08.01.2010
Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 10.07.2003 – 14 K 1084/03 E
- Einkünfte eines britischen Staatsbürgers, die er nach Beendigung seines Aufenthalts im Inland im gleichen Veranlagungszeitraum im Heimatland erzielt, unterliegen auch dann dem Progressionsvorbehalt, wenn nach Wegfall seiner unbeschränkten Steuerpflicht keine im Inland zu besteuernden Einkünfte mehr anfallen.
- Die innerstaatliche Regelung des Progressionsvorbehalts ist unabhängig davon anzuwenden, ob das DBA-Großbritannien der Bundesrepublik Deutschland als Ansässigkeitsstaat ein solches Besteuerungsrecht ausdrücklich einräumt.
- Die Anwendung des Progressionsvorbehalts bei zeitweise unbeschränkter Steuerpflicht unterliegt keinen verfassungs- oder völkerrechtlichen Bedenken und verstößt weder gegen die gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit noch gegen das Diskriminierungsverbot des DBA-Großbritannien.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Der Kläger ist britischer Staatsangehöriger und hatte für die erste Hälfte des Streitjahres (1999) seinen Wohnsitz im Inland. Er war bei einer deutschen Arbeitgeberin mit einer Nettolohnvereinbarung beschäftigt und erzielte in diesem Zeitraum Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 194.192 DM (202.843,50 DM Bruttoarbeitslohn ./. 8.651,06 DM Erstattung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 1998 lt. Bescheid vom 29.11.1999). Zum 01.07.1999 kehrte er nach Großbritannien zurück und erzielte in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 ausländische Einkünfte in Höhe von 129.310 DM.
Seine Ehefrau hatte sich nach der Auskunft aus dem Melderegister bereits zum 18.12.1998 nach Nordirland abgemeldet. Für die beiden Kinder, geboren am 06.07.1992 und 26.07.1994, ist in der Steuererklärung 1999 für das ganze Jahr ein Aufenthalt im Ausland angegeben.
Im Einkommensteuerbescheid 1999 vom 14.08.2001 bezog der Beklagte nur die inländischen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer ein und gewährte Kinderfreibeträge für das ganze Jahr, berücksichtigte aber keine kindergeldähnlichen Leistungen in Großbritannien. Unterhaltsaufwendungen für die Ehefrau wurden mit 6.510 DM als außergewöhnliche Belastung nach § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG - berücksichtigt. Die Steuer wurde nach der Grundtabelle berechnet. Abweichend von der Rechtsauffassung des Klägers wandte der Beklagte aber den besonderen Steuersatz nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG an und berücksichtigte für die Ermittlung dieses Steuersatzes auch die ausländischen Einkünfte.
Mit dem Einspruch vom 23.08.2001 wandte sich der Kläger gegen die Steuerfestsetzung. Entsprechend seinem Antrag ruhte das Rechtsbehelfsverfahren im Hinblick auf Revisionsverfahren zur Rechtsfrage der Zulässigkeit einer wortlautgetreuen Auslegung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG. Nach Ergehen der Urteile des Bundesfinanzhofes - BFH - vom 19. Dezember 2001 (I R 63/00, Internationales Steuerrecht - IStR - 2002, 239) und vom 15. Mai 2002 (I R 40/01, IStR 2002, 635) stellte der Beklagte den Klägern anheim, den Rechtsbehelf zurückzunehmen oder anderweitig zu begründen. Der Kläger machte im Schriftsatz vom 12.11.2002 geltend, die Entscheidung des BFH (I R 63/00 vom 19. Dezember 2001) beruhe auf einer Änderung der Rechtsprechung zu einer anderen Vorschrift, nämlich zu § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG. Danach habe entgegen der bisherigen Auffassung der Progressionsvorbehalt auf DBA-befreite Einkünfte nicht konstitutiven, sondern nur deklaratorischen Charakter. Er sei insbesondere nicht davon abhängig, dass Deutschland Ansässigkeitsstaat sei.
Erst unter Zugrundelegung dieser geänderten Rechtsauffassung zu einer anderen Vorschrift komme der BFH zu dem Ergebnis, das dann auch § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht mehr gegen DBA-Recht verstoße, weil es den Progressionsvorbehalt für nicht Ansässige nicht verbiete. Wenn aber alle DBA-befreiten Einkünfte dem Progressionsvorbehalt unterlägen, unabhängig von der Ansässigkeit in Deutschland, seien unter Nr. 2 der Vorschrift fallende Steuerpflichtige zukünftig auch nicht mehr schlechter gestellt als unter Nr. 3 der Vorschrift fallende Steuerpflichtige.
Der BFH übersehe jedoch, dass es erst der Änderung seiner eigenen Rechtsprechung zu § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG bedurfte, um Nr. 2 der Vorschrift in Einklang zu bringen mit DBA-Recht und dem Gleichheitsgrundsatz. Die Änderung der Rechtsprechung zu § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG beseitige jedoch den Verstoß der Nr. 2 der Vorschrift gegen den Gleichheitsgrundsatz und DBA-Recht nicht rückwirkend. Durch Änderung der Rechtsprechung stelle der BFH somit incidenter für die Zeit bis zum Bekanntwerden seines Urteils in der Vorschrift des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG einen Verstoß gegen DBA-Recht und den Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG fest. Es sei auch kein Präzedenzfall ersichtlich, wonach es zulässig wäre, die Rechtsprechung zu einer anderen Vorschrift (hier: § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG) zu ändern, um auf diesem Wege eine bestimmte Vorschrift (hier: § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG) rückwirkend verfassungskonform und in Übereinstimmung mit höherrangigem DBA-Recht auszulegen.
Insoweit, als nach der alten DBA-Rechtsauffassung zu § 32b Abs. 1 Nr. 3 verfahren worden sei, ergebe sich ein Verstoß der Nr. 2 der Vorschrift gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, es sei denn, rückwirkend könnten auch DBA-befreite Einkünfte nichtansässiger unbeschränkt Steuerpflichtiger nunmehr zum Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG herangezogen werden. Soweit nicht ansässige unbeschränkt Steuerpflichtige für die Zeit vor dem Ergehen der BFH-Entscheidung nicht mehr zum Progressionsvorbehalt herangezogen werden könnten, werde der Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 1 GG durch die neue Rechtsprechung zu § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht rückwirkend beseitigt.
Wenn die gefestigte Rechtsprechung und Literaturmeinung bisher der Auffassung gewesen sei, dass der DBA-Progressionsvorbehalt konstitutiv in dem Sinne sei, dass er nur bei Ansässigkeit im Inland erlaubt sei, verstoße § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG insoweit auch gegen gültiges und angewandtes DBA-Recht. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG stelle daher für die Zeit vor dem BFH-Spruch eine gegen Art. 23 Abs. 2 a) Satz 2 DBA verstoßende Regelung, ein sog. „treaty overriding” dar. Eine abkommenswidrige, innerstaatliche Gesetzgebung sei jedoch nicht „rechtmäßig”. Denn nach § 2 Abgabenordnung -AO- gingen Verträge mit anderen Staaten im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, soweit sie unmittelbar anwendbares, innerstaatliches Recht geworden seien, den Steuergesetzen vor. Mit dieser Vorschrift sei klargestellt worden, ”...dass völkerrechtliche Vereinbarungen... Vorrang vor den innerstaatlichen Steuergesetzen haben und deshalb allein durch spätere, innerstaatliche Gesetze nicht abgeänderten werden können”. Der durch § 2 AO begründete Vorrang des DBA-Rechts vor innerstaatlichem Recht gelte nur dann nicht, wenn das Gesetz - wie z.B. in § 50 d Abs. 1 Satz 1 EStG geschehen - ausdrücklich eine vom Zustimmungsgesetz abweichende Regelung treffe. Andernfalls würde § 2 AO sinnentleert. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG enthalte jedoch keine dem § 50 d Abs. 1 Satz 1 EStG vergleichbare Einschränkung des DBA-Progressionsvorbehalts alter Rechtsauffassung, die zumindest für die Vergangenheit aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht dadurch entbehrlich werde, dass der BFH seine Rechtsprechung ändere.
Eine rückwirkende Erfassung DBA-befreiter Einkünfte bei nicht in Deutschland Ansässigen verbiete sich jedoch nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO, wonach Steuerbescheide nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen geändert werden dürften, wenn sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert habe, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden sei. Insoweit verbleibe es für die Vergangenheit dabei, dass Nr. 2 der Vorschrift bei wörtlicher Auslegung gegen DBA-Recht und Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, weil sie nach der alten Rechtsauffassung willkürlich gleichheitswidrig und damit verfassungswidrig sei. Denn wenn es für ganzjährig unbeschränkt, aber nicht ansässige Steuerpflichtige für die Vergangenheit wegen § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO nicht mehr zum Progressionsvorbehalt komme, seien die Steuerpflichtigen benachteiligt, die wegen Beendigung ihrer unbeschränkten Steuerpflicht dennoch dem Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG unterlägen.
Für die Vergangenheit verbleibe es somit dabei, dass es zu nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlungen nach Nr. 2 der Vorschrift komme, weil bei wörtlicher Auslegung der Vorschrift der Progressionsvorbehalt selbst in solchen Fällen anzuwenden wäre, in denen überhaupt keine Steuerpflicht mehr (bei Wegzug) oder noch nicht (bei Zuzug) bestehe, also noch nicht einmal eine beschränkte Steuerpflicht. Demgegenüber entgingen diejenigen Steuerpflichtigen, die unbeschränkt steuerpflichtig, aber nicht ansässig seien, dem Progressionsvorbehalt für die Zeit vor dem Urteilsspruch, was einem Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG bzw. gegen die innere Sachgesetzlichkeit der Regelung gleichkomme.
Die Änderung der Rechtsprechung hinsichtlich Nr. 3 der Vorschrift könne somit wegen der Sperrwirkung des § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO die Verfassungswidrigkeit des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht mit rückwirkender Kraft beseitigen. Die Entscheidung könne daher nicht mit rückwirkender Kraft auf andere Fälle angewendet werden.
Die vom BFH in seinem Urteil vom 19. Dezember 2001 (I R 63/00, Der Betrieb -DB- 2002, 874 ff) vertretene Auffassung, es sei Deutschland nicht verwehrt, den Progressionsvorbehalt auf DBA-befreite Einkünfte zu erheben, solange das DBA dies nicht verbiete, sei zwar grundsätzlich richtig. Eine solche rein rechtstheoretische Aussage werde damit aber noch nicht zu einer Rechtsgrundlage an sich. Entscheidend sei vielmehr, ob dieses Verständnis des DBA-Progressionsvorbehalts auch durch § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG in das Gesetz Eingang gefunden habe. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergebe sich jedoch, dass diese weite Auslegung durch den BFH gar nicht in das Gesetz aufgenommen worden sei und somit nicht der gegenwärtigen Rechtslage entspreche.
§ 32b EStG sei durch das Einkommensteuer-Reformgesetz 1974 erstmals ab 1975 in das Einkommensteuergesetz aufgenommen worden. Dies sei „aus Gründen der Rechtssicherheit” geschehen, um der bisher schon geübten Praxis der Finanzverwaltung, nach DBA freigestellte Einkünfte dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen, eine gesetzliche Grundlage zu geben. Habe die bisher geübte Praxis der Finanzverwaltung allein auf DBA-Recht basiert, so habe dieses Recht lediglich formell in das Einkommensteuergesetz übernommen werden sollen, ohne dass damit eine Erweiterung des im DBA vorgesehenen Progressionsvorbehalts beabsichtigt gewesen sei.
Mit der Änderung der Rechtsprechung zu § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG gehe der BFH jedoch über die Absicht des Gesetzgebers, einen im DBA vorgesehenen Progressionsvorbehalt in das Einkommensteuergesetz zu übernehmen, weit hinaus. Indem er die in der Vorschrift enthaltene Einschränkung für überflüssig erkläre, dass das DBA den Progressionsvorbehalt „erlauben” müsse, komme dies einer Gesetzesänderung gleich und beschränke sich nicht mehr auf bloße Rechtsprechung. Der BFH setze sich damit über die Absicht des Gesetzgebers, den Progressionsvorbehalt nur insoweit in das Einkommensteuergesetz zu übernehmen, als dies im DBA selbst vorgesehen ist, hinweg, gegen den insoweit klaren und eindeutigen Wortlaut.
Es sei auch nicht erkennbar, dass die Einschränkung in Nr. 3 der Vorschrift ”... unter dem Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer ...” etwa misslungen wäre und nach Ansicht des BFH so zu verstehen sei, dass der Progressionsvorbehalt immer dann anzuwenden sei, wenn das DBA dies nicht verbiete. Zutreffend sei vielmehr, dass der Gesetzgeber in § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG durch die Einschränkung, dass die Einkünfte ”... unter dem Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer ...” nach einem DBA steuerfrei seien, auf die Vereinbarungen in den DBA habe Bezug nehmen wollen, die einen Progressionsvorbehalt vorsähen, und nicht auf solche, die einen Progressionsvorbehalt verbieten würden. Denn eine Bezugnahme auf ein Verbot des Progressionsvorbehalts durch ein DBA führe sich selbst ad absurdum, weil es, wie der BFH selbst feststelle, kein DBA gebe, das ein Verbot des Progressionsvorbehalts ausspreche. Der BFH sei eine Erklärung für seine Auslegung schuldig geblieben, warum sich der Gesetzgeber auf ein Verbot des Progressionsvorbehalts durch ein DBA habe beziehen können, wenn es kein solches Verbot gebe.
Nach dem klaren Wortlaut und dem aus der Historie erkennbaren Willen des Gesetzgebers solle der Progressionsvorbehalt nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG nur insoweit greifen, als dies im einschlägigen DBA vorgesehen sei. Die Einschränkung ”... unter dem Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer ...” bedeute jedoch keinesfalls, dass sie immer greife, solange das DBA den Progressionsvorbehalt nicht verbiete. Damit würde der Wortlaut des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG auf den Kopf gestellt und der Wille des Gesetzgebers missachtet.
Die Bezugnahme auf den im DBA vorgesehenen Progressionsvorbehalt bewirke mithin, dass er nur insoweit greifen könne, wie im DBA selbst geregelt. Die DBA räumten jedoch den Progressionsvorbehalt nach ihrem Wortlaut nur ”...bei einer in der Bundesrepublik ansässige Person ...” ein. Da die DBA den Progressionsvorbehalt jedoch nur dem Ansässigkeitsstaat im Gegenzug für die Freistellung von Einkünften einräumten, sei durch die Bezugnahme darauf diese Beschränkung (”... bei einer in der Bundesrepublik ansässigen Person...”) in § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG übernommen worden.
Angesichts dieser Rechtslage genüge eine vermeintliche Änderung der Rechtsprechung des BFH nicht, sondern es bedürfe einer gesetzlichen Änderung des Wortlauts von § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG, wenn der Progressionsvorbehalt tatsächlich unabhängig von der Ansässigkeitsregelung im DBA angewendet werden solle. Wegen der Trennung von Legislative und Judikative stehe dieses Recht jedoch nicht dem BFH zu und könne auch nicht durch eine vermeintliche „Änderung der Rechtsprechung” im Urteil I R 63/00 bewirkt werden. Die Anwendung des Progressionsvorbehalts auf nicht in Deutschland Ansässige aufgrund der neuen BFH-Rechtsprechung würde daher gegen das Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG, verstoßen, solange der Gesetzgeber selbst § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht entsprechend ändere.
Der Beklagte beendete jedoch das Ruhen und wies mit der Einspruchsentscheidung vom 03.02.2003 den Rechtsbehelf als unbegründet zurück. Der BFH habe in den beiden Urteilen entschieden, dass § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG sehr wohl wortlautgetreu auszulegen und nicht teleologisch reduziert zu verstehen sei. Der in einem Doppelbesteuerungsabkommen enthaltene Progressionsvorbehalt sei nur deklaratorisch und nicht konstitutiv. In diesem Sinne sei auch § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG auszulegen. Von daher sei auch die von den Klägern geltend gemachte Verfassungswidrigkeit zu verneinen. Ebenso sei damit ein Verstoß gegen das EU-Recht ausgeschlossen. Ein weiteres Ruhen scheide im Hinblick der Klärung der Rechtsfrage durch die BFH-Rechtsprechung aus. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
Mit seiner Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Das Verfahren solle bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG - und des Europäischen Gerichtshofs ruhen. Es sei sicher damit zu rechnen, dass diese Gerichte sich mit den einschlägigen Rechtsfragen befassen würden.
Der Kläger ist unter Berufung auf das Gutachten von Prof. Dr. Klaus Vogel für das Verfahren vor dem 8. Senat des Finanzgerichts Köln im zweiten Rechtszug der Meinung, abkommensrechtlich dürfe nur der Ansässigkeitsstaat den Progressionsvorbehalt ausüben, sofern nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart sei. Diese Auffassung liege auch dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. März 1971 ( 2 BvL 3/68, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - 30, 272 = BStBl II 1973, 431) zugrunde, der für die Behörden und Gerichte Bindungswirkung entfalte. Von daher sei auch die Auslegung des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG durch den BFH unzulässig, so dass der nur durch diese Auslegung vermiedene Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht ausgeräumt sei. Zudem sei diese Auslegung des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG auch schon national angesichts des Wortlauts nicht haltbar. Schließlich führe die ausdrücklich als Rechtsprechungsänderung bezeichnete neue Auslegung des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG zur Anwendung des § 176 Abs. 1 Nr. 3 der Abgabenordnung - AO -, was die Ungleichbehandlung zwischen Fällen des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG und § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG zwingend festschreibe
Der Kläger beantragt,
1. das Ruhen des Verfahrens anzuordnen
2. den Einkommensteuerbescheid 1999 vom 14.08.2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.02.2003 dahin abzuändern, dass die Einkommensteuer 1999 ohne Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts festgesetzt werde.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er widerspricht ausdrücklich einem Ruhen des Verfahrens und hält in der Sache an seiner bereits im Verwaltungsverfahren vertretenen Rechtsansicht fest.
Wegen der Einzelheiten des gegenseitigen Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
Die Verwaltungsvorgänge lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Gleiches gilt für das dem Beklagten und dem Gericht aus Parallelverfahren bekannten Gutachten von Prof. Dr. jur. Dr. h.c. Klaus Vogel vom 9.12.2002.
Gründe
Dem Ruhensantrag des Klägers ist nicht zu entsprechen.
Es fehlt bereits an dem dafür nach § 155 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 251 der Zivilprozessordnung - ZPO - erforderlichen Einverständnis des Beklagten. Hieran ändert auch die Anhängigkeit einer erneuten Revision (Az.: I R 19/03) nichts. Das Zwangsruhen bei Anhängigkeit eines Verfahrens zu einer Rechtsfrage vor einem obersten Gerichtshof gilt nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO nur für das Einspruchsverfahren. Für das Klageverfahren fehlt es an einer antsprechenden Vorschrift in der FGO.
Die Klage ist unbegründet.
Der Einkommensteuerbescheid 1999 vom 14.08.2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.02.2003 enthält keine Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers und verletzt ihn folglich nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO)
1. Der Beklagte hat das zu versteuernde Einkommen im Streitjahr ohne Rechtsfehler ermittelt.
1.1 Der Kläger war vom 01.01.1999 bis zum 30.06.1999 aufgrund seines Wohnsitzes im Inland nach § 1 Abs. 1 EStG in der Bundesrepublik Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Für diesen Zeitraum konnte also nach dem nationalen Steuerrecht das erzielte Welteinkommen besteuert werden. Dazu gehörte der Arbeitslohn aus dem Dienstverhältnis des Klägers mit seiner inländischen Arbeitgeberin.
1.2 Die Bundesrepublik Deutschland war auch nicht durch völkervertragsrechtliche Regelungen an der vollen Ausübung ihres Besteuerungsrechts für den während dieses Zeitraums vom Kläger im Inland erzielten Arbeitslohns gehindert. Eine Einschränkung ergibt sich namentlich nicht aus dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung - DBA-Großbritannien - vom 26. November 1964 (Bundesgesetzblatt - BGBl - 1966 II, 359) in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 23. März 1970 (BGBl II 1971, 46).
Die uneingeschränkte Befugnis zur Ausübung des nationalen Besteuerungsrechts folgt schon aus Artikel XI Abs. 2 Satz 2 DBA-Großbritannien. Der Kläger war zwar aufgrund seines Wohnsitzes im Inland hier unbeschränkt steuerpflichtig und dadurch im Inland ansässig nach Artikel II Abs. 1 Buchstabe h Unterabsatz i DBA-Großbritannien. Ob auch von einer gleichzeitigen Ansässigkeit im Vereinigten Königsreich auszugehen ist; kann offen bleiben. Es braucht daher nicht geklärt zu werden, ob das Unterhalten des Familienwohnsitzes in Nordirland zu einer der unbeschränkten Steuerpflicht entsprechenden Besteuerung des Klägers im Vereinigten Königreich führte oder ob die Neuregelung durch den Finance Act 1993 sec. 208 zu einer anderen Beurteilung zwingt (vgl. auch Mössner, Domicile und residence im englischen Steuerrecht, Rechtsvergleichende Betrachtungen, in Kley/Sünner/Willemsen, Steuerrecht, Steuer- und Rechtspolitik, Wirtschaftsrecht und Unternehmensverfassung, Umweltrecht, Festschrift für Wolfgang Ritter, Seite 195 ff, 213/4).
Die Ausübung des deutschen Besteuerungsrechts für den inländischen Arbeitslohn war auch nicht durch Artikel XI Abs. 3 DBA-Großbritannien eingeschränkt. Auch bei Ansässigkeit des Klägers im Vereinigten Königreich ab Beginn des Streitjahres wären die Voraussetzungen für diese Vorschrift nicht erfüllt. Es kann offen bleiben, ob der Kläger weniger als 184 Tage im mit dem Kalenderjahr übereinstimmenden deutschen Steuerjahr im Inland physisch anwesend war oder ob Besuche bei seiner Familie in Nordirland zu einem Unterschreiten dieser Grenze führten. Im Streitfall fehlt es an der Voraussetzung des Artikels XI Abs. 3 Buchstabe b) DBA-Großbritannien. Ausweislich der Lohnsteuerkarte wurde der Arbeitslohn im ersten Halbjahr 1999 von einem in Deutschland, also in dem anderen Gebiet ansässigen Arbeitgeber, nämlich der „U-GmbH” mit Sitz und Geschäftsleitung in „E-Stadt”, gezahlt.
1.3 Gegen die Höhe des angesetzten Arbeitslohns bestehen keine Bedenken.
Der Beklagte hat den Bruttoarbeitslohn um die aufgrund der Nettolohnvereinbarung der Arbeitgeberin zustehenden Erstattung als negative Einnahmen sowie um den Arbeitnehmer-Pauschbetrag vermindert.
1.4 Andere Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers bei der Ermittlung des Einkommens als Bemessungsgrundlage sind weder gerügt noch nach Aktenlage erkennbar.
1.5 Ob die Kinderfreibeträge für das gesamte Streitjahr zu berücksichtigen waren, muss offen bleiben. Der Beklagte ist in dem angefochtenen Bescheid so vorgegangen. Eine höhere Steuerfestsetzung ist dem Gericht verwehrt. Aus demselben Grund muss auch nicht aufgeklärt werden, ob die Ehefrau des Klägers oder der Kläger selbst für seine im Streitjahr in Nordirland lebenden Kinder vergleichbare Leistungen nach dem Recht des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland erhalten hat oder mangels ausreichend langen Aufenthalts im Vereinigten Königreich vor Beginn des Kalenderjahres oder womöglich des abweichenden Fiskaljahres keinen Anspruch auf solche Leistungen hatte. Die Verrechnung nach § 31 Satz 6 EStG i. V. m. § 36 Abs. 2 Satz 1 EStG würde nämlich zu einer höheren festzusetzenden Steuer führen.
2. Der Beklagte hat auch zu Recht im Streitfall die Grundtabelle angewandt.
Für die Annahme einer unbeschränkten Steuerpflicht der Ehefrau des Klägers nach § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG fehlt es bereits an dem erforderlichen Antrag. Es kann daher offen bleiben, ob die Bescheinigung der ausländischen Steuerbehörde für die Ehefrau des Klägers als materielles Tatbestandsmerkmal einzustufen ist und ihr Fehlen der Anwendung des § 1a Abs. 1 Nr. 2 EStG entgegensteht. Ebenso kann offen bleiben, ob eine Anwendung der Splittingtabelle ausscheidet, weil die nicht der deutschen Besteuerung unterliegenden Einkünfte, nämlich der Arbeitslohn aus der Tätigkeit des Klägers in Nordirland während der zweiten Hälfte des Streitjahres, über 10 v. H. der gesamten Einkünfte des Klägers und auch über 24.000 DM lag (vgl. BFH-Urteil vom 15. Mai 2002, I R 40/01, a. a. O.).
3. Der Beklagte hat in dem angefochtenen Bescheid auch zu Recht den besonderen Steuersatz gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG angewandt. Er hat dabei die anzusetzenden ausländischen Einkünfte zutreffend ermittelt.
3.1 Die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Anwendung des Progressionsvorbehalts lagen nämlich vor. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG sieht vor, dass in den Fällen der zeitweise unbeschränkten Steuerpflicht einschließlich der in § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG geregelten Fälle bei Bezug ausländischer Einkünfte im Veranlagungszeitraum, die nicht der deutschen Einkommensteuer unterlegen haben, ein besonderer Steuersatz auf das zu versteuernde Einkommen nach § 32a Abs. 1 EStG anzuwenden ist.
Der Kläger war im Streitjahr nur für einen Teil des Jahres unbeschränkt einkommen-steuerpflichtig.
Er hat im übrigen Teil des Streitjahres auch ausländische Einkünfte bezogen, die nicht der deutschen Einkommensteuer unterlagen. Bei dem Gehalt in Großbritannien handelte es sich um ausländische Einkünfte i. S. des § 34d Nr. 5 EStG; denn der Kläger übte die nichtselbständige Arbeit in einem Dienstverhältnis zu einem privaten Arbeitgeber in einem ausländischen Staat aus. Es unterlag auch nicht der deutschen Einkommensteuer, weil der Kläger nach seinem Wohnsitzwechsel aus Deutschland gemäß § 1 Abs. 4 EStG nur mit seinen inländischen Einkünften i. S. des § 49 EStG steuerpflichtig war und das Gehalt in Großbritannien nicht die Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 EStG erfüllte.
Für die Anwendung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ist es unbeachtlich, dass während der Zeit außerhalb der unbeschränkten Steuerpflicht keine inländischen Einkünfte erzielt wurden.
Diese Regelung gilt kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung „nur für Fälle der zeitweisen unbeschränkten Steuerpflicht einschließlich der in § 2 Abs. 7 Satz 3 geregelten Fälle”. Wie sich aus dem Wort „einschließlich” ableiten lässt, erfasst sie nicht nur die in § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG geregelte Situation, in der ein Steuerpflichtiger in einem Teil des Kalenderjahres unbeschränkt steuerpflichtig ist und in einem anderen inländische Einkünfte i.S. des § 49 EStG erzielt. Sie greift vielmehr ihrem Wortlaut nach auch dann ein, wenn in einem Teil des Kalenderjahres unbeschränkte Steuerpflicht besteht und im anderen Teil keine in der Bundesrepublik zu besteuernden Einkünfte anfallen (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2001, I R 63/00, a. a. O. m.w.N.;. FG Köln, Urteil vom 10. Dezember 2002, 7 K 1169/99, IStR 2003, 272 und FG Hamburg, Urteil vom 12. Februar 2003, V 194/98, EFG 2003, 857).
Eine abweichende Auslegung ist auch nicht aus systematischen Gründen geboten.
Nach der früheren Ausgestaltung des Progressionsvorbehalts im deutschen Steuerrecht als einer teilweisen Rückgängigmachung der Wirkungen einer Steuerbefreiung für die Berechnung des Einkommens als Ausgangsgröße für die Ermittlung des auf das gekürzte Bemessungsgrundlageneinkommen anzuwendenden Steuersatz konnten im Rahmen des Progressionsvorbehalts nur steuerbare Einkünfte berücksichtigt werden. Mit dem neugeschaffenen § 32b EStG steht es dem Gesetzgeber aber frei, eigenständige Regeln zur Ermittlung des Steuersatzeinkommens im Rahmen des Progressionsvorbehalts aufzustellen und dabei über den Bereich der steuerbaren Einkünfte hinauszugreifen. Er kann für die Ermittlung des besonderen Steuersatzes alle Einkünfte heranziehen, die bei unbeschränkter Steuerpflicht im Zeitpunkt ihres Erzielens zum Welteinkommen gehören würden. Eine dagegen sprechende, dem Gesetzgeber quasi vorgegebene Systematik gibt es nicht, wie die Rechtsvergleichung eindeutig zeigt. Im Schweizerischen Recht der interkantonalen und internationalen Doppelbesteuerung werden nämlich seit jeher die im einzelnen Kanton oder in der Schweiz nicht steuerbaren Einkünfte in die Steuersatzermittlung mit einbezogen (vgl. nur Artikel 44 des Bundesratsbeschlusses über die Erhebung einer Wehrsteuer vom 9. Dezember 1940 mit späteren Änderungen sowie die in dem Gutachten von Professor Dr. Vogel angeführte ständige Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts).
3.2 Der Anwendung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG im aber dargelegten Sinn steht auch nicht das Abkommensrecht - im Streitfall das DBA-Großbritannien - entgegen.
3.2.1 Eine solche Einschränkung ergibt sich nicht aus der Verteilungsnorm für die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit - hier Artikel XI Abs. 2 DBA-Großbritannien -. Besteuern durfte diese Einkünfte allerdings nur der jeweils andere Vertragsstaat des DBA. Dies folgt bereits daraus, dass die nichtselbständige Arbeit in diesem Staat ausgeübt wurde - Artikel XI Abs. 2 Satz 2 DBA-Großbritannien -.
Ein Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland kann auch nicht auf die sog. 183-Tage-Klausel - Artikel XI Abs.3 DBA-Großbritannien - gestützt werden. Es fehlt zwar nicht die negative Tatbestandsvoraussetzung des Buchstaben b) der jeweiligen Abkommensvorschrift, weil der Arbeitslohn nicht von einem in dem anderen Vertragsstaat ansässigen Arbeitgeber, sondern von einem in einem Drittstaat - hier Luxemburg - ansässigen Arbeitgeber gezahlt wurde. Die Bundesrepublik Deutschland war zum Zeitpunkt des Erzielens dieser Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit nicht der Ansässigkeitsstaat i. S. des DBA, weil dies nach Artikel II Abs. 1 Buchstabe h) Unterabsatz (i) DBA-Großbritannien eine unbeschränkte Steuerpflicht der natürlichen Person voraussetzt. Der Kläger war in diesem Zeitraum aber unstreitig in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht einmal beschränkt einkommensteuerpflichtig.
Eine Einschränkung bei der Anwendung des Progressionsvorbehalts auf die nach 1. in der Bundesrepublik Deutschland steuerpflichtigen Einkünfte ergibt sich trotzdem nicht aus der Verteilungsnorm des DBA. Die Heranziehung der nach dem DBA nur im anderen Vertragsstaat oder in einem Drittstaat zu besteuernden Einkünfte für die Ermittlung des Steuersatzes auf nach dem Abkommen in dem Anwenderstaat zu besteuernde Einkünfte ist nämlich keine - auch keine verkappte - Besteuerung der in diesem Staat abkommensrechtlich steuerbefreiten Einkünfte. Es ist vielmehr nur Sinn und Zweck des Progressionsvorbehalts, auf den allein der Besteuerung unterliegenden Teil des Gesamteinkommens mit Rücksicht auf die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen den Steuersatz anzuwenden, der sich bei Berücksichtigung des Gesamteinkommens ergeben würde. Die Unrichtigkeit des Vorwurfs einer verkappten Besteuerung steuerbefreiter Einkünfte und damit eines Verstoßes gegen die Verteilungsnorm eines Doppelbesteuerungsabkommens wird evident, wenn die Anwendung des Progressionsvorbehalts nicht den Steuersatzvorteil, sondern vielmehr einen Steuersatznachteil aus dem Bezug steuerfreier Bezüge verhindert, etwa beim Ansatz eines Verlusts aus einer aktiven Betriebsstätte im anderen Vertragsstaat im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts.
3.2.2 Der Anwendung der nationalen Progressionsvorschriften steht auch der Methodenartikel des Abkommens - im Streitfall Artikel XVIII Abs. 2 DBA-Großbritannien - nicht entgegen.
Dies folgt allerdings nicht aus dem ausdrücklich in der vorgenannten Abkommensnorm enthaltenen (abkommensrechtlichen) Progressionsvorbehalt. Die Bundesrepublik Deutschland war nämlich im entscheidenden Zeitraum nicht der Ansässigkeitsstaat nach dem Abkommen. Dabei ist nicht auf den Zeitraum des Erzielens der in das zu versteuernde Einkommen eingegangenen Einkünfte abzustellen. Entscheidend ist vielmehr der Zeitpunkt des Erzielens der für die Steuersatzermittlung im Rahmen des Progressionsvorbehalts zusätzlich heranzuziehenden Einkünfte. In diesem Zeitraum konnte die Bundesrepublik Deutschland schon deshalb nicht der Ansässigkeitsstaat im Abkommenssinne sein, weil der Kläger noch nicht einmal beschränkt einkommensteuerpflichtig war. Ob die Bundesrepublik Deutschland für die Zeit des inländischen Wohnsitzes des Klägers der Ansässigkeitsstaat im abkommensrechtlichen Sinne war, spielt keine Rolle. Diese vom Kläger in der mündlichen Verhandlung besonders herausgestellte Überlegung ist irrelevant; die Bundesrepublik Deutschland war nach dem grundsätzlichen Ansatz bereits der Quellenstaat; sie wird es nicht noch mehr, wenn sie für das ganze Streitjahr bereits der Quellenstaat ist.
Der Methodenartikel hindert die Anwendung des nationalen Progressionsvorbehalts aber dennoch nicht: Es ist nämlich nicht erforderlich, dass ein ausdrücklicher Vorbehalt auch für den Quellensteuerstaat im Abkommen enthalten ist, sondern es reicht aus, dass das Abkommen dem Progressionsvorbehalt nicht entgegensteht (BFH-Urteil vom 19. Dezember 2001, I R 63/00, a. a. O. m.w.N.;. FG Köln, Urteil vom 10. Dezember 2002, 7 K 1169/99, a. a. O. und FG Hamburg, Urteil vom 12. Februar 2003, V 194/98, a. a. O.). Nach geläutertem Rechtsverständnis sind in Doppelbesteuerungsabkommen aufgenommene Progressionsvorbehalte nur deklaratorisch und können innerstaatliche gesetzliche Regelungen über den Progressionsvorbehalt weder ersetzen noch einschränken. Solche Abkommen begründen nämlich keine innerstaatlichen Besteuerungsansprüche, sondern wollen solche bestehenden Ansprüche in Form von Steuerbefreiungen oder Steuerermäßigungen nur einschränken. Sie begründen und verteilen auch keine Besteuerungsrechte der Vertragsstaaten, sondern setzen deren originäre Besteuerungsrechte voraus und koordinieren nur deren Ausübung, um eine Überbelastung der Abkommensberechtigten durch eine juristische Doppelbesteuerung tunlichst zu vermeiden. Es liegt von daher auf der Hand, dass sie vom Ansatz her auch nicht den nationalen Steuersatz für die Steuer auf Steuergüter regeln wollen, deren Besteuerung nach dem Abkommen voll einem Vertragsstaat zugewiesen ist.
Die Behörden und Gerichte sind auch nicht im Hinblick auf § 31 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht – BverfGG – zu einer abweichenden Handhabung verpflichtet. Aus dem BVerfG-Beschluss vom 10. März 1971 (2 BvL 3/68, a. a. O.) ergibt sich keine solche Bindung. Zwar führt das BVerfG in dem Beschluss aus, die aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens befreiten Einkünfte seien der inländischen Einkommensbesteuerung schlechthin entzogen; sie würden als nicht vorhanden gelten. Ohne einen Progressionsvorbehalt im Abkommen dürften die befreiten Einkünfte auch nicht für die Ermittlung des Steuersatzes herangezogen werden.
Aus dem ausdrücklichen Hinweis auf das Fehlen einer mit § 8 Abs. 4 des Erbschaftssteuergesetzes – ErbStG – vergleichbaren Vorschrift im EStG ist aber abzuleiten, dass damit nur die damalige Rechtsprechung und Lehre zum Progressionsvorbehalt im Einkommensteuerrecht wiedergegeben wurde. Mit der Aufnahme einer innerstaatlichen Gesetzesvorschrift über den Progressionsvorbehalt in das EStG ist aber gerade eine mit § 8 Abs. 4 des damaligen ErbStG vergleichbare Vorschrift geschaffen worden. Eine Bindung an die damalige Auslegung des einfachen Rechts zum Progressionsvorbehalt durch das BVerfG kann folglich nicht mehr bestehen, wenn man nicht sogar angesichts der heutigen Existenz einer innerstaatlichen Norm zum Progressionsvorbehalt im EStG und angesichts des Verweises auf § 8 Abs. 4 ErbStG in der Entscheidung den Rückschluss ziehen will, dass das BVerfG bei der heutigen Gesetzeslage eine abweichenden Auffassung vertreten würde.
Schließlich ist eine Bindungswirkung der BVerfG-Entscheidung auch deshalb zu verneinen, weil die Ausführungen zum Progressionsvorbehalt nur die Auslegung einfachen Gesetzesrecht bzw. der im damaligen Normenkontrollverfahren zu prüfenden Vorschrift betrafen, nicht aber die Auslegung von spezifischem Verfassungsrecht bzw. der im jeweiligen Verfahren entscheidenden Maßstabsnorm. in dem damaligen Verfahren war aber das Revisionsprotokoll zum früheren Abkommen am Maßstab der Verfassung zu überprüfen, nicht aber selbst Maßstabnorm für eine erst nachfolgende Prüfung.
Eine Einzelauslegung des Methodenartikels ergibt auch keine theoretisch mögliche vom generellen Ansatz abweichende Auslegung dieser Norm. Aus der Aufnahme eines Progressionsvorbehalts mit eingeschränktem Anwendungsbereich, nämlich nur dem Ansässigkeitsstaat als Adressatem, folgt keine Abkommensauslegung dahin, dass ansonsten die Anwendung nationalstaatlicher Regeln über den Progressionsvorbehalt durch das Abkommen verboten sei. Der namentlich von Vogel (in Doppelbesteuerungsabkommen, Kommentar, 3. Auflage – DBA –, Art. 23 Rz. 209 und auch in dem eingereichten Gutachten) vertretenen Auffassung, eine Auslegung des jeweiligen Progressionsvorbehalts in dem speziellen Abkommen gebiete die Auslegung im Sinne des Verbots eines Progressionsvorbehalts ohne besondere abkommensrechtliche Grundlage, ist nicht zu folgen.
Für die Auslegung des Artikels XVIII Abs. 2 Buchstabe a ) Satz 2 DBA-Großbritannien ist neben dem Wortlaut als besonderes Hilfsmittel der Kommentar zum Artikel 23 A des OECD-Musterabkommens – OECD-MA – 1963 heranzuziehen. Denn einmal entspricht der Progressionsvorbehalt im DBA-Großbritannien dem Artikel 23A OECD-MA, weil er nur einen Progressionsvorbehalt für nach dem Methodenartikel freigestellte Einkünfte vorsieht und ferner ist diese Regelung des DBA-Großbritannien nach Erscheinen des Kommentars zum OECD-MA 1963 und vor Verabschiedung des OECD-MA 1977 völkerrechtlich vereinbart und durch die Parlamente transformiert bzw. mit dem innerstaatlichen Anwendungsbefehl versehen worden. Dies legt es nahe, die Auffassung des Kommentars zum OECD-MA 1963 in diesem Punkte angesichts der übereinstimmenden Regelung im DBA als besondere Wortbedeutung zu verstehen. In dem Kommentar wird aber entgegen der Auffassung im Gutachten nicht die Vereinbarung eines Progressionsvorbehalts für den Quellenstaat gefordert, wenn dieser eine entsprechende nationale Regelung anwenden will. In Ziffer 36 wird ausdrücklich hervorgehoben, dass die Fassung des Artikels - also einschließlich des Progressionsvorbehalts für den Wohnsitzstaat - der Anwendung der Vorschriften des innerstaatlichen Rechts über die Progression nicht vorgreift (”.. does not prejudice”). Zur Klarstellung der Zulässigkeit und Reichweite eines solchen Rechts des Quellenstaats kann es hierüber zweiseitige Verhandlungen geben („If two Contracting States wish to clarify,…they are left free to do so in bilateral negotiations.”). Klarstellung ist aber eindeutig etwas anderes als Erforderlichkeit. Vor diesem Hintergrund überzeugt auch der von Vogel gezogene Gegenschluss zum ausdrücklichen Progressionsvorbehalt nur für den Wohnsitzstaat im Abkommen nicht. Es drängt sich vielmehr ein Gegenschluss zu den Steuersatzbegrenzungen für den Quellenstaat bei Dividenden, Zinsen und Lizenzen mit dem Ergebnis auf, dass abkommensrechtlich ohne solche Begrenzungen der Quellenstaat keinerlei Einschränkungen beim Steuersatz für die ihm vollständig zur Besteuerung überlassenen Steuergüter unterliegt.
Gestützt wird die vorstehende Abkommensauslegung auch teilweise durch die im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen als völkerrechtlichen Vereinbarungen als zusätzliches Erkenntnismittel heranzuziehende Staatenpraxis oder Abkommensentwürfe internationaler Organisationen. Abzustellen ist bei der Staatenpraxis vornehmlich auf die kontinentaleuropäischen Staaten, weil für angelsächsische Staaten und von ihrem Steuerrecht beeinflusste andere Staaten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vorrangig die Anrechnungs- und nicht die Freistellungsmethode verwandt wird und sich bei jener die Frage eines Progressionsvorbehalts nicht stellt. Die Schweiz nimmt seit jeher das Recht zur Anwendung des Progressionsvorbehalts aufgrund nationalstaatlicher Regelungen auch ohne besondere Abkommensbestimmung für sich in Anspruch (vgl. die im Gutachten von Prof. Dr. Vogel angeführte Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts). Sie hat damit übereinstimmend im Revisionsprotokoll 1959 zum Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Deutschen Reich von 1931 ausdrücklich einen Progressionsvorbehalt auch für den Quellenstaat i. S. des Abkommensrecht vereinbart und dabei die Auffassung vertreten, es handele sich nur um eine Klarstellung. Wenn auch deutsche Abkommen vor dem Zweiten Weltkrieg vom Wortlaut her einen Progressionsvorbehalt nur für den Wohnsitzstaat vorsahen (etwa Nr. 19 des Schlussprotokolls zu dem Abkommen zwischen dem Deutschen Reiche und dem Königreiche Schweden zur Ausgleichung der in- und ausländischen Besteuerung, insbesondere zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der direkten Steuern vom 25. Juli 1928, Reichsgesetzblatt II, 1928, 521/529), so waren dennoch in den Arbeiten des Völkerbundes zum Doppelbesteuerungsrecht durchaus auch weitergehende Überlegungen festzustellen. Namentlich die Formulierung im Abkommensentwurf c zum Progressionsvorbehalt (Artikel 11) lässt von seinem Wortlaut durchaus bereits eine Auslegung in dem modernen Verständnis zu, dass nur die Reichweite der abkommensrechtlichen Freistellung nach anderen Normen des Abkommens klargestellt werden soll. Er lautete nämlich (hier zitiert nach Dorn, Die Entwicklung des internationalen Steuerrechts seit 1928, Steuer und Wirtschaft, Teil I Abhandlungen, 1931, 1003/1034): „Wenn in Ausführung der Bestimmungen des gegenwärtigen Abkommens einer der zwei vertragsschließenden Staaten darauf verzichtet hat, einen Bestandteil des Einkommens oder des Vermögens zu besteuern, so bleibt ihm das Recht, auf die nicht seiner Besteuerung entzogenen Steuermasse den Tarifsatz seiner Gesamteinkommensteuer oder Gesamtvermögensteuer anzuwenden, der der Gesamtheit des Einkommens oder des Vermögens des Steuerpflichtigen entspricht.”
Gegen die Höhe der angesetzten ausländischen Einkünfte sind im Klageverfahren keine Einwendungen erhoben worden. Rechtsfehler drängen sich nach Aktenlage auch nicht auf.
4. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG in der unter 3. entwickelten Auslegung verstößt nicht gegen das Grundgesetz - GG -.
4.1 Namentlich der von dem Kläger gerügte Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Artikels 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Die denkbaren Vergleichsfälle werden genauso oder entsprechend ihrer Verschiedenheit unterschiedlich behandelt. Dabei kann offen bleiben, ob die Unterschiede zwischen den schon nicht steuerbaren, aber nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG in den Progressionsvorbehalt einbezogenen Einkünften und den als Teil des Welteinkommens steuerbaren, aber womöglich durch ein Doppelbesteuerungsabkommen befreiten, jedoch nach § 32b Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative EStG in den Progressionsvorbehalt einbezogenen Einkünften nicht schon von vornherein eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen würde. Selbst wenn man darauf abstellt, dass die nicht steuerbaren Einkünfte wegen ihrer weniger intensiven Inlandsverknüpfung nicht in weitergehendem Umfang in den Progressionsvorbehalt einbezogen werden dürften als steuerbare, aber abkommensrechtlich steuerbefreite Einkünfte, liegt ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vor. Nach neuerem Rechtsverständnis werden die vergleichbaren Sachverhalte nämlich gleich behandelt.
4.1.1 Soweit ein Vergleich mit ganzjährig unbeschränkt steuerpflichtigen und auch ganzjährig abkommensrechtlich in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Personen gezogen wird, ist darauf hinzuweisen, dass entsprechend den unterschiedlichen Voraussetzungen beide Sachverhalte von Gesetzes wegen nicht gleich behandelt werden: Bei dem ganzjährig unbeschränkt Steuerpflichtigen mit Ansässigkeit in der Bundesrepublik Deutschland werden die ausländischen Einkünfte (auch) in die Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer einbezogen, während sie im Fall des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG nur im Rahmen des Steuersatzes von Bedeutung sind. Soweit nach einem Doppelbesteuerungsabkommen eine Befreiung eingreift, ist der Progressionsvorbehalt auch nach der von der Klägerseite vertretenen Auffassung aufgrund seines Vorbehalts im Abkommen von der Bundesrepublik als Ansässigkeitsstaat anzuwenden. Für die Annahme einer willkürlichen Gleichbehandlung ungleich gelagerter Sachverhalte, aus der sich gegebenenfalls ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) ergeben könnte, besteht folglich kein Ansatzpunkt (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2001 I R 63/00, a.a.O.).
4.1.2 Es liegt aber auch keine abweichende Behandlung im Vergleich zu ganzjährig unbeschränkten Steuerpflichtigen mit abkommensrechtlicher Ansässigkeit in einem ausländischen Staat vor. Auch in diesen Fällen kann nämlich die Bundesrepublik Deutschland nach geläutertem Rechtsverständnis gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative EStG den Progressionsvorbehalt anwenden.
Zur abkommensrechtlichen Zulässigkeit des Progressionsvorbehalts aufgrund einer nationalen Rechtsvorschrift gelten die vorstehenden Ausführungen unter 3. entsprechend.
Aber auch die nationale Vorschrift des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG ist dahingehend auszulegen, dass wie im Abkommensrecht das DBA den Progressionsvorbehalt nicht ausdrücklich erlauben muss, sondern ihn nur nicht verbieten darf. Eine abweichende Auslegung würde nicht genügend die geläuterte Rechtsauffassung zur Auslegung eines Progressionsvorbehalts in den Doppelbesteuerungsabkommen berücksichtigen, zu sehr auf die Gesetzesmaterialien bei der erstmaligen Einführung des § 32b EStG abstellen und auch den mit der Neufassung des § 32b EStG ansonsten angestrebten weiten Anwendungsbereich der Vorschrift außer Betracht lassen. Nachdem die Aufnahme von Progressionsvorbehalten in Doppelbesteuerungsabkommen als nur klarstellend und nicht mehr als konstitutiv eingestuft werden, § 32b Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative EStG aber erkennbar an das jeweilige Abkommen anknüpfen will, ist die neue Auslegung der nationalen Vorschrift durch den BFH zulässig, selbst wenn vom Wortlaut her eine andere Auslegung nahe liegen würde. Der Wortsinn lässt eine Auslegung der Worte ” nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung…unter dem Vorbehalt der Einbeziehung bei der Berechnung der Einkommensteuer steuerfrei sind ” in dem Sinne noch zu, dass hierfür eine Befreiung unter auch nicht ausdrücklicher Zulassung durch das Abkommen ausreicht. Auch wenn § 32b Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative EStG insoweit wörtlich den § 32b EStG aus dem Steuerreformgesetz 1974 übernimmt, zwingen die damaligen Ausführungen in der Begründung zum Gesetzentwurf nicht dazu, den heutigen Text im Sinne einer Anknüpfung an einen ausdrücklichen Progressionsvorbehalt im Doppelbesteuerungsabkommen auszulegen. Die geläuterte Rechtsauffassung über die Rechtsnatur der abkommensrechtlichen Progressionsvorbehalte ist ein vom historischen Gesetzgeber nicht gewürdigter Umstand, der bei der teleologischen Auslegung entscheidend zu berücksichtigen ist. Zudem sieht § 32b Abs. 1 Nr. 3 2. Alternative EStG für die fiktive unbeschränkte Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 3 EStG oder die Antragsveranlagung nach § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 EStG ebenfalls einen Progressionsvorbehalt vor, bei dessen Anwendung genauso Doppelbesteuerungsabkommen einschlägig sein können, aber gerade nicht an einen abkommensrechtlichen Vorbehalt angeknüpft wird, sondern es nur auf die Zulässigkeit nach dem oder den Abkommen ankommt. Vor diesem Hintergrund erscheint eine verfassungskonforme weite Auslegung von § 32b Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative EStG geradezu geboten.
4.1.3 Es liegt auch kein Gleichheitsverstoß darin, dass bei ganzjähriger beschränkter Steuerpflicht anders als in den Fällen des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG regelmäßig kein Progressionsvorbehalt anzuwenden ist. Mit dem BFH (vgl. BFH-Urteil vom 19. Dezember 2001, I R 63/00, a. a. O. m.w.N.;. FG Köln, Urteil vom 10. Dezember 2002, 7 K 1169/99, a. a. O. und FG Hamburg, Urteil vom 12. Februar 2003, V 194/98, a. a. O.) ist dafür auf die mangelnde Vergleichbarkeit von unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht nach dem EStG abzustellen. Im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht werden nur ganz bestimmte inländische Einkünfte einer Besteuerung unterworfen, bei der im Ausland gegebene Verhältnisse des Steuerpflichtigen weitgehend unberücksichtigt bleiben. Die Ausgestaltung der Besteuerung nimmt nur rudimentär auf die persönliche Leistungsfähigkeit Rücksicht. Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen bewirken in der Regel keine Steuerminderung. Auch Verlustausgleich und Verlustabzug sind nur eingeschränkt möglich. Die Einkommensteuer auf steuerabzugspflichtige Einkünfte gilt mit dem Abzug als abgegolten. Soweit nach § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 2 EStG eine Veranlagung auch hinsichtlich der Lohneinkünfte erfolgt, sieht § 32b Abs. 1 Nr. 3 2. Alternative EStG gerade die Anwendung eines Progressionsvorbehalts vor.
4.2 Auch soweit die eingeleitete Änderung der Rechtsprechung des BFH in den vorgenannten Entscheidungen auf vor dem Entscheidungszeitpunkt verwirklichte Sachverhalte angewandt wird, greifen hiergegen gerichtete verfassungsrechtliche Bedenken letztlich nicht durch (vgl. auch FG Köln, Urteil vom 10. Dezember 2002, 7 K 1169/99, a.a.O.).
Eine solche verschärfende Rechtsprechungsänderung ist zulässig. Sie wird seitens des BFH in ständiger Rechtsprechung unter Hinweis darauf praktiziert, dass der BFH im Rahmen seiner Urteile kein neues Recht schaffe, sondern vielmehr die bestehende Rechtslage nunmehr zutreffend auslege, eine andere Ansicht zu einer Erstarrung der Rechtsprechung führe sowie die notwendige Rechtsfortbildung partiell unterbinde und schließlich die - von den Klägern angeführte - Norm (§ 176 Abs. 1 Nr. 3 AO) die Zulässigkeit einer rückwirkenden steuerverschärfenden Rechtsprechung voraussetze (vgl. nur Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Juni 1984 GrS 4/82, BStBl II 1984, 751).
Wenn die geänderte Rechtsprechung entgegen der in den klägerischen Schriftsätzen anklingenden Auffassung kein neues Recht schafft, sondern nur - nunmehr zutreffend - erkennt, was immer schon geltendes Recht war, verbieten sich auch alle Überlegungen, die neue Rechtsprechung sei aus rechtsstaatlichen Überlegungen zwingend nur auf erst nach ihrem Ergehen zu erlassende Bescheide oder nicht auf zu diesem Zeitpunkt mit dem Einspruch angefochtene Bescheide anzuwenden. Vertrauensschutzgesichtspunkten ist vielmehr nur im Rahmen des § 176 AO und durch auf § 163 AO gestützte Übergangsregelungen der Verwaltung, nicht aber im Rahmen des materiellen Rechts für die Steuerfestsetzung Rechnung zu tragen.
4.3 Schließlich begründet entgegen der Argumentation des Klägers in der mündlichen Verhandlung die Anwendung des Progressionsvorbehalts und seine Ermittlung unter Einbeziehung des Arbeitslohns im Vereinigten Königreich auch nicht deswegen einen Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, weil die Lebenshaltungskosten im Vereinigten Königreich höher als im Inland sein sollen. Der Senat hat bereits Zweifel ob für die Lebenshaltungskosten außerhalb des Großraumes London ein signifikanter Unterschied bei den Lebenshaltungskosten festgestellt werden kann. Entscheidend ist, dass sich solche höheren Lebenshaltungskosten nicht in der Bemessung des Gehalts für die Tätigkeit in Nordirland niedergeschlagen haben. Der Kläger hat nämlich für die zweite Jahreshälfte bei einem Aufenthalt in Nordirland ein deutlich geringeres Entgelt erzielt als für die erste Jahreshälfte bei seinem Aufenthalt im Inland.
5. Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch nicht aus Gründen des Verfahrensrechts eine abweichende Entscheidung geboten.
5.1 Auf den Streitfall ist § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO nicht anwendbar. Der Beklagte
hat im Streitfall keinen Änderungsbescheid erlassen, so dass von daher schon die Anwendung dieser Vorschrift ausscheidet.
5.2 Die eindeutige Rechtsprechungsänderung zur Auslegung des § 32b Abs. 1 Nr.3 1 Alternative EStG führt auch im Zusammenspiel mit § 176 AO nicht dazu, dass die wortlautgetreue Auslegung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG gegen Artikel 31 GG verstößt.
Die Frage, ob § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG verstößt, hängt nur von dem Inhalt des § 32b Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative EStG, nicht aber von einer womöglich unzutreffenden früheren Auslegung der Vergleichsnorm ab. Die abweichende Rechtsauffassung des Klägers mit ihrem Ansatz einer Pflicht zur Erstreckung einer Fehlinterpretation auf verfassungsrechtlich unbedenkliche vergleichbare Gesetze würde auf eine dem GG widersprechende Verfügungsgewalt von Exekutive und Judikative über den gesetzlichen Normbestand auch für Vergleichsfälle hinauslaufen, die eben gerade nicht durch Vertrauensschutzgesichtspunkte gerechtfertigt wäre. Zum Einen kann in Erstbescheiden zu Fällen des § 32b Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative EStG die geänderte BFH-Rechtsprechung angewandt werden, weil in diesen Fällen § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO nicht eingreift. Nur mit diesen Fällen wäre der Streitfall vergleichbar, weil der Beklagte die Vorschrift des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG mit einem vergleichbaren Rechtsverständnis zum Progressionsvorbehalt von Anfang angewandt hat. Zudem würde die von dem Kläger geforderte strikte Gleichbehandlung von Fällen des § 32b Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 1. Alternative EStG auch im Verwaltungsvollzug für das Übergangsrecht relevante Unterschiede vernachlässigen. Für die praktische Anwendung des § 32b Abs. 1 Nr. 3 1. Alternative EStG bestanden mit der nunmehr geänderten BFH-Rechtsprechung und der Verwaltungsübung besondere Umstände, die Ansatzpunkt für Vertrauensschutzüberlegungen sein können. Für die im Streitfall anzuwendende neue Norm des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG bestanden solche Ansatzpunkte nicht, so dass insoweit eine unterschiedliche Behandlung im Verwaltungsvollzug bei grundsätzlicher gesetzlicher Gleichbehandlung gerechtfertigt wäre.
6. Von der Anwendung des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG in der unter 2. entwickelten Auslegung ist auch nicht im konkreten Einzelfall mit Rücksicht auf die Grundfreiheiten des primären Gemeinschaftsrechts abzusehen.
Allerdings schützen die im europäischen Gemeinschaftsrecht durch den EG-Vertrag abgesicherten Grundfreiheiten die EU-Bürger ungeachtet der fehlenden Harmonisierung auf dem Gebiet der direkten Steuern durch das sekundäre Gemeinschaftsrecht. Dies umfasst auch den Schutz davor, dass die Marktbürger nicht durch steuerrechtliche Vorschriften daran gehindert werden, von einem EU-Mitgliedsstaat in einen anderen Mitgliedsstaat zu übersiedeln, insbesondere nicht dadurch beeinträchtigt werden, dass ein Umzug von einem in einen anderen Staat der Gemeinschaft zu nachteiligen steuerlichen Folgen führt (vgl. mit Nachweisen zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Geiger, Kommentar zum EUV/EGV, 3. Auflage 2000, Artikel 39 EG-Vertrag Rdn. 15 sowie Artikel 43 EG-Vertrag Rdn. 14) bzw. intrastaatliche Vorgänge nicht anders behandelt werden als rein innerstaatliche Vorgänge (vgl. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 975).
Zwar kann sich im Streitfall der Kläger auf die Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit als Diskriminierungsverbot des Gemeinschaftsrechts berufen.
Ein Verstoß gegen diese Grundfreiheit scheidet aber deswegen aus, weil die unter 3. entwickelte Auslegung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG an den Wegzug aus dem Inland keine i. S. der Grundfreiheit als Diskriminierungsverbot relevante nachteilige steuerlichen Folgen knüpft. Unter 3.1.1 und 3.1.2 ist ausgeführt, warum es an einer unterschiedlichen Behandlung der von § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG erfassten Wechselfällen im Vergleich zur ganzjährigen unbeschränkten Steuerpflicht fehlt und damit auch im Vergleich zu einem bloßen Umzug im Inland als dem vergleichbaren rein innerstaatlichen Vorgang fehlt. Aus denselben Gründen sind auch steuerliche Nachteile bei der Anwendung der Grundfreiheit in den Wechselfällen zu verneinen.
Zur Vereinbarkeit einer Regelung wie der des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG mit den Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts ist ergänzend auf die Ausführungen von Generalanwalt Jacobs im Rahmen seiner Schlussanträge in dem Verfahren Kommission gegen Luxemburg vor dem Europäischen Gerichtshof (Rechtssache C-151/94, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts erster Instanz 1995, I-3685/3693f Tz. 24f) hinzuweisen. Danach führt nämlich ein Progressionssystem unter Einbeziehung in anderen Staaten erzielter Einkünfte in die Steuersatzermittlung nicht zu einer diskriminierenden Besteuerung der Wanderarbeiter, sondern verhindert nur eine Begünstigung im Vergleich zu den ständig Gebietsansässigen.
7. Schließlich gebietet auch das Diskriminierungsverbot des Artikels XX Abs 1 DBA- Großbritannien kein Absehen von der unter 3. entwickelten Auslegung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG.
Es fehlt bereits an der direkten Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit, die allein vom abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbot erfasst wird. Das steuerliche Ergebnis wäre gleich, wenn eine Person mit deutscher Staatsangehörigkeit aus dem Inland nach Großbritannien verzogen wäre; denn die §§ 2 Abs. 7 und 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG knüpfen nur an die von der Staatsangehörigkeit unabhängige Frage des Endes der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht innerhalb eines Kalenderjahres völlig unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Steuerpflichtigen an.
Selbst wenn man dies anders sehen würde, scheidet aber eine diskriminierende Benachteiligung aus den unter 6. dargestellten Gründen aus. Deshalb kann auch offen bleiben, ob das abkommensrechtliche oder ein anderes völkervertragliches Diskriminierungsverbot einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit zu den Marktbürgern zählenden deutschen Staatsbürgern vermittelt oder nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.