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  • · Fachbeitrag · Fahrverbot

    Fahrverbot wegen beharrlichen Pflichtenverstoßes

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

    | Wir stellen Ihnen die Fragen zur Verhängung eines Fahrverbots wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes in einem Überblick vor. Diese spielen in der Praxis vor allem deshalb eine Rolle, weil es - anders als bei der groben Pflichtwidrigkeit - keinen Katalog gibt, der die Sanktionen festlegt. Beim Fahrverbot wegen eines beharrlichen Verstoßes geht es also um den Einzelfall. Damit gibt es Verteidigungspotenzial. |

     

    PRAXISHINWEIS | Die folgenden Checklisten geben die Prüfungsreihenfolge vor, in der man als Verteidiger die Umstände des Einzelfalls am besten „abarbeitet“. Darüber hinaus dürfen aber die allgemeinen Gründe für ein Absehen vom Fahrverbot, wie z.B. berufliche Fragen usw., nicht übersehen werden.

     

     

    Checkliste 1 / Allgemeine Fragen zur „Beharrlichkeit“

    Frage
    Antwort
    • 1. Wo ist die Verhängung des Fahrverbots wegen „beharrlicher“ Verletzung der Pflichten eines Kfz-Führers geregelt?

    Die allgemeine Regelung findet sich in § 25 Abs. 1 S. 1 StVG.

    • 2. Welche Voraussetzungen müssen für die Verhängung eines Fahrverbots wegen Beharrlichkeit erfüllt sein?

    Eine beharrliche Pflichtverletzung setzt nach der Rechtsprechung der Obergerichte voraus, dass der Kfz-Führer wiederholt Pflichtverletzungen begeht, die nach ihrer Art oder den Begehungsumständen für sich allein betrachtet nicht zu den objektiv oder subjektiv groben Verstößen zählen. Durch die wiederholte Begehung dieser Pflichtverletzungen gibt der Fahrer jedoch zu erkennen, dass es ihm an der für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderlichen rechtstreuen Gesinnung und der notwendigen Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlt (BGH NJW 92, 1397; OLG Köln NZV 01, 442; OLG Hamm NZV 00, 53; 01, 221; zuletzt OLG Bamberg VA 11, 120).

    • 3. Enthält auch die BußgeldkatalogVO Regelungen zur „Beharrlichkeit“?

    Ja. Nach § 4 Abs. 2 S. 2 BKatVO - sog. „Regelbeharrlichkeit“ - kommt ein Fahrverbot in der Regel in Betracht, wenn wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h bereits eine Geldbuße rechtskräftig festgesetzt worden ist und der Kfz-Führer innerhalb eines Jahres seit Rechtskraft der Entscheidung eine weitere Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begeht.

    • 4. Kann es auch außerhalb eines solchen Regelfalls zur Anordnung eines Fahrverbots kommen?

    Ja, z.B. wenn die Anordnung wegen der sog. Vorahndungslage des Betroffenen angezeigt ist. Beispiel: Eine neuerliche Geschwindigkeitsüberschreitung erfüllt zwar nicht die Voraussetzungen des Regelfalls, der Verstoß ist jedoch wertungsmäßig dem Regelfall eines beharrlichen Pflichtenverstoßes i.S.v. § 25 Abs. 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 BKatV gleichzusetzen. Eine solche Gleichsetzung kann wegen der Rückfallgeschwindigkeit bei einer nur knappen Unterschreitung des Grenzwerts von 26 km/h geboten sein (KG VA 07, 219; OLG Bamberg VA 07, 146). Verneint worden ist „Beharrlichkeit“ aber z.B. bei fünf Geschwindigkeitsüberschreitungen innerhalb von knapp viereinhalb Jahren, wobei aber bei keiner Geschwindigkeitsüberschreitung der Grenzwert von 26 km/h erreicht wurde (OLG Bamberg DAR 10, 98; BayObLG DAR 04, 230). Auch ein ‚einfacher‘ Rotlichtverstoß kann aufgrund der Vorahndungslage des Betroffenen ohne Weiteres als beharrlicher Pflichtenverstoß außerhalb eines Regelfalls angesehen werden (OLG Bamberg VA 14, 83).

    Praxishinweis | Das AG Günzburg (NZV 11, 265) hat aber trotz Vorliegens von vier Voreintragungen die Verhängung eines Fahrverbots abgelehnt, wenn noch nicht versucht wurde auf den Betroffenen mit einer erhöhten Geldbuße einzuwirken.

    • 5. Spielt in den Fällen das „Zeitmoment“ eine Rolle?

    Ja, bei der Bewertung eines mit einem Fahrverbot außerhalb eines Regelfalls zu ahndenden Pflichtenverstoßes als „beharrlich“ i.S.v. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG kommt dem Zeitmoment entscheidende Bedeutung zu (OLG Bamberg VA 13, 67; vgl. auch schon u.a. OLG Bamberg NJW 07, 3655; DAR 10, 98; 11, 399; 12, 152).

    • 6. Gibt es feste zeitliche Grenzen?

    Nein, die gibt es nicht. Entscheidend ist das Zusammenspiel von Zeit und Art und Anzahl der Taten (Burhoff/Deutscher, s.u. weiterführender Hinweis, Rn. 1032).

     

    Faustregel | Je mehr Verstöße in kürzerer Zeit dem Betroffenen vorzuwerfen sind, desto eher kommt ein Fahrverbot wegen Beharrlichkeit in Betracht.

    • 7. Wie wird die „mangelnde Rechtstreue“ ermittelt?

    Die mangelnde Rechtstreue wird aus früheren Taten/Verkehrsordnungswidrigkeiten bzw. Verurteilungen abgeleitet.

    • 8. Müssen die früheren Verurteilungen rechtskräftig sein?

    I.d.R. werden die Verurteilungen wegen der früheren Taten rechtskräftig sein müssen (BayObLG NZV 95, 499; OLG Düsseldorf DAR 99, 324; OLG Hamm VA 06, 199). Das folgt aus § 4 Abs. 2 S. 2 BKatVO.

    • 9. Gibt es von diesem Grundsatz Ausnahmen?

    Ja, wenn dem Betroffenen vor der neuen Tat das Unrecht der früheren Tat dadurch bewusst geworden ist, dass er von deren Verfolgung Kenntnis erlangt hat. Das ist z.B. der Fall bei Zustellung des Bußgeldbescheids (OLG Hamburg VRR 06, 232; OLG Hamm VA 06, 199).

     

    Praxishinweis | Eine Ersatzzustellung genügt aber nicht (OLG Hamm NZV 98, 292; 00, 53). Das Anhalten durch die Polizei kann jedoch auch genügen (OLG Karlsruhe NZV 05, 542, 543).

    • 10. Ist für die Annahme von Beharrlichkeit Vorsatz erforderlich?

    Nein. Die Vortaten müssen nicht vorsätzlich begangen worden sein. Es kann auch die Häufung nur leicht fahrlässiger Verstöße mangelnde Rechtstreue und eine gemeinschädliche Grundhaltung des Fahrers offenbaren (OLG Hamm NZV 01, 222).

    • 11. Muss zwischen den Verkehrsordnungswidrigkeiten, die die Annahme von „Beharrlichkeit“ begründen sollen, ein Zusammenhang bestehen?

    Ja, es muss ein sog. innerer Zusammenhang vorliegen (OLG Braunschweig NZV 98, 420; OLG Karlsruhe DAR 99, 417).

    • 12. Wann ist ein „innerer Zusammenhang“ gegeben?

    Er liegt vor, wenn wiederholt gleichartige Verstöße in engem zeitlichen Zusammenhang begangen werden (BayObLG NZV 04, 102), wobei aber die bloße Wiederholung nicht ausreichend ist (OLG Hamm NZV 01, 221). Kriterien für diesen inneren und zeitlichen Zusammenhang sind die Art, Schwere und Anzahl der Taten sowie deren zeitlicher Zusammenhang.

    • 13. Ist erforderlich, dass es sich um denselben Deliktstypus handelt?

    Nein, es genügt, dass die Delikte hinsichtlich ihrer Gewichtigkeit vergleichbar sind.

     

    Beispiele: 

    • Geschwindigkeitsüberschreitung und Abstandsverstöße (BayObLG DAR 00, 278),
    • eine Geschwindigkeitsüberschreitung nur zwei Monate nach der letzten von zwei Vorverurteilungen wegen Rotlichtverstoßes (OLG Düsseldorf VRS 69, 50),
    • Zusammentreffen von Geschwindigkeits- mit Abstands- oder Rotlichtverstößen (OLG Bamberg NJW 07, 3655; VA 12, 82),
    • nicht hingegen bei Vorverurteilungen wegen Verstößen gegen Halterpflichten (BayObLG NZV 96, 37).
    • 14. Ist der Unrechtsgehalt der Vorverstöße von Bedeutung?

    Ja. (Wiederholte) Verstöße von geringem Unrechtsgehalt führen nicht notwendigerweise zur Annahme von Beharrlichkeit (BayObLG DAR 00, 278; OLG Bamberg NJW 08, 3155 für mehrere (geringfügige) Geschwindigkeitsüberschreitungen; ähnlich BayObLG DAR 88, 350, OLG Düsseldorf VRS 96, 66).

    Praxishinweis | Darauf muss besonders geachtet werden, in den Fällen des § 4 Abs. 2 S. 2 BKatVO. Das OLG Bamberg hat (sogar) bei fünf Voreintragungen, in gut vier Jahren, bei denen aber der „Richtwert“ von 26 km/h in keinem Fall erreicht oder überschritten wurde, Beharrlichkeit verneint, obgleich seit Rechtskrafteintritt der letzten Vorahndung im nunmehrigen Tatzeitpunkt gerade mal 6 Monate vergangen waren (OLG Bamberg VA 11, 120). Gerade hier ist von der Rechtsprechung die Überschreitung nur infolge Übersehens eines Verkehrszeichens i.d.R. als nicht ausreichend angesehen worden, um ein Fahrverbot auf Wiederholung i.S.d. § 4 Abs. 2 S. 2 BKatVO zu stützen (OLG Braunschweig DAR 99, 273; OLG Hamm NStZ-RR 99, 374; OLG Naumburg zfs 00, 318; OLG Köln NZV 01, 442).

    • 15. Ist auch die wiederholte verbotswidrige Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons (§ 23 Abs. 1a StVO) im Einzelfall geeignet, die Anordnung eines Fahrverbots wegen einer beharrlichen Pflichtverletzung zu rechtfertigen?

    Ja, das ist grundsätzlich möglich (OLG Bamberg NZV 08, 48; VA 13, 67; OLG Hamm VA 14, 47 m.w.N.). Aus einem einmaligen Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO kann aber bei der Beurteilung einer (wiederholten) Geschwindigkeitsüberschreitung als „beharrlich“ i.S.v. § 25 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV nicht ohne Weiteres auf den für einen beharrlichen Pflichtenverstoß unabdingbaren inneren Zusammenhang im Sinne einer auf mangelnder Verkehrsdisziplin beruhender Unrechtskontinuität geschlossen werden (OLG Bamberg VA 07, 220; s. auch noch AG Borna NZV 12, 307).