Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Vorräte

    Praxisleitfaden: Von der Inventuraufnahme zur verlustfreien Bewertung

    von StB Dipl.-Oec. Heiko Minninger, Ennepetal

    | Der Ansatz und die Bewertung des Vorratsvermögens gehört insbesondere für Produktionsunternehmen zu den anspruchsvollsten Aufgaben bei der Jahresabschlusserstellung. Dabei sind sowohl die geeignete Vorbereitung der Inventur, deren qualitativ hochwertige Umsetzung als auch die zutreffende Bewertung von Bedeutung. Praxisrelevante Punkte werden nachfolgend vorgestellt. |

    1. Grundsätzliche Ausführungen

    Nach § 240 HGB ist die jährliche Aufstellung eines Inventars für alle Kaufleute verpflichtend vorgeschrieben. In Abhängigkeit vom Zeitpunkt der körperlichen Bestandsaufnahme unterscheidet man:

     

    • die klassische Stichtagsinventur am Bilanzstichtag,
    • die zeitlich ausgeweitete Stichtagsinventur, die bis zu zehn Tage vor oder nach dem Stichtag durchgeführt wird,
    • die vor- oder nachverlagerte Stichtagsinventur (bis zu drei Monate vor bzw. bis zu zwei Monate nach dem Bilanzstichtag) und
    • die permanente Inventur.

     

    HINWEIS | Unter bestimmten Voraussetzungen ist nach § 241 HGB auch die Stichprobeninventur zulässig.

     

    Bei der Bewertung des Vorratsvermögens gilt grundsätzlich das Prinzip der Einzelbewertung. Allerdings lässt der Gesetzgeber auch gewisse Vereinfachungen zu. So ist bei Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen unter den Voraussetzungen des § 240 Abs. 3 HGB die Bildung von Festwerten möglich. Nach § 240 Abs. 4 HGB können gleichartige Vermögensgegenstände des Vorratsvermögens zu einer Gruppe zusammengefasst und mit dem gewogenen Durchschnittswert angesetzt werden. Darüber hinaus können bei gleichartigen Vermögensgegenständen des Vorratsvermögens nach § 256 HGB bestimmte Verbrauchsfolgeverfahren unterstellt werden. Anerkannte Verfahren sind die Lifo-Methode („Last in first out“) sowie die Fifo-Methode („First in first out“).

     

    PRAXISHINWEIS |  Werden die Bewertungsvereinfachungen gemäß § 240 Abs. 3 und Abs. 4 HGB in der Handelsbilanz ausgeübt, sind die Wertansätze nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG in die Steuerbilanz zu übernehmen. Hingegen handelt es sich bei den Verbrauchsfolgeverfahren (§ 256 HGB; § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG - nur Lifo-Methode zulässig) um Wahlrechte, die sowohl handels- als auch steuerrechtlich bestehen. Aufgrund des § 5 Abs. 1 S. 1 HS 2 EStG können die Wahlrechte in der Handels- und Steuerbilanz unterschiedlich ausgeübt werden (BMF 12.3.10, IV C 6 -S 2133/09/10001).

     

    2. Inventurvorbereitung und Durchführung

    Grundvoraussetzung für eine geordnete und zutreffende Inventur ist die sorgfältige Planung und entsprechende Umsetzung. Dabei sollte der Inventurtermin rechtzeitig festgelegt und möglichst optimal in den Betriebsablauf eingebettet werden.

     

    Mögliche Fehlerquellen bei der Inventur sind insbesondere Unsicherheiten bei den beteiligten Mitarbeitern und unsystematisches Vorgehen bei der Aufnahme. Hilfreich kann daher eine kurze Einführung durch den Inventurleiter unmittelbar vor Beginn sein, um mögliche Fragen bereits im Vorfeld klären zu können.

     

    Wird die Inventur von mehreren Personen durchgeführt, bietet es sich an, die wichtigsten Eckpunkte in einer Inventuranweisung festzuhalten:

     

    Checkliste / Wichtige Punkte für die Inventuranweisung

    • Angabe des Inventurortes
    • Termin und Beginn der Inventur
    • Verantwortlicher Inventurleiter
    • Eindeutige Definition der Inventurbereiche, um Überschneidungen und Doppelaufnahmen zu vermeiden
    • Festlegung der Aufnahmeteams (jeweils bestehend aus einem Ansager und einem Aufschreiber) und den diesen jeweils zugewiesenen Aufnahmebereichen
    • Vermeidung von Sprunginventuren (kein Zusammenzählen von gleichen Artikeln an unterschiedlichen Lagerorten, um Auslassungen und Doppelzählungen zu vermeiden)
    • Anweisungen, wie mit den Aufnahmelisten zu verfahren ist
    • Erfassung und Kennzeichnung von erkennbar beschädigten Artikeln durch Hinweise auf den Aufnahmelisten, um mögliche Wertminderungen bei der Bewertung berücksichtigen zu können
    • Kennzeichnung der aufgenommenen Artikel mit farblicher Markierung oder z.B. durch Anbringung von Aufklebern mit Jahreszahl
    • Keine Erfassung von Artikeln, die Kunden bereits in Rechnung gestellt wurden. Diese sind bereits in den Forderungen des Unternehmens enthalten und würden durch die Berücksichtigung im Rahmen der Inventur doppelt erfasst.
    • Bei einer zeitnahen Inventur nach dem Stichtag dürfen nur die Artikel aufgenommen werden, die bereits am Stichtag angeliefert waren.
    • Beachtung grundlegender Inventurprinzipien, z.B. Erfassung der Vorräte nur mit dokumentenechten Stiften, Unterzeichnung der Aufnahmelisten durch Ansager und Aufschreiber, Abzeichnung mit Handzeichen bei nachträglichen Änderungen und Kontrollzählungen

    Grundsätzlich sollten Mitarbeiter nicht in ihrem eigenen Arbeitsbereich mit der Aufnahme betraut werden, um Fehlaufzeichnungen hinsichtlich Qualität und Menge aus persönlichen Gründen zu vermeiden. Diese Mitarbeiter können aber als Aufschreiber in den Teams eingesetzt werden, um eine eindeutige und zutreffende Identifizierung der Artikel zu gewährleisten. Sofern auch unfertige Erzeugnisse aufgenommen werden, sollten damit nur erfahrene Mitarbeiter betraut werden, die den Fertigungsgrad eindeutig bestimmen können.

     

    Insbesondere bei großen oder räumlich getrennten Aufnahmebereichen sollte der Inventurleiter den vollständigen Rücklauf der Aufnahmelisten überwachen und dafür Sorge tragen, dass die Werte zeitnah in die EDV übertragen werden. Sofern die eingesetzten Programme die Möglichkeit bieten, die eingegebenen Bestände mit den bisher geführten Lagerbeständen abzugleichen, sind wesentliche Differenzen sofort zu klären, da dies im Nachhinein meist nicht mehr oder nur unter erheblichem Aufwand möglich ist.

     

    Nach Beendigung der körperlichen Aufnahme sollte die Vollständigkeit durch einen Rundgang des Inventurleiters geprüft werden.

     

    WICHTIG | Auch unterwegs befindliche Vorräte, die noch im Eigentum des Unternehmens sind, sowie Vorräte, bei denen der Eigentumsübergang auf das Unternehmen bereits stattgefunden hat, ohne dass diese das Unternehmen schon körperlich erreicht haben, müssen in die Inventur einbezogen werden.

    3. Inventurbewertung

    An die Inventuraufnahme schließt sich die Inventurbewertung an. Gemäß § 253 Abs. 1 HGB sind Vermögensgegenstände höchstens mit den Anschaffungskosten oder Herstellungskosten anzusetzen. Der Umfang der berücksichtigungsfähigen Aufwendungen bei der Ermittlung der Herstellungskosten ergibt sich aus § 255 Abs. 2 HGB.

     

    Die nachfolgende Tabelle zeigt die Aktivierungspflichten und -wahlrechte vor und nach dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG).

     

    • Herstellungskosten nach § 255 Abs. 2 HGB
    HGB vor BilMoG
    HGB seit BilMoG

    Material- und Fertigungseinzelkosten

    Pflicht

    Pflicht  

    Material- und Fertigungsgemeinkosten

    Wahlrecht

    Pflicht  

    Fertigungsbedingte AfA

    Wahlrecht

    Pflicht  

    Verwaltungsgemeinkosten

    Wahlrecht

    Wahlrecht

    Sozialgemeinkosten

    Wahlrecht

    Wahlrecht 

    Fertigungsbedingte Fremdkapitalkosten

    Wahlrecht

    Wahlrecht

    Forschungskosten

    Verbot

    Verbot 

    Vertriebskosten

    Verbot

    Verbot 

    WICHTIG | Die steuerlichen Aktivierungspflichten und -wahlrechte decken sich im Ergebnis mit der Neuregelung durch BilMoG (R 6.3 EStR). Die Bewertungswahlrechte können unabhängig von der handelsrechtlichen Bewertung ausgeübt werden (BMF 12.3.10, a.a.O. i.V. mit BMF 22.6.10, IV C 6 -S 2133/09/10001).

     

    3.1 Niederstwerttest nach dem Beschaffungs- und/oder Absatzmarkt

    Nach § 253 Abs. 4 HGB sind Vorräte zum Bilanzstichtag mit dem aktuellen Börsen- oder Marktpreis zu bewerten. Fehlen diese Preise, hat die Bewertung zum beizulegenden Wert zu erfolgen.

     

    Als Obergrenze für die Bewertung verbleibt es in jedem Fall bei den Anschaffungs- oder Herstellungskosten. Liegt der Stichtagswert darunter, sind in Höhe der ermittelten Differenz Abschreibungen vorzunehmen. Dieser sogenannte Niederstwerttest ist zwingend zu beachten. Er ist Ausfluss des handelsrechtlichen Imparitätsprinzips, nach dem Verluste grundsätzlich schon zum Zeitpunkt ihres Entstehens zu berücksichtigen sind, während dies bei Gewinnen nicht zulässig ist (Vorsichtsprinzip).

     

    Die Durchführung des Niederstwerttests erfolgt für die einzelnen Vorratsgruppen auf unterschiedliche Art, wobei sich die Bewertung entweder am Beschaffungsmarkt, am Absatzmarkt oder an beiden Märkten orientiert.

     

    Nach der überwiegenden Literaturmeinung (u.a. Baetge/Kirsch/Thiele, Bilanzrecht, Kommentar, § 253 HGB, Rz. 386) gilt Folgendes:

     

    • Der Absatzmarkt ist relevant für alle fertigen und unfertigen Erzeugnisse sowie für unfertige Leistungen, sofern kein Fremdbezug dieser Erzeugnisse möglich ist. Ebenso ist der Absatzmarkt für Überbestände an Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffen maßgebend.

     

    • Der Beschaffungsmarkt wird herangezogen für Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie für fertige und unfertige Erzeugnisse, für die auch ein Fremdbezug möglich ist.

     

    • Der niedrigere Wert aus einer absatzmarkt- und beschaffungsmarktorientierten Bewertung wird herangezogen zur Bewertung von Handelswaren sowie von Überbeständen an unfertigen und fertigen Erzeugnissen.

     

    Ist der Beschaffungsmarkt maßgeblich, wird auf die Wiederbeschaffungskosten oder die Reproduktionskosten abgestellt. Bei den Wiederbeschaffungskosten handelt es sich um die Kosten, die aufgewendet werden müssten, um einen Gegenstand gleicher Güte zu erwerben (incl. Nebenkosten, abzüglich Rabatte/Skonti).

     

    Bei den Reproduktionskosten handelt es sich um die Wiederherstellungskosten für die im Unternehmen selbst hergestellten Güter. Da auf die Selbstkosten abgestellt wird, sind die bis zum Bilanzstichtag angefallenen Verwaltungs- und Vertriebskosten einzubeziehen.

     

    Häufig wird die absatzmarktorientierte Bewertung auch als verlustfreie Bewertung bezeichnet. Bei unfertigen und fertigen Erzeugnissen wird der beizulegende Wert aus den Verhältnissen am Absatzmarkt abgeleitet (retrograde Wertermittlung). Abgestellt wird dabei auf den Verkaufserlös, mit dem der Artikel voraussichtlich verkauft werden kann. Von diesem Wert sind die bis zum Abschluss der Veräußerung entstehenden Aufwendungen abzusetzen. Hierbei sind insbesondere gewährte Skonti, Rabatte, Verpackungs- und Versandkosten, sonstige Vertriebskosten (z.B. Provisionen) sowie anteilige Verwaltungs- und zurechenbare Fremdkapitalkosten zu berücksichtigen. Bei unfertigen Erzeugnissen sind darüber hinaus noch die Aufwendungen abzusetzen, die bis zur Fertigstellung des Artikels anfallen werden.

     

    WICHTIG | Bei der retrograden Wertermittlung ist der handelsrechtlich beizulegende Wert grundsätzlich höher als der steuerrechtliche Teilwert. Bei Wirtschaftsgütern des Vorratsvermögens, die zum Absatz bestimmt sind, ist bei der Subtraktionsmethode vom voraussichtlich erzielbaren Veräußerungserlös steuerrechtlich nämlich noch der durchschnittliche Unternehmergewinn abzuziehen (R 6.8 Abs. 2 S. 3 EStR ). Nach BilMoG kann bei der Subtraktionsmethode kein Gleichklang mehr erzielt werden, da die umgekehrte Maßgeblichkeit (§ 5 Abs. 1 S. 2 EStG) abgeschafft wurde. Dennoch stellt sich die Frage, ob und inwieweit die steuerlichen Grundsätze mittlerweile als Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) anerkannt werden können. Dies ist aber noch nicht abschließend geklärt.

     

     

    3.2 Weitere Abwertungsgründe

    Neben den vom Beschaffungs- und/oder Absatzmarkt abgeleiteten Wertminderungen kommen Abwertungen insbesondere auch aus qualitativen Gründen oder wegen mangelnder Gängigkeit der Artikel in Betracht.

     

    Bei Vorräten, die durch Beschädigungen, Rost etc. nicht mehr zu regulären Bedingungen eingesetzt bzw. veräußert werden können, liegt der beizulegende Wert regelmäßig unter dem Normalpreis. Im Zweifel sind diese Artikel zum Schrottpreis zu bewerten, wenn nicht sichergestellt werden kann, dass eine Veräußerung oder Nacharbeit zu einem höheren beizulegenden Wert führt.

     

    Abwertungen aufgrund mangelnder Gängigkeit der Artikel werden bei größeren Vorratsbeständen häufig durch den Einsatz von Gängigkeitsabschlägen berücksichtigt. Hierbei wird unterstellt, dass Artikel, die in der Vergangenheit nicht oder nur in sehr geringem Umfang abgesetzt werden konnten, auch in der Zukunft nicht mehr vollständig oder nicht zu den regulären Preisen abgesetzt werden können. Dem Absatzrisiko wird durch pauschale Wertabschläge Rechnung getragen, die sich regelmäßig in Abhängigkeit von der Reichweite bzw. Umschlagshäufigkeit der Artikel ermitteln lassen.

     

    MERKE |  Stützen sich die Reichweitenabschläge allein auf die lange Lagerdauer, werden steuerrechtliche Teilwertabschreibungen ohne weitere Begründungen nicht anerkannt, sofern die ursprünglichen Verkaufspreise noch erzielt werden können (BFH 24.2.94, IV R 18/92).

    Quelle: Ausgabe 11 / 2011 | Seite 257 | ID 29581030

    Karrierechancen

    Zu TaxTalents