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  • 19.11.2004 · IWW-Abrufnummer 042667

    Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 30.09.2004 – 14 K 265/03

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    FINANZGERICHT BADEN-WÜRTTEMBERG

    Urteil

    Az.: 14 K 265/03

    In dem Finanzrechtsstreit XXX

    wegen Einkommensteuer 2000 und 2001

    hat der 14. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg - aufgrund der mündlichen Verhandlung - in der Sitzung vom 30. September 2004 durch XXX

    für R e c h t erkannt:

    I. Das Finanzamt wird verpflichtet, die angefochtenen Einkommensteuerbescheide für 2000 und 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02. Dezember 2003 dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuerschuld für 2000 von bisher 8.043 DM um 896 DM auf 7.147 DM = 3.654,20 ? und die Einkommensteuerschuld für 2001 von bisher 7.408 DM um 339 DM auf 7.069 DM = 3.614,30 ? herabgesetzt wird.

    II. Das beklagte Finanzamt trägt die Kosten des Verfahrens.

    III. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Rechtsmittelbelehrung XXX

    Tatbestand

    Streitig ist, ob die Einkommensteuer für 2000 und 2001 wegen nachgereichter Belege über Scheidungskosten noch geändert werden können.

    Nach Ergehen der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für 2000 vom 29. Oktober 2001 und für 2001 vom 17. September 2002 reichte die Klägerin mit Schreiben vom 21. März 2003 Belege über Scheidungskosten in Höhe von insgesamt 6.925,65 DM nach, von denen 4.250,94 DM das Veranlagungsjahr 2000 und 2.674,71 DM das Veranlagungsjahr 2001 betrafen. Die Klägerin beantragte, die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für 2000 und 2001 zu ändern und die Scheidungskosten steuerlich noch zu berücksichtigen. Sie trug vor, sie sei davon ausgegangen, dass die Scheidungskosten generell nicht absetzbar seien. Wie sie jetzt erst erfahren habe, seien die Scheidungskosten in ihrem Fall steuerlich abzugsfähig und lägen auch über ihrer zumutbaren Eigenbelastung.

    Das beklagte Finanzamt lehnte mit Bescheid vom 21. April 2003 unter Hinweis auf die Bestandskraft der vorgehenden Bescheide die Änderung derselben ab. Die Bescheide könnten auch nicht mehr nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) geändert werden, da die Klägerin ein grobes Verschulden daran treffe, dass die Tatsachen und Be-weismittel erst nachträglich dem Finanzamt bekannt geworden seien.

    Der Einspruch blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung vom 02. Dezember 2003 hielt das beklagte Finanzamt daran fest, dass die Klägerin ein grobes Verschulden an der verspäteten Einreichung der Belege träfe.

    Hiergegen richtet sich die am 30. Dezember 2003 bei Gericht eingegangene Klage mit der sich die Klägerin gegen die Annahme eines groben Verschuldens ihrerseits wendet. Sie räumt ein, dass sie zwar fahrlässig gehandelt habe, keineswegs aber grob fahrlässig. Ihr Versäumnis könne sie sich nur dadurch erklären, dass sie im Zusammenhang mit dem damals durch die Scheidung bedingten Streitereien und den beruflichen Belastungen als Lehrerin am Gymnasium mit erstmaligem Leistungskurs Musik sowie der Doppelbelastung als alleinerziehender Mutter eines damals erst dreijährigen Kindes keine Zeit gefunden habe, bei Abgabe der Steuererklärung die zugesandten mehrseitigen Erläuterungen gründlich durchzulesen. Ob dieser Irrtum verzeihlich sei, hänge auch von den individuellen Verhältnissen des einzelnen Steuerpflichtigen ab, unabhängig von den Gegebenheiten des einzelnen Falls. Sie ist der Ansicht, dass ihr Versäumnis keinesfalls als grobes Verschulden gewertet werden könne, allenfalls handele es sich um eine verzeihliche Nachlässigkeit.

    Die Klägerin beantragt,

    die angefochtenen Einkommensteuerbescheide für 2000 und 2001 dahingehend zu ändern, dass unter Berücksichtigung der geltend gemachten Scheidungskosten die Einkommensteuer entsprechend herabgesetzt wird.

    Das beklagte Finanzamt beantragt, die Klage aus den Gründen der Einspruchsentscheidung

    abzuweisen.

    Das Finanzamt ist der Ansicht, dass die Anleitungen zu den Einkommensteuererklärungen 2000 und 2001 ausdrückliche Hinweise zur Behandlung von Scheidungskosten beinhalteten. Es hätte somit von der Klägerin erwartet werden könne und müssen, dass diese beachtet werden.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze verwiesen.

    In der Streitsache war am 19. Mai 2004 ein Gerichtsbescheid ergangen, gegen den das beklagte Finanzamt rechtzeitig Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt hat. Damit ist der Gerichtsbescheid gegenstandslos.

    Sodann hat am 30. September 2004 eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet.

    Zu Unrecht hat das beklagte Finanzamt sich auf den Standpunkt gestellt, dass die Klägerin ein grobes Verschulden an der Nichtgeltendmachung der Scheidungskosten als außergewöhnliche Belastung treffe.

    Hat ein Steuerpflichtiger das nachträgliche Bekanntwerden einer Tatsache grob verschuldet, ist eine Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheides zu seinen Gunsten ausgeschlossen (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO). Dadurch soll der Steuerpflichtige von vornherein dazu angehalten werden, seine Erklärungs- und Mitwirkungspflichten mit der gebotenen Sorgfalt zu erfüllen. Das ist dem Grunde nach gerechtfertigt, da die Tatsachen aus der Sphäre des Steuerpflichtigen stammen und darum von ihm rechtzeitig vorgetragen werden müssen.

    Für die grobe Fahrlässigkeit gilt der für das Steuerrecht maßgebliche strafrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff. Grob fahrlässig handelt danach der Steuerpflichtige, wenn er die Sorgfalt, zu der er nach den persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt. Dazu gehört, dass er unbeachtet lässt, was ihm ggf. hätte einleuchten müssen oder er die einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen nicht anstellt. Grob fahrlässig handelt derjenige Steuerpflichtige, der eine in einem Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte, auf eine bestimmten Vorgang bezogene Frage nicht, schlecht und unvollständig oder falsch beantwortet.

    Nach Auffassung der Verwaltung (BMF AEAO Tz. 5.1.2, Bundessteuerblatt -BStBl- I 2001, 508) soll grobes Verschulden im Allgemeinen auch dann angenommen werden, wenn der Steuerpflichtige allgemeine Grundsätze der Buchführung verletzt oder ausdrückliche Hinweise in ihm zugegangenen Vordrucken, Merkblättern oder sonstigen Mitteilungen nicht beachtet. Hiergegen wird in der Literatur eingewandt (vgl. Loose in Tipke-Kruse, AO § 173 Tz. 77), dass die Finanzverwaltung den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkenne. Der normale, steuerlich nicht beratene Steuerpflichtige beherrsche keineswegs immer aufgrund eigener Kenntnisse die allgemeinen Grundsätze der Buchführung. Auch mit Vordrucken und Merkblättern könne ein solcher Steuerpflichtiger aufgrund seiner eigenen Kenntnisse nicht viel anfangen. Infolge dessen könne die Nichtbeachtung nicht ?im Allgemeinen? sondern nur ausnahmsweise den Vorwurf grober Fahrlässigkeit rechtfertigen.

    Im Streitfall kann dahinstehen, ob dieser doch sehr strengen Rechtsauffassung zu folgen ist. Denn selbst wenn grundsätzlich davon ausgegangen wird, dass die Nichtbeachtung von Hinweisen den Vorwurf grober Fahrlässigkeit begründet, kann dies vorliegend nicht angenommen werden. Die Klägerin hat glaubhaft dargetan und dies in der mündlichen Verhandlung nochmals ausdrücklich bekräftigt, dass sie in den Streitjahren sehr stark belastet war und sie als alleinerziehende Mutter des in 1998 geborenen Kindes und in Ausübung ihres Berufes als Deutsch- und Musiklehrerin außerordentlich stark in Anspruch genommen worden war.

    Hinzu kommt, dass die Einkommensteuererklärungen 2000 und 2001 in Zeile 116 des Vordruckes keine Hinweise darüber enthalten waren, was unter anderen außergewöhnlichen Belastungen zu verstehen ist. Auch die Anleitungen zu den Einkommensteuererklärungen 2000 und 2001 enthält im Stichwortverzeichnis nicht den auch vom Finanzamt benutzten Begriff der Scheidungskosten. Die Nichtbeachtung der Zeilen 116 f. setzt demnach voraus, dass der Steuerpflichtige weiß, dass hierunter auch - partiell - Scheidungskosten fallen. Wenn der Steuerpflichtige demzufolge im Inhaltsverzeichnis den Begriff Scheidungskosten nicht findet, kann ihm kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass er zum einen nicht weiß, was unter außergewöhnlichen Belastungen zu verstehen ist und zum anderen auch nicht weiß, dass darunter Scheidungskosten fallen. Entweder muss der Steuerpflichtige unmittelbar unter Zeile 116 f. in den Anleitungen nachschauen, wo er dann erfährt, dass ?Ehescheidungskosten? abzugsfähig sind, soweit es sich um Gerichts- und Anwaltskosten, nicht jedoch Unterhaltszahlungen und Vermögensausgleich handelt. Über das Inhaltsverzeichnis findet er die streitigen Aufwendungen auch nur unter dem Begriff der Ehescheidungskosten und nicht dem der Scheidungskosten.

    Nach Auffassung des Gericht kann einem Steuerpflichtigen kein erheblicher Vorwurf daraus gemacht werden, dass er nicht um die Abzugsfähigkeit von Scheidungskosten weiß. Weder ist ihm zumutbar, die jeweilige Anleitung insgesamt durchzulesen, etwa zu dem Zweck, ob solche Scheidungskosten als Sonderausgaben oder als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig sind. Es kann ihm auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er sich im Inhaltsverzeichnis nicht zurechtfindet, indem er beispielsweise unter dem Begriff der Scheidungskosten sucht. Im Streitfall hat das Finanzamt selbst den Begriff der Scheidungskosten verwandt, so dass diese begriffliche Nomenklatur nicht zum Nachteil der Klägerin gehen darf. Auch wenn von der Klägerin erwartet werden durfte, dass sie Überlegungen hinsichtlich der Scheidungskosten anstellen musste, etwa im Hinblick darauf, ob diese abzugsfähig sind, so konnte nicht von ihr erwartet werden, dass sie sich im Inhaltsverzeichnis sowohl unter dem Begriff der Scheidungs- als auch der Ehescheidungskosten umschaute. Weder hat die Klägerin eine im Steuererklärungsformular ausdrücklich gestellte Frage nicht beantwortet, noch hat sie in un-gewöhnlichem Maße und nicht entschuldbarer Weise die an sie zu stellenden Sorgfaltspflichten bei Durchlesen der Erläuterungen verletzt. Wenn ihr schon die Erläuterungen zu den Einkommensteuererklärungsvordrucken vorgehalten werden, so hätte zumindest dafür Sorge getragen werden müssen, dass auch der Begriff der Scheidungskosten sich im Inhaltsverzeichnis findet.

    Die Nichtgeltendmachung der Scheidungskosten in den Steuererklärungen 2000 und 2001 ist nach alldem nicht grob fahrlässig erfolgt, sondern allenfalls auf einfache Fahrlässigkeit zurückzuführen. Selbst bei Annahme grober Fahrlässigkeit müsste der Verwaltung vorgehalten werden, dass sie die Begriffe für Scheidungskosten und Ehescheidungskosten nicht eindeutig verwendet hat.

    Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 135 Abs. 1 FGO, 115 Abs. 2 FGO.

    RechtsgebietEinkommensteuer