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  • 24.08.2011 · IWW-Abrufnummer 112756

    Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 21.04.2011 – 2 K 4920/08

    1. Die Wahl der Steuerklassen V/III und der Antrag auf getrennte Veranlagung stellen einen Gestaltungsmissbrauch i. S. d. § 42 AO dar, wenn die Kombination der Wahlrechte erkennbar den Zweck verfolgt, einerseits eine Steuererstattung bei dem einen Ehegatten zu erreichen, andererseits aber die Durchsetzung der damit verbundenen Steuernachforderung bei dem anderen Ehegatten zu vereiteln.



    2. Wird durch die Wahl der Steuerklassen und dem Antrag auf getrennte Veranlagung eine unangemessene Gestaltung gewählt, die im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehen Vorteil führt, ist die Zusammenveranlagung den wirtschaftlichen Vorgängen angemessen und die beantragte getrennte Veranlagung abzulehnen.


    FG Baden-Württemberg v. 21.04.2011

    2 K 4920/08

    Tatbestand
    Streitig ist, ob für das Streitjahr 2007 eine getrennte Veranlagung durchführen ist.

    Die Klägerin und der Beigeladene sind verheiratet und leben nicht dauernd getrennt. In den Jahren 2002 bis 2006 und im Streitjahr 2007 erzielten sie ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Dabei wurde die Lohnsteuer vom Lohn der Klägerin nach Maßgabe der Lohnsteuerklasse V und vom Lohn ihres Ehemannes – des Beigeladenen – nach Maßgabe der Lohnsteuerklasse III einbehalten. Das Bruttogehalt belief sich während dieses Zeitraums auf folgende Beträge:

    Bruttolohn Klägerin Bruttolohn Beigeladener
    Steuerklasse V Steuerklasse III
    2002 29.427 EUR 42.502 EUR
    2003 30.805 EUR 42.800 EUR
    2004 32.615 EUR 45.000 EUR
    2005 35.358 EUR 45.393 EUR
    2006 38.973 EUR 47.540 EUR
    2007 40.037 EUR 47.090 EUR

    Für die Veranlagungszeiträume 2002 bis 2006 wurde die Klägerin antragsgemäß getrennt zur Einkommensteuer veranlagt, woraus sich für die Klägerin Erstattungsansprüche in Höhe von insgesamt 24.531 EUR und für den Kläger Nachzahlungsverpflichtungen in Höhe von insgesamt 25.412 EUR ergaben. Seinen Zahlungsverpflichtungen aus den Einkommensteuerfestsetzungen 2002 bis 2006 kam der Beigeladene nicht nach. Die Zwangsvollstreckung des Finanzamts – FA – blieb aufgrund von Vorpfändungen Dritter erfolglos (s. Mitteilung der Arbeitgeberin des Beilgeladenen vom 19. April 2004, Bl. 57 d. A.).

    Für das Streitjahr 2007 wurde auf der Lohnsteuerkarte der Klägerin und des Beigeladenen zunächst die Steuerklasse I eingetragen. Auf Antrag der Klägerin und des Beigeladenen wurde die Steuerklasse für die Klägerin in V und für den Beigeladenen in III geändert. Mit beim FA am 28. Januar 2008 eingegangener Einkommensteuererklärung (Bl. 15 ff. d. Rechtsbehelfsakte) beantragte die Klägerin für das Streitjahr erneut die Durchführung der getrennten Veranlagung. Mit Bescheid vom 25. Februar 2008 (Bl. 9 d. Rechtsbehelfsakte) lehnte das FA die Durchführung der getrennten Veranlagung ab. Zwar lägen unzweifelhaft die Voraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts vor. Jedoch stelle die Kombination der Wahl der Lohnsteuerklassen III und V einerseits und dem Antrag auf getrennte Veranlagung andererseits, mit der das Ziel verfolgt werde, die Realisierung der Steuer gegen den Beigeladenen dauerhaft zu vermeiden, einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten nach § 42 der Abgabenordnung – AO – dar.

    Der am 5. März 2008 erhobene Einspruch der Klägerin, mit dem sie weiterhin eine getrennte Einkommensteuerveranlagung begehrte, wurde mit Einspruchsentscheidung vom 24. September 2008 (Bl. 4 ff. d. Gerichtsakte) zurückgewiesen.

    Mit der hiergegen am 23. Oktober 2008 erhobenen Klage lässt die Klägerin geltend, machen, die Kombination der Steuerklassen III und V mit dem Antrag auf getrennte Veranlagung sei nicht missbräuchlich im Sinne des § 42 AO. Etwa 10 % des jährlichen Arbeitseinkommens der Klägerin bestehe aus einer Prämie, so dass für die Klägerin zu Beginn des Jahres nicht erkennbar sei, welche der möglichen Steuerklassenkombinationen (III und V oder IV und IV) sich im Laufe des Jahres als günstiger erweise. Das FA verkenne, dass schon seit 1994 die getrennte Veranlagung durchgeführt werde und die Klägerin jährlich eine Steuererstattung erhalte. Es sei damit eine Selbstbindung der Verwaltung eingetreten. Überdies sei der vom Bundesfinanzhof – BFH – in seinem Urteil vom 15. Juli 2004 – III R 66/98 – entschiedene Fall mit dem vorliegenden Sachverhalt nicht vergleichbar, da Gläubiger des Beigeladenen fremde Dritte seien. Vom pfändbaren Arbeitseinkommen des Beigeladenen erhalte die Klägerin nichts.

    Die Klägerin beantragt,

    den Ablehnungsbescheid vom 25. Februar 2008 und die Einspruchsentscheidung vom 24. September 2008 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, für den Veranlagungszeitraum 2007 eine getrennte Veranlagung durchführen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Zur Begründung nimmt das FA Bezug auf seine Einspruchsentscheidung. Die Wahl der getrennten Veranlagung sei rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 42 AO, wenn die sachlich zusammenhängenden Wahlrechte erkennbar gegen ihren Zweck ausgeübt würden, um einerseits eine Steuererstattung zu erreichen, andererseits aber die Durchsetzung der verbundenen Steuernachforderungen zu vereiteln, so dass sich trotz höherer Steuerfestsetzung als bei angemessener Gestaltung (Zusammenveranlagung) eine geringere tatsächliche steuerliche Belastung der Ehegatten ergebe. Dies sei vorliegend der Fall.

    Mit Beschluss vom 4. April 2011 wurde der Ehemann der Klägerin zum Verfahren beigeladen.

    Dem Gericht lagen bei seiner Entscheidung die Klägerin und den Beigeladenen betreffend ein Band Rechtsbehelfsakten und drei Bände Einkommensteuerakten vor.



    Entscheidungsgründe
    Die zulässige Klage ist unbegründet. Das FA hat den Antrag der Klägerin auf getrennte Veranlagung zu Recht abgelehnt, da dieser rechtsmissbräuchlich i.S. des § 42 AO und daher unbeachtlich ist.

    1. Zwar können Ehegatten, deren Lohnsteuer nach den Steuerklassen III und V erhoben wird, in der Jahressteuerveranlagung anstelle der Zusammenveranlagung auch die getrennte Veranlagung wählen. Nach dem Urteil des BFH vom 15. Juli 2004 III R 66/98, BFH/NV 2005, 186, dessen Grundsätze der Senat auch im vorliegenden Fall für anwendbar hält, kann sich jedoch ein Rechtsmissbrauch ergeben, wenn Eheleute mehrere sachlich zusammenhängende Wahlrechte erkennbar gegen ihren Zweck ausüben, um einerseits eine Steuererstattung zu erreichen, andererseits aber die Durchsetzung der damit verbundenen Steuernachforderung zu vereiteln, so dass sich trotz höherer Steuerfestsetzung als bei angemessener Gestaltung eine geringere tatsächliche steuerliche Belastung der Eheleute ergibt. Denn § 42 AO erfasst gerade die Fälle, in denen gesetzlich zulässige rechtliche Gestaltungen gewählt werden, die im Einzelnen nicht zu beanstanden sind, in ihrer Gesamtheit aber nur dazu dienen, Steuern zu vermeiden, sei es durch eine niedrigere Steuerfestsetzung oder durch eine Vereitelung der Beitreibung.

    Das nur unter steuerlichen Aspekten sinnvolle Zusammentreffen mehrerer im Einzelnen gesetzmäßiger Verhaltensweisen oder Gestaltungen in der ausschließlichen Absicht, die Festsetzung der Steuer oder die Steuerzahlung zu vermeiden, soll nach § 42 AO steuerrechtlich wirkungslos bleiben. Diesem Gesetzeszweck kann nicht mit Erfolg die Rechtmäßigkeit jedes Einzelaktes des Gesamtwerkes entgegengehalten werden, andernfalls liefe die Vorschrift als Ganzes ins Leere.

    2. Nach diesen Grundsätzen sind die Wahl der Steuerklassenkombination III und V und der Antrag der Klägerin auf getrennte Veranlagung rechtsmissbräuchlich und deshalb unbeachtlich, weil damit allein der Zweck verfolgt wird, zu Lasten des Fiskus die Schulden des Beigeladenen zu tilgen.

    a) Nach § 38a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes – EStG – wird die Jahreslohnsteuer nach dem Jahresarbeitslohn so bemessen, dass sie der Einkommensteuer entspricht, die der Arbeitnehmer schuldet, wenn er ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. Der Lohnsteuerabzug bei Arbeitnehmern, die verheiratet sind, wird gemäß § 38b Satz 2 Nr. 4 EStG nach der Steuerklasse IV vorgenommen, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind, nicht dauernd getrennt leben und der Ehegatte des Arbeitnehmers ebenfalls Arbeitslohn bezieht. § 38b Satz 2 Nr. 3 Buchst. a Doppelbuchst. bb i.V.m. Nr. 5 EStG ermöglicht einem verheirateten Ehegatten, auf Antrag in die Steuerklasse III eingereiht zu werden, wenn der andere Ehegatte zwar ebenfalls Arbeitslohn bezieht, aber nach der Steuerklasse V besteuert wird. Bei dieser Gestaltung wird die Lohnsteuer bei dem Ehegatten der Steuerklasse III so abgezogen, als würde er mit dem anderen Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt und als würde der andere Ehegatte keinen Arbeitslohn und auch keine anderen Einkünfte erzielen. Durch die Steuerklasse III soll bei Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, eine Steuerüberzahlung vermieden werden, die bei einem Steuerabzug nach Maßgabe der Steuerklasse IV dann eintreten würde, wenn der andere Ehegatte entweder keine oder erheblich geringfügigere Einkünfte erzielte.

    Die Zusammenveranlagung von Ehegatten trägt dem Wesen der Ehe als Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft Rechnung. Ermöglicht wird aus Gründen der Gleichbehandlung aber auch eine getrennte Veranlagung. Durch diese Wahlrechte soll den Steuerpflichtigen aber nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, sich der Zahlung der geschuldeten Steuer durch mehrfache, einander widersprechende Ausübungen der Wahlrechte dauerhaft zu entziehen. Vielmehr geht das Gesetz davon aus, dass die Erhebung der Einkommensteuer durch die Ausübung dieser Wahlrechte nicht beeinflusst wird.

    b) Dieser Wertung des Gesetzgebers widerspricht die von der Klägerin gewählte Gestaltung, deren Ziel es allein war, die Schulden des Beigeladenen zu Lasten des Fiskus abzutragen.

    aa) Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2007 nicht erheblich geringere Einkünfte als der Beigeladene. Ein der Einkommensteuer entsprechender Lohnsteuerabzug wäre danach an sich nach der Steuerklasse IV vorzunehmen gewesen. Dagegen führte die Wahl der für die Klägerin – zunächst – ungünstigeren Steuerklasse V und der für den Beigeladenen günstigeren Steuerklasse III dazu, dass bei der Klägerin zu viel und bei dem Beigeladenen zu wenig Lohnsteuer einbehalten wurde. Die Minderung des Lohnsteuerabzugs hatte zur Folge, dass sich der pfändbare Teil des Arbeitslohns des Beigeladenen zu Gunsten der Gläubiger und zu Lasten des Fiskus erhöhte. Denn gemäß § 850e Satz 1 Nr. 1 der Zivilprozessordnung – ZPO – sind bei der Berechnung des pfändbaren Arbeitseinkommens nicht mitzurechnen die Beträge, die unmittelbar aufgrund steuerrechtlicher Vorschriften zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen des Schuldners abzuführen sind, so dass der pfändbare Teil des Arbeitseinkommens netto berechnet wird.

    bb) Die Wahl der Steuerklasse III/V einerseits und der damit im Widerspruch stehende Antrag auf getrennte Veranlagung andererseits führen zu einer höheren Steuerfestsetzung als bei einer Zusammenveranlagung. Dies wird wirtschaftlich nur dadurch verständlich, dass der aus dem Antrag auf getrennte Veranlagung resultierende Nachzahlungsanspruch des FA gegenüber dem Beigeladenen wegen der Höhe der Vorpfändungen wohl dauerhaft nicht zu realisieren ist. Der Beigeladene tilgt somit zu Lasten des Fiskus seine Verbindlichkeiten und verschafft sich damit einen Vorteil, den das Gesetz mit den Wahlrechten in § 26 und § 38b Satz 2 Nr. 3 EStG den Steuerpflichtigen nicht einräumen wollte und der den Wertungen des Gesetzgebers, die diesen Vorschriften zugrunde liegen, zuwiderläuft (vgl. BFH Urteil vom 15. Juli 2004 III R 66/98. BFH/NV 2005, 186).

    cc) Für die von der Klägerin gewählte Kombination der Steuerklasse III mit der getrennten Veranlagung gibt es keine außersteuerlichen Gründe. Die Klägerin hat auch auf Nachfrage des Gerichts persönliche, wirtschaftlich verständliche und vernünftige Gründe der für sie zunächst nachteilhaften Steuerklassenwahl und der Wahl der für den Beigeladenen ungünstigeren getrennten Veranlagung, die im Vergleich zu einer Zusammenveranlagung zu einer höheren Steuer führt, nicht dargelegt. Solche Gründe sind auch nicht ersichtlich.

    Die Auswirkungen der Steuerklassenwahl III/V und des Antrags auf getrennte Veranlagung waren für die Klägerin auch nicht unvorhersehbar, sondern entsprachen einem Gesamtplan, den sie gemeinsam mit dem Beigeladenen seit Jahren verfolgte. Obgleich die Wahl der Steuerklasse V für die Klägerin und der Steuerklasse III für den Beigeladenen in den Jahren 2002 bis 2006 zu einer Erstattung von Lohnsteuer für die Klägerin in Höhe von insgesamt 24.531 EUR und einer Nachzahlungsverpflichtung des Klägers in Höhe von 25.412 EUR führte und auch zu Beginn des Streitjahres absehbar war, dass sich die Einkommensverhältnisse der Eheleute nicht entscheidend ändern würden, hielten die Klägerin und der Beigeladene an ihrer Absicht fest, durch die Steuerklassenwahl III/V und den Antrag auf getrennte Veranlagung die für den Beigeladene einbehaltene Lohnsteuer zu verkürzen, um damit den pfändbaren Arbeitslohn des Beigeladenen zu erhöhen.

    3. Zwar ist die Folge, dass sich der Beigeladene mit der Wahl der Steuerklasse auf Kosten des Steuergläubigers mehr Vermögen zuwendet, im System angelegt (Vgl. BFH Urteil vom 24. Februar 2011 VI R 21/10, juris). Jedoch hat die Klägerin durch die Steuerklassenwahl V und den Antrag auf getrennte Veranlagung eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt, die nicht bei ihr, aber bei einer ihr nahestehenden Person, ihrem Ehemann, im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung, der Steuerklassenwahl IV/IV, zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteil führte. Bei missbräuchlichen Gestaltungen entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Da eine Zusammenveranlagung im Streitfall zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung als bei einer getrennten Veranlagung führt, ist den wirtschaftlichen Vorgängen angemessen die Zusammenveranlagung.

    4. Dem steht nicht entgegen, dass das Finanzamt in früheren Veranlagungszeiträumen dem Antrag der Klägerin auf eine getrennte Veranlagung statt gab. Eine vergleichsweise großzügigere Verwaltungspraxis führt nach den Grundsätzen der Abschnittsbesteuerung nicht zu einer Bindung des FA für künftige Steuerabschnitte (vgl. BFH Beschluss vom 14. Februar 2006 III B 143/05, BFH/NV 2006, 1058).

    5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

    6. Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der hierfür in § 115 Abs. 2 FGO abschließend aufgezählten Gründe vorliegt.

    RechtsgebieteAO, EStG, ZPOVorschriftenAO § 42 EStG § 38a Abs. 2 EStG § 38b S. 2 Nr. 4 EStG § 38b S. 2 Nr. 3 a) bb) EStG § 38b S. 2 Nr. 5 EStG § 26 ZPO § 850e S. 1 Nr. 1

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