12.08.2019 · IWW-Abrufnummer 210495
Finanzgericht Rheinland-Pfalz: Urteil vom 03.01.2019 – 3 K 1497/18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Finanzrechtsstreit
der Frau
- Klägerin -
prozessbevollmächtigt: Rechtsanwälte
gegen
das Finanzamt
- Beklagter -
wegen Einkommensteuer 2015
der Frau
- Klägerin -
prozessbevollmächtigt: Rechtsanwälte
gegen
das Finanzamt
- Beklagter -
wegen Einkommensteuer 2015
hat das Finanzgericht Rheinland-Pfalz - 3. Senat - ohne mündliche Verhandlung am 3. Januar 2019 durch die Richterin am Finanzgericht xxx als Einzelrichterin
für Recht erkannt:
für Recht erkannt:
Tenor:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Streitig ist die Steuerbarkeit einer Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 €.
Die Klägerin, geboren am 28. Juli 1991, wurde am 20. Dezember 2003 Opfer eines schweren Unfalls in der Schweiz und leidet seitdem unter irreversiblen Folgeschäden (Grad der Behinderung 100 % mit Merkzeichen G und H). Nach langwierigen juristischen Auseinandersetzungen mit der Versicherungsgesellschaft des Schädigers erhielt die Klägerin verschiedene Leistungen, u.a. zur Abgeltung des "Haushaltsschadens" (317.878 €), des "Betreuungsschadens" (885.490 €) und eines "Rentenminderungsschadens" (85.200 €).
Außerdem erhielt die Klägerin eine als "Verdienstausfall" bezeichnete Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 €, die ihre Steuerberaterin in der Einkommensteuererklärung für 2015 als steuerpflichtige Einnahme nach §§ 19, 24 Nr.1a EStG erklärte und dazu Rechtsanwaltskosten in Höhe von 57.110 € als Werbungskosten geltend machte. Mit der Steuererklärung legte ihre Steuerberaterin ein Schreiben des Rechtsanwalts ... (an Herrn Steuerberater ...) vom 15. Mai 2015 vor, in dem Folgendes ausgeführt wird:
Er vertrete die Klägerin und ihren Vater zur Regulierung der ihnen zustehenden Schadensersatzansprüche aufgrund des in der Schweiz erlittenen schweren Unfalles infolge eines Frontalzusammenstoßes, welcher vom Fahrer eines in Italien zugelassenen und versicherten Lkw verursacht worden sei. Bezüglich beider Mandanten sei das Schmerzensgeld (in der Schweiz: "Genugtuung") und der Sachschaden bereits erledigt. Zu erledigen sei noch der Lohnausfallschaden für beide Mandanten sowie Betreuungskosten und Haushaltsschaden-Ersatzleistungen für die infolge des Unfalls schwerbehinderte Klägerin, welche künftig keinerlei Arbeitseinkommen mehr erzielen könne. Der "Haushaltsschaden" sei ein Schaden, den die Geschädigte ersetzt erhalte, um lebenslang eine Hilfskraft für 2 Stunden Haushaltsarbeit täglich entlohnen zu können. Das gleiche gelte für den "Betreuungsschaden". Mit diesem Entschädigungsbetrag könne die Klägerin lebenslang eine Betreuungsperson finanzieren. Für den eigentlichen "Erwerbsausfallschaden" für die Zeit ab 28. Juli 2011 bis Alter 67 seien 695.174 € berechnet und vereinbart worden, für den kapitalisierten Rentenschaden ab Alter 67 lebenslang 85.200 €, insgesamt somit für Erwerbsausfall lebenslang 780.294 €.
Der Beklagte führte die Veranlagung mit Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 6. April 2017 erklärungsgemäß durch, wobei er die Entschädigungsleistung nach § 34 Abs. 1 EStG der ermäßigten Besteuerung unterwarf.
Dagegen legten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 28. April 2017 Einspruch ein. Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2017, mit dem ein Antrag auf schlichte Änderung gemäß § 172 AO gestellt wurde, machten sie geltend, in Höhe von 695.094 € sei die Versicherungsleistung nicht steuerbar. Der "Erwerbsausfallschaden" sei in Orientierung an einen fiktiven Nettolohn in Höhe von 30.180 € pro Jahr für eine hypothetische Erwerbsphase vom 20. bis 50. Lebensjahr sowie 35.000 € pro Jahr für eine hypothetische Erwerbsphase vom 51.b bis 67. Lebensjahr geleistet worden. Die Leistung sei nicht im Zusammenhang mit einer real existierenden Erwerbstätigkeit der seinerzeit zwölfjährigen Klägerin gezahlt worden, sondern im Rahmen der "Genugtuung" nach schweizerischem Zivilrecht. Die Leistung stelle damit eine Schmerzensgeld- bzw. Schadensersatzleistung dar. Eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1a EStG liege nur vor, wenn das zu Grunde liegende Rechtsverhältnis beendet werde bzw. wenn die an die Stelle der bisherigen Einnahmen tretenden Ersatzleistungen auf einer neuen Rechtsgrundlage oder einer Billigkeitsgrundlage beruhten. Rechtsprechung und herrschende Literatur setzten somit ein bestehendes Arbeitsverhältnis mit Einkünften im Sinne des § 19 EStG voraus, welches beendet werde. Im vorliegenden Fall habe zum Zeitpunkt des Unfalls kein Arbeitsverhältnis vorgelegen, die Voraussetzungen des § 19 EStG und damit auch des § 24 Nr. 1a EStG lägen daher nicht vor. Infolgedessen seien die 57.110 € Rechtsanwaltskosten nicht weiter als Werbungskosten abzugsfähig, allerdings als Folgekosten des schweren Unfalls als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2018 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Am 30. Mai 2018 hat die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigten per Telefax "gegen den Einkommensteuerbescheid des Beklagten für 2015 (AZ...) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4.5.2018" Klage erhoben, eine Begründung der Klage angekündigt und als Anlage (nur) die erste Seite der Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2018 übersandt. Auch dem am 4. Juni 2018 bei Gericht eingegangenen Original der Klageschrift war als Anlage nur die Seite 1 der Einspruchsentscheidung beigefügt.
Mit der Eingangsbestätigung des Gerichts vom 6. Juni 2018 wurden die Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgefordert, bis 4. Juli 2018 gemäß § 65 Abs. 1 FGO den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen und die Klage zu begründen.
Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist forderte das Gericht die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom 11. Juli 2018 unter Setzung einer Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO auf, bis zum 13. August 2018 den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Auf die Folgen einer Fristversäumnis wurde hingewiesen. Gleichzeitig wurden die Prozessbevollmächtigten aufgefordert, innerhalb gleicher Frist die Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren sich die Klägerin beschwert fühlt (§ 79b Abs. 1 FGO). Auch hier erfolgte ein Hinweis auf die Folgen einer Fristversäumung. Die Verfügung wurde den Prozessbevollmächtigten am 13. Juli 2018 zugestellt.
Mit Telefax vom 21. August 2018 übersandten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ihre Klagebegründung. Sie wiederholen ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und tragen ergänzend vor, nur wenn die Ersatzleistungen aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis resultierten, stellten sie über § 24 Nr. 1a EStG Einkünfte im Sinne des § 19 EStG dar. Ein hypothetisches Arbeitsverhältnis reiche nicht aus. Nur dieses Ergebnis sei gesetzeskonform und gerecht. Niemand könne ausschließen, dass ein zwölfjähriges Mädchen, dem durch den unverschuldeten Unfall die Möglichkeit genommen werde, selbst Einkünfte zu erzielen, in seinem späteren Leben beispielsweise steuerfreie oder nicht steuerbare Einkünfte in der gezahlten Höhe erzielt hätte.
Die Klägerin beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 6. April 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2018 dahingehend zu ändern, dass die Zahlung an die Klägerin in Höhe von 695.094 € nicht als Einkünfte nach § 24 Nr. 1a EStG qualifiziert wird und die bislang als Werbungskosten behandelten Rechtsanwaltskosten in Höhe von 57.110 € als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er übersandte die den Streitfall betreffende Steuerakte (mit Schreiben vom 28. September 2018) und wies darauf hin, dass das Urteil des BFH vom 9. Januar 2018 (IX R 34/16, BFHE 260,440), auf das das Gericht mit Schreiben vom 23. August 2018 hingewiesen habe (Blatt 28f. der Gerichtsakte), im vorliegenden Fall nicht einschlägig sei. Dem BFH-Urteil habe insofern ein anderer Sachverhalt zu Grunde, als es dort auch um die Frage der Einheitlichkeit verschiedener Ersatzleistungen bei der steuerlichen Behandlung gegangen sei. Aus den im Veranlagungsverfahren vorgelegten Unterlagen ergebe sich jedoch, dass neben der streitbefangenen als Verdienstausfall bezeichneten Entschädigung noch weitere nicht steuerpflichtige Schadensersatzleistungen von der Versicherung gezahlt worden seien. Außerdem sei ein Rentenminderungsschaden ersetzt worden, der unstreitig mit dem Ertragsanteil als sonstige Einkünfte zu versteuern sei. Nach den vorliegenden Unterlagen sei die Verdienstausfallsentschädigung eindeutig als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen aus einem (fiktiven) Arbeitsverhältnis gewährt worden. Im Übrigen werde noch auf das beim BFH anhängige Verfahren mit dem Aktenzeichen IX R 25/17 verwiesen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung verzichtet (siehe Niederschrift vom 29. November 2018, Blatt 53f. der Gerichtsakte).
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die das Gericht gemäß § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne (erneute) mündliche Verhandlung entscheiden konnte, hat keinen Erfolg.
Dabei kann offenbleiben, ob die Klage bereits wegen fehlender Bezeichnung des Klagebegehrens unzulässig ist, denn sie ist jedenfalls unbegründet.
Nach § 24 Nr. 1a i.V.m. den §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind. Erleidet ein Steuerpflichtiger infolge einer schuldhaften Körperverletzung (§ 823 Abs. 1 i.V.m. den §§ 842 ff. BGB) eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit, kommt eine Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG nur im Hinblick auf Zahlungen in Betracht, die zivilrechtlich den Erwerbs- und Fortkommensschaden (§ 842 BGB) ausgleichen sollen. Nur insoweit wird Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen geleistet. Beträge mit denen Ersatz für Arzt- und Heilungskosten oder andere verletzungsbedingte Mehraufwendungen oder Schmerzensgeld geleistet werden soll, fallen von vornherein nicht unter die Vorschrift (zuletzt BFH-Urteil vom 20. Juli 2018 IX R 25/17, BFHE 262, 143, m.w.N.). Bei den Einnahmen, deren Ausfall ersetzt werden soll, muss es sich um steuerbare und steuerpflichtige Einnahmen handeln; sie müssen (hypothetisch) einer bestimmten Einkunftsart (§ 2 Abs. 2 EStG) unterfallen. § 24 Nr. 1a EStG schafft keine eigene Einkunftsart. Leistungen, die nicht steuerbare oder steuerfreie Einnahmen ersetzen sollen, sind (auch) nicht nach § 24 Nr. 1a EStG steuerbar. Kommen mehrere Einkunftsarten in Betracht oder kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entschädigung auch als Ersatz für entgangene nicht steuerbare oder steuerfreie Einnahmen gewährt worden sein könnte, ist die Vorschrift nicht anwendbar (BFH-Urteil vom 20. Juli 2018 IX R 25/17, a.a.O.).
Leistet der Schädiger Ersatz für Verdienstausfall, weil er davon ausgeht, dass der Geschädigte bei ungestörtem Verlauf (alsbald) wieder eine Anstellung gefunden hätte, unterfällt die Zahlung § 24 Nr. 1a EStG, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls eine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Einkunftsart in Betracht kommt (ebenda). Unerheblich ist, dass mangels Vertrags noch keine gesicherte Erwartung auf bestimmte Einnahmen bestand. Nicht nur der Ersatz für "entgangene", sondern auch für (zukünftig) "entgehende" Einnahmen wird von § 24 Nr. 1a EStG erfasst. Es kommt für die Besteuerung auch nicht darauf an, wie wahrscheinlich die Erzielung der (weggefallenen) Einnahmen bei objektiver Betrachtung war (ebenda). Maßgeblich ist, dass der Schädiger sie als hinreichend wahrscheinlich erachtet und deshalb Ersatz für zukünftigen Verdienstausfall geleistet hat. Beruht die Leistung auf einer Vereinbarung, muss im Zweifel durch Auslegung unter Berücksichtigung der Umstände, die zum Zustandekommen der Vereinbarung geführt haben, ermittelt werden, ob der Schädiger den zukünftigen Verdienstausfall oder z.B. nur den Schaden ersetzen wollte, der darin besteht, dass der Anspruch auf steuerfreie Sozialleistungen weggefallen ist.
§ 24 Nr. 1a EStG erfasst auch Entschädigungen, die nicht vom Schädiger, sondern von dritter Seite, z.B. von einer Versicherung geleistet werden, wenn der leistende Dritte dem Geschädigten gegenüber zur Leistung verpflichtet ist (ebenda).
Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze handelt es sich bei der streitigen Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 € um eine Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG, weil sie zivilrechtlich den Erwerbs- und Fortkommensschaden (§ 842 BGB) ausgleichen sollte und damit als Ersatz für entgehende Einnahmen gewährt wurde. Dies ergibt sich bereits daraus, dass diese Versicherungsleistung ausdrücklich als "Verdienstausfall" bezeichnet wurde und zusätzlich zu den anderen (ebenfalls) konkret bezeichneten Ersatzleistungen ("Haushaltsschaden" 317.878 €, "Betreuungsschaden" 885.490 € und "Rentenminderungsschaden" 85.200 €) gezahlt wurde. Außerdem haben sowohl Herr Rechtsanwalt ... als auch die Prozessbevollmächtigten der Klägerin erklärt, dass die streitige Versicherungsleistung das in der Zeit vom 28. Juli 2011 bis zum 67. Lebensjahr fiktiv erzielte Erwerbseinkommen ersetzen sollte. Den Ausführungen von Herrn Rechtsanwalt .... ist außerdem zweifelsfrei zu entnehmen, dass der Lohnausfallschaden nicht als Teil des Schmerzensgeldes gesehen wurde. In seinem Schreiben (an Herrn Steuerberater ...) vom 15. Mai 2015 führte er nämlich aus, dass von den der Klägerin und ihrem Vater zustehenden Schadensersatzansprüchen das Schmerzensgeld (in der Schweiz: "Genugtuung") und der Sachschaden bereits erledigt seien. Zu erledigen sei noch der Lohnausfallschaden für beide Mandanten sowie Betreuungskosten und Haushaltsschaden-Ersatzleistungen.
Dass die Klägerin noch nie in einem Arbeitsverhältnis stand und demnach auch noch nie einen Anspruch auf Arbeitslohn hatte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der BFH hat in seinem Urteil vom 9. Januar 2018 (IX R 34/16, BFHE 260, 440, BStBl II 2018, 582) zwar ausgeführt, eine Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen setze begrifflich voraus, dass ein Anspruch auf Einnahmen begründet gewesen und weggefallen sei. Diese Aussage lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass jemand, der noch nie in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat, keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1a i.V.m. den §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erhalten könne. Nach dem Urteil des BFH vom 20. Juli 2018 (IX R 25/17, a.a.O.) ist es nämlich unerheblich, wenn mangels Arbeitsvertrag noch keine gesicherte Erwartung auf bestimmte Einnahmen besteht. Maßgeblich ist nach Auffassung des BFH nur (ebenda), dass der Schädiger die Einnahmen (= das künftige Erwerbseinkommen) als hinreichend wahrscheinlich erachtet und deshalb Ersatz für zukünftigen Verdienstausfall geleistet hat. Dies ist - wie oben bereits dargelegt - hier der Fall, weil der Klägerin das in der Zeit vom 28. Juli 2011 bis zum 67. Lebensjahr fiktiv erzielte Erwerbseinkommen ersetzt werden sollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Streitig ist die Steuerbarkeit einer Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 €.
Die Klägerin, geboren am 28. Juli 1991, wurde am 20. Dezember 2003 Opfer eines schweren Unfalls in der Schweiz und leidet seitdem unter irreversiblen Folgeschäden (Grad der Behinderung 100 % mit Merkzeichen G und H). Nach langwierigen juristischen Auseinandersetzungen mit der Versicherungsgesellschaft des Schädigers erhielt die Klägerin verschiedene Leistungen, u.a. zur Abgeltung des "Haushaltsschadens" (317.878 €), des "Betreuungsschadens" (885.490 €) und eines "Rentenminderungsschadens" (85.200 €).
Außerdem erhielt die Klägerin eine als "Verdienstausfall" bezeichnete Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 €, die ihre Steuerberaterin in der Einkommensteuererklärung für 2015 als steuerpflichtige Einnahme nach §§ 19, 24 Nr.1a EStG erklärte und dazu Rechtsanwaltskosten in Höhe von 57.110 € als Werbungskosten geltend machte. Mit der Steuererklärung legte ihre Steuerberaterin ein Schreiben des Rechtsanwalts ... (an Herrn Steuerberater ...) vom 15. Mai 2015 vor, in dem Folgendes ausgeführt wird:
Er vertrete die Klägerin und ihren Vater zur Regulierung der ihnen zustehenden Schadensersatzansprüche aufgrund des in der Schweiz erlittenen schweren Unfalles infolge eines Frontalzusammenstoßes, welcher vom Fahrer eines in Italien zugelassenen und versicherten Lkw verursacht worden sei. Bezüglich beider Mandanten sei das Schmerzensgeld (in der Schweiz: "Genugtuung") und der Sachschaden bereits erledigt. Zu erledigen sei noch der Lohnausfallschaden für beide Mandanten sowie Betreuungskosten und Haushaltsschaden-Ersatzleistungen für die infolge des Unfalls schwerbehinderte Klägerin, welche künftig keinerlei Arbeitseinkommen mehr erzielen könne. Der "Haushaltsschaden" sei ein Schaden, den die Geschädigte ersetzt erhalte, um lebenslang eine Hilfskraft für 2 Stunden Haushaltsarbeit täglich entlohnen zu können. Das gleiche gelte für den "Betreuungsschaden". Mit diesem Entschädigungsbetrag könne die Klägerin lebenslang eine Betreuungsperson finanzieren. Für den eigentlichen "Erwerbsausfallschaden" für die Zeit ab 28. Juli 2011 bis Alter 67 seien 695.174 € berechnet und vereinbart worden, für den kapitalisierten Rentenschaden ab Alter 67 lebenslang 85.200 €, insgesamt somit für Erwerbsausfall lebenslang 780.294 €.
Der Beklagte führte die Veranlagung mit Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 6. April 2017 erklärungsgemäß durch, wobei er die Entschädigungsleistung nach § 34 Abs. 1 EStG der ermäßigten Besteuerung unterwarf.
Dagegen legten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 28. April 2017 Einspruch ein. Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2017, mit dem ein Antrag auf schlichte Änderung gemäß § 172 AO gestellt wurde, machten sie geltend, in Höhe von 695.094 € sei die Versicherungsleistung nicht steuerbar. Der "Erwerbsausfallschaden" sei in Orientierung an einen fiktiven Nettolohn in Höhe von 30.180 € pro Jahr für eine hypothetische Erwerbsphase vom 20. bis 50. Lebensjahr sowie 35.000 € pro Jahr für eine hypothetische Erwerbsphase vom 51.b bis 67. Lebensjahr geleistet worden. Die Leistung sei nicht im Zusammenhang mit einer real existierenden Erwerbstätigkeit der seinerzeit zwölfjährigen Klägerin gezahlt worden, sondern im Rahmen der "Genugtuung" nach schweizerischem Zivilrecht. Die Leistung stelle damit eine Schmerzensgeld- bzw. Schadensersatzleistung dar. Eine Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1a EStG liege nur vor, wenn das zu Grunde liegende Rechtsverhältnis beendet werde bzw. wenn die an die Stelle der bisherigen Einnahmen tretenden Ersatzleistungen auf einer neuen Rechtsgrundlage oder einer Billigkeitsgrundlage beruhten. Rechtsprechung und herrschende Literatur setzten somit ein bestehendes Arbeitsverhältnis mit Einkünften im Sinne des § 19 EStG voraus, welches beendet werde. Im vorliegenden Fall habe zum Zeitpunkt des Unfalls kein Arbeitsverhältnis vorgelegen, die Voraussetzungen des § 19 EStG und damit auch des § 24 Nr. 1a EStG lägen daher nicht vor. Infolgedessen seien die 57.110 € Rechtsanwaltskosten nicht weiter als Werbungskosten abzugsfähig, allerdings als Folgekosten des schweren Unfalls als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2018 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Am 30. Mai 2018 hat die Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigten per Telefax "gegen den Einkommensteuerbescheid des Beklagten für 2015 (AZ...) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 4.5.2018" Klage erhoben, eine Begründung der Klage angekündigt und als Anlage (nur) die erste Seite der Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2018 übersandt. Auch dem am 4. Juni 2018 bei Gericht eingegangenen Original der Klageschrift war als Anlage nur die Seite 1 der Einspruchsentscheidung beigefügt.
Mit der Eingangsbestätigung des Gerichts vom 6. Juni 2018 wurden die Prozessbevollmächtigten der Klägerin aufgefordert, bis 4. Juli 2018 gemäß § 65 Abs. 1 FGO den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen und die Klage zu begründen.
Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist forderte das Gericht die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom 11. Juli 2018 unter Setzung einer Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO auf, bis zum 13. August 2018 den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Auf die Folgen einer Fristversäumnis wurde hingewiesen. Gleichzeitig wurden die Prozessbevollmächtigten aufgefordert, innerhalb gleicher Frist die Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren sich die Klägerin beschwert fühlt (§ 79b Abs. 1 FGO). Auch hier erfolgte ein Hinweis auf die Folgen einer Fristversäumung. Die Verfügung wurde den Prozessbevollmächtigten am 13. Juli 2018 zugestellt.
Mit Telefax vom 21. August 2018 übersandten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin ihre Klagebegründung. Sie wiederholen ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und tragen ergänzend vor, nur wenn die Ersatzleistungen aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis resultierten, stellten sie über § 24 Nr. 1a EStG Einkünfte im Sinne des § 19 EStG dar. Ein hypothetisches Arbeitsverhältnis reiche nicht aus. Nur dieses Ergebnis sei gesetzeskonform und gerecht. Niemand könne ausschließen, dass ein zwölfjähriges Mädchen, dem durch den unverschuldeten Unfall die Möglichkeit genommen werde, selbst Einkünfte zu erzielen, in seinem späteren Leben beispielsweise steuerfreie oder nicht steuerbare Einkünfte in der gezahlten Höhe erzielt hätte.
Die Klägerin beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 6. April 2017 und die Einspruchsentscheidung vom 4. Mai 2018 dahingehend zu ändern, dass die Zahlung an die Klägerin in Höhe von 695.094 € nicht als Einkünfte nach § 24 Nr. 1a EStG qualifiziert wird und die bislang als Werbungskosten behandelten Rechtsanwaltskosten in Höhe von 57.110 € als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er übersandte die den Streitfall betreffende Steuerakte (mit Schreiben vom 28. September 2018) und wies darauf hin, dass das Urteil des BFH vom 9. Januar 2018 (IX R 34/16, BFHE 260,440), auf das das Gericht mit Schreiben vom 23. August 2018 hingewiesen habe (Blatt 28f. der Gerichtsakte), im vorliegenden Fall nicht einschlägig sei. Dem BFH-Urteil habe insofern ein anderer Sachverhalt zu Grunde, als es dort auch um die Frage der Einheitlichkeit verschiedener Ersatzleistungen bei der steuerlichen Behandlung gegangen sei. Aus den im Veranlagungsverfahren vorgelegten Unterlagen ergebe sich jedoch, dass neben der streitbefangenen als Verdienstausfall bezeichneten Entschädigung noch weitere nicht steuerpflichtige Schadensersatzleistungen von der Versicherung gezahlt worden seien. Außerdem sei ein Rentenminderungsschaden ersetzt worden, der unstreitig mit dem Ertragsanteil als sonstige Einkünfte zu versteuern sei. Nach den vorliegenden Unterlagen sei die Verdienstausfallsentschädigung eindeutig als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen aus einem (fiktiven) Arbeitsverhältnis gewährt worden. Im Übrigen werde noch auf das beim BFH anhängige Verfahren mit dem Aktenzeichen IX R 25/17 verwiesen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer (weiteren) mündlichen Verhandlung verzichtet (siehe Niederschrift vom 29. November 2018, Blatt 53f. der Gerichtsakte).
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die das Gericht gemäß § 90 Abs. 2 FGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne (erneute) mündliche Verhandlung entscheiden konnte, hat keinen Erfolg.
Dabei kann offenbleiben, ob die Klage bereits wegen fehlender Bezeichnung des Klagebegehrens unzulässig ist, denn sie ist jedenfalls unbegründet.
Nach § 24 Nr. 1a i.V.m. den §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind. Erleidet ein Steuerpflichtiger infolge einer schuldhaften Körperverletzung (§ 823 Abs. 1 i.V.m. den §§ 842 ff. BGB) eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit, kommt eine Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG nur im Hinblick auf Zahlungen in Betracht, die zivilrechtlich den Erwerbs- und Fortkommensschaden (§ 842 BGB) ausgleichen sollen. Nur insoweit wird Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen geleistet. Beträge mit denen Ersatz für Arzt- und Heilungskosten oder andere verletzungsbedingte Mehraufwendungen oder Schmerzensgeld geleistet werden soll, fallen von vornherein nicht unter die Vorschrift (zuletzt BFH-Urteil vom 20. Juli 2018 IX R 25/17, BFHE 262, 143, m.w.N.). Bei den Einnahmen, deren Ausfall ersetzt werden soll, muss es sich um steuerbare und steuerpflichtige Einnahmen handeln; sie müssen (hypothetisch) einer bestimmten Einkunftsart (§ 2 Abs. 2 EStG) unterfallen. § 24 Nr. 1a EStG schafft keine eigene Einkunftsart. Leistungen, die nicht steuerbare oder steuerfreie Einnahmen ersetzen sollen, sind (auch) nicht nach § 24 Nr. 1a EStG steuerbar. Kommen mehrere Einkunftsarten in Betracht oder kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Entschädigung auch als Ersatz für entgangene nicht steuerbare oder steuerfreie Einnahmen gewährt worden sein könnte, ist die Vorschrift nicht anwendbar (BFH-Urteil vom 20. Juli 2018 IX R 25/17, a.a.O.).
Leistet der Schädiger Ersatz für Verdienstausfall, weil er davon ausgeht, dass der Geschädigte bei ungestörtem Verlauf (alsbald) wieder eine Anstellung gefunden hätte, unterfällt die Zahlung § 24 Nr. 1a EStG, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalls eine eindeutige Zuordnung zu einer bestimmten Einkunftsart in Betracht kommt (ebenda). Unerheblich ist, dass mangels Vertrags noch keine gesicherte Erwartung auf bestimmte Einnahmen bestand. Nicht nur der Ersatz für "entgangene", sondern auch für (zukünftig) "entgehende" Einnahmen wird von § 24 Nr. 1a EStG erfasst. Es kommt für die Besteuerung auch nicht darauf an, wie wahrscheinlich die Erzielung der (weggefallenen) Einnahmen bei objektiver Betrachtung war (ebenda). Maßgeblich ist, dass der Schädiger sie als hinreichend wahrscheinlich erachtet und deshalb Ersatz für zukünftigen Verdienstausfall geleistet hat. Beruht die Leistung auf einer Vereinbarung, muss im Zweifel durch Auslegung unter Berücksichtigung der Umstände, die zum Zustandekommen der Vereinbarung geführt haben, ermittelt werden, ob der Schädiger den zukünftigen Verdienstausfall oder z.B. nur den Schaden ersetzen wollte, der darin besteht, dass der Anspruch auf steuerfreie Sozialleistungen weggefallen ist.
§ 24 Nr. 1a EStG erfasst auch Entschädigungen, die nicht vom Schädiger, sondern von dritter Seite, z.B. von einer Versicherung geleistet werden, wenn der leistende Dritte dem Geschädigten gegenüber zur Leistung verpflichtet ist (ebenda).
Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze handelt es sich bei der streitigen Versicherungsleistung in Höhe von 695.094 € um eine Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1a EStG, weil sie zivilrechtlich den Erwerbs- und Fortkommensschaden (§ 842 BGB) ausgleichen sollte und damit als Ersatz für entgehende Einnahmen gewährt wurde. Dies ergibt sich bereits daraus, dass diese Versicherungsleistung ausdrücklich als "Verdienstausfall" bezeichnet wurde und zusätzlich zu den anderen (ebenfalls) konkret bezeichneten Ersatzleistungen ("Haushaltsschaden" 317.878 €, "Betreuungsschaden" 885.490 € und "Rentenminderungsschaden" 85.200 €) gezahlt wurde. Außerdem haben sowohl Herr Rechtsanwalt ... als auch die Prozessbevollmächtigten der Klägerin erklärt, dass die streitige Versicherungsleistung das in der Zeit vom 28. Juli 2011 bis zum 67. Lebensjahr fiktiv erzielte Erwerbseinkommen ersetzen sollte. Den Ausführungen von Herrn Rechtsanwalt .... ist außerdem zweifelsfrei zu entnehmen, dass der Lohnausfallschaden nicht als Teil des Schmerzensgeldes gesehen wurde. In seinem Schreiben (an Herrn Steuerberater ...) vom 15. Mai 2015 führte er nämlich aus, dass von den der Klägerin und ihrem Vater zustehenden Schadensersatzansprüchen das Schmerzensgeld (in der Schweiz: "Genugtuung") und der Sachschaden bereits erledigt seien. Zu erledigen sei noch der Lohnausfallschaden für beide Mandanten sowie Betreuungskosten und Haushaltsschaden-Ersatzleistungen.
Dass die Klägerin noch nie in einem Arbeitsverhältnis stand und demnach auch noch nie einen Anspruch auf Arbeitslohn hatte, führt zu keinem anderen Ergebnis. Der BFH hat in seinem Urteil vom 9. Januar 2018 (IX R 34/16, BFHE 260, 440, BStBl II 2018, 582) zwar ausgeführt, eine Entschädigung für entgangene oder entgehende Einnahmen setze begrifflich voraus, dass ein Anspruch auf Einnahmen begründet gewesen und weggefallen sei. Diese Aussage lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass jemand, der noch nie in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat, keine Entschädigung i.S. des § 24 Nr. 1a i.V.m. den §§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erhalten könne. Nach dem Urteil des BFH vom 20. Juli 2018 (IX R 25/17, a.a.O.) ist es nämlich unerheblich, wenn mangels Arbeitsvertrag noch keine gesicherte Erwartung auf bestimmte Einnahmen besteht. Maßgeblich ist nach Auffassung des BFH nur (ebenda), dass der Schädiger die Einnahmen (= das künftige Erwerbseinkommen) als hinreichend wahrscheinlich erachtet und deshalb Ersatz für zukünftigen Verdienstausfall geleistet hat. Dies ist - wie oben bereits dargelegt - hier der Fall, weil der Klägerin das in der Zeit vom 28. Juli 2011 bis zum 67. Lebensjahr fiktiv erzielte Erwerbseinkommen ersetzt werden sollte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.