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  • · Fachbeitrag · Berufspolitik

    Direkt zum Therapeuten? - Argumente gesucht

    von Silke Jäger, ergoscriptum | Texte für Reha und Therapie, Marburg

    | Mehr Autonomie für Physiotherapeuten. So soll die Zukunft aussehen. Damit dieser Wunsch Wirklichkeit werden kann, müssen noch viele Fragen geklärt werden. Zum Beispiel, ob die Therapieergebnisse durch den Direktzugang eher besser oder schlechter werden, ob die Patientenzufriedenheit steigt oder sinkt und ob die Behandlungen teurer werden oder billiger. Genau diese Fragen soll ein Modellvorhaben beantworten, das der Bundesverband selbstständiger Physiotherapeuten (IFK) 2011 gestartet hat. Nun liegen erste Zwischenergebnisse vor. Doch es bleibt abzuwarten, ob die späteren Ergebnisse den ersten positiven Trend bestätigen können. |

    © Dan Race - Fotolia.com

    Warum ein Modellprojekt für mehr Autonomie?

    Andere Länder, wie zum Beispiel Norwegen, Kanada und Australien machen es vor. Hier dürfen Physiotherapeuten - zum Teil schon seit Jahrzehnten - therapeutische Maßnahmen, Behandlungsfrequenz und -dauer selbst bestimmen. Bevor diese Staaten den Direktzugang zum Physiotherapeuten einführten, haben auch sie im Vorfeld mithilfe ähnlicher Modellprojekte getestet, ob sie es wagen können, Physiotherapeuten mehr Autonomie zu geben - mit gutem Erfolg.

     

    Der IFK hat sich diesen Weg zum Vorbild genommen und zusammen mit der Krankenkasse „BIG direkt gesund“ und der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft (ZHAW) das Modellvorhaben für mehr Autonomie entwickelt. Bisher nahmen 139 Patienten aus 40 Praxen in den KV-Regionen Berlin und Westfalen-Lippe an der Studie teil. Nun wurden aus den ersten Endbefunden 59 stichprobenartig ausgewertet, um einen Trend für den Zwischenbericht ausmachen zu können, den der IFK Anfang Januar veröffentlicht hat.

    Ziele des Modellprojekts

    Das oberste Ziel des Modellvorhabens ist, herauszufinden, ob sich die Qualität und die Kosten der physiotherapeutischen Behandlung verändern, wenn nicht - wie bisher - der Arzt das Heilmittel, die Behandlungsfrequenz und -dauer bestimmt, sondern der Physiotherapeut. Dazu wurden die Probanden zufällig der Kontrollgruppe (herkömmliches Verfahren) oder der Modellgruppe (eigenverantwortliches Handeln des Physiotherapeuten) zugeordnet. Die Patienten gehörten bei dieser randomisierten, kontrollierten Studie in beiden Untersuchungsgruppen jeweils einer der beiden Indikationsgruppen „Wirbelsäule“ oder „untere Extremität“ an.

    Erste positive Ergebnisse

    Der Zwischenbericht zeigt in beiden Behandlungsgruppen eine deutliche Verbesserung des Befunds. Dabei haben die Schmerzen der Patienten in der Modellgruppe tendenziell stärker abgenommen als in der Kontrollgruppe. Auch die Steigerung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und der allgemeinen Gesundheit war in der Modellgruppe tendenziell größer. Diese Trends entsprechen den Erfahrungen, die in anderen Ländern mit dem Direktzugang gemacht worden sind.

     

    BEACHTEN SIE | Im Moment ist noch nicht ersichtlich, ob die Studie darüber hinaus zeigen kann, dass der Direktzugang auch Kosten einspart. Zwar war bei einigen verwendeten Heilmitteln in der Modellgruppe die Anzahl an Behandlungseinheiten im Durchschnitt etwas geringer als in der Kontrollgruppe. Aber daraus lässt sich noch nicht ableiten, dass der Direktzugang insgesamt auch kosteneffizienter ist. Dies soll später untersucht werden.

    Das große Aber

    Bei aller Freude über den positiven Trend ist die Einordnung dieser Ergebnisse für das Vorhaben „Einführung des Direktzugangs zum Physiotherapeuten“ nicht ganz so einfach, wie es scheint. Im Moment geben eher die positiven Erfahrungen aus anderen Ländern Grund zur Hoffnung, dass der Direktzugang auch in Deutschland gut funktionieren könnte. Vermutlich wird die Studie allein nur begrenzt überzeugen können - leider! Denn Zwischenergebnisse von Studien sind mitnichten Endergebnisse. Die können nämlich erstens ganz anders aussehen und zweitens durch vorzeitige Teilauswertungen verfälscht werden. Wie das?

     

    Unterschied Zwischenergebnisse/Endergebnisse

    Die vorliegende Zwischenauswertung basiert auf einer Stichprobe, bei der die Patienten in der Modellgruppe im Schnitt gute 6 Jahre jünger sind als die in der Kontrollgruppe. Man kann erwarten, dass sich dies für die angestrebte Anzahl von über 500 Probanden angleichen wird. Das lässt sich auf die zufällige Zuteilung in die Untersuchungsgruppen zurückführen. Falls dieser Altersunterschied einen verstärkenden Einfluss auf die Ergebnisse haben sollte - was man aufgrund der jetzt veröffentlichten Daten weder ausschließen noch nachweisen kann - werden die Ergebnisse am Ende näher beieinander liegen. Damit steht der zurzeit positive Trend auf wackligen Füßen.

     

    Verfälschung der Endergebnisse

    Immer, wenn Zwischenergebnisse einer laufenden Studie erstellt bzw. veröffentlicht werden sollen, müssen sich die Initiatoren im Klaren sein, dass dadurch die weiteren Ergebnisse beeinflusst werden können. Das kann zum Beispiel dadurch passieren, dass Therapeuten, die Patienten aus der Modellgruppe behandeln, durch die positiven Zwischenergebnisse stärker motiviert werden als diejenigen, die Patienten aus der Kontrollgruppe behandeln. Eine weitere Möglichkeit der Verfälschung ist dadurch gegeben, dass die Therapeuten der Modellgruppe nun erwarten könnten, dass sie die Behandlung in kürzerer Zeit zum Erfolg führen können. Diese Effekte kann man nach Veröffentlichung von Zwischenergebnissen nicht mehr kontrollieren.

    IFK vergibt Chance

    Die an der Studie beteiligten Therapeuten werden sicher glauben, nach dem Lesen der Trends genauso weitergemacht zu haben wie vorher. Man hat jedoch damit eine Unsicherheit erzeugt darüber, wie die weiteren Auswertungen einzuordnen sind. Diskussionen über die Belastbarkeit der Zahlen sind damit Tür und Tor geöffnet. Diese Diskussionen hätte man sich ohne Zwischenauswertungen sparen können. Therapiestudien haben es häufig ohnehin schwerer, die gleiche Anerkennung zu finden wie Arzneimittelstudien. Sie sind schwieriger zu verblinden, sodass den Ergebnissen von vornherein mit größerer Skepsis begegnet wird. Und selbst ohne diese ganzen Einflüsse bleibt die Tatsache bestehen, dass Zwischenauswertungen das Risiko für falsch-positive Ergebnisse erhöhen. Insofern kann man es bedauern, dass sich der IFK zu einer vorzeitigen Auswertung und Publikation der Daten entschlossen hat, da damit die Aussagekraft der Studie und der zukünftigen Endergebnisse abgeschwächt wird.

     

    FAZIT | Der Direktzugang ist für viele ein Hoffnungsträger im Hinblick auf die Absicherung der Patientenversorgung in Zeiten des demografischen Wandels. Er soll zur zukünftigen Finanzierbarkeit der Heilmitteltherapie beitragen und ihre Bedeutung für die medizinische Versorgung erhöhen. Wie die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, ist das eine berechtigte Hoffnung. Auch wenn man sich über das Vorgehen der Initiatoren wundern kann, mit der Veröffentlichung der Zwischenergebnisse die Belastbarkeit der Ergebnisse unnötig geschwächt zu haben, so bleibt doch der Einsatz für mehr Autonomie im Heilmittelbereich richtig und wichtig.

    Weiterführende Hinweise

    • Arbeiten ohne ärztliche Verordnung: der Physiotherapeut als Heilpraktiker (PP Nr. 2/2009, Seite 7)
    Quelle: Ausgabe 02 / 2013 | Seite 2 | ID 37621030