07.05.2013
Finanzgericht Hamburg: Urteil vom 20.02.2013 – 2 K 169/11
1. Einkünfte aus sog. Eigenprostitution
unterliegen der Gewerbesteuerpflicht.
2. Bei der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen
der gewerblichen Einkünfte aus Eigenprostitution kommt
es maßgeblich auf die Arbeitszeiten der Prostituierten,
die mögliche Anzahl der Kunden pro Arbeitstag und die Preise
der jeweiligen Leistungen an. Im Rahmen der Schätzung können
auch allg. Kenntnisse eines sog. Milieu-Beamten herangezogen werden.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Höhe der
im Wege der Schätzung ermittelten Einkünfte aus
gewerblicher Tätigkeit.
Die Klägerin war in den Streitjahren 2008, 2009 sowie
bis zum Oktober 2010 als Prostituierte im A in Hamburg tätig.
In 2010 wurde unter anderem gegen die Klägerin ein Ermittlungsverfahren
eingeleitet, in dem sie beschuldigt wurde, mindestens seit 2008
fortlaufend einen gewerbs- und bandenmäßigen Betrug
begangen zu haben, indem sie fortgesetzt eine große Anzahl
von Opfern im A durch Betrugstaten (mit EC-/Kreditkarten)
schädigte. Im Zuge dieser Ermittlungen wurde am 07.10.2010
u. a. die Wohnung und das der Klägerin auf Grund der Ermittlungen
zugeordnete Zimmer Nummer XX im A durchsucht. Ausweislich der bei
der Durchsuchung gemachten Lichtbilder war das Zimmer XX zum Teil
mit persönlichen Gegenständen wie Kleidung, Perücken
und Kosmetik ausgestattet. In dem Raum wurde zudem eine Quittung über
450 € für sexuelle Dienstleistungen gegenüber
einem Freier sichergestellt. In der ebenfalls durchsuchten Wohnung
der Klägerin in der Y-Straße in B wurden zwei Tüten
mit insgesamt 20 Quittungsblöcken und weiteren Einzelquittungen sichergestellt,
die vergleichbare Angaben enthielten. Ferner wurden bei der Durchsuchung
weiterer Zimmer im A Notizzettel sichergestellt, auf denen die folgenden
Preise festgehalten waren:
„30-50 | Eintritt/Start |
+ zusätzlich / again | |
50 € | Blasen/Blow |
100 € | Tittenfick / Sexgames |
150 € | GX / Fuck Pussy |
200 € | 45 Min |
250 € | 1 Stunde / 1 hour |
300 € | P ANAL |
500 € | Alles” |
„50 € | START |
100 € | Blow |
150 € | Sexgames |
200 € | Fuck |
250 € | 45 Min |
300 € | 1 Hour |
350 € | P ANAL |
500 € | ALL SEX” |
werden die Quittungen im Zusammenhang mit den Betrugstaten ausgestellt.
Die Betrugstaten würden von Prostituierten im A in der
folgenden Weise begangen: Die Freier würden auf dem Gang
des A „angekobert”. Das bedeute, dass die Frau
den Freier anspreche und mit einem niedrigen Betrag, meist 30 € oder
50 € auf das Zimmer locke. Auf dem Zimmer werde dem Freier mitgeteilt,
dass es für diesen Betrag keine sexuellen Leistungen gebe.
Die Frau fordere nun nach und zwar einen Betrag, der das mitgeführte
Bargeld übersteige. Sie schlage dann vor, dass der Restbetrag
mittels einer EC- oder Kreditkarte beglichen werden könne.
Die Frau lasse sich von den Freiern die EC- oder Kreditkarte aushändigen
sowie die PIN-Nummer geben. Sie selbst oder eine Hilfsperson suche
dann einen Geldautomaten auf und hebe einen höheren, als den
vereinbarten Betrag ab. Zuvor würden Quittungen ausgestellt,
die den vereinbarten Betrag bezeichneten und in der Regel von den
Freiern unterschrieben würden. Diese Quittungen dienten
dazu, dem Handeln den Anschein der Rechtmäßigkeit
gegenüber den Freiern zu geben und um einen Beleg für
die Berechtigung des einbehaltenen Betrags vorlegen zu können.
Die Quittungen selbst würden häufig nach Abholung
des Geldbetrages durch Anpassung an den tatsächlich abgehobenen
Betrag gefälscht. Die Klägerin wurde durch Urteil
des Landgerichts Hamburg vom ... 2012 (...) wegen in dieser Weise
ausgeführter Betrugstaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe
von zwei Jahren verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung
ausgesetzt.
Das Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen
wertete die vom LKA sichergestellten Quittungen aus, in dem zunächst
Quittungen entsprechend dem Auffindeort der Klägerin zugeordnet
wurden. Es wurde dann aus den vorgefundenen Quittungen die durchschnittliche
Tageseinnahme ermittelt und unter Zugrundelegung von 230 Arbeitstagen
pro Jahr auf die jeweilige Jahreseinnahme hochrechnet. Als Betriebsausgaben
wurden 20 % der Bruttoeinnahmen berücksichtigt.
Aufgrund dieser Ermittlungen schätzte der Beklagte mit Bescheid
vom 27.04.2011 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen
die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb
für 2008 auf 137.907 € und für 2009 auf
261.131 €. Den Gewerbesteuermessbetrag setzte er für
2008 auf 3.969 € fest und für 2009 auf 8.281 € sowie
die Umsatzsteuer für 2008 auf 27.525,49 € und
für 2009 auf 52.116,43 €. Des Weiteren setze der Beklagte
mit Bescheiden vom 07.09.2011 den Gewerbesteuermessbetrag 2010 auf
2.233 €, die Umsatzsteuer 2010 auf 17.626,87 € und
stellte die Einkünfte aus Gewerbebetrieb für 2010
mit 88.320 € fest.
Gegen diese Bescheide legte die Klägerin jeweils fristgerecht
Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 18.08.2011 wies der
Beklagte die Einsprüche betreffend die Streitjahre 2008
und 2009 und mit weiterer Einspruchsentscheidung vom 29.11.2011
die Einsprüche gegen den Umsatzsteuerbescheid 2010 und
den Gewinnfeststellungsbescheid 2010 als unbegründet zurück.
Das Verfahren betreffend den Gewerbesteuermessbescheid 2010 ist
mit Beschluss vom 20.02.2013 abgetrennt worden.
Am 19.09.2011 bzw. 30.12.2011 hat die Klägerin Klage
erhoben. Zur Begründung trägt die Klägerin
vor, dass die Grundlagen der von dem Beklagten durchgeführten
Schätzung nicht überzeugten. Die Zuordnung der
Quittungen sei nicht nachvollziehbar, zumal sich aus einem Vermerk
aus den Strafakten (...) ergebe, dass das LKA die sichergestellten
Unterlagen ungeordnet übersandt habe. Als Kleinunternehmerin
unterliege sie nicht der Umsatzsteuer und habe auch keine Gewerbesteuern
zu zahlen. Sie, die Klägerin, habe kein festes Zimmer im
A gehabt. Sie habe dort in den Streitjahren tageweise als Prostituierte gearbeitet
und dabei in 2008 Einnahmen von 14.500 €, in 2009 in Höhe
von 17.200 € und in 2010 in Höhe von 15.500 € erzielt.
Nach Abzug der Kosten seien ihr in 2008 8.400 €, in 2009
11.400 € und in 2010 9.400 € verblieben. Hiervon
sei noch die Krankenversicherung zu bezahlen gewesen. In diesen
Einnahmen seien die im Urteil des Landgerichts Hamburg genannten
Beträge bereits enthalten. Sie habe im A Kosten für
den Raum von täglich 120 € gehabt, wobei sie gelegentlich
5 € mehr gegeben habe, damit die Handtücher gewaschen
würden. Sie habe im A wechselnde Zimmer genutzt, weil sie
eher selten, ein bis zweimal die Woche, dort gearbeitet habe. Die
guten Zimmer seien dauerhaft belegt gewesen. Nach ihrem Mietvertrag
sei die Miete täglich zu zahlen gewesen. Sie habe neben
dieser Tätigkeit keine anderen Einkünfte erzielt.
Für 30 € habe sie einen Freier mit auf das Zimmer
genommen. Im Zimmer seien dann die weiteren Beträge ausgehandelt
worden. Der Oralverkehr habe 50 € gekostet, „richtiger
Geschlechtsverkehr” zwischen 150 und 250 €. Sie
habe hinsichtlich der Preise einen Spielraum gehabt, zumal nicht überprüfbar
gewesen sei, was im Zimmer verhandelt worden sei. Die Einnahmen
seien sehr unterschiedlich gewesen, an guten Tagen habe sie 300 € verdient,
an schlechten Tagen kaum die Tagesmiete. Ihre Wohnung in B habe
sie 2008 oder 2009 bezogen. Die monatliche Miete betrage 780 €.
Die in einer Tüte sichergestellten Quittungen seien noch
von ihrer Vormieterin. Sie habe im A jedoch auch Quittungen ausgestellt,
wie es generell im A und auf ... üblich sei. Die Quittungen dienten
der Absicherung gegenüber dem Kunden, dass ordnungsgemäß verfahren
worden sei. Quittungen seien bei Kartenzahlung, aber teilweise auch
bei Barzahlungen ausgestellt worden. Allerdings könnten
auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die sichergestellten Quittungen
nicht bestimmten Personen zugeordnet werden. Sie, die Klägerin,
habe inzwischen bei dem Beklagten Steuererklärungen für
die Streitjahre nebst einer Gewinnermittlung eingereicht. Die Erklärungen
würden die im gerichtlichen Verfahren mitgeteilten Gewinne ausweisen.
Der Beklagte hat am 11.01.2013 die Gewinnfeststellungsbescheide
2008 bis 2010 und die Gewerbesteuermessbescheide 2008 bis 2010 in
der Weise geändert, dass alle Bescheide bis zur Entscheidung
des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) in der Sache
GrS 1/12 gemäß § 165 Abs. 1
S. 2 Nr. 4 der Abgabenordnung (AO) hinsichtlich der Frage für
vorläufig erklärt werden, ob Einkünfte
aus Gewerbebetrieb oder sonstige Einkünfte vorliegen.
Die Klägerin beantragt,
1. die Bescheide für 2008,
2009 und 2010 über die gesonderte Feststellung des Gewinns
vom 11.1.2013 in der Weise zu ändern, dass der Gewinn für
2008 auf 8.400 €, für 2009 auf 11.400 € und
für 2010 auf 9.400 € festgestellt wird,
2. die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag
für 2008 und 2009 vom 11.01.2013 in der Weise zu ändern,
dass der Gewerbesteuermessbetrag jeweils auf 0 € festgesetzt
wird,
3. die Umsatzsteuerbescheide für
2008 und 2009 vom 27.04.2011 und die Einspruchsentscheidung vom
18.08.2011 sowie den Umsatzsteuerbescheid 2010 vom 07.09.2011 und
die Einspruchsentscheidung vom 29.11.2011 in der Weise zu ändern,
dass die Umsatzsteuer jeweils auf 0 € festgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte führt zur Begründung aus, dass
er aufgrund von Ermittlungen des LKA und der Steuerfahndung Kenntnis
von den steuerpflichtigen Einnahmen der Klägerin erhalten
habe. Die Schätzung beruhe auf den vom LKA sichergestellten
Quittungen, die im Zusammenhang mit der Prostitutionstätigkeit
ausgestellt worden seien. Die Quittungen seien der Klägerin
zugeordnet worden, weil sie in der Wohnung der Klägerin
bzw. in dem ihr zuzuordnenden Zimmer im A sichergestellt worden
seien. Der Beklagte habe keine Erkenntnisse über durchschnittliche
Einnahmen von Prostituierten.
Es ist Beweis erhoben worden zu den Umständen der Durchsuchung
der Zimmer im A durch Vernehmung der Durchsuchungsbeamten C und
D als Zeugen. Des Weiteren A durch Vernehmung des Milieubeamten
E als Zeugen, sowie zu den Modalitäten der Zimmervermietung
im A durch Vernehmung des Zeugen F. Hinsichtlich der Zeugenaussagen
wird auf das Protokoll über die Beweisaufnahme und das
Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Dem Gericht haben vorgelegen ein Band Ermittlungsakten des Finanzamtes
für Prüfungsdienste und Strafsachen in Hamburg,
die Steuerakten betreffend die Klägerin zu der Steuer Nr.
.../.../.... Des Weiteren sind die Akten des Strafverfahrens
... beigezogen worden. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt
dieser Akten sowie die Protokolle über die Erörterungstermine
und die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Gründe
Die zulässige Klage hat teilweise Erfolg. Die den angefochtenen
Schätzungsbescheiden zugrunde liegenden Gewinne und Umsätze
sind herabzusetzen, soweit der Beklagte die Einkünfte und
Umsätze der Klägerin allein auf der Grundlage
der aufgefundenen Quittungen zu hoch geschätzt hat. Das
Gericht macht insoweit von seiner eigenen Schätzungsbefugnis
nach § 96 Abs. 1 S. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in
Verbindung mit §§ 158, 160, 162 AO Gebrauch.
1. Die Klägerin war in dem Streitzeitraum von Januar
2008 bis Oktober 2010 als Prostituierte im A tätig. Sie
hat diese Arbeit auch nach ihren eigenen Angaben selbständig
ausgeübt. Sie mietete im A ein Zimmer zum Zweck der Arbeitsausübung
und bezahlte die vereinbarte Miete täglich. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte
dafür, dass die Klägerin in einem Beschäftigungsverhältnis
mit dem Betreiber des A stand. Dieser vermietete lediglich die Räume
an die im A tätigen Frauen, ohne dass insgesamt der Eindruck
eines einheitlichen Bordellbetriebs entstehen konnte oder vermittelt
wurde (vgl. BFH-Beschluss vom 25.11.2009, V B 31/09, BFH/NV
2010 959; vom 29.1.2008, V B 201/06, BFH/NV 2008,
827).
Nach eigenen Angaben stand die Klägerin auch nicht in
einem Beschäftigungsverhältnis zu G. G war nach
den Feststellungen des Landgerichts Hamburg im Urteil vom ... 2012
(...) jedenfalls in 2010 als Zuhälter im Wirtschafts- und
Securitybereich des A tätig und hat u. a. gemeinsam mit
der Klägerin Betrugstaten zum Nachteil von Freiern ausgeführt.
Die Klägerin hat im vorliegenden Verfahren jedoch nachdrücklich
erklärt, dass G nicht ihr Zuhälter gewesen sei,
sie keine Zahlungen geschäftlicher Art an ihn zu leisten
noch alle bzw. erhebliche Teile ihrer Einnahmen abzuführen
hatte. Es bestehen danach keine Anhaltspunkte dafür, dass
die Klägerin abhängig beschäftigt war.
Die Klägerin erzielte aus ihrer Tätigkeit als
Prostituierte (Eigenprostitution) Einkünfte aus Gewerbebetrieb.
Das Gericht teilt insoweit die Auffassung des III. Senats des BFH,
der die Frage der Art der Einkünfte aus Eigenprostitution
dem Großen Senat erneut zur Entscheidung vorgelegt hat
(Beschluss vom 15.3.2012, III R 30/10, BStBl II 2012, 661).
Unter einem Gewerbebetrieb ist gemäß § 2
Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG), § 15 Abs. 2
des Einkommensteuergesetzes (EStG) jede selbstständige
nachhaltige Tätigkeit zu verstehen, die mit Gewinnerzielungsabsicht
unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen
Verkehr darstellt, falls sie den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung überschreitet
und es sich nicht um die Ausübung von Land- und Forstwirtschaft
(§ 13 EStG) oder einer selbständigen Arbeit (§ 18
EStG) handelt. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Großen
Senats des BFH (Urteil vom 23.6.1964, GrS 1/16, BStBl III
1964, 500) sieht der Senat das Tatbestandsmerkmal der Beteiligung
am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr als erfüllt an.
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass sich nach dem Inkrafttreten
des Prostitutionsgesetzes (BGBl I 2001, 3983) die rechtliche Einordnung
der Prostitution geändert hat und das vereinbarte Entgelt für
die Vornahme sexueller Handlungen eine rechtswirksame Forderung begründet.
Die Rechtsposition der Prostituierten hat sich u. a. auch durch
den Zugang zum sozialen Sicherungssystem verbessert (vgl. BFH-Beschluss
vom 15.03.2012, III R 30/10, BStBl II 2012, 661). Ebenfalls
haben sich die Einstellung der Bevölkerung zur Prostitution
sowie der Auftritt von Prostituierten oder entsprechender Betriebe
am Markt verändert. Danach beteiligen sich Prostituierte
durchaus nach außen hin erkennbar am allgemeinen wirtschaftlichen
Verkehr und bieten ihre Leistungen anderen Teilnehmern am Markt
an. Auch die Klägerin bietet ihre Leistungen in einem dafür
eigens angemieteten Raum an. Das A ist als Örtlichkeit
bekannt, in dem sexuelle Dienstleistungen in Anspruch genommen werden
können. Die Klägerin wendet sich mit ihrem Angebot
an eine unbestimmte Zahl möglicher männlicher
Kunden. Ihre Tätigkeit dient der Gewinnerzielung und überschreitet
den Rahmen einer privaten Vermögensverwaltung. Sie erfüllt
danach die Merkmale einer gewerblichen Betätigung.
2. Der Beklagte war befugt, die Einkünfte der Klägerin
gemäß § 162 AO zu schätzen,
denn die Klägerin hatte weder Steuererklärungen
eingereicht noch ihre Einnahmen und Ausgaben in geeigneter Weise
aufgezeichnet. Auch soweit die Klägerin zwischenzeitlich
Steuererklärungen abgegeben hat, enthalten diese nach ihren
Angaben nur die bereits im gerichtlichen Verfahren mitgeteilten Summen
der Einkünfte eines Jahres, ohne diese Zahlen durch Aufzeichnung der
Einnahmen und Ausgaben oder in anderer Weise zu substantiieren.
Ein Heft, in dem die Klägerin ihre Einnahmen in den Streitjahren „kladdemäßig” erfasst
haben will, hat sie trotzt mehrfacher Aufforderung nicht vorgelegt. Danach
liegen keine Aufzeichnungen über Einnahmen und Ausgaben
vor, die als Grundlage für die Besteuerung herangezogen
werden können.
Nach § 162 AO hat die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen
zu schätzen, soweit sie diese nicht ermitteln oder berechnen
kann. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen,
die für die Schätzung von Bedeutung sind. Zu schätzen
ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige über seine
Angaben keine ausreichende Aufklärung zu geben vermag oder
weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert
oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO verletzt
(§ 162 Abs. 2 S. 1 AO). Im Rahmen der Schätzung können
Tatsachenfeststellungen auch mit einem geringeren Grad an Überzeugung
getroffen werden, als dies in der Regel geboten ist. Der Grad der
grundsätzlich erforderlichen Gewissheit verringert sich
dabei soweit, dass der Sachverhalt aufgrund von Wahrscheinlichkeitserwägungen
festgestellt werden darf. Das gewonnene Schätzungsergebnis
muss aber jedenfalls schlüssig, wirtschaftlich möglich
und vernünftig sein (z. B. BFH-Beschluss vom 13.10.2003, IV
B 85/02, BStBl II 2004, 25).
Das Gericht erachtet die Schätzung des Beklagten als
nicht sachgerecht, denn sie kann nicht allein auf die Auswertung
der in der Wohnung der Klägerin sichergestellten Quittungen
gestützt werden. Die auf dieser Grundlage ermittelten Einnahmen überzeugen
bereits deshalb nicht, weil sie jährlich sehr stark differieren
(zwischen 2008 und 2009 um 154.000 €), ohne dass dafür
ein sachlicher Grund ersichtlich wäre. Das Ergebnis wird
vielmehr eher zufällig durch eine geringe oder größere
Anzahl von sichergestellten Quittungen für ein Jahr und
die darin ausgewiesenen Beträge bestimmt. Hinzu kommt,
dass erhebliche Zweifel daran bestehen, dass die in den Räumen
der Klägerin aufgefundenen Quittungen tatsächlich
alle von ihr ausgestellt worden sind bzw. die darin quittierten
Beträge von ihr verdient wurden. Die Handschrift auf den
Quittungen ist teilweise sehr unterschiedlich. Die Klägerin
selbst räumt zwar ein, Quittungen ausgestellt zu haben.
Da aber auch andere im A tätige Frauen Quittungen ausgestellt
haben und insbesondere auch diejenigen, mit denen die Klägerin
bei den Betrugsdelikten eng zusammen gearbeitet hat, kann nicht
ausgeschlossen werden, dass die Quittungen auch diesen anderen Frauen
zuzurechnen sind. Das Landgericht geht deshalb bei seiner Beurteilung
der Betrugsstraftaten ebenfalls davon aus, dass die in der Wohnung
der Klägerin sichergestellten Quittungen nicht nur ihr
zugeordnet werden können, sondern auch von den anderen
Frauen ausgestellt worden sein könnten, mit denen sie eng
zusammengearbeitet hat.
Das Gericht macht danach von seiner eigenen Schätzungsbefugnis
nach § 96 Abs. 1 S. 1 FGO in Verbindung mit §§ 158,
160, 162 AO Gebrauch und schätzt die Einkünfte
der Klägerin auf jährlich 85.000 €. Dabei
geht der Senat davon aus, dass die Klägerin durchschnittlich
an fünf Tagen in der Woche gearbeitet und durchschnittlich
500 € täglich eingenommen hat. Im Hinblick auf mögliche
Urlaubs- und Krankheitszeiten wird die jährliche Arbeitszeit
auf 48 Wochen bzw. 240 Arbeitstage eingeschränkt. Der danach
zu errechnende jährlich Umsatz von 120.000 € ist
zu reduzieren um die Miete für das Zimmer im A (240 Arbeitstage
x 120 € = 28.800 €) von gerundet 30.000 € sowie
einem Unsicherheitsabschlag für weitere Aufwendungen der
Klägerin von pauschal 5.000 €. Danach ergeben
sich gewerbliche Einkünfte in Höhe von 85.000 € jährlich. Der
Senat stützt seine Schätzung auf die Aussagen
der Zeugen, die Angaben der Klägerin insbesondere über
die Höhe ihrer betrieblichen Aufwendungen, die im Strafverfahren
sichergestellten Unterlagen und die Feststellungen im Urteil des
Landgerichts Hamburg (vom ... 2012, ...), soweit diese für
den hier zu beurteilenden Sachverhalt relevant sind.
Hinsichtlich der Einnahmen legt der Senat seiner Schätzung
die Preise zugrunde, die auf den im Rahmen der Durchsuchung sichergestellten
Notizzetteln für verschiedene sexuelle Leistungen aufgeführt
sind. Nach Aussage des Zeugen E handelt es sich dabei um die üblichen
Preise, die im A, aber auch sonst auf ... genommen werden. Die aufgeführten
Preise können nach den schlüssigen und überzeugenden
Erläuterungen des Zeugen E auch nicht von den Prostituierten
unterboten werden, da die Konkurrenz im A und auf ... zu stark sei
und ein Unterbieten verhindert würde, um das Preisniveau
zu halten. Darüber hinaus ist ein Teil der Preise auch
von der Klägerin selbst und dem Zeugen F bestätigt
worden, wobei der Senat davon ausgeht, dass die Klägerin und
auch der Zeuge F ein Interesse daran haben, die Preise und damit
die Einkünfte als möglichst niedrig darzustellen.
Beide gaben an, dass der Betrag von 30 € bereits fällig
wurde, wenn der Kunde mit auf das Zimmer ging. Auf dem Zimmer wurde
dann hinsichtlich der gewünschten sexuellen Leistungen
nachverhandelt. Die Klägerin bestätigte, dass
Oralverkehr zusätzlich 50 € gekostet habe. Die
weitere Staffelung der auf dem Notizzettel angegebenen Preise stellt sich
als schlüssig dar. Im Übrigen weisen die beschlagnahmten
Quittungen häufig Beträge aus, die mit den Preisangaben
auf den Notizzetteln korrespondieren. Nach Aussage des Zeugen F
werden in den Quittungen die gegenüber einem Kunden erbrachten
Leistungen festgehalten und stehen damit entgegen dem Vortrag der
Klägerin überwiegend in einem Zusammenhang mit
den erbrachten sexuellen Leistungen. Nur vor diesem Hintergrund
ergeben die umfangreich ausgestellten Quittungen überhaupt
einen Sinn, in dem sie als ein Beleg dafür fungieren sollen,
dass der Prostituierten für sexuelle Dienstleistungen ein bestimmter
Betrag zusteht. Ausgehend von diesen Preisen geht der Senat davon aus,
dass die Klägerin durchschnittlich pro Arbeitstag 500 € erzielt
hat. Einnahmen in dieser Höhe sind ausweislich der in den
Quittungen aufgeführten Beträge bereits bei ein
bis drei Freiern pro Abend erzielbar. Diese Schätzung liegt
nach Überzeugung des Gerichts an der unteren Grenze der
erzielbaren Einnahmen. Denn auf Grund der im Verfahren erlangten
Erkenntnisse ist die Anzahl der an einem Abend durchschnittlich
bedienten Kunden eher zurückhaltend geschätzt
worden. Denn nach Angaben des Zeugen F sind 4 bis 5 Freier pro Abend
durchaus realistisch. In einem Parallelverfahren gab die dortige
Klägerin - ebenfalls eine Prostituierte im A - selbst an,
dass sie mal 3, mal 5 oder auch 6 Freier an einem Abend habe, manchmal
aber auch keinen. Des Weiteren geht der Senat davon aus, dass die
Klägerin, die bereits seit 2004 in diesem Bereich tätig
war, mindestens an fünf Tagen in der Woche gearbeitet hat.
Der Zeuge E hat nachvollziehbar dargetan, dass die Frauen in dem
Milieu an vier bis sechs Tagen pro Woche arbeiten, wobei an den
Wochenenden und während der Zeit von Messen oder sonstigen
großen Veranstaltungen in H die Hauptarbeitszeit liege,
weil gute Verdienstmöglichkeiten bestehen. Wenn eine Prostituierte
neu in dem Gewerbe tätig wird, müsse sie mindestens
sechs Tage in der Woche arbeiten, wer länger dabei sei,
arbeite etwas weniger. Die Angaben der Klägerin, dass
sie nur ein bis zweimal in der Woche gearbeitet habe, sind demgegenüber
unglaubwürdig und als Schutzbehauptung zu werten. Sie lassen
sich auch nicht durch andere Erkenntnisse stützen. Vielmehr
hatte die Klägerin dauerhaft ein Zimmer im A angemietet,
das sie schon im Hinblick auf die wirtschaftlichen Interessen des
Vermieters, aber auch ihrer eigenen, den ganz überwiegenden
Teil der Woche zur Einkünfteerzielung genutzt haben dürfte. Nach
Aussage der Zeugen F werden mit den Prostituierten jeweils Mietverträge geschlossen,
nach denen ein im Einzelnen bestimmtes Zimmer ab dem Tag der ersten
Nutzung auf unbestimmte Zeit vermietet wird. Das Mietverhältnis
ist täglich auf den nächstfolgenden Tag kündbar.
In der Regel nutzen die Frauen ein Zimmer auf längere Zeit.
Dass auch die Klägerin ein Zimmer auf unbestimmte Zeit
im A angemietet hatte, ist einer schriftlichen Erklärung
des Zeugen F zu entnehmen, die zur Vorlage im Strafverfahren erstellt
wurde (dort Anlage zum Protokoll vom 18.10.2010), in der u. a. der
Klägerin die Kündigung des Mietverhältnisses
angedroht wird, falls sie erneut einen EC-Kartenmissbrauch begehen
würde. Darüber hinaus widerspräche es
auch dem typischen Geschäftsgebaren, wenn die Klägerin
dauerhaft im A ein Zimmer hätte mieten können,
ohne dieses jedenfalls an den meisten Tagen der Woche zu nutzen.
Unabhängig davon, ob das Zimmer nur bei Benutzung oder
auch an den weiteren Tagen bezahlt werden muss - so der Zeuge F
-, würde der Vermieter im Hinblick auf die Attraktivität
des A der Klägerin nicht dauerhaft ein Zimmer vermietet
haben, wenn sie an der Mehrzahl der Tage der Woche nicht gearbeitet
hätte. Denn die Attraktivität des A für
Freier beruht auch darauf, dass immer eine bestimmte Anzahl von
Frauen zur Auswahl zur Verfügung steht, was nicht gegeben
wäre, wenn die Prostituierten ein Zimmer nur an ein bis
zwei Tagen in der Woche aufsuchten.
Die danach geschätzten Einnahmen von 120.000 € jährlich
sind zur Feststellung der gewerblichen Einkünfte um die
Aufwendungen der Klägerin zu mindern. Nach dem eigenen
Vortrag der Klägerin betrug die Miete für das
Zimmer im A täglich 120 €. Die Angabe deckt sich
mit den Ermittlungen des LKA, wonach die Zimmermiete im A zwischen
115 € und 140 € lag, sowie den Angaben der Zeugen
E und F, nach deren Aussagen die Miete etwa 120 € bis 140 € täglich
betrage. Die Miete wird nach dem vorliegenden Muster eines Mietvertrages,
der nach Aussagen des Zeugen F standardmäßig verwendet
wird, täglich fällig, „sofern die Untermieterin
das Apartment gewerblich genutzt und Umsatz erzielt hat”.
Danach sind die Mietaufwendungen mit gerundet 30.000 € (240 Arbeitstage
x 120 € = 28.800 €) zu veranschlagen.
Der Senat hat erhebliche Zweifel daran, dass die Prostituierten
neben dieser Zimmermiete darüber hinaus einen Betrag von
95 € zu zahlen hatten, wenn sie das Zimmer nicht nutzten. Diese
Behauptung des Zeugen F steht im Widerspruch zu der schriftlichen
Vereinbarung des Mietvertrages und hätte somit keine nachvollziehbare
Grundlage. Darüber hinaus haben bisher weder die Klägerin
noch die Klägerinnen in den gleichgelagerten Parallelverfahren
diese Kosten erwähnt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass
die Klägerin, die ein Interesse daran hat, ihren Aufwand
eher hoch darzustellen, derartige „Leerstandskosten” angegeben
hätte, wenn sie denn angefallen wären. Aber im
Hinblick auf mögliche weitere betriebliche Aufwendungen
nimmt der Senat einen weiteren Abschlag von den veranschlagten Einkünften
von 5.000 € vor. Damit sind alle weiteren Aufwendungen
abgedeckt, die in evtl. Überbrückungszahlungen
wegen Abwesenheit (auch urlaubsbedingter) liegen können,
den vorgetragenen Sonderzahlungen der Klägerin für
frische Handtücher oder sonstigen Nebenkosten. Darüber
hinaus sind weitere Aufwendungen nicht geltend gemacht worden und
auch nicht ersichtlich. Insbesondere sind keine gesonderten Zahlungen
für die Wirtschafter und die Security des A zu erbringen.
Diese sind nach Angaben des Zeugen F mit der Zimmermiete abgegolten.
Soweit nach den Feststellungen des Strafurteils des Landgerichts
Hamburg G als Zuhälter der Klägerin fungiert haben
und ein erheblicher Teil der Einnahmen an ihn abgeführt
worden sein soll, ist ein Abzug von Betriebsausgaben nicht vorzunehmen.
Die Klägerin hat nachdrücklich erklärt,
dass sie keinerlei Zuwendungen geschäftlicher Art an G
zu leisten hatte, so dass evtl. erfolgte Zahlungen nicht als Betriebsausgaben
steuermindernd zu berücksichtigen sind. Sofern tatsächlich
Zahlungen erfolgt sind, können dies auch Schenkungen oder
Unterhaltsleistungen sein.
Nach allem werden die jährlichen Umsätze der
Klägerin für 2008 und 2009 jeweils auf 120.000 € geschätzt
und die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf jährlich
85.000 €. Die Klägerin hat ihren eigenen glaubhaften
Angaben zufolge ihre Tätigkeit als Prostituierte ab Oktober
2010 aufgegeben und war danach zunächst nicht berufstätig.
Für 2010 sind deshalb Einkünfte aus Gewerbebetrieb
für einen Zeitraum von nur neun Monaten zu schätzen.
Danach ergibt sich für 2010 ein Umsatz von 90.000 €,
der um Betriebsausgaben von 22.500 € zu reduzieren ist,
so dass für 2010 Einkünfte aus Gewerbebetrieb
in Höhe von 67.500 € zu berücksichtigen
sind.
Die Umsatzsteuer für 2008 und 2009 ist auf jeweils 19.159,60 € (Netto-Umsatz
von 100.840 € x 19 %) und für 2010 auf
14.369,70 € (Netto-Umsatz von 75.630 € x 19 %)
festzusetzen.
Der Gewerbesteuermessbetrag berechnet sich für 2008
und 2009 wie folgt:
Gewerbeertrag (abgerundet) | 85.000 € | |
abz. Freibetrag | 24.500 € | |
Gewerbeertrag nach Abzug | 61.500 € | |
GewSt-Messzahl | 3,5 % | |
GewSt-Messbetrag | 2.152 € |
2.152 € festzusetzen.
3. Die Kosten des Verfahrens sind nach § 136 Abs. 1
FGO im Verhältnis des jeweiligen Obsiegens verhältnismäßig
zu teilen. Danach hat die Klägerin zu 45 % und
der Beklagte zu 55 % der Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit
der Kosten und die Abwendungsbefugnis folgt aus §§ 151
Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der
Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 FGO nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung
zugelassen. Zwar ist die Frage der Art der Einkünfte dem
Großen Senat vorgelegt worden. Der Beklagte hat diesbezüglich
während des Klageverfahrens die Gewinnfeststellungsbescheide
und die Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag mit
einem Vorläufigkeitsvermerk versehen. Damit ist das Rechtsschutzinteresse
der Klägerin, die selbst nicht die Gewerblichkeit der Einkünfte
bestreitet, gewahrt, denn nach Entscheidung des Großen
Senats des BFH über die Art der Einkünfte kann
ggf. eine Anpassung der Bescheide erfolgen.