Standpunkt, mehr als die Kosten für den Transport bis zur nächsten für die Reparatur geeigneten Werkstatt schulde er dem Geschädigten nicht. So kennt er es auch aus seinen Kaskobedingungen, wenn sie auf A.2.5.2.2 der Muster-AKB des GDV fußen.

     

    Doch das Schadenrecht stellt andere Fragen: Wie bekommt der Geschädigte das „in der Fremde“ reparierte Fahrzeug denn zurück? Das ist eine Frage, die in den Abgleich zu den für die Rückholung des reparierten Fahrzeug anfallenden Kosten führt. Und was bedeutet es für ihn, für eventuelle Nachbesserung gar zweimal an den Reparaturort zurückfahren zu müssen? Das ist eine Zumutbarkeitsthematik. Und wie ist es, wenn der Geschädigte fiktive Reparaturkosten abrechnen und selbst reparieren möchte, eine Reparatur am Unfallort also per se ausscheidet?

    2. Eine obergerichtliche Entscheidung des OLG Frankfurt a. M.

    Das OLG Frankfurt a. M. vertritt dazu diesen Standpunkt: Bei einem Reparaturschaden könne zwar die Instandsetzung in einer Werkstatt am Unfallort erfolgen. Jedoch sei zu berücksichtigen, dass der Geschädigte fiktiv abrechnen und in Eigenregie reparieren darf. Auch fielen bei einer üblicherweise mehrtägigen Reparaturdauer in der Nähe des Unfallorts zusätzliche Fahrtkosten (Zug, Taxi, Mietwagen oder Flug) für den Fahrer und/oder Rücktransportkosten für das reparierte Fahrzeug an, die der Schädiger dann zusätzlich zu tragen hätte. Deshalb sei das Abschleppen über längere Strecken zum Wohnort des Geschädigten nur dann nicht zu entschädigen, wenn eine Alternativberechnung unter Berücksichtigung aller sonst entstehenden Fahrt- und Regiekosten bei Betrachtung ex ante einen erheblich geringeren Betrag ergeben würde. Bei der Frage der Zumutbarkeit sei auch der Aufwand des Geschädigten im Zusammenhang mit etwaigen Gewährleistungsansprüchen bei mangelhafter Reparatur zu berücksichtigen (13.1.25, 14 U 124/24, Abruf-Nr. 245992).

     

    Genauso haben bereits entschieden:

     

    Zu ergänzen ist: Je länger die Strecke zum Abholort ist, desto eher kommen auch noch Übernachtungskosten hinzu. Und der Berufstätige muss dafür Urlaub nehmen, der Selbstständige Aufträge verschieben.

    3. Rechtsgefühl: Je weiter weg, desto selbstverständlicher

    Das alles bedeutet: Je weiter die Unfallstelle von der Heimatwerkstatt entfernt ist, desto selbstverständlicher darf das verunfallte Fahrzeug nach Hause transportiert werden. Denn eine Abholung über vielleicht 50 Kilometer lässt sich bei sehr viel gutem Willen noch „nach Feierabend“ erledigen. Bei 500 km steht das volle Programm der Reisekosten inklusive Hotelübernachtung an. Und die Reise zur Nachbesserung ist auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Wegekosten dabei vom nachbesserungspflichtigen Unternehmer getragen werden müssen (§ 635 Abs. 2 BGB), bei 50 km Wegstrecke eher zumutbar als bei 500 km. Wobei umgekehrt der Mehraufwand des Transports über die kürzere Strecke relativ wenig Mehrkosten mit sich bringt, sodass der Geschädigte das schon von daher für erforderlich halten darf.

    4. Geschädigter muss nach der Reparatur nicht selbst abholen

    Beim Kostenvergleich ist auch zu berücksichtigen, dass der Geschädigte keineswegs verpflichtet ist, das Fahrzeug nach der Reparatur in der entfernten Werkstatt am Unfallort selbst abzuholen. Das zeigen verschiedene Urteile, die allesamt von Gerichten in Urlaubsregionen stammen.

     

    Der Geschädigte aus Lüneburg verunfallt im ca. 670 km entfernten Freising. Die Reparaturkosten belaufen sich auf ca. 25.000 EUR. Er entscheidet sich, das Fahrzeug dort reparieren zu lassen und fährt mit einem Mietwagen nach Hause. Das reparierte Fahrzeug wird von einem Mitarbeiter der Werkstatt nach Lüneburg gefahren, die Rückfahrt erfolgt mit dem Mietwagen. Dafür berechnet die Werkstatt 200 EUR Kraftstoffkosten und 20 Stunden zu 58,43 EUR brutto für den Mitarbeiter. Der Versicherer meint, der Geschädigte habe ja selbst entschieden, am Unfallort reparieren zu lassen. Also müsse er auch die Konsequenzen tragen und mit dem Mietwagen zurückfahren, um das reparierte Fahrzeug abzuholen. Das AG Freising ist mit dieser Dreistigkeit schnell fertig: „Der Kläger hat sich nicht ausgesucht, in einen Verkehrsunfall im hiesigen Gerichtsbezirk verwickelt zu werden. Es ist dem Kläger daher nicht zuzumuten, auf seine Kosten den Mietwagen zurück nach Schweitenkirchen zu fahren und sein repariertes Fahrzeug sodann wieder an seinen Wohnort zu fahren.“ Hinzu komme: Er hätte das unreparierte Fahrzeug auch in die Heimatwerkstatt schleppen lassen können, was etwa das Dreifache gekostet hätte (19.9.24, 7 C 345/23, Abruf-Nr. 244213).

     

    So haben zuvor bereits entschieden:

    5. Und am Ende ist es doch ein Totalschaden

    Das Recht des Geschädigten, sein unfallbeschädigtes Fahrzeug beim Haftpflichtschaden zur Heimatwerkstatt schleppen lassen, um es dort zur Reparatur zu geben, entfällt auch nicht rückwirkend dadurch, dass sich das Schadenbild für ihn ex ante nicht als totalschadenverdächtig darstellte, die Beschädigung sich ex post aber doch als Totalschaden erweist (AG Waiblingen 9.8.17, 13 C 890/17, Abruf-Nr. 196286; AG Ingolstadt 18.2.16, 10 C 2291/15, Abruf-Nr. 187421; LG Trier 14.5.21, 1 S 123/20, Abruf-Nr. 222421).

    6. Der Transport in zwei Etappen

    Der Unfall ereignet sich im Nahbereich, doch die Werkstatt, die das eigentliche Ziel der Abschleppfahrt ist, hat wegen der Tageszeit, des Wochenends oder anderer Umstände geschlossen. Das verunfallte Fahrzeug wird zum Abschleppunternehmer verbracht. Zu gegebener Zeit erfolgt der weitere Transport zur Werkstatt. Da kommt immer wieder der Einwand, der Schädiger habe nur einen Transport zu erstatten. Das verunfallte Fahrzeug habe doch nahe der Werkstatt an den Straßenrand gestellt werden können.

     

    Für ein verunfalltes Elektrofahrzeug mit einem Schadenbild, das das Vorliegen einer „kritischen Batterie“ mit der Gefahr der Selbstentzündung nahelegt (das ist Hakenrisiko, weil der Geschädigte von der fachmännischen Beurteilung abhängig ist), hält das LG Göttingen den Gedanken für abwegig (LG Göttingen 8 O 248/23, Abruf-Nr. 246726). Bei einem wegen einer unfallbedingt zerbrochenen Scheibe nicht mehr witterungsdichten und in der Diebstahlsicherheit herabgesetzten Fahrzeug ist das ebenso abwegig (AG Coesfeld 28.3.19, 4 C 326/18, Abruf-Nr. 208325).

     

    Das gilt umso mehr, als der BGH (5.2.13, VI ZR 363/11, Abruf-Nr. 130595) in einem Standgeld-Fall bereits entschieden hat: Der Geschädigte kann sein verunfalltes Fahrzeug nicht einfach am Straßenrand abstellen. Daher knüpft das LG Detmold (16.1.09, 12 O 248/07, Abruf-Nr. 092690) die Erforderlichkeit des zweiten Transports nicht an Zusatzvoraussetzungen. Dass die Werkstatt geschlossen hat, genügt.

     

    Sonderfall: Hat der Geschädigte bei dem Unfall abends ein kleines Kind im Auto, darf er den Abschleppunternehmer beauftragen, ihn, das Kind und das Fahrzeug zunächst nach Hause zu transportieren. Entsteht am anderen Tag eine weitere Unfallrechnung, weil die Reparaturwerkstatt den Wagen vom Wohnort zur Reparatur holt, verstößt das nicht gegen die Schadenminderungspflicht (LG Lüneburg 7.4.15, 9 S 104/14, Abruf-Nr. 144311).

     

    Weiterführende Hinweise

    • Beitrag „Mit diesen Argumenten sind Sie bei den Abschleppkosten auf der sicheren Seite“ mit Musterformulierungen: VA 22, 136
    • Musterklage: Abschleppkosten vom Unfallort zum Heimatort: Abruf-Nr. 50650111
    Quelle: Ausgabe 01 / 2026 | Seite 5 | ID 50649652