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  • 08.11.2022 · IWW-Abrufnummer 232179

    Finanzgericht Hamburg: Gerichtsbescheid vom 14.02.2021 – 6 K 179/19

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Hamburg

    14.02.2021


    Tatbestand

    Streitig ist die Frage der Besteuerung von Einkünften aus unselbständiger Arbeit bei einem Piloten, der seinen Wohnsitz in der Schweiz hat und von A aus arbeitet.

    Der Kläger, ein Pilot, ist Schweizer Staatsbürger und hat seinen Wohnsitz in der X-Straße, B, Schweiz. Er ist bei der C AG angestellt und sein Arbeitsort liegt nach arbeitsrechtlicher Zuordnung in A. Der Kläger flog im Streitjahr 2017 ausschließlich Interkontinental-/Langstreckenflüge. Die Flugeinsätze erstreckten sich stets über mehrere Tage.

    Die Arbeitgeberin behielt im Streitjahr 2017 eine Lohnsteuer in Höhe von ... Euro ein und führte sie an den Beklagten ab.

    Mit Antrag vom 30. Juli 2018 beantragte der Kläger die Erstattung von zu viel einbehaltener Lohnsteuer. Er, der Kläger, sei ein typischer Grenzgänger im Sinne des Art. 15a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl. II 1972, S. 1021, in Kraft getreten am 29. Dezember 1972, zuletzt geändert durch Art. 5 des Protokolls vom 27. Oktober 2010, BGBl. 2011, S. 1090, 1093 - DBA-Schweiz). Er wohne in der Schweiz und reise nach seinen Flugeinsätzen etc. dorthin zurück. Zudem erinnerte er mit Schreiben vom 23. August 2018 daran, dass Verwaltungsakte an die inländische Zustellungs- und Empfangsbevollmächtigte in München gesandt werden sollten.

    Der Beklagte lehnte den Antrag zunächst mit Bescheid vom 23. August 2018 ab, den er an den Bevollmächtigten in der Schweiz versandte. Der Bevollmächtigte teilte daraufhin mit E-Mail vom 14. September 2018 mit, dass nach seinem Kenntnisstand eine Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes in der Schweiz nicht zulässig sei. Falls erforderlich, rege er an, den Ablehnungsbescheid nochmals an die inländische Zustellungs- und Empfangsbevollmächtigte bekanntzugeben.

    Der Beklagte lehnte den Antrag auf Erstattung daraufhin nochmals mit Bescheid vom 19. September 2018 ab, den er an den inländischen Bevollmächtigten übersandte. Zur Begründung führte er aus: Vergütungen für eine unselbständige Arbeit, die an Bord eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr ausgeübt werde, seien in dem Land zu versteuern, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befinde. Das DBA-Schweiz sei aufgrund der geschlossenen Konsultationsvereinbarungen zu dem Abkommen nicht anzuwenden.

    Der Kläger legte am 22. Oktober 2018 Einspruch ein. Zur Begründung führte er aus, er sei als Grenzgänger im Sinne von Art. 15a DBA-Schweiz einzuordnen, weil er, der Kläger, in der Schweiz wohne, in Deutschland arbeite und regelmäßig nach Arbeitsende an seinen Wohnsitz zurückkehre. Die 60-Tage Nichtrückkehrergrenze sei nicht überschritten. Der Teil der Konsultationsvereinbarungen, auf die sich der Beklagte stütze, stehe in Widerspruch zum DBA-Schweiz. Art. 15a DBA-Schweiz gehe nach seinem Wortlaut Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz vor. Grenzmarke für das richtige Abkommensverständnis könne aber immer nur der Abkommenswortlaut sein.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 2019 wies der Beklagte den Einspruch zurück. Unstreitig seien 25 Nichtrückkehrertage zu berücksichtigen. Streitig sei aber, ob es sich bei mehrtägigen Flugreisen um eine Arbeitseinheit handele. Dies sei nicht der Fall, denn bei Interkontinentalflügen seien Ruhezeiten vorgeschrieben und mit diesen ende die berufliche Tätigkeitsausübung. Um die Ruhezeiten einhalten und den Rückflug rechtzeitig antreten zu können, habe der Kläger nach getaner Arbeit aus beruflichen Gründen außerhalb des Ansässigkeitsstaates verbleiben müssen. Damit ergäben sich 2017 insgesamt 68 Nichtrückkehrertage. Selbst wenn die Voraussetzungen von Art. 15a DBA-Schweiz vorliegen würden, bestimme sich das Besteuerungsrecht nach Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz und nicht nach Art. 15a DBA-Schweiz. Danach stehe das Besteuerungsrecht Deutschland zu, weil dort der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Arbeitgebers liege.

    Der Kläger hat am 11. Juni 2019 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus: Er sei als Grenzgänger zu qualifizieren, so dass der Beklagte lediglich ein Recht auf den Einbehalt der Quellensteuer in Höhe von 4,5 % habe. Da der Beklagte den Lohnsteuerabzug unter Anwendung der Lohnsteuerklasse I vorgenommen habe, habe er, der Kläger, einen Erstattungsanspruch hinsichtlich der zuviel einbehaltenden Lohnsteuer in Höhe von ... Euro und des Solidaritätszuschlags in Höhe von ... Euro.

    Art 15a DBA-Schweiz gehe Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz vor. Es sei eine lex specialis Regelung für Grenzgänger. Etwaige Verwaltungsvorschriften seien für die Gerichte nicht bindend. Im bindenden Verhandlungsprotokoll zum Änderungsprotokoll vom 18. Dezember 1991 (BStBl. I 1993, 929) heiße es, dass die Annahme einer Rückkehr an den Wohnsitz nicht dadurch ausgeschlossen werde, dass sich die Arbeitsausübung bedingt durch betriebliche Umstände - z.B. Schichtarbeit - über mehrere Tage erstrecke. Er, der Kläger, könne aufgrund der Entfernung der Zielorte zwischen den einzelnen Flügen nicht nach Hause zurückkehren. Vielmehr habe er am Zielort die arbeitsrechtliche Verpflichtung zur Ruhezeit. Nach einem solchen Flugeinsatz reise er zurück in die Schweiz, so dass es bei einer Verwurzelung in seinem Ansässigkeitsstaat Schweiz bleibe. Durch die Ruhezeit in der Langstreckendestination entstehe kein gesteigerter Bezug zur Bundesrepublik Deutschland. Während der Ruhezeit bestünden zudem verschiedene Dienstpflichten fort. So müsse er im bereitgestellten Hotel übernachten, telefonisch erreichbar bleiben, bei Gefahr im Verzug Ausgehverbote anordnen, ggf. Fürsorgemaßnahmen gegenüber der Crew treffen und Reportingpflichten erfüllen. Die Fürsorgepflichten gegenüber der Crew seien im sog. "Operations Manual" - dem obersten zentralen Regelwerk - geregelt. Z.B. müsse sich die Crew beim Kommandanten abmelden, wenn sie beabsichtige, das Stadtgebiet oder die nähere Umgebung des Zielorts zu verlassen, oder wenn sie nicht im vorgesehenen Hotel übernachte. Der Kommandant müsse bei einer signifikaten Verschlechterung der Sicherheitslage am Zielort nach der Ankunft die dringende Empfehlung aussprechen, bestimmte Gebiete am oder um den Aufenthaltsort zu meiden.

    Für die Auslegung des Begriffs "Arbeitsortes" in Art. 15a DBA-Schweiz könne nicht auf die zu Art. 15 DBA-Schweiz ergangene Rechtsprechung zurückgegriffen werden. Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) komme es für die Festlegung des Arbeitsortes auf die dienst- und arbeitsrechtlichen Bestimmungen an. Wenn die Auffassung des Beklagten zu Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz zutreffe und der "Arbeitsort" aufgrund der durchgeführten internationalen Flüge nicht in Deutschland liege, hätte der Arbeitgeber zu Unrecht die Lohnsteuer einbehalten, denn dann bestehe der erforderliche Inlandsbezug nach historischer und systematischer Auslegung von § 49 Abs. 1 Nr. 4e des Einkommensteuergesetztes (EStG) nicht. Vor dem Hintergrund der Einheitlichkeit der Rechtsordnung müssten § 49 Abs. 1 Nr. 4e EStG und Art. 15 DBA-Schweiz einheitlich ausgelegt werden, so dass es entweder immer auf den Sitz der Geschäftsleitung des Unternehmens ankomme oder gar nicht.

    Der Kläger beantragt sinngemäß,

    unter Aufhebung des Bescheides vom 19. September 2018 und der Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 2019 den Beklagten zu verpflichten, ihm Lohnsteuer in Höhe von ... Euro und den Solidaritätszuschlag in Höhe von ... Euro im Streitjahr 2017 zu erstatten.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage als unbegründet abzuweisen.

    Zur Begründung führt er aus: Voraussetzung für die Erstattung der an ihn, den Beklagten, abgeführten Lohnsteuer sei, dass Deutschland abkommensrechtlich kein Besteuerungsrecht für die an den Kläger gezahlte Vergütung zustehe. Dies sei aber nicht der Fall. Art. 15a DBA-Schweiz sei nicht anwendbar, weil der Kläger seinen "Arbeitsort" nicht in Deutschland, sondern an Bord der Maschinen habe. Die Aufenthalte in Deutschland (Vor- und Nachbereitung; Emergency training; Bereitschaftsdienst, u.ä.) begründeten keinen eigenständigen Arbeitsort in Deutschland, weil diese Aufenthalte mit der Arbeit an Bord inhaltlich verbunden seien. Auch Aufenthalte an Zielorten könnten keinen Arbeitsort in Deutschland begründen. Für diese Fälle greife die Grenzgängerregelung nicht. Dies habe der BFH für die nahezu wortgleiche Regelung im DBA-Österreich entschieden. Damit sei vielmehr Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz einschlägig.

    Selbst wenn Art. 15a DBA-Schweiz anwendbar sei, sei der Kläger kein Grenzgänger, weil er an mehr als 60 Tagen nicht in die Schweiz zurückgekehrt sei. Während der Ruhezeiten sei der Kläger von jeglicher Dienstpflicht befreit. Damit unterscheide sich dieser Fall von dem einer Krankenschwester, die Bereitschaftsdienst - und damit gerade kein Arbeitsende - habe.

    Mit Bescheid vom 6. Oktober 2020 hat der Beklagte den Vorbehalt der Nachprüfung bei der Lohnsteueranmeldung und Steuerfestsetzungen von Januar 2014 bis Dezember 2017 gegenüber der C AG aufgehoben.

    Entscheidungsgründe

    I. Die Entscheidung ergeht gemäß § 90a Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Gerichtsbescheid.

    II. Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Erstattung des geltend gemachten Betrages zu, vgl. § 101 Satz 1 FGO.

    1. Der Beklagte ist sachlich zuständig. Die sachliche Zuständigkeit richtet sich gemäß § 16 der Abgabenordnung (AO) nach dem Gesetz über die Finanzverwaltung (FVG). Nach Abschnitt IV Abs. 1 Nr. 8 der aufgrund von § 17 Abs. 1 und 2 FVG vom Hamburger Senat erlassenen Anordnung über die Zuständigkeit der Finanzämter in Hamburg (Amtl. Anz. 1997, 2609) ist der Beklagte zuständig für die lohnsteuerliche Erfassung, Erhebung und Prüfung von Betriebsstätten im Sinne des § 41 Abs. 2 EStG mit mehr als 100 Arbeitnehmern bei Arbeitgebern, die ertragsteuerlich nicht in Hamburg geführt werden. Aus dem Bescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge für die Zeit vom Januar 2014 bis Dezember 2017 für die C AG ergibt sich, dass sich deren lohnsteuerliche Betriebsstätte in Hamburg befindet. Hier geht es auch um die die Frage, wieweit die lohnsteuerliche Erfassung des Klägers geht (s.u.).

    2. Einer Entscheidung in der Sache steht auch nicht entgegen, dass etwa die Einspruchsfrist nicht gewahrt wäre und der Ausgangsbescheid bestandskräftig geworden ist. Wenn der Ausgangsbescheid bestandskräftig geworden wäre, dürfte eine Entscheidung in der Sache nicht getroffen werden, weil die Frage nach der fristgerechten Einlegung des Einspruchs eine bei der Sachentscheidung zu beachtende materiell-rechtliche Vorfrage darstellt (vgl. BFH, Beschluss vom 1. April 1992, VII S 15/92, juris, Rn. 2; Werth in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 355 AO, Stand: 1. Mai 2018, Rn. 2).

    Ein Einspruch ist gemäß § 355 Abs. 1 Satz 1 AO innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes einzulegen. Hier kann offenbleiben, ob der Bescheid vom 23. August 2018 ordnungsgemäß bekanntgegeben wurde und damit wirksam war, denn die Einspruchsfrist ist jedenfalls gewahrt. Nach § 124 AO wird der Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird (vgl. dazu BFH, Urteil vom 13. Dezember 2000, X R 96/98, BStBl. II 2001, 274, juris Rn. 7; Güroff, in: Gosch, AO/FGO, § 122 AO, Stand: November 2019, Rn. 1.1). Hier ist jedenfalls im Inland im zweiten Versuch eine Bekanntgabe erfolgt:

    Zwar ist vorliegend zweifelhaft, ob die Bekanntgabe nicht an den inländischen Zustellungsbevollmächtigten nach § 122 Abs. 1 Satz 4 AO, wonach der Verwaltungsakte dem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden "soll", hätte erfolgen müssen. Weiter ist zweifelhaft, ob die Übermittlung nach § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO (Übermittlung durch die Post ins Ausland) überhaupt zulässig war, oder ob diese Übermittlung gegen Völkerrecht verstieß, weil die Schweiz eine solche Zustellung nicht tolerierte (vgl. BFH, Beschluss vom 20. Mai 2014, III B 82/13, BFH/NV 2014, 1505, juris Rn. 14; Seer in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 122 AO, Stand: April 2017, Rn. 62). Aus der völkerrechtlichen Perspektive kann weiter offenbleiben, ob im Streitjahr schon das Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen vom 25. Januar 1988 in der Fassung des Protokolls vom 27. Mai 2010 (BGBl. II 2015, 966, 967ff.) griff (vgl. zur Geltung ab 1. Januar 2017: FG Düsseldorf vom 8. Oktober 2019, 10 K 963/18 E, EFG 2019, 1809; Revision eingelegt unter BFH: VI R 37/19), wonach eine Zustellung deutscher Verwaltungsakte unmittelbar durch die Post an einen in der Schweiz wohnhaften Steuerpflichtigen zulässig ist, oder ob das Übereinkommen gar nicht anwendbar war, weil das Übereinkommen nur Steuern betrifft, die unter Art. 2 Abs. 1 fallen, es hier aber um einen Erstattungsanspruch geht.

    Denn jedenfalls ist der am 22. Oktober 2018 eingelegte Einspruch fristgemäß gewesen. Gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, bei einer Übermittlung ins Ausland einen Monat nach der Aufgabe zur Post als zugegangen. Der Bescheid wurde am 23. August 2018 abgesandt, so dass er grundsätzlich am 23. September 2018 als bekanntgegeben galt. Weil es sich bei diesem Datum allerdings um einen Sonntag handelte, verlängerte sich die Bekanntgabefiktion gemäß § 108 Abs. 3 AO auf Montag, den 24. September 2018 (vgl. dazu: BFH, Urteil vom 14. Oktober 2003, IX R 68/98, juris, Rn. 8ff.; Güroff, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 122 AO, Stand: 1. November 2019, Rn. 34). Die Einspruchsfrist begann damit am 25. September 2018 und lief am 24. Oktober 2018 um 24.00 Uhr gemäß § 108 Abs. 1, 2 AO, § 188 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), und damit nach Einlegung des Einspruchs am 22. Oktober 2018, ab.

    3. Ein Erstattungsanspruch ergibt sich nicht aus § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG analog. Nach § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG sind bei Einkünften, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag oder dem Steuerabzug auf Grund des § 50a EStG unterliegen, aber nach den §§ 43b, 50g oder nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht oder nur nach einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden, die Vorschriften über die Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Steuer ungeachtet der §§ 43b und 50g sowie des Abkommens anzuwenden. Nach Satz 2 der Vorschrift bleibt der Anspruch des Gläubigers der Kapitalerträge oder Vergütungen auf völlige oder teilweise Erstattung der einbehaltenen und abgeführten oder der auf Grund Haftungsbescheid oder Nachforderungsbescheid entrichteten Steuer unberührt.

    § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG findet seine analoge Anwendung, wenn die Lohnsteuer-Anmeldung, die einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 41a Abs. 1 EStG i.V.m. § 168 Satz 1 AO), nicht mehr änderbar ist. Denn solange die Lohnsteueranmeldung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, kann der Arbeitnehmer diese aus eigenem Recht anfechten (BFH, Urteil vom 21. Oktober 2005, I R 70/08, BStBl. II 2012, 493, juris Rn. 7 m.w.N.; FG Köln, Urteil vom 20. April 2016, 12 K 574/15, EFG 2016, 1351, juris Rn. 23; FG Düsseldorf, Urteil vom 28. Januar 2016, 16 K 3444/14 L, EFG 2016, 1094, juris Rn. 17ff.). Erst wenn dies nicht mehr der Fall ist, greift § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG analog (BFH, Urteil vom 21. Oktober 2005, I R 70/08, BStBl. II 2012, 493, juris Rn. 27 m.w.N). Vorliegend ist die Vorschrift analog grundsätzlich anwendbar (a)), aber die Tatbestandsvoraussetzungen liegen nicht vor (b)).

    a) § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG analog ist vorliegend anwendbar, denn mit Bescheid vom 6. Oktober 2020 ist der Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich der Lohnsteuer-Anmeldung u.a. für das Streitjahr 2017 aufgehoben worden. Damit konnte der Kläger die Lohnsteuer-Anmeldung nicht mehr aus eigenem Recht anfechten. Unerheblich ist, dass der Bescheid erst während des gerichtlichen Verfahrens erging. Insoweit kommt es für die Frage, ob die Lohnsteuer-Anmeldung anfechtbar war, nämlich auf den Zeitpunkt des Ergehens des Gerichtsbescheides an.

    Bei Verpflichtungsklagen auf Erlass eines gebundenen Verwaltungsaktes kommt es grundsätzlich auf die im Zeitpunkt der Entscheidung bestehende Sach- und Rechtslage an (BFH, Urteil vom 11. Oktober 2017, IX R 2/17, BFH/NV 2018, 322, juris Rn. 20f.; Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 101 FGO, Stand: Februar 2019, Rn. 8; Lange in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 101 FGO, Stand: Oktober 2019 Rn. 25). Anders wird dies bei Verpflichtungsklagen beurteilt, die auf Erlass eines Bescheides gerichtet sind, der im Ermessen der Behörde steht, und keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt. Dann kommt es auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung an (dazu: Brandis in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 101 FGO, Stand: Februar 2019, Rn. 8; Lange in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 101 FGO, Stand: Oktober 2019 Rn. 27).

    Vorliegend besteht nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG grundsätzlich ein Anspruch des Gläubigers auf Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer. Dieser Anspruch steht nicht unter einem Ermessensvorbehalt des Beklagten, so dass es auf die im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts bestehende Sach- und Rechtslage ankommt. In diesem Zeitpunkt war der Vorbehalt der Nachprüfung bereits durch den Bescheid vom 6. Oktober 2020 aufgehoben worden.

    Aus diesem Grund kann auch die Frage offenbleiben, ob nach der Einführung des § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG durch das Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25. Juli 2014 (BGBl. I 2014, 1266, 1270), nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung und vor dem Erlass des Bescheides vom 6. Oktober 2020 überhaupt noch eine Anfechtung der Lohnsteuer-Anmeldung möglich gewesen wäre. Nach § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG ist eine Minderung der der einzubehaltenden Lohnsteuer nach § 164 Abs. 2 AO nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nur dann zulässig, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft hat, für die Lohnsteuer einbehalten wurde (vgl. dazu FG Düsseldorf, Urteil vom 8. Juni 2016, 2 K 2541/15 AO, EFG 2016, 1791, juris Rn. 44ff.). Die Lohnsteuerbescheinigung 2017 dürfte dem Kläger Anfang 2018 übermittelt worden sein und es ist nicht ersichtlich, dass hier Beträge im Sinne des § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG in Rede stehen, so dass die Beschränkung der Änderungsmöglichkeit des § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG grundsätzlich greifen könnte. Dies kann aber aus den oben genannten Gründen offenbleiben.

    b) Dem Kläger steht aber kein Anspruch auf Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer zu. Denn der Kläger war nach § 1 Abs. 4 EStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4e) EStG mit seinen inländischen Einkünften grundsätzlich in Deutschland steuerpflichtig (aa)) und aus dem zwischen Deutschland und der Schweiz abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen ergibt sich nichts anderes (bb)).

    aa) Der Kläger, als natürliche Person, der im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, war mit seinen inländischen Einkünften nach § 1 Abs. 4 EStG steuerpflichtig. Dabei nimmt § 1 Abs. 4 EStG Bezug auf § 49 EStG. Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4e) EStG sind inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG u.a. Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die an Bord eines im internationalen Luftverkehr eingesetzten Luftfahrzeugs ausgeübt wird, das von einem Unternehmen mit Geschäftsleitung im Inland betrieben wird.

    Um solche Einkünfte geht es hier, denn es geht um die Einkünfte als Pilot und der Kläger ist bei der C AG angestellt, deren Geschäftsleitung im Inland liegt.

    bb) Das zwischen Deutschland und der Schweiz geschlossene Doppelbesteuerungsabkommen lässt eine solche Besteuerung im Inland auch zu.

    Denn insoweit greift Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz. Nach dieser Vorschrift können u.a. Vergütungen für unselbständige Arbeit, die an Bord eines Luftfahrzeuges im internationalen Verkehr ausgeübt wird, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Der Kläger ist Angestellter der C AG und übt als Pilot seine Arbeit an Bord eines Luftfahrzeugs aus. Der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung der C AG befindet sich schließlich unstreitig auch in Deutschland.

    Die Grenzgängerregelung in Art. 15a des DBA-Schweiz geht Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz auch nicht als lex specialis vor (so auch Brandis in: Wassermeyer, DBA, Stand: Oktober 2020, Rn. 85). Eine Auslegung der Norm ergibt vielmehr, dass Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz lex specialis zu Art. 15a DBA-Schweiz ist.

    Nach dem Wortlaut von Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz ist die Bestimmung "ungeachtet der vorstehenden Bestimmungen" anwendbar. Zwar ist auf diese Weise nicht die "nachfolgende" Bestimmung des Art. 15a DBA-Schweiz ausgenommen, aber anders als bei den Absätzen 1 und 4 ist in Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz gerade nicht der Passus "vorbehaltlich des Artikel 15a" enthalten. Aus diesem Normzusammenhang ergibt sich, dass es bei Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz gerade keinen Vorbehalt zugunsten von Art. 15a DBA-Schweiz geben soll. Eine systematische Auslegung des Wortlautes "ungeachtet der vorgehenden Bestimmungen" zeigt damit auf, dass es sich dabei um eine reine binnenbezogene Regelung handelt. Aus dem Umstand hingegen, dass Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz keinen Anwendungsvorbehalt zugunsten von Art. 15a DBA-Schweiz enthält, ist zu schließen, dass Art. 15a DBA-Schweiz gerade kein lex specialis zu Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz sein sollte.

    Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die historische Auslegung. Denn Art. 15a DBA-Schweiz befand sich ursprünglich als vierter Absatz in Art. 15 DBA-Schweiz. Das Protokoll vom 21. Dezember 1992 (BT-Drs. 12/5195, Bl. 7) brachte eine Neuregelung der Grenzgängerbesteuerung in Art. 15a DBA-Schweiz. Es wurden redaktionelle Folgeänderungen in Art. 15 DBA-Schweiz vorgenommen. Dabei wurde gerade nicht in Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz ein Vorbehalt zugunsten von Art. 15a DBA-Schweiz aufgenommen, sondern nur die bestehenden Vorbehalte in den übrigen Sätzen redaktionell angepasst.

    Zudem heißt es in dem Protokoll zur Änderung des Abkommens vom 11. August 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 12. März 2002 (BT-Drs. 17/6257, S. 9ff.), dass die Bundesrepublik ihr Besteuerungsrecht bis 2016 für bestimmte Mitglieder des Bordpersonals nicht wahrnimmt. Eine solche Regelung wäre nicht notwendig gewesen, wenn das Bordpersonal unter die Grenzgängerregelung fallen würde bzw. dann wären entsprechende Abgrenzungsregelungen für Bordpersonal, das unter die Grenzgängerregelung fallen würde, notwendig gewesen. Dadurch, dass solche Regelungen nicht getroffen worden sind, ergibt sich im Umkehrschluss, dass Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz lex specialis zu Art. 15a DBA-Schweiz sein sollte und nicht umgekehrt.

    Schließlich sprechen auch Sinn und Zweck der Norm für eine Auslegung des Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz als lex specialis. Die Regelung in Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz ist nämlich so auf die spezifischen Besonderheiten des Luftpersonals zugeschnitten, dass es den besonderen Regelungskontext unterlaufen würde, wenn man eine allgemeinere Regelung, die beim Grenzgängerstatus ansetzt, für gewisse Teile des Luftpersonals heranziehen würde.

    III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    IV. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.