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  • 08.01.2010

    Finanzgericht München: Urteil vom 12.10.1999 – 2 K 3099/97

    1. Ein Einspruch kann nicht wirksam durch ein Telefonat mit dem zuständigen Bearbeiter beim FA eingelegt werden. Eine Erklärung des Einspruchs zur Niederschrift durch Fernsprecher ist nicht zulässig.

    2. Eine stillschweigende Wiedereinsetzung in den vorigen Stand -sollte sie im Verwaltungsverfahren überhaupt möglich sein- würde jedenfalls voraussetzen, dass aufgrund eines Wiedereinsetzungsantrags eine förmliche Entscheidung über einen verspäteten Rechtsbehelf ergangen ist, in der die Rechtzeitigkeit des Rechtsbehelfs unterstellt wurde.

    3. Eine laut ärztlichem Gutachten leichte, allenfalls mittelgradige „depressive Episode” des Steuerpflichtigen rechtfertigt keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.


    IM NAMEN DES VOLKES hat der 2. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung ..... aufgrund mündlicher Verhandlung am 12. Oktober 1999

    für Recht erkannt:

    1. Die Klage wird abgewiesen.

    2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.

    Gründe

    I.

    Streitig ist, ob die Einkommensteuerfestsetzung für 1993 entsprechend der Einkommensteuererklärung zu ändern ist.

    Die Kläger sind Ehegatten und werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Wegen Nichtabgabe der Einkommensteuererklärung setzte das Finanzamt mit Bescheid vom 18. Mai 1995 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung nach § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) die Einkommensteuer für 1993 aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen mit 18.928 DM fest. Das Finanzamt ging hierbei von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers in Höhe von 90.000 DM und der Klägerin in Höhe von 10.000 DM sowie von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 1.500 DM aus. Aufgrund einer Mitteilung über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen des Finanzamts M. wonach der Kläger 1993 aus der Grundstücksgemeinschaft W, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 2.734 DM bezogen hat, erließ das Finanzamt am 9. November 1995 einen Änderungsbescheid, in dem es unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung die Einkommensteuer auf 24.752 DM festsetzte. Es ging hierbei von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers in Höhe von 100.000 DM, der Klägerin in Höhe von 10.000 DM und von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 10.000 DM aus. Mit Schreiben vom 4. Februar 1996 teilte der Kläger dem beklagten Finanzamt mit, daß aufgrund der ihm zugegangenen Mahnungen und Steuerbescheide er sich veranlaßt sehe, eine Stellungnahme abzugeben. Er sei seit längerem zu 60 % schwerbehindert, er leide unter starken Gedächtnisstörungen und Konzentrationsschwäche, so daß er Belege und Unterlagen oft verlege, ohne sie wiederzufinden. Auch die Hinzuziehung einer Steuerberaterin habe nicht die gewünschte Entlastung gebracht. Er sei sich bewußt, daß er mit Steuererklärungen in Verzug sei und lege deshalb seine Verdienstbescheinigungen der letzten drei Jahre vor. Danach habe der Bruttolohn im Streitjahr 85.748 DM betragen, von dem 14.794 DM an Steuern einbehalten worden seien.

    Seine Frau habe ab dem Jahr 1993 keinerlei Arbeitseinkommen bezogen, sondern beziehe Altersrente. Seine Steuerberaterin werde er mit der Abfassung der Steuererklärungen für 1993 bis 1995 beauftragen. Ferner weist der Kläger auf eine Presseveröffentlichung des Bayerischen Staatsministers der Finanzen vom Januar 1996 hin. Zitat: „Legt ein Bürger gegen einen Steuerbescheid, der ihm zu hoch erscheint, Einspruch ein, so entbindet ihn dies grundsätzlich nicht von der Bezahlung des festgesetzten Betrages. Allerdings kann er gleichzeitig oder nachträglich einen Antrag auf „Aussetzung der Vollziehung” stellen. Bestehen „ernstliche Zweifel” an der Steuerfestsetzung, sind also die Einwendungen gegen die tatsächlichen oder rechtlichen Feststellungen des Finanzamtes nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, wird das Finanzamt die Vollziehung des Steuerbescheides aussetzen. Der festgesetzte Betrag braucht dann zunächst nicht gezahlt zu werden.” Da dies in seinem Fall mehr als zutreffend sei, stelle er daher diesen Antrag und erwarte die Handhabung in diesem Sinne. Mit Schreiben vom 13. Februar 1996 antwortete der Amtsvorsteher des beklagten Finanzamts dem Kläger. Er wies darauf hin, daß er nach Durchsicht der Steuerakte feststellen habe müssen, daß der Kläger seiner Verpflichtung zur Abgabe von Steuererklärungen in einigen Jahren überhaupt nicht und ansonsten jeweils nur auf Druck und mit unvertretbarer zeitlicher Verzögerung nachgekommen sei. Hierin liege auch die Ursache für die gegenwärtigen Schwierigkeiten. Nach Hinweis darauf, daß in diesen Fällen Schätzungen erforderlich sind und ein geregelter Veranlagungsbetrieb erfordere, daß die Veranlagungsarbeiten für 1993 im Frühjahr 1995 abgeschlossen würden, führt der Amtsvorsteher aus: Zitat: „Zu der Frage, wie die steuerlichen Fragen im einzelnen geregelt werden können, werden Sie gesondert informiert. Der von Ihnen beabsichtigte Weg, eine Steuerberaterin zu beauftragen, ist sicherlich richtig und würde mich freuen, wenn dieser Plan von Ihnen auch zeitnah verfolgt würde. Es ist beabsichtigt, ggf. auch von unserer Seite mit Ihrer Beraterin Kontakt aufzunehmen. Weitere Vollstreckungsmaßnahmen habe ich gegenwärtig gestoppt, womit einer Sachentscheidung aber nicht vorgegriffen sein soll.” Mit Schreiben vom 27. Februar 1996 teilte der Kläger dem Finanzamt mit, daß die Steuererklärungen für 1993 und folgende in Arbeit seien. Die Steuererklärung für 1993 werde in einigen Tagen fertiggestellt sein und dem Amt sofort zugeleitet werden. Er fährt fort: „Die Sachbearbeiterin hat zwischenzeitlich mit Frau E telefoniert und ihr mitgeteilt, daß sie vom Finanzamt M. Unterlagen erhalten habe, die sie derzeit in den Steuerbescheiden 1993 einarbeitet, der Bescheid für 1993 ansonsten endgültig sei, da ich Widerspruch versäumt hätte. Hierzu darf ich Ihnen mitteilen, daß ich seinerzeit (November 95) nur die falschen viel zu hoch angesetzten Steuerbeträge gelesen und danach sofort heftige Herzbeschwerden hatte. Ich habe also aus gesundheitlichen Gründen die volle Tragweite des Bescheides nicht erkannt bzw. erkennen können. Es wäre sicher ein Leichtes gewesen, zur Wahrung der Frist Widerspruch einzulegen, zumal beim ersten Bescheid der Sachbearbeiter, mit dem ich damals telefonierte, mich zu beruhigen versuchte und mir mitteilte, daß ich Zeit hätte, die Einkommensteuererklärung noch ohne Termindruck abzugeben. Wenn der Einkommensteuerbescheid wegen neuer Unterlagen ohnehin geändert werden muß, erscheint es mir als sicher möglich, meine Einkommensteuererklärung miteinzubeziehen und mir und Ihnen den Weg durch die in meinem Schreiben angedeuteten Instanzen zu vermeiden.”

    Mit Schreiben vom 19. März 1993 legte der Kläger dem Finanzamt ein ärztliches Attest des Dr. med. P, Arzt für Allgemeinmedizin, vom 15. März 1996 vor, wonach der Kläger seit Sommer 1995 wegen einer schweren depressiven Nervenkrankheit in seiner Behandlung sei. Der Kläger sei in diesem Zeitraum mit antidepressiven Medikamenten behandelt worden. Zitat: „Durch die Wirkung dieser Medikamente haben während der Behandlungszeit häufig Zustände von Müdigkeit, Vergeßlichkeit, Gedächtnisstörungen und eingeschränkte geistige Leistungsfähigkeit bestanden. Ich möchte sagen, daß Herr R zeitweise nicht völlig im Besitz seiner geistigen Reaktionsbereitschaft und Leistungsfähigkeit war.”

    Am 6. März 1996 ging beim Finanzamt die Steuererklärung der Kläger für 1993 ein. Der Kläger erklärte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Bruttolohn 85.748 DM, einbehaltene Lohnsteuer 14.494,42 DM, Kirchensteuer 1.959,52 DM), Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Aufsichtsrat (Verlust in Höhe von 1.470 DM), Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (Verlust 2.943 DM) und machte 1.006 DM für Maßnahmen zur Förderung des Wohnungseigentums geltend.

    Das Finanzamt behandelte das Schreiben des Klägers vom 27. Februar 1996 als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und auf Änderung der Einkommensteuerfestsetzung und lehnte beide Anträge mit Bescheid vom 8. Mai 1996 ab. Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 2. Juni 1996 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom 3. Oktober 1996 teilte der Kläger dem Finanzamt mit, daß sich sein Gesundheitszustand wesentlich verschlechtert habe und er versuchen werde, bis Ende November 1996 die Fragen im Zusammenhang mit dem Grundbesitz in M zu klären. Mit Schreiben vom 31. Januar 1997 teilte die Rechtsbehelfsstelle des Finanzamts dem Kläger ihre Auffassung über die Rechtslage mit. Mit Schreiben vom 18. Februar 1997 teilte der Kläger mit, daß er den Einspruch zugleich im Namen seiner Ehefrau aufrecht erhalte und in wenigen Tagen schriftlich näher auf die Angelegenheit eingehen werde. Mit Schreiben vom 25. März 1997 erinnerte das Finanzamt den Kläger an die Abgabe der angekündigten Stellungnahme. Mit Einspruchsentscheidung vom 27. Juni 1997 verwarf das Finanzamt den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1993 als unzulässig und wies den Einspruch gegen die Ablehnung des Antrags auf Änderung des Einkommensteuerbescheides 1993 als unbegründet zurück.

    Hiergegen richtet sich die Klage. Zu deren Begründung wird vorgetragen, daß der Amtsvorstand der Beklagten den Klägern zugesichert habe, daß der Steuerbescheid vom 9. November 1995 nachgeprüft werde. Jedenfalls hätten die Kläger die Ausführungen und die Maßnahmen des Amtsvorstandes so verstehen dürfen. Der Kläger habe in seinem Schreiben vom 4. Februar 1996 darauf hingewiesen, daß er aufgrund seelischer Erkrankung in der Zeit des Erlasses und der Zustellung des Steuerbescheides am 9. November 1995 nicht geschäftsfähig gewesen sei. Er habe jedoch angekündigt, daß nunmehr die Steuererklärung für 1993 fertiggestellt werde. Für die Kläger sei der Inhalt und die Tragweite der Steuererklärung nicht mehr nachvollziehbar gewesen. Aufgrund der Wiedervereinigung ergäben sich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, die vom Finanzamt M festzustellen seien und die für das Jahr 1993 die Besteuerungsgrundlagen nachträglich zugunsten der Kläger verändern würden. Die Einstellung der Vollstreckungsmaßnahmen und die Ankündigung, daß die von der Steuerberaterin erstellte Steuererklärung abgewartet werde, könne nur so verstanden werden, daß der Amtsvorstand nachträglich den Vorbehalt der Nachprüfung des Steuerbescheides vom 9. November 1995 wieder hergestellt habe. Ansonsten hätte für den Amtsvorstand keine Notwendigkeit bestanden, die Vollstreckungsmaßnahmen zu stoppen. Auf diese Zusicherung hätten sich die Kläger verlassen dürfen. Daß die Kläger dieses Schreiben auch so verstanden hätten, belege deren Schreiben vom 27. Februar 1996, dem das Finanzamt nicht widersprochen habe.

    Die Einspruchsfrist gegen den Steuerbescheid vom 9. November 1995 habe auch nicht zu laufen begonnen, da dieser Bescheid dem Kläger zu einem Zeitpunkt zugestellt worden sei, als dieser nicht mehr geschäftsfähig gewesen sei, zumindest nicht partiell in Behördenangelegenheiten. Dies belege das vom Kläger nachgereichte ärztliche Attest vom 15. März 1996.

    Das Schreiben vom 4. Februar 1996 sei durch die Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ausgelöst worden, als der Vollstreckungsbeamte in der Wohnung der Kläger erschienen sei. Das Schreiben vom 4. Februar 1996 sei daher als Einspruch zu werten, der aus den vorgenannten Gründen noch rechtzeitig gewesen sei. Auf diese Umstände könne sich auch die Klägerin berufen, da die Besteuerung wegen der Zusammenveranlagung nur gegen beide Kläger verbeschieden werden könne. Hilfsweise wird darauf hingewiesen, daß auch die Wiedereinsetzung ausreichend begründet und glaubhaft gemacht worden sei. Aufgrund des Schreibens des Amtsvorstehers des beklagten Finanzamts vom 13. Februar 1996 hätten die Kläger davon ausgehen können, daß ihrem Anliegen „Vorbehalt der Nachprüfung” stattgegeben worden sei. Es habe deshalb keine Veranlassung bestanden, ein Wiedereinsetzungsgesuch zu stellen. Gleichwohl sei das Schreiben vom 27. Februar 1996 als Wiedereinsetzungsgesuch zu werten, da in diesem die gesundheitlichen Gründe als Grund für den nicht fristgerechten Einspruch vorgetragen worden seien.

    Unzutreffend sei auch der Hinweis des Finanzamts, daß die Klägerin die Angelegenheit hätte in die Hände nehmen können. Sämtliche Behördenangelegenheiten seien bei den Klägern vom Kläger erledigt worden und würden dies immer noch. Aufgrund der seit Sommer 1995 bis mindestens Anfang Februar 1996 andauernden partiellen Geschäftsunfähigkeit des Klägers sei dieser auch nicht in der Lage gewesen, seiner Ehefrau eine entsprechende Vollmacht zu erteilen. Andererseits habe auch die Klägerin erst durch das ärztliche Attest von dieser partiellen Geschäftsunfähigkeit des Klägers erfahren.

    Die Kläger beantragen,

    den Einkommensteuerbescheid 1993 vom 9. November 1995 und die Einspruchsentscheidung vom 27. Juni 1997 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, über die steuerliche Veranlagung für das Jahr 1993 erneut zu entscheiden, hilfsweise den Einkommensteuerbescheid 1993 insoweit aufzuheben, als die festgesetzte Einkommensteuer 10.978 DM übersteigt.

    Das Finanzamt beantragt

    Klageabweisung

    unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung, da der Einspruch verspätet beim Finanzamt eingegangen sei und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht zu gewähren wäre.

    Eine Zusage des Amtsvorstehers sei nicht gegeben worden. Von einer partiellen Geschäftsunfähigkeit des Klägers zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Steuerbescheids vom 9. November 1995 könne nicht ausgegangen werden, da der Kläger zu dieser Zeit arbeitsfähig gewesen sei.

    Entsprechend dem Antrag der Kläger erging am 13. Juli 1998 Beweisbeschluß über die Frage, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt der Kläger geschäftsunfähig gewesen ist. Mit psychiatrischem Gutachten vom 14. September 1998 stellte der Facharzt für Nervenheilkunde, Dr. G, fest, daß dem Kläger das Vorliegen einer depressiven Episode zuzubilligen sei, allerdings ohne den Ausprägungsgrad schwer. So sei er, von vorübergehenden Krankschreibungen zur Entlastung abgesehen, die überwiegende Zeit noch arbeitsfähig gewesen, Einbußen hätten sich vorwiegend im Privatbereich gezeigt, eine pflanzliche Medikation habe sich letztlich als ausreichend erwiesen, eine stationäre Behandlung habe nie in Betracht gezogen werden müssen. Auch habe nicht in Erfahrung gebracht werden können, daß die depressive Symptomatik so weit gereicht habe, daß sie durch überwertige oder gar wahnhafte Ideen den Realitätsbezug beeinträchtigt hätte. Aus psychiatrischer Sicht könne daher für den Zeitraum vom Sommer 1995 bis Frühjahr 1996 eine depressive Episode zugebilligt werden, jedoch nur mit dem Ausprägungsgrad leicht, allenfalls mittelgradig. Für das Vorliegen weiterer psychiatrischer Störungen oder Erkrankungen habe sich kein Anhalt ergeben. Wenngleich dem Kläger Geschäftsunfähigkeit nicht zugebilligt werden könne, werde eine menschliche Härtefallsituation gesehen, welche durchaus auch für die Zukunft und den weiteren Verlauf der depressiven Erkrankung Auswirkungen haben könne. Wegen weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf das Gutachten Bezug genommen.

    Die Kläger sind der Auffassung, daß dieser Krankheitszustand ausreiche, um den im Schreiben des Klägers vom 4. Februar 1996 zu sehenden Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu begründen. Das Schreiben des Amtsvorstehers des beklagten Finanzamts vom 13. Februar 1996 könne vom Kläger als Laie nur so aufgefaßt werden, daß diesem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben worden sei. Dies ergebe sich daraus, daß der Amtsleiter ausgeführt habe, daß sein Amt zu der Frage, wie die steuerlichen Fragen im einzelnen geregelt werden könnten, den Kläger noch gesondert informieren würde. In diesem Schreiben werde also nicht der formale Vorgang abgehandelt, sondern es würden die steuerlichen Aspekte angesprochen. Zwar habe er hinzugefügt, daß damit einer Sachentscheidung nicht vorgegriffen sei, damit könne aber nicht die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gemeint gewesen sein, sondern die Entscheidung in der steuerlichen Sache.

    II.

    Die Klage ist unbegründet.

    Zweifel an der Zulässigkeit der Klage bestehen aufgrund der Feststellungen im Gutachten vom 14. September 1998 nicht. Nach § 58 Abs. 1 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) sind alle nach bürgerlichem Recht geschäftsfähigen Personen prozeßfähig. Nach § 56 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung i.V.m. § 58 Abs. 2 FGO ist die Prozeßfähigkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen. Die Prozeßfähigkeit ist Prozeßvoraussetzung und Prozeßhandlungsvoraussetzung, d. h. sie ist Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage und für die Wirksamkeit jeder einzelnen Prozeßhandlung, die von oder gegenüber den Prozeßbeteiligten vorgenommen wird.

    Das Finanzamt hat es zu Recht abgelehnt, den Einkommensteuerbescheid für 1993 zu ändern.

    Zweifel an der Wirksamkeit der Bekanntgabe gegenüber den Klägern bestehen nicht. Der Kläger hat selbst nach Vorliegen des psychiatrischen Gutachtens seine Argumentation nur noch auf Wiedereinsetzung gestützt und die Behauptung der partiellen Geschäftsunfähigkeit fallen gelassen. Dies steht auch zur Überzeugung des Senats aufgrund der ausführlichen Darstellungen im psychiatrischen Gutachten fest. Der Gutachter hat die private und berufliche Situation des Klägers sorgfältig erfaßt und insbesondere unter Bezug auf die streitgegenständlichen Vorgänge gewürdigt. Der Gutachter konnte keine Anhaltspunkte dafür finden, daß die psychopathologische Beeinträchtigung so ausgeprägt gewesen wäre, daß sie zu einer Aufhebung der freien Willensbestimmung geführt hätte. Es erscheint dem Senat überzeugend, in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, daß der Kläger im streitigen Zeitraum zumindest zeitweise noch zur Ausübung seiner Position als Aufsichtsratsmitglied und Betriebsratsmitglied der X-Bank AG fähig war.

    Die Bescheide sind auch nicht deswegen unwirksam, weil sie in Gestalt einer absurden Steuerfestsetzung an einem unheilbaren Mangel leiden würden, der sie nichtig macht. Zwar steht aufgrund der von den Klägern nachgereichten Unterlagen fest, daß die Klägerin keine Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen hat, die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit des Klägers um ca. 15.000 DM und die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung um ca. 10.000 DM zu hoch angesetzt worden sind. Es liegt jedoch im Wesen jeder Schätzung, die sich zwangsweise nur auf die Verhältnisse der Vorjahre stützen kann, daß sie insoweit ungenau ist. Aufgrund der von den Klägern vorgelegten Steuererklärung ist jedoch ersichtlich, daß die Schätzung noch an der äußersten Grenze des Möglichen liegt.

    Zutreffend hat das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung festgestellt, daß die Rechtsbehelfsfrist somit mit Ablauf des 12. November 1995 begonnen und am 12. Dezember 1995 geendet hat.

    Unstreitig ist innerhalb dieser Frist Einspruch nicht eingelegt worden. Gemäß § 357 Abs. 1 AO ist der Einspruch schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären. Ein bloßes Telefonat während der Einspruchsfrist mit dem Bearbeiter beim Finanzamt genügt nicht. Eine Erklärung zur Niederschrift durch Fernsprecher ist nicht zulässig (BFH-Urteil vom 10. Juli 1964 III 120/61 U, BStBl III 1964, 590). Erstmals mit Schreiben vom 4. Februar 1996 wandte sich der Kläger an das beklagte Finanzamt. Dieses Schreiben ist als Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für 1993 zu werten, da es hinreichend deutlich macht, daß der Kläger durch das Vorgehen des Finanzamts für das Streitjahr 1993 sich rechtswidrig behandelt fühlt und er eine Änderung dieser Festsetzung begehrt. Zwar wird in diesem Schreiben der Begriff Einspruch nicht verwendet. Die vorgenannte Absicht wird jedoch ausreichend deutlich durch die Formulierungen „aufgrund der mir ... zugegangenen ... Steuerbescheide sehe ich mich veranlaßt, hierzu eine Stellungnahme abzugeben und meiner Empörung im einzelnen Ausdruck zu verleihen.” sowie durch die Angabe des im Streitjahr 1993 tatsächlich bezogenen Bruttolohns und der einbehaltenen Steuern.

    Hinsichtlich dieses verspätet eingelegten Einspruchs wurde eine Wiedereinsetzung durch den Amtsvorsteher mit Schreiben vom 13. Februar 1996 nicht gewährt.

    Der Senat kann offen lassen, ob er sich der in der Rechtsprechung und Literatur (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Januar 1980 – 5 C 32/79, NJW 1981, 698 m.w.N.) vertretenen Auffassung anschließen würde, wonach im Verwaltungsverfahren eine stillschweigende Gewährung von Wiedereinsetzung möglich sein soll. Ein stillschweigende Wiedereinsetzung wurde angenommen, wenn aufgrund eines Wiedereinsetzungsantrages eine förmliche Entscheidung über einen verspäteten Rechtsbehelf ergangen ist, in der die Rechtzeitigkeit unterstellt wurde. So liegt der Streitfall aber gerade nicht. Das Finanzamt hat den Einspruch ausdrücklich als verspätet verworfen.

    Die vom Amtsvorsteher im Schreiben vom 13. Februar 1996 abgegebenen Erklärungen können auch unter Inanspruchnahme aller vom Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung bemühten Auslegungsvarianten nicht als Gewährung von Wiedereinsetzung verstanden werden. Bereits aus dem Betreff des Schreibens ergibt sich, daß es sich auf die Einkommensteuer 1993 und 1994 bezieht. Die Aussage „Zu der Frage, wie die steuerlichen Fragen im einzelnen geregelt werden können, werden Sie gesondert informiert” kann nicht einengend auf das materielle Steuerrecht bezogen werden, sondern umfaßt gleichermaßen auch die Fragen des Steuerverfahrensrechts. Auch die Aussage „Weitere Vollstreckungsmaßnahmen habe ich gegenwärtig gestoppt, womit einer Sachentscheidung aber nicht vorgegriffen sein soll” schließt nach dem juristischen Sprachgebrauch ein, daß die formalen Voraussetzungen für eine Sachentscheidung ebenfalls geprüft werden. Hierbei kann nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Amtsvorsteher dieses Schreiben abgefaßt hat in Bezug auf alle noch offenen Veranlagungen der Kläger.

    Der Kläger selbst hat das Schreiben des Amtsvorstehers vom 13. Februar 1996 auch nicht in dem Sinne verstanden, wie dies in der Klagebegründung vorgetragen wird. Aus dem Schreiben des Klägers vom 27. Februar 1996 ergibt sich vielmehr, daß er von der Bestandskraft des Bescheides für 1993 ausgegangen ist. Der Kläger zitiert in diesem Schreiben die Aussage der Sachbearbeiterin des beklagten Finanzamts, wonach der Bescheid für 1993 endgültig sei mit Ausnahme der Sachverhalte, die vom Finanzamt M. festzustellen sind. Wäre der Kläger nicht von der Bestandskraft der Bescheide ausgegangen, hätte es nicht des Hinweises bedurft: „Wenn der Einkommensteuerbescheid wegen neuer Unterlagen ohnehin geändert werden muß, erscheint es mir als sicher möglich, meine Einkommensteuererklärung miteinzubeziehen ...”

    Es kann dahinstehen, ob das Finanzamt dieses Schreiben zu Recht als Wiedereinsetzungsantrag gewertet hat, da Wiedereinsetzungsgründe nicht bestanden. Die Kläger waren nicht, wie dies § 110 Abs. 1 AO erfordert, ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten.

    Für die Klägerin sind keinerlei Gründe ersichtlich, wonach sie gehindert gewesen sein sollte, rechtzeitig Einspruch einzulegen. Der bloße Hinweis darauf, daß alle Behördenangelegenheiten vom Kläger erledigt würden, genügt insoweit nicht. Aus diesem Sachvortrag ergibt sich, daß die Klägerin sich insoweit des Klägers als Vertreter bedient hat. Das Verschulden eines Vertreters ist aber gemäß § 110 Abs. 1 Satz 2 AO dem Vertretenen zuzurechnen.

    Verschulden i.S. des § 110 AO ist bereits einfache Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt, wer die gebotene und ihm mögliche Sorgfalt bei der Fristwahrung außer acht läßt und dadurch die Frist versäumt, vorausgesetzt, daß er die Versäumung hätte voraussehen können und ihm ein anderes Verhalten zuzumuten war.

    Die Feststellungen des Sachverständigen im Gutachten vom 14. September 1998 untermauern, daß der Kläger im fraglichen Zeitraum weder physisch noch psychisch gehindert war, den Entschluß zu fassen Einspruch einzulegen und diesen Entschluß auch umzusetzen. Besonders deutlich wird dies auf Seite 24 des Gutachtens. Zitat: „Trotz zugestandener Behinderung war aber dennoch krankheitsbedingt die Fähigkeit, seinen Willen noch frei zu bestimmen, nicht ohne weiteres aufgehoben. Insbesondere ergab sich kein Anhalt dafür, daß z.B. durch Wahnideen der Realitätsbezug beeinträchtigt gewesen wäre. Auch kommt man nicht daran vorbei, daß er immerhin zumindest zeitweise noch zur Ausübung seiner verantwortungsvollen Position als Aufsichtsratsmitglied in der Lage war, wo ihm sicherlich auch verschiedenste Entscheidungen abverlangt wurden. Nicht zuletzt erscheinen auch die eigenen Einlassungen die Einkommensteuererklärung 1993 betreffend, er habe einfach nichts mehr sehen und hören wollen, habe darauf vertraut, Zeit zu gewinnen, wenig geeignet Geschäftsunfähigkeit zu begründen. Dabei handelte es sich eher aus einer depressiven Überforderungssituation heraus um ein Vermeidungs- und Verdrängungsverhalten, wobei er schließlich von eingetretenen Folgen unvorbereit überrascht wurde.”

    Dem Senat erscheinen diese Ausführungen schlüssig und überzeugend. Er macht sie sich daher vollinhaltlich zu eigen. In der mündlichen Verhandlung sind gegenüber dem Gutachten weder neue Aspekte zu Tage getreten, noch wurden die Feststellungen des Sachverständigen von den Klägern in Zweifel gezogen.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    VorschriftenAO 1977 § 110 Abs 1, FGO § 58 Abs 1, ZPO § 56 Abs 1, AO 1977 § 357 Abs 1