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  • 06.09.2012

    Finanzgericht Münster: Beschluss vom 06.07.2012 – 11 V 1706/12 E

    Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die ohne Hinweis auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung in elektronischer Form (nur) den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz AO wiedergibt, ist auch dann nicht unrichtig i.S. des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO, wenn die Behörde den Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente i.S. des § 87a Abs. 1 Satz 1 AO eröffnet hat.


    BESCHLUSS

    In dem Rechtsstreit

    hat der 11. Senat in der Besetzung: … am 6. Juli 2012 beschlossen:

    Tatbestand

    I.

    Die Beteiligten streiten in der Hauptsache darüber, ob die Antragstellerin rechtzeitig Einspruch gegen eine Anordnung des Steuerabzuges gem. § 50a Abs. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) eingelegt hat und – bejahendenfalls – ob die Anordnung insbesondere mit Blick auf ein zwischenzeitlich über das Vermögen der Vergütungsberechtigten eröffnetes Insolvenzverfahren rechtmäßig ist.

    Die Antragstellerin ist eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand der Erwerb, der Umbau, die Verwaltung, Bewirtschaftung und spätere Veräußerung der Gewerbeimmobilie mit der postalischen Anschrift „M.-Straße 01” in E. ist.

    Sie erwarb mit Vertrag vom 28. September 2011 (UR Nr. …./2011 des Notars M1., J.) von der XXXX B.V. mit Sitz in den Niederlanden das in E. belegene Objekt M.-Straße 01. Der Kaufpreis betrug 10.500.000 EUR. Eine „1. Rate” in Höhe von 525.000,00 EUR hatte die Antragstellerin bereits vor der Vertragsbeurkundung auflagenfrei auf ein Notaranderkonto eingezahlt (§ 2 – 2.1. des Vertrages). Der Restkaufpreis war innerhalb von 10 Arbeitstagen nach dem Absenden der schriftlichen Bestätigung des Notars über den Eintritt weiterer Fälligkeitsvoraussetzungen zu zahlen (§ 2 – 2.3. des Vertrages). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Kaufvertrag vom 28. September 2011 Bezug genommen.

    Nachdem der Antragsgegner von der Veräußerung des Objektes an die Antragstellerin erfahren hatte, ordnete er am 10. Oktober 2011 gegenüber der Antragstellerin einen Steuerabzug gem. § 50a Abs. 7 EStG in Höhe von 7% der Vergütungen aus dem Grundstückskaufvertrag an (735.000 EUR). In dem als Vordruck gestalteten Bescheid, der keinen Hinweis auf eine E-Mail Adresse des Antragsgegners enthält, erläuterte der Antragsgegner durch entsprechende Markierungen, dass die Anordnung des Steuerabzugs zweckmäßig sei, weil der Vergütungsgläubiger seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht in vollem Umfang nachgekommen sei und im Inland über kein bzw. nicht ausreichendes vollstreckbares Vermögen verfüge. Die beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung lautet:

    „Gegen die Anordnung eines Steuerabzuges ist der Einspruch gegeben. Ein Einspruch ist jedoch ausgeschlossen, soweit dieser Bescheid einen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt, gegen den ein zulässiger Einspruch oder (nach einem zulässigen Einspruch) eine zulässige Klage, Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde anhängig ist. In diesem Fall wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens. Der Einspruch ist bei dem auf Seite 1 bezeichneten Finanzamt schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären.

    Auch der Steuerschuldner kann Einspruch einlegen.

    Die Frist für die Einlegung beträgt…”

    Der Bescheid wurde der Antragstellerin mit Postzustellungsurkunde am 12. Oktober 2011 bekannt gegeben.

    Mit Schreiben vom 19. Dezember 2011 bat der Antragsgegner die Antragstellerin um Mitteilung, wann der Kaufpreis gezahlt und warum ggfls. kein Steuerabzug durchgeführt worden sei.

    Im Zusammenhang mit der Überlassung der Löschungsbewilligung betreffend das Objekt M.-Straße 01 erteilte die Grundpfandgläubigerin, die Y.-Bank, dem beurkundenden Notar am 4. Januar 2012 einen Treuhandauftrag. Danach sollte der Notar bestätigen, dass die Antragstellerin einen Betrag von 775.425 EUR auf ein Notaranderkonto eingezahlt hat und dieser Betrag nach näher bezeichneten Maßgaben entweder an die Y.-Bank oder die Antragstellerin auszuzahlen war. Wegen der Einzelheiten wird auf den Treuhandauftrag vom 4. Januar 2012 verwiesen.

    Die Antragstellerin zahlte den „Restkaufpreis” für das Objekt M.-Straße 01 am 20. Januar 2012. Sie wurde am 15. März 2012 als Eigentümerin des Objektes in das Grundbuch von E. eingetragen.

    Mit Schreiben vom 7. Februar 2012 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, dass der Kaufpreis am 20. Januar 2012 gezahlt worden sei. Sie verwies zudem auf eine Bestätigung des Notars M1. vom 7. Februar 2012 über den Bestand eines Notaranderkontos in Höhe von 805.925,32 EUR. Gemäß der Treuhandabrede – so die Antragstellerin – habe sie einen entsprechenden Teil des Kaufpreises auf dem Notaranderkonto hinterlegt. Durch diese Gestaltung habe vermieden werden sollen, dass im Falle einer tatsächlich niedrigeren Steuerfestsetzung aus dem Veräußerungsvorgang die Steuererstattung an die Grundstücksverkäuferin erfolge. Käme es hierzu, so wäre die Grundpfandrechtsgläubigerin – die Y.-Bank – gegenüber der nun gewählten Gestaltung wirtschaftlich unverhältnismäßig benachteiligt.

    Mit Schreiben vom 13. Februar 2012 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin erneut auf, unverzüglich die Anmeldung und Zahlung des Betrages von 735.000 EUR zgl. Solidaritätszuschlages vorzunehmen.

    Die Antragstellerin wies den Antragsgegner in ihrem Schreiben vom 24. Februar 2012 darauf hin, dass aus ihrer Sicht im Zeitpunkt der Zahlung des Grundstückskaufpreises keine rückständigen Steuerverpflichtungen der Verkäuferin bestanden hätten. Sofern durch die Veräußerung möglicherweise im Jahr 2012 ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn entstehe, so sei dieser frühestens mit Ablauf des Jahres 2012 feststellbar. Insoweit sei bislang noch kein konkreter Steueranspruch des Antragsgegners erkennbar, der die Anordnung eines pauschalen Steuerabzugs rechtfertigen würde. Darüberhinaus sei der Steuerabzug am 10. Oktober 2011 angeordnet worden. Der Abzug sei im Moment des Zuflusses durch den Vergütungsschuldner und die Anmeldung bis zum 10. des dem Kalendervierteljahr, in dem der Zufluss erfolgt sei, folgenden Monats vorzunehmen. Daher könne im Streitfall eine Anmeldung – wenn überhaupt – frühestens zum 10. April 2012 verlangt werden. Die Antragstellerin wies erneut darauf hin, dass zur Sicherung eines eventuellen Steueranspruchs ein Notaranderkonto eingerichtet worden sei. Sie sei mithin ihren Verpflichtungen nachgekommen.

    Die Antragstellerin beantragte zugleich, die Anordnung des Steuerabzugs nach § 50a Abs. 7 EStG vom 10. Oktober 2011 gem. § 131 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) zu widerrufen. Der Widerruf sei geboten, da über das Vermögen der Grundstücksverkäuferin in den Niederlanden am 16. Februar 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Dieser Umstand sei bei der Anordnung des Steuerabzuges jedenfalls im Rahmen der Ermessenserwägungen zu berücksichtigen, da es ein Fiskusprivileg nicht gebe. Durch den Vollzug des Steuerabzuges würde jedoch der Fiskus gegenüber anderen Gläubigern der insolventen Gesellschaft bevorzugt. Zur parallelen Problematik bei der Bauabzugssteuer gem. §§ 48 ff. EStG verwies die Antragstellerin auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (Beschluss vom 13. November 2002, I B 147/02). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Schreiben vom 24. Februar 2012 Bezug genommen.

    Der Antragsgegner lehnte den Widerruf der Anordnung des Steuerabzuges mit Schreiben vom 28. März 2012 ab. Über den hiergegen gerichteten Einspruch der Antragstellerin vom 5. April 2012 hat der Antragsgegner – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden.

    Mit Schreiben vom 13. April 2012 legte die Antragstellerin Einspruch gegen die Anordnung des Steuerabzuges vom 10. Oktober 2011 ein. Sie vertrat unter Hinweis auf eine Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 24. November 2011 (10 K 275/11, EFG 2012, 292) und das hierzu anhängige Revisionsverfahren die Auffassung, dass die Einspruchsfrist im Streitfall noch nicht abgelaufen sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 10. Oktober 2011 sei unrichtig, da sie nicht auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung per E-Mail hinweise. Die Rechtsbehelfsfrist betrage daher gem. § 356 Abs. 2 AO ein Jahr.

    Der Einspruch sei auch – so die Antragstellerin – begründet. Dies ergebe sich aus dem über das Vermögen der Grundstücksverkäuferin eröffneten Insolvenzverfahren. Weder in den Niederlanden noch in Deutschland gebe es ein Fiskusprivileg. Das Finanzamt könne einen Steuerabzugsbetrag, für den bereits vor der Abführung feststehe, dass es ihn im Ergebnis nicht behalten, sondern sogleich an den Insolvenzverwalter weiterleiten müsse, nicht verlangen. Zugleich beantragte die Antragstellerin, die Aussetzung der Vollziehung der streitigen Anordnung des Steuerabzuges. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner unter Hinweis auf die seines Erachtens bestehende Verfristung des Einspruchs mit Schreiben vom 26. April 2012 ab.

    Den hiernach am 10. Mai 2012 eingereichten gerichtlichen Aussetzungsantrag begründet die Antragstellerin in gleicher Weise wie ihren Einspruch.

    Sie weist zudem darauf hin, dass der Antragsgegner selbst in Bezug auf die Frage des Inhalts der Rechtsbehelfsbelehrung zwischenzeitlich offenbar davon ausgehe, dass dieser grundsätzliche Bedeutung zukomme.

    Zu klären sei auch, ob und durch wen das Einspruchsverfahren gegen die Anordnung des Steuerabzuges zum Ruhen zu bringen sei.

    Die Antragstellerin führt ergänzend aus, die Aussetzung der Vollziehung sei ohne Sicherheitsleistung zu gewähren, da der Abzugsbetrag zur Sicherung der Antragstellerin hinsichtlich der sich aus der Anordnung nach § 50a Abs. 7 EStG ergebenden Zahlungspflicht auf ein Treuhandkonto eingezahlt worden sei und unter den in der entsprechenden Treuhandabrede geregelten Voraussetzungen zur Begleichung des Steuerabzugsbetrages zur Verfügung stehe. Zwar sei der Antragsgegner insoweit nicht Vertragspartei, jedoch sei auch nicht ersichtlich, dass die formale Stellung als Vertragspartei die materielle Position des Antragsgegners stärke. Zu aktuellen Höhe des hinterlegten Betrages könne jederzeit ein Nachweis erbracht werden.

    Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

    die Vollziehung der Anordnung des Steuerabzuges gem. § 50a Abs. 7 EStG vom 10. Oktober 2011 ab Fälligkeit bis einen Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung in voller Höhe ohne Sicherheitsleistung auszusetzen,

    hilfsweise,

    die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zuzulassen.

    Der Antragsgegner beantragt,

    den Antrag abzulehnen.

    Er ist weiterhin der Auffassung, dass der Einspruch der Antragstellerin verfristet sei. Anders als in der Entscheidung des Niedersächsischen Finanzgerichts habe die Anordnung des Steuerabzuges im Streitfall keinen Hinweis auf die E-Mail Adresse des Finanzamtes enthalten. Daher sei die Rechtsbehelfsbelehrung weder unvollständig noch unrichtig. Zudem sei ein entsprechender Hinweis auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (Beschluss vom 2. Februar 2010, III B 20/09, BFH/NV 2012, 830) nicht erforderlich.

    Außerdem bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Anordnung des Steuerabzuges. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Grundstücksverkäuferin stehe dem nicht entgegen. Derzeit sei nämlich nicht erkennbar, dass ein von der Antragstellerin an den Antragsgegner gezahlter Betrag an den Insolvenzverwalter weiterzuleiten sei. Zudem berühre die Fragestellung, ob er – der Antragsgegner – den gezahlten Betrag möglicherweise an den Insolvenzverwalter herausgegeben müsse, die gesetzliche Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung nicht.

    Die Abzugsteuer sei mit der Zahlung des Grundstückskaufpreises am 20. Januar 2012 und damit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden. Die entsprechende Anmeldung und Abführung an das Finanzamt hätte mithin fristgemäß erfolgen müssen. Es stehe auch nicht in der Disposition des zur Einbehaltung und Abführung Verpflichteten, zur „Sicherung des Steueranspruchs” ein Treuhandkonto zu eröffnen, zumal nicht belegt sei, dass der dort hinterlegte Betrag zur Anspruchsbefriedigung tatsächlich zur Verfügung stehe.

    Falls eine Aussetzung in Betracht komme, so könne diese nur gegen Sicherheitsleistung gewährt werden. Aus der Bestätigung des Notars M1. ergebe sich zwar ein Kontostand zum 7. Februar 2012 in Höhe von 805.925,32 EUR. Die Höhe des dort aktuell befindlichen Guthabens sei hingegen nicht bekannt. Der hinterlegte Betrag könne auch deshalb nicht als Sicherheit dienen, weil eine Inanspruchnahme von Seiten weiterer Gläubiger nicht ausgeschlossen werden könne.

    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die dem Gericht vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

    Gründe

    II.

    Der Antrag war – trotz durchaus bestehender ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides über die Anordnung des Steuerabzuges nach § 50 a Abs. 7 EStG – abzulehnen, da die Aussetzung der Vollziehung eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes ausgeschlossen ist.

    Der Senat hat im Rahmen des summarischen Aussetzungsverfahrens keine ernstlichen Zweifel daran, dass der streitige Bescheid bestandskräftig geworden ist, weil der Einspruch der Antragstellerin vom 13. April 2012 gegen den Bescheid vom 10. Oktober 2011 verfristet ist. Im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung war die Monatsfrist des § 355 Abs. 1 AO offensichtlich bereits abgelaufen.

    Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 AO) sind weder von der Antragstellerin vorgetragen noch nach Aktenlage ersichtlich.

    Der Senat erachtet die in dem Bescheid vom 10. Oktober 2011 enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung – entgegen der Auffassung der Antragstellerin – nicht als unrichtig im Sinne des § 356 Abs. 2 AO, so dass im Streitfall die Jahresfrist des § 356 Abs. 2 AO nicht anwendbar ist.

    Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig im Sinne des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO, wenn sie die in § 356 Abs. 1 AO vorgeschriebenen Angaben nicht vollständig enthält oder diese unzutreffend bzw. derart unvollständig oder missverständlich wiedergibt, dass hierdurch bei objektiver Betrachtung die Möglichkeit der Fristwahrung gefährdet erscheint (vgl. BFH Urteil vom 29. Juli 1998 X R 3/96, BStBl. II 1998, 742). Enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung noch andere als die notwendigen Angaben, so müssen auch diese Angaben richtig, vollständig und unmissverständlich sein (BFH Urteil vom 21. Juni 2007 III R 70/06, BFH/NV 2007, 2064). Ob dies der Fall ist, bestimmt sich danach, wie der Erklärungsempfänger die Rechtsbehelfsbelehrung oder die ergänzenden Angaben nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der ihm bekannten Umstände verstehen musste. Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten gehen dabei zu Lasten der Behörde (vgl. BFH Urteil vom 21. Juni 2007 III R 70/06, BFH/NV 2007, 2064).

    Die Entscheidung darüber, welchen Inhalt eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung haben muss, verlangt die Abwägung zum Teil widerstreitender Gesichtspunkte.

    Grundlegend dabei sind der verfassungsrechtliche Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG – i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG; Art. 19 Abs. 4 GG) und die hieraus abzuleitenden Gebote der prozessualen Fürsorgepflicht und der Rechtsmittelklarheit.

    Das rechtsstaatliche Erfordernis der Messbarkeit und Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns gebietet es, dem Rechtsuchenden den Weg zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen klar vorzuzeichnen. Die Rechtsbehelfe müssen in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger erkennbar sein. Sind die Formerfordernisse so kompliziert und schwer zu erfassen, dass nicht erwartet werden kann, der Rechtsuchende werde sich in zumutbarer Weise darüber Aufklärung verschaffen können, müsse die Rechtsordnung zumindest für eine das Defizit ausgleichende Rechtsbehelfsbelehrung sorgen (BFH Urteil vom 23. Juni 2004 X R 59/01, BStBl. II 2004, 901). Die Rechtsschutzgarantie gebietet eine Rechtsmittelbelehrung nur dann, wenn „diese erforderlich ist, um unzumutbare Schwierigkeiten des Rechtswegs auszugleichen, die die Ausgestaltung eines Rechtsmittels andernfalls mit sich brächte”. Auch in Verfahren, in denen kein Vertretungszwang gilt, kann vom Rechtsuchenden – im Rahmen des Zumutbaren – erwartet werden, er werde sich rechtzeitig über die Formerfordernisse des Rechtsmittels Aufklärung verschaffen. Will er sich im Einzelfall nicht sofort an einen Anwalt wenden, kann er sich bei der Behörde, die die anzufechtende Entscheidung erlassen hat, nach den Rechtsmittelmöglichkeiten und – erfordernissen erkundigen. Infolgedessen auftretenden Härten im Einzelfall kann durch die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begegnet werden (vgl. BFH Urteil vom 7. März 2003 X R 18/05, BStBl. II 2006, 455 m.w.N.)

    Andererseits soll die Rechtsmittelbelehrung so einfach und klar wie möglich gehalten werden. Im Interesse rechtsunkundiger Beteiligter ist eine inhaltliche Überfrachtung zu vermeiden, die statt Klarheit zu schaffen wegen ihres Umfangs und ihrer Kompliziertheit Verwirrung stiftet. Deshalb ist es ausreichend, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung den Gesetzeswortlaut der einschlägigen Bestimmung wiedergibt und verständlich über die allgemeinen Merkmale des Fristbeginns unterrichtet (vgl. BFH Urteil vom 7. März 2003 X R 18/05, BStBl. II 2006, 455 m.w.N., vgl. auch BFH Beschluss vom 2. Februar 2010 III B 20/09, BFH/NV 2010, 830).

    Unter Beachtung dieser Grundsätze erachtet der Senat die von dem Antragsgegner verwendete Rechtsbehelfsbelehrung, die den Wortlaut des § 357 Abs. 1 Satz 1 AO wiedergibt, als ausreichend. Ein Hinweis auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung in elektronischer Form war nicht erforderlich oder geboten, und zwar selbst dann nicht, wenn der Antragsgegner außerhalb des hier streitigen Bescheides – z.B. durch die Gestaltung seines allgemeinen Schriftverkehrs bzw. seiner Homepage – den Zugang für die Übermittlung elektronischer Dokumente im Sinne des § 87a Abs. 1 Satz 1 AO eröffnet haben sollte.

    Der Senat schließt sich mit seiner Entscheidung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes (vgl. auch BFH Beschluss vom 2. Februar 2010 III B 20/09, BFH/NV 2010, 830) an und folgt nicht der abweichenden Auffassung des Niedersächsischen Finanzgerichts (Urteil vom 24. November 2011 10 K 275/11, EFG 2012, 292) und den zustimmenden Meinungen in der Literatur (z.B. Böwing-Schmalenbrock, DStR 2012, 444, Große/Bludau DB 2012, 655 jeweils mit weiteren Nachweisen).

    Dabei kann es dahinstehen, ob aus der – nach Senatsauffassung – unsystematischen Verwendung der Begriffe „schriftlich” und „elektronisch” zu folgern ist, dass das Gesetz beide Termini nebeneinander stellt, d.h. die elektronische Form nicht als Unterfall der Schriftform anzusehen ist und sich daher die Frage nach der Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung tatsächlich ergibt. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, so wäre sie wegen des Gebotes der Klarheit und Verständlichkeit der Rechtsmittelbelehrung zu verneinen. Dies macht ein Blick auf eine entsprechend ergänzte Rechtsbehelfsbelehrung deutlich.

    Zunächst wäre bereits der Hinweis auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung per E-Mail als solcher problematisch. Die Frage, ob ein Einspruch im Wege einer einfachen E-Mail eingelegt werden kann, ist nämlich weder – soweit ersichtlich – höchstrichterlich geklärt noch völlig unumstritten. Zwar bejaht die herrschende Auffassung (z.B. Seer in Tipke/Kruse § 357 AO Rdnr. 7, Bartone in Beermann/Gosch § 357 AO Rdnr. 23 m.w.N.) und auch die Finanzverwaltung (AEAO zu § 87a Nr. 1 und zu § 357 Nr. 1) selbst diese Frage, jedoch gibt es durchaus auch Gegenstimmen (vgl. Fett/Martin DStZ 2007, 176; Martin/Bergan BB 2012, 432).

    Hinzu kommt, dass der Hinweis auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung per E-Mail unvollständig ist, denn er gibt die gesetzlich vorgesehenen Arten der Einspruchseinlegung nicht umfassend wider (so wohl auch Große/Bludau aaO, S. 658). Folgt man der herrschenden Auffassung darin, dass § 357 AO durch § 87 a AO ergänzt wird, so ist die Einspruchseinlegung (auch) durch die Übermittlung elektronischer Dokumente möglich. Diese Beschreibung umfasst nicht allein die E-Mail. Als elektronisches Dokument ist anzusehen ein Dokument, das elektronisch hergestellt, elektronisch versandt und vom Empfänger elektronisch oder auf Datenträger (z.B. CD) aufgerufen wird (so Brandis in Tipke/Kruse § 87a AO Rdnr. 2 m.w.N.).

    Aber auch eine Belehrung darüber, dass der Einspruch schriftlich einzureichen, zur Niederschrift zu erklären oder in elektronischer Form zu erheben ist, wäre aus Sicht des Senates unvollständig, da sie den Bescheidadressaten über für die Wirksamkeit des Einspruchs wichtige technische Fragen, die sich bei der Nutzung elektronischer Dokumente stets ergeben, im Unklaren lässt. Daher müsste eine entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung auch Informationen dazu enthalten, ob nur unverschlüsselte EMails oder auch verschlüsselte Formate (und wenn ja welche) genutzt werden können und in welchem Format etwaige Datei-Anhänge übermittelt werden müssen.

    Eine in diesem Sinne erweitere Rechtsbehelfsbelehrung diente jedoch – hiervon ist der Senat überzeugt – nicht den Interessen der Verfahrensbeteiligten, und zwar auch nicht dem Interesse rechtsunkundiger Beteiligter. Sie wäre inhaltlich überfrachtet und würde statt Klarheit zu schaffen wegen ihres Umfangs und ihrer Kompliziertheit Verwirrung stiften. Zudem wäre ihr Inhalt – jedenfalls bis zu einer höchstrichterlichen Klärung der Frage, ob für die Einspruchseinlegung eine einfache E-Mail genügt – rechtlich zweifelhaft.

    So wie es kaum möglich ist, in einer Rechtsbehelfsbelehrung auf sämtliche Modalitäten der Fristberechnung hinzuweisen (vgl. BFH Urteil vom 7. März 2006 X R 18/05, BStBl. II 2006, 455 zum Hinweis auf § 108 Abs. 3 AO), so ist es auch kaum möglich, angemessen, klar, verständlich und rechtlich zweifelsfrei auf sämtliche Formen der Einspruchseinlegung hinzuweisen.

    Dem Aussetzungsantrag der Antragstellerin war – trotz bestehender Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides – auch nicht unter dem Gesichtspunkt der unbilligen Härte zu entsprechen.

    Zwar kommt eine Aussetzung der Vollziehung auch in Betracht, wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 FGO). Allerdings liegen die Voraussetzungen im Streitfall nicht vor.

    Eine unbillige und nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheides wirtschaftliche Nachteile drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Steuerpflichtigen führen würde. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes ist auch bei Vorliegen einer unbilligen Härte der Vollstreckung eine Aussetzung der Vollziehung nur möglich, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides nicht ausgeschlossen werden können (BFH-Beschlüsse vom 2. November 2004 XI S 15/04, BFH/NV 2005, 490; vom 2. Juni 2005 III S 12/05, BFH/NV 2005, 1834; vom 2. April 2009 II B 157/08, BFH/NV 2009, 1146).

    Der Senat kann nicht feststellen, dass der Antragstellerin bei Vollziehung des Bescheides derartige wirtschaftliche Nachteile drohen bzw. ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet ist. Vielmehr trägt die Antragstellerin selbst vor, dass der streitige Betrag auf dem Treuhandkonto bereit liege und der Absicherung des Anspruchs des Antragsgegners diene. Etwaige Nachteile aus der Vollziehung drohen allenfalls dem Grundpfandgläubiger. Dem Schutz von dessen Interessen dient die Regelung zur Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte jedoch nicht.

    Der Senat hat sich auch gehindert gesehen, das Begehren der Antragstellerin in einen Antrag auf einstweilige Anordnung gem. § 114 FGO, dessen Erfolgsaussichten vor dem Hintergrund des Antrages auf Rücknahme bzw. Widerruf des streitigen Bescheides – und damit unabhängig von dessen Bestandskraft – zu beurteilen wäre, umzudeuten. Der von einem Angehörigen der steuerberatenden Berufe gestellte gerichtliche Antrag vom 10. Mai 2012 ist seinem Wortlaut und Inhalt nach eindeutig. Eine entsprechend eindeutige Erklärung eines rechtskundigen Prozessvertreters kann auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der „rechtsschutzgewährenden Auslegung” (dazu z.B. BFH Urteile vom 19. April 2007 IV R 28/05, BStBl. II 2007, 704; vom 8. Mai 2008 VI R 12/05, BStBl. II 2009, 116, m.w.N.) nicht abweichend von ihrem tatsächlichen Inhalt umgedeutet werden (BFH Beschluss vom 4. November 2008 V B 114/08, BFH/NV 2009, 400, vgl. auch BFH Beschluss vom 22. März 1983, IV B 66/82, Juris).

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Zulassung der Beschwerde folgt aus §§ 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO. Die Zulassung dient mit Blick auf das zur Streitfrage bereits beim Bundesfinanzhof anhängige Revisionsverfahren (X R 2/12) der Fortbildung des Rechts.

    VorschriftenAO § 356, AO § 357, AO § 87a, GG Art 19 Abs 4, GG Art 20 Abs 3, AO § 355

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