08.01.2010
Finanzgericht München: Urteil vom 18.10.2006 – 9 K 2498/05
Werden bei einem betrieblichen Geschwisterdarlehen die jeweils fälligen Zinsen nicht ausbezahlt, sondern in der Bilanz einem Konto „sonstige Verbindlichkeiten” zugerechnet mit der Behauptung, die Zinsverbindlichkeit sei durch Schuldumwandlung in ein neues Darlehen der Geschwister erfüllt worden ohne dass der Nachweis erbracht wird, dass die Geschwister entsprechende Forderungsrechte erworben haben, so fehlt es am Nachweis des tatsächlichen Vollzugs des Vertrags. Ein Betriebsausgabenabzug hinsichtlich der Zinsen ist in diesem Fall unzulässig.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
hat der 9. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht, des Richters am Finanzgericht … und des Richters am Finanzgericht … sowie der ehrenamtlichen Richter und … auf Grund mündlicher Verhandlung vom 18. Oktober 2006
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist der Abzug von Zinsen als Betriebsausgabe.
Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Ehegatten. Der Kläger erzielte in den Streitjahren aus dem Betrieb einer Wechselstube Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 15 Abs. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) und ermittelte seinen Gewinn nach § 4 Abs. 1 EStG durch Betriebsvermögensvergleich. In seinen Bilanzen zum 31.12.1998, 31.12.1999 und 31.12.2000 waren jeweils eine als „Darlehen Geschwister” bezeichnete Verbindlichkeit in Höhe von 320.000 DM sowie „sonstige Verbindlichkeiten” in Höhe von 83.992,62 DM (1998), 108.232,18 DM (1999) und 133.926,11 DM (2000) passiviert. Dem Posten „sonstige Verbindlichkeiten” wurden die jährlich rechnerisch aufgelaufenen Zinsen für das „Darlehen Geschwister” zu Lasten des Gewinns zugeschrieben. Die Zinsen betrugen laut Gewinn- und Verlustrechnungen 22.867,50 DM in 1998, 24.239,56 DM in 1999 und 25.693,93 DM in 2000.
Nach einer beim Kläger durchgeführten Betriebsprüfung für die Jahre 1998 bis 2000 erkannte das beklagte Finanzamt (FA) das Darlehen steuerlich nicht mehr an, da es einem Fremdvergleich nicht standhalte. Das FA begründete seine Auffassung damit, dass keinerlei Vereinbarungen über die Laufzeit und über die Art und Zeit der Rückzahlung getroffen und seit 1995 keine Zinsen ausbezahlt worden seien. Auch sei die Darlehensforderung in keiner Weise besichert worden. Die aktuelle wirtschaftliche Situation des Klägers lasse vermuten, dass das Darlehen nicht zurückbezahlt werden könne. Der Prüfer löste den zum 31.12.1998 gebildeten Passivposten „sonstige Verbindlichkeiten” sowie die entsprechenden Erhöhungen zum 31.12.1999 und 31.12.2000 gewinnerhöhend auf. Unter Berücksichtigung von Gewerbesteuerrückstellungen und weiteren nicht anerkannten Betriebsausgaben für das Jahr 2000 in Höhe von 4.851,88 DM ergab sich eine Erhöhung des Gewinns von insgesamt 72.316,62 DM (1998), 21.838,56 DM (1999) und 27.067,81 DM (2000).
Mit Bescheiden vom 14. Oktober 2003 änderte das FA die bisherigen, unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Einkommensteuerbescheide 1998 bis 2000 und Bescheide über Gewerbesteuermessbetrag 1999 und 2000 nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) und den Bescheid über Gewerbesteuermessbetrag 1998 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO entsprechend den Feststellungen der Betriebsprüfung. Die dagegen eingelegten Einsprüche blieben ohne Erfolg (Einspruchsentscheidungen vom 3. Juni 2005).
Dagegen richtet sich die Klage, die wie folgt begründet wird:
Anlässlich der Eröffnung seiner Geldwechselstube im Jahr 1974 habe der Kläger von seinen Eltern ein Darlehen von 400.000 DM erhalten. Alle wesentlichen Punkte seien in einem schriftlichen Darlehensvertrag vereinbart worden. So seien eine Laufzeit des Darlehens auf unbestimmte Dauer (später mündlich abgeändert in die Laufzeit des Geschäftsbetriebs) und Zinsen in Höhe von 6 % vereinbart worden. Als Sicherheit sollte das Betriebsvermögen dienen, später sei auch das Privatvermögen einbezogen worden. Die Zinsen seien der Mutter des Klägers jährlich bar ausbezahlt worden. Im Rahmen eines Finanzgerichtsverfahrens sei die Abzugsfähigkeit der Zinsen als Betriebsausgaben anerkannt worden. Die Mutter des Klägers sei 1995 verstorben, ohne ein Testament zu hinterlassen und sei von ihren 5 Kindern (darunter dem Kläger) beerbt worden. Die Kinder hätten den Darlehensvertrag mit dem Kläger mit allen Rechten und Pflichten übernommen. Die Darlehensschuld des Klägers habe sich infolgedessen um 1/5 verringert und sei auf 320.000 DM gesunken. Ein neuer Darlehensvertrag zwischen dem Kläger und seinen im Ausland lebenden Geschwistern sei nicht geschlossen worden, da der alte Vertrag unverändert geblieben sei. Es sei lediglich anstelle der Barauszahlung der Zinsen vereinbart worden, die jeweils fälligen Zinsen als weitere Darlehen – ebenfalls zu einem Zinssatz von 6 % – stehen zu lassen. Der Kläger sei aufgrund schlechten Geschäftsverlaufs nicht in der Lage gewesen, die Zinsen an seine Geschwister auszuzahlen. Ohne die Unterstützung seiner Geschwister hätte er Insolvenz anmelden müssen. Unterlagen über eine Erbauseinandersetzung der Geschwister seien nicht vorhanden. Eine Schwester sei zwischenzeitlich verstorben. Der Kläger legte eine schriftliche Bestätigung von zwei Schwestern vom 18. Oktober 2004 vor, in der diese bestätigen, dass die Geschwister nach dem Tod der Mutter mündlich vereinbart hätten, dass das Darlehen an den Kläger weiterlaufen solle. Die Zinsen seien von jetzt an auf 4 % herabgesetzt worden. Der Kläger führt u. a. aus, die Ernsthaftigkeit der Darlehensvereinbarung und der Zinsvereinbarung dürfe nicht nur anhand formaljuristischer Erfordernisse geprüft werden. Viel stärker wirke hier eine moralische Rückzahlungsverpflichtung, die aus der jüdischen Familientradition herrühre. Da es sich beim Kläger und seinen Schwestern um voneinander wirtschaftlich unabhängige Angehörige handle, unterlägen die Rechtsbeziehungen zwischen ihnen nach dem BMF-Schreiben vom 1. Dezember 1992, Bundessteuerblatt – BStBl – I 1992, 729 Tz. 2b nur einem eingeschränkten Fremdvergleich.
Nicht nachvollziehbar sei auch die Berechnung der Gewinnerhöhung für das Jahr 1998. Das FA habe in diesem Jahr nicht nur die in 1998 als Betriebsausgaben abgezogenen Zinsen dem Gewinn hinzugerechnet, sondern die in der Bilanz ausgewiesene Gesamtverbindlichkeit, die sich aus den im Zeitraum ab 1995 aufgelaufenen Zinsen und Zinseszinsen zusammensetze, erfolgswirksam aufgelöst.
Die Kläger beantragen,
die Einkommensteuerbescheide 1998 bis 2000 vom 14. Oktober 2003 und die hierzu
ergangene Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 2005 dahin zu ändern, dass die Einkünfte aus Gewerbetrieb um 72.316 DM in 1998, 21.838 DM in 1999 und 22.215 DM in 2000 vermindert werden und die ESt 1998 bis 2000 entsprechend herabgesetzt wird.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide über Gewerbesteuermessbetrag 1998 bis 2000 vom 14. Oktober 2003 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 3. Juni 2005 dahin zu ändern, dass der Gewerbeertrag um 60.800 DM in 1998, 9.800 DM in 1999 und 14.300 DM in 2000 vermindert und der Gewerbesteuermessbetrag 1998 bis 2000 entsprechend herabgesetzt wird.
Das FA beantragt
Klageabweisung und beruft sich zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung
Auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 18. Oktober 2006 wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist unbegründet. Das FA hat die streitigen Zinsen zu Recht nicht zum Abzug als Betriebsausgaben zugelassen und den in den Bilanzen hierfür gebildeten Passivposten zutreffend gewinnerhöhend aufgelöst.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH – ist bei Aufwendungen aufgrund eines Vertrages zwischen nahen Angehörigen von einer Veranlassung durch die Einkunftserzielung grundsätzlich nur auszugehen, wenn die Vereinbarung bürgerlich-rechtlich wirksam zustande gekommen ist und sowohl die inhaltliche Gestaltung als auch die tatsächliche Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entsprechen (BFH-Urteil vom 09. Oktober 2001 VIII R 5/01, BFH/NV 2002, 334 m.w.N.). Ob im Einzelfall ein Vertrag zwischen Angehörigen dem Fremdvergleich standhält, richtet sich nach der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten, wobei den einzelnen Beweisanzeichen ein unterschiedliches Gewicht beigemessen werden kann und nicht jede geringfügige Abweichung vom Üblichen ohne weiteres die steuerliche Anerkennung des Vertragsverhältnisses ausschließt. Bei einem verzinslichen Darlehen ist die Fremdüblichkeit insbesondere anhand der Vereinbarung über die Laufzeit und Rückzahlbarkeit, der regelmäßigen Entrichtung der geschuldeten Zinsen sowie der Darlehensbesicherung zu überprüfen (BFH in BFH/NV 2002, 334 m.w.N.).
Ob – wie von den Klägern dargelegt – ein wirksamer und steuerlich anzuerkennender Darlehensvertrag mit den Eltern des Klägers vorgelegen hat, kann der Senat dahin stehen lassen. Selbst wenn zu Lebzeiten der Eltern bzw. der Mutter des Klägers ein steuerlich anzuerkennendes Darlehensverhältnis vorgelegen haben sollte, besagt dies nichts zu der im vorliegenden Verfahren zu entscheidenden Frage eines steuerlich anzuerkennenden Geschwisterdarlehens nach dem Ableben der Mutter. Auch die Frage, ob der Tod der Mutter des Klägers im Jahr 1995 – wie behauptet – zum Übergang der Darlehensforderung auf ihre nach Angaben der Kläger fünf Kinder geführt hat und diese sich in der vorgetragenen Art und Weise mit der Folge des Bestehens einer Darlehensverbindlichkeit gegenüber den Geschwistern in Höhe von 320.000 DM auseinandergesetzt haben, kann der Senat dahingestellt lassen. Denn unabdingbare Voraussetzung für den Nachweis des tatsächlichen Vollzugs des Vertrages – dies gilt auch für Darlehensverträge zwischen wirtschaftlich voneinander unabhängigen Angehörigen (vgl. BMF vom 1. Dezember 1992,BStBl I 1992, 729 Tz. 2b) – ist, dass die Darlehenszinsen regelmäßig gezahlt werden. Die Zinsen sind im Streitfall jedoch nicht ausbezahlt worden. Dass die jeweils fälligen Zinsen durch Abschluss entsprechender Vereinbarungen mit den Geschwistern in neue verzinsliche Darlehensverbindlichkeiten umgewandelt worden sind, haben die Kläger nicht durch entsprechenden Tatsachenvortrag dargelegt. Schriftliche Vereinbarungen hierzu haben sie nicht vorgelegt. In den vorgelegten Bestätigungen zweier Schwestern des Klägers vom 18. Oktober 2004 ist von einer entsprechenden Umwandlung der Zinsforderungen in Darlehensforderungen nicht die Rede. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass es zum Abschluss von Darlehensverträgen über die stehen gelassenen Zinsen gekommen ist. Allein durch die Buchung einer sonstigen Verbindlichkeit in den Bilanzen des Klägers können entsprechende Forderungen nicht entstehen. Hinweise auf in der „jüdischen Tradition” verwurzelte „moralische Rückzahlungsverpflichtungen” können nicht die im Prozessrecht geltenden Beweismaßstäbe außer Kraft setzen.
2. Zu Unrecht machen die Kläger geltend, im Jahr 1998 hätten allenfalls die als Betriebsausgaben abgezogenen Zinsen dem Gewinn hinzugerechnet und nicht der gesamte Bilanzansatz „sonstige Verbindlichkeiten” gewinnerhöhend aufgelöst werden dürfen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass nach den Grundsätzen des formellen Bilanzenzusammenhangs fehlerhafte Bilanzansätze in der ersten Schlussbilanz richtig zu stellen sind, in der dies unter Beachtung der für den Eintritt der Bestandskraft und der Verjährung maßgeblichen Vorschriften möglich ist und zwar grundsätzlich erfolgswirksam (BFH-Urteil vom 10. Dezember 1997 XI R 52/96, BStBl II 1998, 377).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.