26.06.2012
Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 30.04.2012 – 5 K 1934/11
Die Kosten für die Errichtung eines blickdichten Holzlattenzauns anstelle eines Maschendrahtzauns stellen auch dann keine außergewöhnlichen Belastungen, sondern Kosten der Lebensführung dar, wenn die höhere Umzäunung krankheitsbedingt notwendig wurde, sie aber einer traditionellen und dekorativen Bauweise entspricht. Soweit der Zaun Schutz vor von außen kommenden Gefahren bieten soll, handelt es sich - anders als bei einem Treppenlift oder einer Rollstuhlrampe - auch nicht um einen behinderungsbedingten Einsatz eines Hilfsmittels.
Tatbestand
Streitig ist, ob Aufwendungen für die Errichtung eines Zauns als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen sind.
Die Kläger sind zusammen veranlagte Eheleute, die beide Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielen. Bei ihrem am 15.  August 2002 geborenen Sohn M. besteht eine frühkindliche Autismuserkrankung (sog. Kanner-Syndrom). Die Krankheit äußert sich  bei dem Kind unter anderem so, dass es eine starke Weglauftendenz hat.  
Im Jahr 2009 errichteten die Kläger um einen Teil ihres Grundstücks als Weglaufschutz ein Stück grünen Maschendrahtzaun mit  einem abschließbaren Tor für 350,- €, den der Beklagte im Rahmen der Veranlagung für das Jahr 2009 als außergewöhnliche Belastungen  anerkannte. Im Jahr 2010 ersetzten sie den auf der Grundstückseite zu den Nachbarn gelegenen Maschendrahtzaun durch einen  höheren blickdichten Holzlattenzaun.  
In der am 30. März 2011 für das Streitjahr 2010 eingereichten Einkommensteuererklärung machten die Kläger im Rahmen außergewöhnlicher  Belastungen unter anderem die Kosten für die Errichtung des Holzzauns in Höhe von 756,- € als Weglaufschutz für ihren Sohn  geltend. Im Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 24. Mai 2011 berücksichtigte der Beklagte nach Abzug der zumutbaren Eigenbelastung  außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 897,- €. Die Kosten für den Zaunbau erkannte er nicht an.  
Der dagegen am 27. Mai 2011 eingelegte Einspruch, mit dem die Kläger unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Kinder-  und Jugendarztpraxis Dr. L. vortrugen, die Umzäunung sei wegen der Autismuserkrankung ihres Sohnes notwendig, um eine Selbstgefährdung  des Kindes zu verhindern, wurde mit Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2011 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung  wurde im Wesentlichen ausgeführt, eine Zaunanlage stelle keinen außergewöhnlichen Aufwand dar, da die Umzäunung eines Grundstücks  üblich sei und Aufwendungen insoweit einer Vielzahl von Grundstücksbesitzern entstünden. Es handele sich auch nicht um mittelbare  oder unmittelbare Krankheitskosten, da die Aufwendungen nicht zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel getätigt  worden seien, eine solche erträglicher zu machen. Auch sei durch die Umzäunung ein Gegenwert geschaffen worden, der lediglich  zu einer Vermögensumschichtung geführt habe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen (BM. 47  ff. Hilfsakte).  
Mit der dagegen am 25. Juli 2011 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen  vor, der Beklagte verkenne die für den Streitfall maßgebliche aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung, insbesondere die  Auswirkungen der Urteile des Bundesfinanzhofes (BFH) vom 24. Februar 2011 (VI R 16/10 ) und vom 22. Oktober 2009 (VI R 7/09  ). Danach komme es entscheidend auf den konkreten Einzelfall an und regelmäßig nicht auf einen etwaigen Gegenwert. In der  Einspruchsentscheidung betrachte der Beklagte jedoch nicht ihren konkreten Fall, sondern beschränke sich auf allgemeine und  pauschale Sätze. Er berücksichtige weder die nachgewiesene krankheitsbedingte Selbstgefährdung ihres Kindes, noch seine Autismuserkrankung  und die damit zusammenhängende Weglauftendenz und verkenne somit, wozu die Umzäunung eigentlich diene. Das vorgelegte ärztliche  Attest belege, dass sie dazu diene, die Selbstgefährdung ihres Kindes zu verhindern. Damit diene sie auch dazu, die Krankheit  ihres Kindes erträglicher zu machen. Auch dies verkenne der Beklagte und behaupte in der Einspruchsentscheidung das Gegenteil.  
Die Kosten für die Errichtung des Zauns seien „außergewöhnlich” im Sinne von § 33 Einkommensteuergesetz (EStG). Der 180 cm  hohe Holzlattenzaun habe im Streitjahr errichtet werden müssen, weil M. gewachsen gewesen sei und die neuen Nachbarn einen  Schäferhund gehabt hätten; durch den alten Maschendrahtzaun habe M.s Hand hindurch gepasst, sodass - neben der Gefahr des  Weglaufens - von einer zusätzlichen Gefahr für ihn auszugehen gewesen sei. Es handele sich somit nicht um einen Zaun, der  in der Region den angeblich üblichen Gepflogenheiten entspreche, wie der Beklagte annehme. Ein geschlossener Weglaufzaun -  wie im Streitfall - liege außerhalb des Üblichen. Schon deshalb handele es sich - im Sinne der Rechtsprechung des BFH (Urteil  vom 24. Februar 2011 - VI R 16/10 ) - um Mehraufwendungen für einen behindertengerechten Zaun, die eine außergewöhnliche Belastung  im Sinne des § 33 EStG darstellten. Für die Mehrzahl der Eigenheimbesitzer seien Aufwendungen für einen Gartenzaun das Ergebnis  einer freien Entscheidung. In ihrem konkreten Fall läge dies anders; sie hätten den Zaun nur wegen der Krankheit ihres Kindes  errichten müssen. Der Zaun sei - ähnlich einem Treppenlift oder einer Rollstuhlrampe - ein Hilfsmittel, um die Krankheit ihres  Kindes erträglicher zu machen; die Kosten seien ihnen deshalb zwangsläufig entstanden. Im Rahmen einer wertenden Betrachtung  ergebe sich, dass sie, verglichen mit anderen Steuerpflichtigen, die nicht von der Krankheit eines weglaufgefährdeten Kindes  betroffen seien, durch die Kosten für den streitgegenständlichen Zaun „größer” und damit „außergewöhnlich” im Sinne von §  33 EStG belastet seien.  
Auf einen vom Beklagten behaupteten wirtschaftlichen Gegenwert komme es vorliegend nicht an. Der behinderungsbedingte Mehraufwand  für ihr Kind stehe so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass die Erlangung eines  etwaigen Gegenwerts in Anbetracht der Gesamtumstände in den Hintergrund trete. Dies ergebe sich bei Anwendung der vorstehend  genannten aktuellen Rechtsprechung auf ihren konkreten Fall. Danach sei der BFH schon in den Jahren 2009/2010 von der „Gegenwertlehre”  abgekehrt; der Beklagte habe dies schlicht nicht beachtet. Unabhängig davon sei aber auch nicht ersichtlich, worin der vom  Beklagten behauptete Gegenwert liegen könnte; denn einmal verbaut sei der Zaun wertlos.  
Die Kläger beantragen, 
unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2011 den Einkommensteuerbescheid vom 24. Mai 2011 dahin gehend zu  ändern, dass ein weiterer Betrag in Höhe von 756,- € als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG berücksichtigt wird.  
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2011. Ergänzend führt er aus, die Aufwendungen seien  nicht „außergewöhnlich” im Sinne von § 33 EStG. Die Kläger hätten einen normalen Holzgartenzaun errichtet; der Zaun sei auch  nicht mit besonderen Eigenschaften versehen, die das Merkmal eines behinderungsbedingten Mehraufwands erfüllen würden. Der  Zaun könne sicherlich den Anspruch der behinderungsbedingten Weglaufsperre erfüllen; er entspreche jedoch einer üblichen Baumarktqualität  und werde in gleicher Form tausendfach in der heimischen Region als Grundstücksschutz eingesetzt. Es entspreche in Deutschland  und insbesondere in der hier in Rede stehenden Region der üblichen Gepflogenheit, das eigene Grundstück durch einen Zaun zu  schützen und in seine Grenzen kenntlich zu machen. In diesem Rahmen stellten sowohl ein Drahtflechtzaun als auch ein Holzzaun  oder eine gewachsene Grundstücksbegrenzung einen normalen baulichen Zustand dar. Es entspreche auch allgemeiner Lebenserfahrung,  dass ein Gartenzaun von Zeit zu Zeit erneuert werden müsse.  
Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in den Urteilen vom 22. Oktober 2009 (VI R 7/09 ) und vom 24. Februar 2011 (VI R 16/10 ) die  sog. Gegenwerttheorie zwar teilweise aufgegeben; das Gericht habe aber ausdrücklich an der Tatbestandsvoraussetzung des §  33 EStG „größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen …” festgehalten. Diese Voraussetzung könne  bei Aufwendungen für einen normalen Holzzaun in Höhe von 756,- € nicht als erfüllt angesehen werden. Aufwendungen an einem  Eigenheimgrundstück unter 1.000,- € seien in der heutigen Zeit als Normalität anzusehen.  
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten und die von den Klägern vorgelegten  Lichtbilder der streitgegenständlichen Zaunanlage verwiesen.  
Gründe
Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat die Aufwendungen der Kläger für die Errichtung des Zauns im Ergebnis zu Recht  nicht als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG berücksichtigt.  
1. Gemäß § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere  Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse  und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen  dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen  den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33  EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer  Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG  ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag  abgegolten sind (vgl. BFH-Urteil vom 11. November 2010 - VI R 17/09 , BFH/NV 2011, 503 unter Bezugnahme auf BFH-Urteil vom  29. September 1989 - III R 129/86 , BStBl II 1990, 418 ).  
2. a) Aufwendungen für die Errichtung eines Gartenzauns können nicht in diesem Sinne als außergewöhnlich angesehen werden.  Ein Gartenzaun zur Begrenzung des Grundstücks gehört zu den üblichen baulichen Außenanlagen eines Eigenheims. Die Kosten für  seine Errichtung rechnen deshalb zu den üblichen Kosten der Lebensführung, die grundsätzlich jedem Steuerpflichtigen erwachsen.  
Daran ändert der Umstand nichts, dass es sich bei dem von den Klägern im Streitjahr errichteten Zaun um einen 180 cm hohen  geschlossenen Holzlattenzaun handelt. Der Senat vermag nicht der Auffassung der Kläger zu folgen, diese besondere Bauform  entspreche nicht den üblichen Gepflogenheiten. Wie sich der Senat anhand der von den Klägern vorgelegten Lichtbilder überzeugen  konnte, handelt es sich bei der streitgegenständlichen Grundstücksbegrenzung um einen dekorativ gestalteten, traditionellen  Holzlattenzaun, der als Teilstück auf der Grundstücksseite zu den Nachbarn hin die Privatsphäre des Gartens gewährleistet  und gegenüber der unmittelbar dahinter liegenden Bebauung Sichtschutz bietet.  
Die streitgegenständlichen Aufwendungen stellen nicht schon deshalb eine außergewöhnliche Belastung im Sinne von § 33 Abs.  1 EStG dar, weil sie - wie die Kläger unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung behaupten - infolge der krankheitsbedingten  Weglauftendenz ihres Sohnes notwendig wurden bzw. um ihren Sohn vor dem Hund des Nachbarn zu schützen. Dies mag für die Beurteilung  der Zwangsläufigkeit der Aufwendungen von Bedeutung sein, ändert aber nichts daran, dass den Klägern durch die Errichtung  des Zaunes keine größeren Aufwendungen entstanden sind als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen (vgl. z.B. Urteil  des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. März 2011 - 2 K 1855/10 abgedruckt in juris - Juristisches Informationssystem -  unter Bezugnahme auf BFH - Urteil vom 21. August 1974 - VI R 237/71 , BStBl II 1974, 745 für die Anschaffung eines kontraststarken  Fernsehgerätes infolge einer Sehkrafteinschränkung des Steuerpflichtigen).  
b) Darüber hinaus vermag der Senat aber auch nicht zu erkennen, dass die Aufwendungen den Klägern zwangsläufig im Sinne der  Vorschrift entstanden sind. Denn es ist schon nicht ersichtlich, dass mit dem im Streitjahr errichteten Holzzaun - der sich  nur auf einen kleinen Teil des Grundstücks erstreckt - der Weglauftendenz des Kindes tatsächlich wirksam begegnet werden könnte.  Soweit der Teil der Zaunanlage außerdem Schutz vor dem Hund des Nachbarn bieten soll, sieht der Senat nicht ausschließlich  die Behinderung bzw. die Krankheit des Kindes als maßgeblichen Beweggrund für seine Errichtung an. Denn in dieser Funktion  schützt der Zaun vor einer von außen kommenden und von der Behinderung unabhängigen Gefahr. Insoweit handelt es sich - anders  als bei einer Rollstuhlrampe oder einem Treppenlift wegen einer Gehbehinderung des Steuerpflichtigen - nicht um einen behinderungsbedingten  Einsatz eines Hilfsmittels. Damit stellen die streitgegenständlichen Aufwendungen, soweit sie auch dem Schutz des Kindes dienen  können, allenfalls mittelbare Folgekosten der Erkrankung des Kindes dar, die nicht abzugsfähig sind. Auch stehen die Aufwendungen  damit nicht - wie die Kläger meinen - so stark unter dem Gebot der sich aus der Situation ergebenden Zwangsläufigkeit, dass  die Erlangung eines etwaigen Gegenwerts in den Hintergrund tritt. Letztlich kann der Senat allerdings diese Frage offen lassen.   
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür nicht  vorliegen (§ 115 Abs. 2 FGO).