08.01.2010
Finanzgericht München: Urteil vom 11.12.2002 – 1 K 1882/02
1. Räumt ein Arbeitgeber in Zusammenhang mit der Gewährung eines niedrig verzinslichen Darlehens ein nicht handelbares Recht zur Wandelung des Darlehens in Aktien ein, fließt der geldwerte Vorteil im Unterschied zu Wandelschuldverschreibungen erst durch Ausübung des Optionsrechts zu.
2. Das FA kann einen Steuerbescheid wegen neuer Tatsachen auch bei unterbliebenen Ermittlungsmaßnahmen nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 ändern, wenn der Steuerpflichtige nachweisbar bei der Erteilung eines eigentlich weitere Ermittlungen erfordernden Hinweises gezielt mit der bei einer Massenverwaltung unvermeidlichen Unachtsamkeit des FA kalkuliert.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In der Streitsache
wegen
Einkommensteuer 1999
Solidaritätszuschlag zur Einkommensteuer 1999
hat der 1. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht …, des Richters am Finanzgericht … und des Richters am Finanzgericht… sowie der ehrenamtlichen Richter … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2002
für Recht erkannt:
1. Der ESt-Bescheid 1999 vom 16.03.2001 in Gestalt der EE vom 09.04.2002 wird dahingehend abgeändert, dass die ESt auf 2.397.462 DM = 1.225.802,86 EUR herabgesetzt wird.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu 95,5 % und der Beklagte zu 4,5 %.
3. Soweit der Beklagte die Kosten trägt, ist das Urteil für die Kläger vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstatteten Kosten der Kläger die Vollstreckung abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in der selben Höhe leisten.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger werden als Ehegatten zur Einkommensteuer (ESt) zusammen veranlagt.
Strittig ist, ob der Beklagte, das Finanzamt – FA –, bei der ESt-Veranlagung 1999 zu Recht einen geldwerten Vorteil i. H. von 4.578.095 DM bei den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit erfasste.
Die Klägerin war 1999 bei der Firma … Aktiengesellschaft (AG) als PR-Assistentin beschäftigt. Am 29.10.1999 machte sie von ihrem Wandelungsrecht aus einem am 20.10.1997 mit ihrem Arbeitgeber abgeschlossenen Darlehensvertrag Gebrauch. In diesem Vertrag hatte die Klägerin als Darlehensgeberin der AG als Darlehensnehmerin ein als Wandeldarlehen bezeichnetes Darlehen über 10.000 DM gewährt. Das mit 2 % verzinsliche Darlehen war mit einem Wandelungsrecht ausgestattet. Hiernach war die Klägerin berechtigt, erstmalig am 28.10.1999 für maximal 50 % der Darlehenssumme Darlehensteilbeträge von je 5 DM in Aktien der AG im Nennbetrag von je 5 DM zu wandeln.
Das Wandeldarlehen beruhte nach dem Geschäftsbericht der AG für 1997 auf einem Beschluss der Hauptversammlung vom 17.09.1997, der den Vorstand der AG ermächtigte, Wandelschuldverschreibungen i. H. von 750.000 DM auszugeben und diese dem Vorstand und Aufsichtsrat der Gesellschaft und allen Arbeitnehmern der Gesellschaft sowie mit ihr verbundener Unternehmen, einschließlich der Geschäftsführer dieser Unternehmen im Wege des mittelbaren Bezugsrechts anzubieten. Am 10.10.1997 hat der Vorstand in Durchführung dieses Beschlusses die Ausgabe von Inhaber-Wandelschuldverschreibungen im Gesamtbetrag von 620.000 DM an die vorstehend genannten berechtigten Personen beschlossen.
Die Beschlüsse wurden im zeitlichen Zusammenhang mit dem Börsengang der AG gefasst, deren erste Notierung am „neuen Markt” zum 30.10.1997 erfolgte.
Die am 19.01.1999 beim FA eingegangene ESt-Erklärung 1997 der Kläger enthielt keine Hinweise auf den Darlehensvertrag.
Nachdem das FA mit Bescheid vom 16.02.1999 die ESt der Kläger für 1997 erklärungsgemäß festgesetzt hatte, zeigte die Klägerin mit Schreiben vom 14.05.1999 „gemäß § 153 AO” an, die von ihr abgegebene Erklärung 1997 sei unvollständig gewesen. Sie habe von der Zeichnung eines Wandeldarlehens Gebrauch gemacht. Der Vorstand der AG habe ihr mit Schreiben vom 07.05.1999 mitgeteilt, sie habe mit der Zeichnung des Darlehens einen steuerpflichtigen Arbeitslohn i. H. von 13.473 DM erzielt. Basis hierfür sei eine Berechnung der … (Z-Bank). Darlehens vertrag, Anschreiben vom 07.05.1999 und Berechnung der Z-Bank vom 27.04.1999, auf die sämtlich Bezug genommen wird, waren als Anlage beigefügt.
Das FA änderte daraufhin mit Bescheid vom 01.07.1999 den ESt-Bescheid 1997 gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) und erfasste bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit zusätzlich den nacherklärten geldwerten Vorteil der Klägerin i. H. von 13.473 DM.
Ihrer am 31.01.2000 beim FA eingegangen ESt-Erklärung 1999 fügten die Kläger eine Anlage KSO bei, in der sie Einkünfte aus Wandelanleihen i.H. von 405 DM erklärten und auf eine Anlage verwiesen. Im anliegenden Begleitschreiben erklärten sie: „Ergänzend zu der Anlage KSO möchten wir ihnen mitteilen, dass aus den 1999 aus Wandeldarlehen bezogenen …-Aktien noch keine Dividenden zugeflossen sind.” Der Erklärung waren weiterhin zwei Kontoauszüge über den Eingang von Zinszahlungen aus der Wandelanleihe i.H. von insgesamt 405 DM beigefügt.
Das FA setzte daraufhin zunächst die ESt 1999 mit Bescheid vom 08.03.2000 im Wesentlichen erklärungsgemäß fest.
Mit Schreiben vom 14.12.2000 übersandte das FA München für Körperschaften dem FA eine nach §§ 38 Abs. 4, 41 c Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) vom Arbeitgeber erstattete Anzeige über nicht vorschriftsmäßig einbehaltene Lohnsteuer mit der Bitte um Auswertung. Aus einer beigefügten tabellarischen Aufstellung ergab sich, dass die Klägerin am 29.10.1999 einen Teilbetrag ihres Wandeldarlehens i.H. von 5.000 DM in 50.000 Aktien gewandelt hatte. Die Kursspanne betrug am Wandelungstag 45,03 bis 47,20 EUR. Unter Berücksichtigung eines Kurswertes von 47,20 EUR und Anschaffungskosten von 37.405 DM errechnete das FA hieraus einen geldwerten Vorteil von 4.578.095 DM und teilte den Klägern eine entsprechend beabsichtigte Änderung des ESt-Bescheides 1999 mit.
Hierzu nahmen die Prozessbevollmächtigten der Kläger mit Schreiben vom 22.01.2001 Stellung und vertraten die Auffassung, das FA sei – unabhängig von der Frage, ob es sich bei dem vermeintlichen geldwerten Vorteil um steuerpflichtige Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit handele – aus verfahrensrechtlichen Gründen gehindert, den Steuerbescheid 1999 zu ändern.
Mit Bescheid vom 16.03.2001 führte das FA daraufhin die angekündigte Änderung gem. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO durch.
Hiergegen legten die Kläger zunächst Sprungklage beim Finanzgericht ein, die gem. § 45 Abs. 1 und 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) als Einspruch behandelt wurde.
Zur Begründung berufen sie sich darauf, zum einen seien die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht gegeben, zum anderen führe die Ausübung des Wandelanspruchs nicht zu einer „Endbesteuerung”.
Der Einspruch blieb erfolglos. Auf die Einspruchsentscheidung vom 09.04.2002 wird Bezug genommen.
Zur Begründung ihrer Klage führen die Kläger aus, das FA habe von allen für den Besteuerungstatbestand des § 19 EStG relevanten Tatsachen Kenntnis gehabt. Hierzu verweisen sie auf die im Rahmen der ESt-Veranlagung 1997 erstattete Anzeige vom 14.05.1999 und ihre Angaben über die Ausübung des Wandelungsrechtes in der ESt-Erklärung 1999. Selbst wenn diese Angaben nicht ausreichend gewesen sein sollten, ergebe sich unter Heranziehung der Grundsätze von Treu und Glauben keine Änderungsmöglichkeit nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, da das FA zum einen seiner Ermittlungspflicht aufgrund der gegebenen Angaben nicht nachgekommen sei, zum anderen durch die Durchführung der Anfangsbesteuerung im ESt-Bescheid 1997 einen Vertrauenstatbestand gesetzt habe.
Materiell-rechtlich vertreten die Kläger weiterhin die Auffassung, bei Wandeldarlehen erfolge keine Endbesteuerung. Die Wandelschuldverschreibung (§ 221 Aktiengesetz) unterscheide sich grundlegend von isolierten Stock-Options, da die Wandelung keinen Tauschvorgang darstelle und daher die Begebung der Schuldverschreibung und die spätere Ausgabe der Aktien steuerlich einen einheitlichen Rechtsvorgang darstelle (Hinweis auf Urteile des Reichsfinanzhofs – RFH – vom 28.04.1944 I 21/44, RFHE 54, 128 und des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 28.01.1976 IV R 209/74, BFHE 118/26, BStBl II 1976, 228, OFD Frankfurt, BB 1995, 1345). Das wirtschaftliche Eigentum an dem Wirtschaftsgut gehe damit schon bei Zeichnung und nicht erst bei Wandelung über, da das in Ausübung der Wandelung hingegebene Forderungsrecht mit der erhaltenen Aktie wirtschaftlich identisch sei (Hinweis auf Eisolt/Wickinger, BB 2001, 122, 126). Wandeldarlehen seien daher Wandelschuldverschreibungen gleichzustellen.
Zu keinem anderen Ergebnis führe die vom FA angeführte Entscheidung des 10. Senats des FG München (Urteil vom 24.06.1999, 10 K 3851/94, EFG 2000, 494, Rev. BFH VI R 124/99), da es dabei um eine Art. Missbrauchsrechtsprechung handele, die keine Ähnlichkeit zum vorliegenden Fall aufweise.
Ergänzend wird auf die Klagebegründung vom 23.04.2002 und die weiteren Stellungnahmen vom 30.08. und 26.11.2002, in denen die Kläger auch zu einer bei der AG durchgeführten Kapitalerhöhung und einem Aktiensplit Stellung nehmen, Bezug genommen.
Das FA vertritt die Auffassung, die Kläger seien ihrer Mitwirkungspflicht nicht in zumutbarem Umfang nachgekommen. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Kläger den Sachverhalt bewusst nicht vollständig und eindeutig erklärt hätten. Immerhin falle auf, dass sich in mehreren vergleichbaren Streitfällen von Arbeitnehmern der AG mit den hier vorliegenden absolut identisch formulierte Texte zur Information des FA bei den Akten befänden.
In der mündlichen Verhandlung vom 11.12.2002 bestand Übereinstimmung zwischen den Beteiligten, dass für die Berechnung eines Wandelungsertrags nicht der höchste, sondern der niedrigste Börsenkurswert (45,03 EUR statt 47,20 EUR) zugrunde zu legen ist. Außerdem wies der Vertreter des FA darauf hin, dass eine Tarifermäßigung nach § 34 EStG in Frage käme. Ergänzend wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 11.12.2002 Bezug genommen.
Die Kläger beantragen,
den Änderungsbescheid für 1999 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 16.03.2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 09.04.2002 aufzuheben; hilfsweise die vorgenannten Änderungen zur Höhe und zum Tarif zu berücksichtigen; hilfsweise die Revision zuzulassen.
Da FA beantragt,
die Klage über die zugestandenen Änderungen zur Höhe und zum Tarif hinaus abzuweisen; hilfsweise die Revision zuzulassen.
Gründe
II.
Die Klage ist lediglich zu einem geringen Teil begründet. Das FA hat den ESt-Bescheid 1999 zu Recht gem. § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert und den Zufluss eines geldwerten Vorteils aus der Ausübung des Wandelungsrechts bejaht. Hierbei hat es jedoch den Vorteil der Höhe nach unzutreffend berechnet.
1. Änderung nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO
Ein Steuerbescheid ist nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu ändern, soweit Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Die Änderung eines Bescheides ist nach Treu und Glauben ausgeschlossen, wenn dem FA die nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre. Allerdings muss der Steuerpflichtige dann seinerseits seine Mitwirkungspflicht erfüllt haben. Bei der Bestimmung und Begrenzung der Ermittlungspflicht des FA kommt es wesentlich auf die Angaben des Steuerpflichtigen und insbesondere darauf an, ob damit der steuerlich relevante Sachverhalt richtig, vollständig und deutlich dem FA zur Prüfung unterbreitet worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 15.10.1998 IV R 18/98, BFHE 187, 250, BStBl II 1999, 286 unter 3 b). Liegt sowohl eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FA als auch eine Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Steuerpflichtigen vor, so sind die beiderseitigen Pflichtverletzungen grundsätzlich gegeneinander abzuwägen (BFH-Urteil vom 11.11.1987 I R 108/85, BFHE 151, 333, BStBl II 1988, 115).
Als „neue Tatsache” stellt sich im Streitfall der Anfall von Lohneinkünften aus der Ausübung eines Wandelungsrechts dar. Der zu beurteilende Sachverhalt wurde dem FA erst durch die vom FA München für Körperschaften übersandte Kontrollmitteilung bekannt. Bei nachträglicher Würdigung hätten die von den Klägern zum Gesamtkomplex „Zeichnung eines Wandeldarlehens” gegebenen Erläuterungen zwar durchaus frühere Ermittlungsmaßnahmen des FA veranlassen können. Ein Steuerbescheid darf jedoch nur dann nicht nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO geändert werden, wenn die Finanzbehörde seine Unrichtigkeit zu verantworten hat, weil es auf ihrem Fehlverhalten beruht, dass diesem Steuerbescheid falsche Tatsachen zugrunde gelegt worden sind, und ihr folglich der Vorwurf der Treuwidrigkeit gemacht werden müsste, wenn sie ihn nachträglich korrigieren wollte. Ein derartiges Fehlverhalten besteht jedoch nur bezüglich Ermittlungsmöglichkeiten, die sich dem FA bei Beachtung des § 88 AO und Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ohne weiteres hätten aufdrängen müssen (vgl. BFH-Urteile vom 12.07.2001 VII R 68/00, BFHE 196, 317, BStBl II 2002, 44 und vom 20.12.1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585/589). Ein Fehlverhalten des FA, das vor allem durch eine unzureichende Erfüllung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen (§ 90 AO) veranlasst ist, steht einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht entgegen. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat anschließt, dass eine Bescheidänderung trotz Ermittlungsverstößen des FA nicht gegen Treu und Glauben verstößt, wenn ein Steuerpflichtiger bewusst irreführende, missverständliche oder unvollständige Angaben macht und so das FA von weiteren Ermittlungen abhält (vgl. FG München Urteil vom 23.05.2001 1 K 4426/99, Rev. IX R 39/01, Entscheidungen der Finanzgerichte, EFG 2001, 1173 m.w.H.).
Hiervon ist im Streitfall auszugehen.
Die Klägerin hatte erstmals nach bestandskräftiger ESt-Veranlagung 1997 mit Schreiben vom 14.05.1999 dem FA die Zeichnung eines Wandeldarlehens und einen hierbei entstandenen geldwerten Vorteil i.H. von 13.473 DM (234,73 % des Darlehensbetrages) angezeigt. Die zum Nachweis vorgelegten Unterlagen dienten offensichtlich dazu, das Finanzamt ohne Ermittlungen zu einer entsprechenden „Anfangsbesteuerung” zu veranlassen. Weitere dem Senat vorliegende Fälle zeigen ein entsprechendes Verhalten anderer Mitarbeiter der AG. In einem an den Präsidenten der Oberfinanzdirektion München gerichteten Schreiben vom 10.07.2000 beschwert sich ein Arbeitskollege der Klägerin im – am selben Tag vom Senat entschiedenen – Verfahren 1 K 1365/01 darüber, dass das FA für 28 Mitarbeiter eine Anfangsbesteuerung genehmigt habe und lediglich bei ihm (und einem weiteren Mitarbeiter) auf einer Endbesteuerung bestehe. Dies zeigt die Wirkung des als „Köder” erklärten geldwerten Vorteils mit einem der Höhe nach völlig unrealistischen Schätzwert. Die tatsächliche rechtliche Problematik wird erstmals in einer von den Klägervertretern als Beauftragte der AG beim Finanzamt München für Körperschaften mit Schreiben vom 07.07.1999 beantragten Lohnsteueranrufungsauskunft dargestellt, nach Durchführung geänderter ESt-Veranlagungen der Arbeitnehmer für 1997. Die sukzessive bruchstückweise Sachverhaltsdarlegung in allen gleichgelagerten Fällen mit ihrer offenbar gezielten Unvollständigkeitstaktik wird auch dadurch deutlich – und bedenklich im Licht der Mitwirkungspflicht –, dass sich die Klägervertreter zu jener Zeit schwerpunktmäßig mit dieser Problematik befasst hatten, wie mehrere Vorträge anlässlich der steuerrechtlichen Jahresarbeitstagung der Fachanwälte für Steuerrecht vom 25. bis 27. Mai 1998 belegen. Insbesondere der auf Seite 590 ff des Jahrbuchs der Fachanwälte für Steuerrecht 1998/1999 von einem Kanzleimitglied erörterte Grundfall deckt sich mit dem Streitfall.
In einem nächsten Schritt wurde dem FA bei einer frühzeitigen Abgabe der ESt-Erklärung 1999 zu Beginn des Jahres 2000 an unverfänglicher Stelle – nämlich bei den Kapitaleinkünften – die Ausübung der vertraglichen Wandelungsrechte mitgeteilt. Auch hier lässt sich aus den dem Senat vorliegenden Fällen ein abgestimmtes Handeln der Mitarbeiter der AG ableiten. Im Rahmen eines dem Streitfall entsprechenden Aussetzungsverfahrens (8 V 3860/01) wurde die Kopie des antragsgemäß geänderten Steuerbescheides 1997 mit einem an seinen Berater gerichteten Vermerk des Antragstellers „… bitte kurze Rücksprache wegen der nächsten Schritte …” vorgelegt. Der von den Klägern als Beiblatt zur eigentlich überflüssigen Anlage KSO (vgl. auch Abgabe der Erklärung 1997 ohne Anlage KSO und bloßem Ankreuzen: Einnahmen unter 12.000 DM) gegebene Hinweis „dass aus den 1999 aus Wandeldarlehen bezogenen …/-Aktien noch keine Dividenden zugeflossen sind” hätte zwar im Zusammenhang mit den 1997 gegebenen Erläuterungen Anlass für Ermittlungsmaßnahmen des FA geboten. Zugleich erfüllt dieser Hinweis jedoch keinesfalls die an eine umfassende Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen zu stellenden Anforderungen. Allein die Verbindung dieser Angaben mit der für die Veranlagung unerheblichen Anlage KSO lässt bereits erkennen, dass hier mit der in einer Massenverwaltung unvermeidlichen Unachtsamkeit bei der Bearbeitung kalkuliert wird. Zudem ergeben sich aus diesem Hinweis keinerlei konkrete Angaben über Zeitpunkt und Umfang der Wandelung. Zu keiner Zeit wurde das FA von den vorgenommenen Kapitalerhöhungen und dem Aktiensplit verständigt, Maßnahmen, die letztlich dazu führten, dass aus ursprünglich 200 Aktien pro 1000 DM Darlehen zum Zeitpunkt der Wandelung 10.000 Aktien geworden waren.
Darüber hinaus ist bei einer Abwägung unterbliebener Ermittlungsmaßnahmen des FA mit der Erfüllung der den Klägern obliegenden Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen, dass den Klägervertretern bereits vor der frühzeitigen Abgabe der irreführenden ESt-Erklärung 1999 anlässlich eines Telefonats mit der Oberfinanzdirektion München am 11.11.1999 der rechtliche Standpunkt der Lohnsteuerreferenten der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder zur Behandlung von Optionsrechten mitgeteilt worden war (vgl. Aktenvermerk vom 12.11.1999 unter dem Az. S 2334 – 359 St 417 Ref. St 417). Gleichwohl wurde erst mit am 26.04.2000 beim FA München für Körperschaften eingegangenem Schreiben vom 11.04.2000 – also zu einem Zeitpunkt, als die gewünschte Veranlagung der Kläger (und der weiteren Mitarbeiter) für 1999 bereits erfolgt war – für den Arbeitgeber – Anzeige über den unterbliebenen Lohnsteuerabzug anlässlich der Ausübung der Wandelung erstattet.
Unter Beachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalles sind die Kläger daher nach Auffassung des Senats der ihnen obliegenden Mitwirkungspflicht nur unzureichend nachgekommen, so dass das FA die Änderung nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO unabhängig von eigenen Ermittlungsfehlern durchführen konnte.
Des Weiteren steht auch die für 1997 vorgenommene „Anfangsbesteuerung” im Hinblick auf das Prinzip der Abschnittsbesteuerung einer Änderung der Veranlagung 1999 nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht entgegen. Korrekturmöglichkeiten eröffnet insoweit § 174 AO.
2. Optionsrechtsausübung und Arbeitslohnzufluss.
a) Zufluss von Arbeitslohn aus der Ausübung von Optionsrechten.
Wird einem Arbeitnehmer im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses ein nicht handelbares Optionsrecht auf den späteren Erwerb von Aktien seines Arbeitgebers zu einem verbilligten Übernahmepreis eingeräumt, wird dadurch zwar – unstreitig – die Grundlage für die Gewährung von Arbeitslohn i. S.v. § 19 Einkommensteuergesetz (EStG) gelegt. Damit ist jedoch nach der Rechtsprechung des BFH noch kein aktueller Zufluss eines geldwerten Vorteils verbunden (keine Anfangsbesteuerung). Ein solcher Vorteilszufluss konkretisiert sich vielmehr erst im Zeitpunkt der Ausübung des Optionsrechts (sog. Endbesteuerung; vgl. Urteile des BFH vom 24.1.2001 I R 100/98, BFHE 195, 102, BStBl II 2001, 509 und vom 20.6.2001 VI R 105/99, BFHE 195, 395, BStBl II 2001, 689). Der geldwerte Vorteil bemisst sich in diesem Falle nach der Höhe des Preisnachlasses zu diesem Zeitpunkt.
b) Rechtslage bei Wandelschuldverschreibungen.
Andererseits sollen nach wohl herrschender Meinung Vorteile aus der Gewährung von Wandelschuldverschreibungen i. S.v. § 221 Aktiengesetz regelmäßig nicht erst im Zeitpunkt der Ausübung des Wandelungsrechts als Arbeitslohn zufließen, sondern bereits im Zeitpunkt des Erwerbs der Schuldverschreibung und zu dem zu diesem Zeitpunkt zu bestimmenden Wert. Dies wird damit begründet, dass der Schuldverschreibungsgläubiger bereits mit dem Erwerb der Schuldverschreibung ein festes wertpapiermäßig verbrieftes Recht auf den Erwerb der Aktien erlange mit der Folge, dass es sich bei der Begebung von Schuldverschreibungen und der späteren Lieferung der Aktien um einen einheitlichen Rechtsvorgang handele und die Ausübung des Optionsrechts weder zu einem Tausch führe noch eine Aufrechnung einer Forderung gegen eine Einlageschuld darstelle (Identität der Wertpapiere; vgl. Urteile des RFH vom 24.8.1944 I 21/44, RFHE 54, 128 – keine Gewinnrealisierung durch die Wandelung – im Anschluss an das zur Gesellschaftsteuer ergangene Urteil vom 5.7.1929 II A 9/29, RFHE 25, 264; zum Arbeitslohnzufluss Urteil des Finanzgerichts München vom 24.6.1999 10 K 3851/94, EFG 2000, 405 mit abweichendem Ergebnis für den dort entschiedenen Sonderfall und Beschluss des Finanzgerichts Düsseldorf vom 11.4.2001 3 V 6028/00 A (L), EFG 2001, 671; vgl. auch Urteile des BFH vom 28.1.1976 IV R 209/74, BFHE 118, 26, BStBl II 1976, 288 zur wirtschaftlichen Identität im Zusammenhang mit der Anlagedauer nach § 6 b Abs. 4 Satz 2 EStG und vom 30.11.1999 IX R 70/96, BFHE 190, 425, BStBl II 2000, 262 zum Umtausch von variabel verzinslichen in fest verzinsliche Anleihen – keine neue Anschaffung i. S.v. § 23 EStG –, jeweils unter Verweisung auf die o.g. RFH – Urteile; zu Arbeitslohn auch Eisolt/Wickinger in Betriebsberater 2001, 122, Leopold in Finanzrundschau 2000, 1332, Kessler/Strnad Information 2000, 486; a.A. Haas/Pötschan in DStR 2000, 2018; für die steuerliche Behandlung bei der ausgebenden Kapitalgesellschaft BFH-Urteil vom 21.2.1973 I R 106/71, BFHE 109, 22, BStBl II 1973, 460; vgl. auch zu Kapitaleinkünften aus Umtauschanleihen BMF-Schreiben vom 24.5.2000 IV C 1 – S 2252 – 145/00, DStR 2000, 1227 und vom 2.3.2001 IV C 1 – S 2252 – 56/01, BStBl I 2001, 206).
c) Keine Gleichstellung von Wandeldarlehen mit Wandelschuldverschreibungen.
Der Senat lässt dahingestellt, ob er der Rechtsprechung des RFH folgen könnte, wenn die Klägerin im Streitfall wertpapiermäßig verbriefte Wandelschuldverschreibungen der AG erworben hätte, wie dies nach dem Beschluss der Hauptversammlung vom 17.9.1997 möglich gewesen wäre. Dieser Beschluss wurde jedenfalls in dieser Form nicht verwirklicht. Die Klägerin hatte im Streitfall keine Wandelschuldverschreibungen erworben, sondern nur im Zusammenhang mit der Gewährung eines niedrig verzinslichen Darlehens ein Recht zum Umtausch (zur „Wandelung”) des Darlehens in Aktien der AG in einem vorbestimmten Verhältnis von 5 DM Darlehensbetrag zu jeweils einer Aktie im Nennbetrag von ursprünglich ebenfalls 5 DM vereinbart. Entgegen der Rechtsauffassung der Kläger und der AG kann die beim Erwerb verbriefter Wandelschuldverschreibungen angenommene Identität mit den später durch Wandelung erworbenen Aktien nicht auf den Streitfall der Einräumung eines Wandelungsrechts im Zusammenhang mit einer Darlehensgewährung übertragen werden. Die Sachverhalte unterscheiden sich in der rechtlichen und wirtschaftlichen Beurteilung so erheblich, dass sie steuerlich nicht gleichzustellen sind.
Wandelschuldverschreibungen im Sinne der RFH – Rechtsprechung sind handelbare und börsenfähige Wertpapiere, die kraft Gesetzes das Recht auf den Umtausch in Aktien enthalten. Ihr Wert verändert sich laufend mit dem Wert des Wandelungsrechtes, der von Anfang an durch die Kursentwicklung der eintauschbaren Aktien mitbestimmt wird. Allein diese wirtschaftliche Verknüpfung rechtfertigt es, von der Anschaffung identischer Wertpapiere zu einem einheitlichen Anschaffungszeitpunkt bereits bei Anschaffung der Wandelschuldverschreibungen auszugehen.
Diese Identität ist bei einem mit einem Wandelungsrecht verbundenen Darlehensvertrag zumindest dann nicht gegeben, wenn in dem Vertrag vorgesehen ist, dass die Rechte aus dem Darlehen grundsätzlich personenbezogen und nicht handelbar sind. Über die Differenz zwischen den vereinbarten und den üblichen Zinsen hinaus erfolgt zunächst keine marktübliche Bewertung des vereinbarten Wandelungsrechtes. Unabhängig von der Höhe des Zinssatzes erhält der Wandelungsberechtigte durch die Einräumung des Wandelungsrechtes noch keinen bewertbaren und realisierbaren Vorteil. Während der Laufzeit des Darlehensvertrages bleibt die Wertentwicklung der eintauschbaren Aktien unberücksichtigt und findet einen bewertbaren Niederschlag in dem Wandelungsrecht erst bei dessen Ausübung.
Entsprechend diesen wirtschaftlichen Unterschieden verfolgen Wandelschuldverschreibungen und „Wandeldarlehen” auch unterschiedliche Zielsetzungen. Eine Wandelschuldverschreibung i. S. der vorgenannten Rechtsprechung dient regelmäßig der Kapitalbeschaffung auf dem allgemeinen Kapitalmarkt. Der Wert des Wandelungsrechtes ist hierbei bereits Bestandteil des Emissionskurses. Im Gegensatz dazu haben Umtauschrechte in langfristigen Darlehensverträgen mit Mitarbeitern, die an bestehende Arbeitsverhältnisse gebunden sind, in erster Linie eine betriebs- und sozialpolitische Zielsetzung. Gerade im Zusammenhang mit einem Börsengang eröffnet sich hierdurch die Möglichkeit, Arbeitnehmer langfristig an ein Unternehmen zu binden und ihnen gleichzeitig über das nicht beeinflussbare öffentliche Zuteilungsverfahren hinaus Beteiligungsmöglichkeiten am Unternehmen anzubieten.
Im Streitfall bewirkte daher die Klägerin erst durch Ausübung ihres Optionsrechts am 29.10.1999 die Realisierung eines geldwerten Vorteils. Durch den Umtausch ihrer Darlehensforderung i.H. von 5.000 DM in 50.000 Aktien, die im Anschluss daran zum marktüblichen Preis an der Börse verkauft werden konnten, floss der Klägerin am 29.10.1999 ein geldwerter Vorteil i. H. der Differenz zwischen dem Börsenkurs der erworbenen Aktien an diesem Tage und dem anteiligen Darlehensbetrag sowie weiteren Aufwendungen zu. Der Fall ist unabhängig von der Darlehensverknüpfung der BFH-Rechtsprechung zu Aktienoptionen gleich zu stellen und nicht der Rechtsprechung zum Umtausch identischer Wandelungspapiere. Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird im Übrigen nur noch bestätigt durch die von der AG bzw. der Klägerin nachgereichte und trotz besserer Erkenntnis zum Erstellungszeitpunkt 27.04.1999 völlig unrealistische Anfangswerteermittlung des Optionsrechts durch die Z-Bank.
3. Vorteilsberechnung.
Hinsichtlich der Höhe des geldwerten Vorteils und der Gewährung der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG ist die Klage mit dem Hilfsantrag begründet.
a) Niedrigster Börsenkurs / Wegfall der Darlehensforderung.
Entsprechend § 19 a Abs. 8 Satz 2 EStG ist für die Berechnung des Wertes der von der Klägerin durch die Ausübung des Optionsrechtes erworbenen Aktien nicht der vom FA zu Grunde gelegte Börsenschlusskurs, sondern der niedrigste Börsenkurs am 29.10.1999 in Höhe von 45,03 EUR anzusetzen (vgl. ebenso zu Umtauschanleihen BMF-Schreiben vom 27.11.2001 IV C 3 – S 2256 – 265/01, BStBl I 2001, 986, Rdn 52 und OFD Frankfurt a.a.O). Der der Klägerin zugeflossene geldwerte Vorteil vermindert sich daher pro Aktie um 4,24 DM (2,17 EUR). Hieraus ergibt sich einen Gesamtminderung des geldwerten Vorteil von bislang 4.578.095 DM um 212.000 DM (50.000 × 4,24 DM) auf 4.366.095 DM.
b) Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG.
Bei den der Klägerin im Streitjahr zugeflossenen geldwerten Vorteilen handelt es sich um Vergütungen für einen mehrjährige Tätigkeit i. S. von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG, auf welche die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG anwendbar ist. Das der Klägerin im Darlehensvertrag eingeräumte Optionsrecht beinhaltet ebenso wie die alleinige Einräumung von Aktienoptionsrechten eine Entlohnung für zukünftige Leistungen. Da das Optionsrecht erstmals nach einer 2jährigen Sperrfrist ausgeübt werden kann, liegt auch eine tarifbegünstigte Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit vor (vgl. BFH-Urteil in BFHE 195, 102, BStBl II 2001, 509).
Gründe, die der Anwendung des § 34 EStG entgegen stehen könnten (jährliche Einräumung entsprechender Optionsmöglichkeiten, schädliche gestaffelte Ausübung der Optionsmöglichkeit über mehrere Veranlagungszeiträume – vgl. FG München Urteile vom 18.09.2001 12 K 2996/01, EFG 2002, 134 und vom 24.10.2001 1 K 5201/99, EFG 2002, 276) sind nicht ersichtlich.
4. Die ESt 1999 berechnet sich wie folgt:
zu versteuerndes Einkommen bisher | 4.822.107 | DM |
Minderung geldwerter Vorteil | 212.000 | DM |
neues zu verst. Einkommen | 4.610.107 | DM |
ESt lt. Splittingtabelle unter Berücksichtigung der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG für Einkünfte der Klägerin i. H. von 4.366.095 DM: | 2.397.462 | DM |
5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 136 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO), die Entscheidung der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. mit den §§ 708, Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
6. Die Revision war im Hinblick auf die höchstrichterlich zu klärende Frage der Anfangs- oder Endbesteuerung bei Aktienoptionen in Zusammenhang mit Darlehensverträgen zuzulassen (Fall von grundsätzlicher Bedeutung i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).