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  • 01.04.2019 · IWW-Abrufnummer 208013

    Finanzgericht Baden-Württemberg: Urteil vom 07.12.2018 – 13 K 289/17

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Baden-Württemberg

    Urt. v. 07.12.2018


    In dem Finanzrechtsstreit
    Kl
    - Kläger -
    prozessbevollmächtigt:
    gegen
    Finanzamt
    - Beklagter -

    wegen Einkommensteuer 2014

    hat der 13. Senat des Finanzgerichts Baden-Württemberg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 07. Dezember 2018 durch
    Vorsitzenden Richter am Finanzgericht
    Richter am Finanzgericht
    Ehrenamtlichen Richter
    Ehrenamtliche Richterin
    für Recht erkannt:

    Tenor:

    1. Der Einkommensteuerbescheid 2014 vom 20. Mai 2016 in Form der Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2017 wird dahingehend geändert, dass sonstige Einkünfte (Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften) mit 0 € (bisher 44.338 €) angesetzt werden.
    2. Die Berechnung der neu festzusetzenden Steuern wird dem Beklagten übertragen (§ 100 Abs. 2 S. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Der Beklagte teilte den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben (§ 100 Abs. 2 S. 3 FGO).
    3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
    4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
    5. Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand

    Streitig ist, ob der Kläger im Veranlagungszeitraum 2014 einen steuerbaren Gewinn aus einem Veräußerungsgeschäft bei Grundstücken im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetzt (EStG) erzielt hat.

    Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 16. Juni 2006 eine Eigentumswohnung auf dem Grundstück [ ___ ] in X für 87.000 €, welche er bis April 2014 durchgehend zu eigenen Wohnzwecken nutzte. In den Monaten Mai 2014 bis Dezember 2014 vermietete der Kläger die Wohnung an Dritte.

    Mit notariellem Kaufvertrag vom 17. Dezember 2014 veräußerte der Kläger die Eigentumswohnung zum Kaufpreis von 139.000 €.

    Der Beklagte ermittelte hieraus einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.H.v. 44.338 € und erfasste diesen im Einkommensteuerbescheid vom 20. Mai 2016.

    Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 30. Mai 2016 erhob der Kläger hiergegen Einspruch. Dieses Schreiben befindet sich nicht in den Akten des Beklagten.

    Mit Schreiben vom 4. Juli 2016 teilte der Prozessbevollmächtigte dem Beklagten unter Bezugnahme auf sein Einspruchsschreiben vom 30. Mai 2016 mit, dass er auf sein Einspruchsschreiben noch keine Antwort erhalten habe und auch über den mit diesem verbundenen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung noch nicht beschieden worden sei. Auf diesem Schreiben hat der Beklagte folgenden handschriftlichen Vermerk angebracht:

    "Einspruch liegt nicht vor

    Am 5.7.16 telef. Herrn

    A mitgeteilt"

    Mit Schreiben vom 6. Juli 2016 ließ der Prozessbevollmächtigte unter Bezugnahme auf das am 5. Juli 2016 mit dem Beklagten geführte Telefonat dem Beklagten das Einspruchsschreiben vom 30. Mai 2016 "nochmals" zukommen. Weiter war in diesem Schreiben ausgeführt:

    "Die zuständige Mitarbeiterin des Finanzamts Y hat mir am Telefon erklärt, dass es nicht erforderlich sei, dass ich einen Antrag stelle auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand. Ich gehe davon aus, dass es bei dieser Rechtsauffassung des Finanzamts Y verbleibt."

    In dem beigefügten Einspruchsschreiben vom 30. Mai 2016 wurde inhaltlich ausgeführt, bei dem Veräußerungsvorgang handele es sich nicht um einen steuerbaren Vorgang. Die Wohnung sei im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorausgegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden. § 23 EStG fordere insoweit keine "ausschließliche" Nutzung der Wohnung zu eigenen Wohnzwecken im Jahr der Veräußerung. Die Vermietung sei daher - ebenso wie ein Leerstand - unschädlich.

    Der Beklagte stellte im weiteren Einspruchsverfahren den - erstmaligen - tatsächlichen Zugang des Einspruchsschreibens am 30. Mai 2016 offenkundig unstreitig. Eine etwaige Verfristung wurde im weiteren Verfahren nicht thematisiert.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2017 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Unter Bezugnahme auf Rn. 25 des BMF-Schreibens vom 7. Februar 2007, BStBl I 2007, 262 führte er aus, bei einer Vermietung handle es sich anders als bei einem Leerstand um eine steuerschädliche Nutzung. Das BMF-Schreiben erwähne ausschließlich einen Leerstand als unschädlich. Des Weiteren wurde in der Einspruchsentscheidung ausgeführt:

    "Gegen den Einkommensteuerbescheid 2014 vom 20.05.2016 legte der Ef form- und fristgerecht Einspruch ein [...]"

    Mit seiner hiergegen erhobenen Klage verfolgt der Kläger unter Wiederholung seiner Rechtsauffassung sein Interesse weiter.

    In der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte ein Schreiben vom 13. Juli 2016 an den Kläger, auf das wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen wird, vorgelegt, in dem der Prozessbevollmächtigte dem Kläger mitteilte, dass der Beklagte ihm - dem Prozessbevollmächtigten - mitgeteilt habe, dass der Einspruch vom 30. Mai 2016 dort rechtzeitig eingegangen sei.

    Der Beklagte hat hierzu erklärt, es sei möglich, dass das Einspruchsscheiben im Amt verloren gegangen sei. Die Rechtsbehelfsstelle sei jedoch wohl davon ausgegangen, dass jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren gewesen sei, da die Abweichungen von der elektronisch eingereichten Steuererklärung im Bescheid nicht erläutert worden seien.

    Der Kläger beantragt sinngemäß,

    den Einkommensteuerbescheid 2014 vom 20. Mai 2016 in Form der Einspruchsentscheidung vom 4. Januar 2017 dahingehend zu ändern, dass sonstige Einkünfte (Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften) mit 0 € (bisher 44.338 €) angesetzt werden, hilfsweise die Zulassung der Revision.

    Der Beklagte beantragt unter Wiederholung seiner Rechtsauffassung,

    die Klage abzuweisen, hilfsweise die Zulassung der Revision.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der beigezogenen Akten des Beklagten (ein Band Einkommensteuerakte, ein Band Allgemeine Akte) Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist begründet. Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

    I.

    Der Einspruch wurde zur Überzeugung des Senats vom Beklagten zutreffend als zulässig behandelt.

    Gemäß § 355 Abgabenordnung (AO) ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Die Feststellungslast für die (fristgerechte) tatsächliche Erhebung des Einspruchs bei der Behörde trägt der Kläger (BFH, Urteil vom 8. Dezember 1976 I R 240/74, BStBl II 1977, 321-325, BFHE 121, 142-151; BFH, Beschluss vom 24. Juli 2008 VII B 41/08, juris). War jemand ohne Verschulden daran gehindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 110 AO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

    Der Senat kann insoweit offenlassen, ob das Einspruchsschreiben fristgerecht beim Beklagten eingegangen und dort in Verstoß geraten ist, wofür trotz des Vermerks in der Akte "Einspruch liegt nicht vor", welcher auch dahingehend zu verstehen sein könnte, dass der Einspruch bei der zuständigen Stelle der Behörde nicht (mehr) vorliegt, angesichts der unstreitig vom Beklagten erteilten telefonischen Auskünfte und des Umstands, dass der Beklagte den Einspruch selbst als "form und fristgerecht" behandelte, einiges spricht. Denn jedenfalls hat der Beklagte zulässig konkludent Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gewährt.

    Der Kläger hat innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist die versäumte Handlung nachgeholt und das ursprüngliche Einspruchsschreiben vom 30. Mai 2016, auf das wegen der weiteren Einzelheiten und des Erscheinungsbildes (insbesondere: Haken hinter der Faxnummer) verwiesen wird, (erneut) vorgelegt. Hierdurch hat der Kläger zwar grundsätzlich noch nicht den Anforderungen der Rechtsprechung an eine Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Absendung eines Einspruchsschreibens genüge getan. Vor dem Hintergrund, dass dem Prozessbevollmächtigten vom Beklagten der Hinweis gegeben wurde, dass die Stellung eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nicht erforderlich sei und ihm nach seinem unbestrittenen Vortrag zu einem späteren Zeitpunkt zudem mitgeteilt wurde, der Einspruch sei rechtzeitig eingegangen, erachtet es der Senat als nicht geboten, den von den Beteiligten unstreitig gestellten Sachverhalt der jedenfalls rechtzeitigen Absendung des Einspruchsschreibens in Frage zu stellen. Für eine weitere Sachverhaltsaufklärung bestand daher keine Veranlassung. Die vom Beklagten vorgetragene jedenfalls konkludent gewährte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand war daher im Ergebnis auch vor dem Hintergrund von Treu und Glauben nicht zu beanstanden.

    II.

    1. Gemäß § 22 Nr. 2 EStG unterliegen private Veräußerungsgeschäfte der Besteuerung. Private Veräußerungsgeschäfte in diesem Sinne sind gemäß § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG sind Wirtschaftsgüter, die

    - im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken
    oder
    - im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt wurden,
    vom Anwendungsbereich des § 23 EStG ausgenommen.

    § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 2. Alt. EStG erfordert insoweit nach seinem klaren Wortlaut - anders als die 1. Alt. - keine Ausschließlichkeit der Eigennutzung. Es genügt vielmehr eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren.

    Im Jahr der Veräußerung und im zweiten Jahr vor der Veräußerung muss die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken nicht während des gesamten Kalenderjahrs vorgelegen haben. Es genügt ein zusammenhängender Zeitraum der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken, der sich über drei Kalenderjahre erstreckt, ohne sie - mit Ausnahme des mittleren Kalenderjahrs - voll auszufüllen (BFH, Urteil vom 27. Juni 2017 IX R 37/16, BFHE 258, 490, BStBl II 2017, 1192).

    2. Gemessen an diesen Grundsätzen handelt es sich im vorliegenden Fall um einen nicht steuerbaren Vorgang. Das Grundstück wurde im Jahr der Veräußerung bis April und in den beiden vorangegangenen Jahren vollständig zu eigenen Wohnzwecken genutzt. Die Vermietung in den Monaten Mai bis Dezember ist insoweit unschädlich.

    a) Entgegen der Auffassung des Beklagten benennt § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 2. Alt. EStG gerade keine schädlichen Nutzungsarten, sondern fordert lediglich eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken in den genannten Jahren. Der Wortlaut der Vorschrift ist insoweit eindeutig. Für die vom Beklagten vorgenommene Unterscheidung zwischen einem "steuerbegünstigten Leerstand" und einer "steuerschädlichen Vermietung" ergeben sich weder aus dem Gesetz noch aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift Anhaltspunkte.

    b) Vielmehr spricht die Gesetzesbegründung gegen eine solche Auslegung. Mit Schaffung der Ausnahmetatbestände des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG wollte der Gesetzgeber ungerechtfertigte Besteuerungen von Veräußerungsgewinnen bei Aufgabe des Wohnsitzes (z. B. wegen Arbeitsplatzwechsels) vermeiden (BT-Drucks. 14/23 S. 180). Dieser Zweck (Förderung der Mobilität von Arbeitnehmern) würde jedoch bei Annahme der Steuerschädlichkeit einer kurzzeitigen Zwischenvermietung bis zur Veräußerung konterkariert. Denn ein zum Umzug gezwungener Arbeitnehmer müsste dann, um eine steuerpflichtige Veräußerung zu vermeiden, die Wohnung bis zur Veräußerung, deren Zeitpunkt sich je nach Marktlage nur schwer vorhersehen lässt, leer stehen zu lassen. Im Ergebnis müsste er aus rein steuerlichen Gründen sowohl die laufenden Kosten der bisherigen Wohnung als auch die Kosten für die Wohnung am neuen Arbeitsort tragen, ohne dass es ihm möglich wäre, diese Kosten durch eine Zwischenvermietung zu minimieren. Eine solche Belastung dürfte in vielen Fällen die Betroffenen vor nicht unerhebliche finanzielle Probleme stellen und vom Gesetzgeber auch nicht gewollt gewesen sein. c) Ferner vermag auch die Unterscheidung des Beklagten zwischen einer steuerunschädlichen Vermietung vor Beginn des Dreijahreszeitraums des § 23 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 2. Alt. EStG und einer steuerschädlichen am Ende des Dreijahreszeitraums nicht zu überzeugen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb eine langjährige Vermietung vor einer kurzzeitigen Eigennutzung unschädlich (vgl. Trossen, NWB 2017, 3256: "eine zusammenhängende Nutzung von einem Jahr und zwei Tagen [ausreichend]"), eine kurzzeitige Zwischenvermietung bis zur Veräußerung am Ende einer langjährigen Eigennutzung jedoch steuerschädlich sein sollte. Denn gerade bei ersterer Konstellation liegt eine Missbrauchsgefahr dahingehend, dass eine Eigennutzung gezielt kurzfristig zur Steuervermeidung angelegt wird, deutlich näher. Wenn eine langjährige Vermietung vor Beginn des Dreijahreszeitraums unschädlich ist (so in BFH, Urteil vom 27. Juni 2017 - IX R 37/16 -, BFHE 258, 490, BStBl II 2017, 1192), so muss dies aus vorgenannten Gründen erst recht in Fällen einer kurzzeitigen Vermietung von wenigen Monaten am Ende des Dreijahreszeitraums gelten.

    d) Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass auch das vom Beklagten zitierte BMF-Schreiben (BMF v. 05. Oktober 2000, IV C 3-S 2256-263/00, FMNR471000000, Rn. 25) gerade nicht ausführt, dass eine Vermietung am Ende des Dreijahreszeitraums steuerschädlich sei, sondern lediglich darlegt, dass in diesem Zeitraum ein Leerstand unschädlich sei. Lediglich hinsichtlich einer Vermietung im mittleren Jahr des Dreijahreszeitraums führt das Schreiben zutreffend aus, dass eine solche steuerschädlich sei.

    III.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist gemäß § 139 Abs. 3 S. 3 FGO für notwendig zu erklären. Der Prozessbevollmächtigte hat einen entsprechenden Antrag gestellt und die Rechtslage war nicht von vornherein so einfach, dass sich der Kläger hätte selbst vertreten können.

    Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.

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