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  • · Nachricht · Rechtsbildung

    Die Empfehlungen des Verkehrsgerichtstags 2020

    | Traditionell schließt der Verkehrsgerichtstag mit den Empfehlungen der Arbeitskreise. Wir haben die Empfehlungen des VGT 2020 für Sie zusammengefasst. |

    1. Arbeitskreis I: Grenzüberschreitende Unfallregulierung in der EU

    Der Arbeitskreis stellt fest, dass sich die im Interesse der Geschädigten geschaffenen europäischen Regulierungssysteme für internationale Verkehrsunfälle bewährt haben. Er sieht aber folgenden Verbesserungsbedarf:

     

    • 1. Der Schadenregulierungsbeauftragte ist nach Art. 21 Abs. 5 der EU-Kraftfahrzeughaftpflichtlinie 2009/103/EG berechtigt und verpflichtet, begründete Ansprüche der Geschädigten unabhängig von Vorleistungen des ausländischen Versicherers zu befriedigen. Für den Fall, dass der ausländische Versicherer dem Schadenregulierungsbeauftragten die Aufwendungen nicht erstattet, sollte der europäische Gesetzgeber eine Garantiehaftung der Entschädigungsstelle schaffen.
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    • 2. Der Zugang zu Informationen über das Schadenersatzrecht in den EU-Mitgliedstaaten ist zu verbessern. Zu diesem Zweck sollte die EU-Kommission derRechtspraxis Hilfsmittel zur Ermittlung des ausländischen Schadenersatzrechts bereitstellen (im Anschluss an den 47. VGT 2009).
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    • 3. Der Arbeitskreis fordert, zur Unterstützung der Prozessgerichte bei der Anwendungausländischen Straßenverkehrs- und Schadenrechts ein System nach dem Vorbild der Verbindungsrichter des Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen zu schaffen.
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    • 4. Die unmittelbare Beweisaufnahme durch das Prozessgericht im Ausland sollte er-leichtert werden (z. B. durch erweiterte Zulassung der Vernehmung durch Videokonferenz).
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    • 5. Zur Durchführung von Gerichtsverfahren bedarf es einer Klarstellung der Abgrenzung von materiellem und prozessualem Recht (z. B. Beweisanforderungen, Ehegatte als Zeuge).
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    • 6. Die in einigen Mitgliedstaaten bestehenden unangemessen kurzen Verjährungsfristen für Schadenersatzansprüche können bei internationalen Verkehrsunfällen die Durchsetzung der Ansprüche der Geschädigten gefährden. Der Arbeitskreis fordert daher bei der Überarbeitung der EU-Kraftfahrzeughaftpflichtrichtlinie für die Verjährung des Direktanspruchs eine Mindestfrist von drei oder vier Jahren vorzuschreiben.

    2. Arbeitskreis II: Abschied vom fiktiven Schadenersatz?

    • 1. Der Verkehrsgerichtstag hält an seiner Auffassung, dass der Geschädigte seine durch einen Verkehrsunfall verursachten Sachschäden fiktiv abrechnen darf, weiterhin fest (nahezu einstimmig).
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    • 2. Die geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur fiktiven Abrechnung von Mängelbeseitigungskosten im Werkvertragsrecht soll auf die Abrechnung von Verkehrsunfallschäden nicht übertragen werden (nahezu einstimmig).
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    • 3. Die Rechtsprechung sollte auch weiterhin Fehlentwicklungen und Missbrauchsanreizen im Zusammenhang mit der fiktiven Sachschadenabrechnung bei Verkehrsunfällen entgegenwirken. Einer Änderung der gesetzlichen Grundlage bedarf es insoweit nicht (mit großer Mehrheit).
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    • 4. Die Rechtsprechung zur Verweisung auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit bei fiktiver Schadenabrechnung (Werkstattverweis) stellt sich in der Praxis als kompliziert, wenig transparent und für alle Beteiligten sehr aufwändig dar. Der Bundesgerichtshof wird daher gebeten zu überprüfen, ob der Schadensminderungsverpflichtung des Geschädigten bei fiktiver Abrechnung nicht anders nachgekommen werden kann (mit Mehrheit).

    3. Arbeitskreis III: Aggressivität im Straßenverkehr

    • 1. Aggressive Verhaltensweisen im Straßenverkehr gefährden ‒ auch aufgrund neuer Mobilitätsformen ‒ die Verkehrssicherheit. Zur Reduzierung aggressiver Verhaltensweisen sind aufeinander abgestimmte Maßnahmen und ein Miteinander der für die Verkehrssicherheit verantwortlichen Institutionen erforderlich.
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    • 2. Im Rahmen einer kontinuierlichen schulischen Verkehrserziehung soll aggressives Verhalten im Straßenverkehr unter sozialen und psychologischen Gesichtspunkten behandelt werden. Diesem Thema ist in den Lehrplänen aller Schulformen deutlich höheres Gewicht beizumessen.
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    • 3. Zur Vermeidung aggressiver Verhaltensweisen im Straßenverkehr sollten geeignete präventive Programme (z. B. „Crash-Kurs NRW“, „Peer-Programme“) sowie Interventionsmaßnahmen für auffällige, aggressive Verkehrsteilnehmer (z. B. Anti-Aggressions-Maßnahmen) umgesetzt, weiterentwickelt und evaluiert werden.
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    • 4. Die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten als Reaktion auf aggressive Verhaltensweisen im Straßenverkehr müssen konsequent ausgeschöpft werden. Dazu gehören insbesondere die Beachtung von Mitteilungspflichten (§ 2 Abs. 12 StVG, Nr. 45 MiStra), die Anordnung von Verkehrsunterricht (§ 48 StVO), Seminarteilnahme (§ 153a Abs. 1 Nr. 7 StPO) sowie die Fahrtenbuchauflage (§ 31a StVZO).
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    • 5. Die Einführung eines eigenen, punktbewehrten Bußgeldtatbestandes für „aggressives Posen“ im Straßenverkehr wird empfohlen.
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    • 6. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, Fahrerlaubnisbehörden ein Recht zur Einsicht in das Bundeszentral-/Erziehungsregister einzuräumen. Sofern bei einer Straftat, die im Zu-sammenhang mit der Kraftfahreignung steht, Anhaltspunkte für hohes Aggressionspotenzial der beschuldigten Person vorliegen, ist durch die Fahrerlaubnisbehörde die Kraftfahreignung mittels MPU zu überprüfen.
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    • 7. Im Hinblick auf den ungenauen Wortlaut des Tatbestandes für den „Alleinraser“ (§ 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB) genügt eine restriktive Auslegung nicht, um das strafbare Verhalten von ordnungswidrigen Geschwindigkeitsüberschreitungen abzugrenzen. Es wird empfohlen, diese Norm so abzuändern, dass der erforderliche Renncharakter des Verhaltens deutlich wird.

    4. Arbeitskreis IV: Praxistauglichkeit des Bußgeldverfahrens

    • 1. Der Arbeitskreis empfiehlt mit überwältigender Mehrheit, die Anforderungen an das standardisierte Messverfahren sowie das umfassende Einsichtsrecht in alle Daten und Messunterlagen zu kodifizieren.
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    • 2. Die obligatorische Beteiligung der Staatsanwaltschaft im Zwischenverfahren soll abgeschafft werden.
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    • 3. Der Arbeitskreis empfiehlt die Einrichtung von Schwerpunktgerichten für Sonderbereiche wie z. B. Vermögensabschöpfung, Gefahrgut- oder Fahrpersonalrecht.
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    • 4. Bußgeldverfahren sollen gegen Auflagen eingestellt werden können.
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    • 5. Nach erfolgreicher Absolvierung einer verkehrstherapeutischen Nachschulung soll von einem Fahrverbot ganz oder teilweise abgesehen werden können.
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    • 6. Zur Vermeidung von Fehlurteilen soll die Rechtsbeschwerde wegen übersehener Verfahrenshindernisse generell zugelassen werden. Ein Verstoß gegen das faire Verfahren ist wie ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör zu würdigen. Außerdem sollen die Oberlandesgerichte Verfahren mit grundsätzlicher Bedeutung stets an den Bundesgerichtshof vorlegen können. Der Verfolgungsbehörde soll nur ein Rechtsmittel zustehen, wenn sie an der Hauptverhandlung teilgenommen hat.
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    • 7. Der Arbeitskreis regt an, beim Kraftfahrtbundesamt eine zentrale, tagesaktuell geführte Fahrverbotsdatei zu führen.

    5. Arbeitskreis V: Elektrokleinstfahrzeuge

    • 1. Der Arbeitskreis stellt fest, dass in vielen Bereichen die für die Nutzung von Elektrokleinstfahrzeugen geltenden Regeln zu wenig bekannt sind beziehungsweise nicht hinreichend beachtet werden. Dieses gilt insbesondere für die Frage der geltenden Promillegrenzen, der zu nutzenden Verkehrsflächen und der zulässigen Fahrzeuge. Der Arbeitskreis setzt sich daher nachdrücklich für mehr Öffentlichkeitsarbeit, vor allem durch Information und Aufklärung auch durch Verleihfirmen, ein.
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    • 2. Der Arbeitskreis hält einen Ausbau der für die Nutzung der Elektrokleinstfahrzeuge erforderlichen Infrastruktur für unabdingbar, insbesondere der Radverkehrsinfrastruktur.
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    • 3 Der Arbeitskreis fordert eine verbindliche Ausrüstung künftiger einspuriger, im Stehen gefahrener Elektrokleinstfahrzeuge mit Fahrtrichtungsanzeigern.
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    • 4. Der Arbeitskreis hält zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Legalisierung weiterer Elektrokleinstfahrzeuge, insbesondere ohne Lenkstange, für nicht sinnvoll. Er empfiehlt eine weitere Beobachtung unter Berücksichtigung der Erfahrungen im Ausland.
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    • 5. Der Arbeitskreis stellt fest, dass für die Verkehrssicherheit eine effektive Verfolgung von Verkehrsverstößen erforderlich ist. Zu diesem Zweck muss auch gewährleistetsein, dass die Verleihfirmen die dazu notwendigen Nutzerdaten erfassen und den Verfolgungsbehörden zur Verfügung stellen.
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    • 6. Der Arbeitskreis hält die derzeitige Abstellpraxis der Leih-E-Scooter für nicht akzeptabel. Er ist der Auffassung, dass es verbindlicher Vorgaben für Abstellplätze bedarf. Der Arbeitskreis fordert, eine bundeseinheitliche Regelung zu schaffen.
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    • 7. Der Arbeitskreis setzt sich mehrheitlich für die Einführung einer Prüfbescheinigung zum Führen eines Elektrokleinstfahrzeuges als Kraftfahrzeug ein.

    6. Arbeitskreis VI: Fahranfänger ‒ neue Wege zur Fahrkompetenz

    Der Arbeitskreis begrüßt mit überragender Mehrheit das vorgestellte Maßnahmenkonzeptfür Fahranfänger nach dem Fahrerlaubniserwerb. Dieses sog. „Optionsmodell“ sieht eine generelle Verlängerung der Probezeit von zwei auf drei Jahre vor mit der Möglichkeit einer Verkürzung auf bis zu zwei Jahre durch die freiwillige Teilnahme an Schulungsmaßnahmen und/oder am Begleiteten Fahren, das auch für volljährige Fahranfänger geöffnet werden soll. Mit großer Mehrheit werden die vorgeschlagenen Vereinfachungen der Begleiterregelungen befürwortet. Sowohl die Fahrausbildung als auch die Fahrerlaubnisprüfung müssen kontinuierlich weiterentwickelt und dabei inhaltlich aufeinander abgestimmt werden. Methoden der Vermittlung und Überprüfung der Inhalte zur Verkehrswahrnehmung und Gefahrenvermeidung sowie die Einbindung von sicherheitsrelevanten Fahrerassistenzsystemen sollten dabei aktuell im Vordergrund stehen. Die Nichtbestehensquoten bieten keine Veranlassung, die qualitativen Anforderungen an die Fahrerlaubnisprüfung abzusenken. Die örtlichen Unfalldaten von Fahranfängern sollten in eine regionalisierte Fahranfängervorbereitung einfließen.

    7. Arbeitskreis VII: Entschädigung von Opfern nach terroristischen Anschlägen

    Der Arbeitskreis begrüßt nahezu einstimmig die Verbesserungen des Opferschutzes in praktischer und finanzieller Hinsicht, die nach dem Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz erfolgt sind.

     

    • 1. Der Arbeitskreis sieht nach ausführlicher Diskussion mit deutlicher Mehrheit keinen Anlass, die Härteleistungen für Opfer von Terror und Extremismus auf weitere Opfergruppen auszudehnen.
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    • 2. Der Arbeitskreis empfiehlt mit überwältigender Mehrheit, dass Terroropfer unabhängig vom Tatmittel (Kfz oder andere) die gleichen Ansprüche haben. Damit soll die derzeit bestehende Ungleichbehandlung beseitigt werden.
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    • 3. Der Arbeitskreis empfiehlt mit überwältigender Mehrheit, zur Rechtssicherheit und zur Vermeidung langwieriger Auseinandersetzungen, die Kongruenz der zivil- und öffentlich-rechtlichen Ansprüche der Opfer von Terroranschlägen verbindlich festzulegen. Die Notwendigkeit dafür ergibt sich aus der Neuregelung des § 18 Sozialgesetzbuch XIV.
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    • 4. Der Arbeitskreis empfiehlt einstimmig, dass alle Bundesländer zügig zentrale Strukturen (insbesondere Opferbeauftragte) zum Opferschutz schaffen.
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    • 5. Der Arbeitskreis empfiehlt mehrheitlich die Einführung eines Fachanwalts für Personen Schadenrecht. Damit kann den besonderen Herausforderungen der Interessenwahrnehmung auch von Terroropfern besser Rechnung getragen werden.

    8. Arbeitskreis VIII: Sicherheit und Passagierrechte auf Kreuzfahrten

    Zahl und Größe der Kreuzfahrtschiffe nehmen stetig zu. Daher müssen die bereits bestehenden umfassenden Sicherheitsbestimmungen und -konzepte ständig weiterentwickelt und angepasst werden, insbesondere hinsichtlich ihrer Geeignetheit bei mehreren Tausend Personen an Bord sowie neuer Risiken und Terrorgefahren. Dabei sollten auch die internationalen Vorschriften für Rettungskapazitäten überprüft werden. Die Anwendung von technischen Sicherheitsinnovationen, z. B. für den Brandschutz und die Evakuierung, sollte auf internationaler Ebene durch zielorientierte Vorschriften gefördert werden. Die Kreuzfahrtreedereien müssen dafür sorgen, dass insbesondere ausreichende und qualifizierte Personalressourcen für das Notfall- und Krisenmanagement an Bord unter Einbeziehung des nicht seemännischen Personals zur Verfügung stehen. Die Passagiere müssen an allen Sicherheitsmaßnahmen einschließlich der Seenotrettungsübungen aktiv mitwirken und dürfen diese nicht als bloße Formalie verstehen. Die Bundesregierung wird aufgefordert, das Protokoll von 2002 zum Athener Übereinkommen von 1974 (Haftung bei der Beförderung von Reisenden auf See) zügig zu ratifizieren. Reiseveranstalter sollten verpflichtet werden, vor Vertragsabschluss darauf hinzu-weisen, welche haftungsrechtlichen Regelungen sowie Sicherheits- und Umweltstandards für die Reise gelten. Um auf die Bewältigung einer Havarie noch besser vorbereitet zu sein, ist auch ein enges Zusammenwirken aller Beteiligten auf staatlicher und privater Seite erforderlich. Dazu bedarf es eines gemeinsamen Notfallmanagements einschließlich abgestimmter Konzepte und Übungen. Zur Rettung von eingeschlossenen Personen auf gesunkenen Schiffen, zum Beispiel durch Tauchereinsätze, ist ein Fachkonzept unter Einbeziehung staatlicher und privater Expertise und Ressourcen zu erstellen.

    Quelle: ID 46343117