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  • 15.10.2018 · IWW-Abrufnummer 204913

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 26.09.2018 – 7 K 3215/16 E

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Tenor:

    Die Einkommensteuerbescheide für 2013 vom 20.2.2015 und für 2014 vom 22.10.2015, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.9.2016, werden nach Maßgabe der Urteilsgründe geändert.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des vollstreckbaren Betrages leisten.
     
    1

    Tatbestand
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    Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung.
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    Die Kläger (Jahrgang 1970 und 1971) sind Eheleute und wurden in den Streitjahren 2013 und 2014 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Beide stammen aus dem Bundesland T. und sind seit 1998 in I-Stadt bzw. Umgebung berufstätig, der Kläger als Anlagenfahrer und die Klägerin als Angestellte. In den Streitjahren bewohnten sie gemeinsam mit ihrer 2007 geborenen Tochter N. eine Mietwohnung. Eine Gartennutzung ist ausgeschlossen. Nach dem Mietvertrag vom 1.3.2007 beträgt die monatliche Miete 440 € zzgl. 38 € Nebenkostenvorauszahlung. Die Tochter besuchte in den Streitjahren in I-Stadt den Kindergarten bzw. die Schule. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Mietvertrag vom 1.3.2007 und die Fotos der einzelnen Räume (Anl. 6 zum Schreiben des Klägervertreters an den Beklagten vom 17.4.2016) Bezug genommen.
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    Die Klägerin ist neben ihrer Mutter und ihrer Schwester seit dem Tod ihres Vaters Miteigentümerin eines mit einem unterkellerten Bungalow bebauten Grundstücks in L-Stadt. L-Stadt ist das Heimatdorf der Klägerin (lt. Wikipedia xxx Einwohner), das zur Gemeinde S. in dem Bundesland T. gehört. Das Gebäude umfasst eine Wohnfläche von 120 m² und wird zum einen von der Mutter der Klägerin bewohnt, die dort ein Wohnzimmer und ein Schlafzimmer hat. Drei weitere Räume (Wohnzimmer, Schlafzimmer und Kinderzimmer) stehen allein der Familie der Kläger zur Verfügung. Die Küche, das Esszimmer und das Badezimmer teilen sich die Kläger mit der Mutter. Alle Wohnräume befinden sich im Erdgeschoss. Die Klägerin hat in den Jahren 2006 und 2009 angrenzende Flächen neben diesem Grundstück hinzuerworben, die als Garten genutzt werden, so dass sich die Gesamtfläche auf ca. 3.000 m² beläuft. Wegen der Einzelheiten wird auf die Fotos des Grundstücks und der Räume (Anl. zum Schreiben des Klägervertreters an den Beklagten vom 9.9.2014) Bezug genommen.
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    Bereits in ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2012 machten die Kläger 46 bzw. 43 Fahrten von I-Stadt nach L-Stadt (einfache Entfernung 316 km) als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit geltend. Dies erkannte der Beklagte nicht an, weil der Lebensmittelpunkt der Kläger in I-Stadt gelegen habe. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos und die Einspruchsentscheidung wurde bestandskräftig.
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    Für die Streitjahre 2013 und 2014 machten die Kläger jeweils für 175 Tage (2013) bzw. 190 Tage (2014) Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach H-Stadt (Kläger, einfache Entfernung 25 km) bzw. nach J-Stadt (Klägerin, einfache Entfernung 15 km) sowie darüber hinaus jeweils jährlich 45 Fahrten nach L-Stadt (einfache Entfernung 316 km) und im Einspruchsverfahren zusätzlich die Unterkunftskosten in I-Stadt in Höhe von monatlich 478 € als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
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    Der Beklagte erkannte die Fahrten nach L-Stadt sowie die Unterkunftskosten in den Einkommensteuerbescheiden für 2013 und 2014 nicht an. Demgegenüber berücksichtigte er Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nach H-Stadt bzw. J-Stadt für 220 Tage (2013) bzw. 230 Tage (2014). Dabei legte er für den Kläger anstelle der beantragten 25 km lediglich eine einfache Entfernung von 13 km zu Grunde, was von den Klägern nicht beanstandet wird. Für beide Kläger verblieben noch über dem Arbeitnehmerpauschbetrag liegende Werbungskosten. Die Einsprüche blieben ebenfalls erfolglos.
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    Zur Begründung ihrer Klage tragen die Kläger vor, dass sich ihr Lebensmittelpunkt unverändert im selbstgenutzten Haus in L-Stadt befinde. Sie hielten sich regelmäßig dort an den Wochenenden und an freien Tagen auf. Dabei fahre der im Schichtdienst tätige Kläger gelegentlich auch alleine dorthin, wenn er mehrere Tage am Stück in der Woche frei habe. Demgegenüber komme es vor, dass die Klägerin alleine mit der Tochter am Wochenende nach L-Stadt fahre, wenn der Kläger arbeiten müsse. Die Arbeitssituation in dem Bundesland T. sei sehr schlecht, so dass die Kläger keine Möglichkeit hätten, ihren alleinigen Wohnsitz dort zu unterhalten. Sie hätten sich immer wieder mündlich erfolglos nach Arbeitsstellen erkundigt. Demgegenüber hätten die Kläger in I-Stadt keinen Freundeskreis aufgebaut. Nach Feierabend würden sie die Wohnung praktisch nicht verlassen. Das gesamte Privatleben der Familie spiele sich in L-Stadt ab. Auch die Tochter habe dort ihren Freundeskreis. Für den Lebensmittelpunkt spreche auch, dass die Eltern des Klägers in C-Stadt in der Nähe von L-Stadt wohnen. Nur dort finde der Kläger, der unter einer Schuppenflechte leide, die nötige Ruhe und Entspannung. Er sei auch Mitglied im Anglerverband S. e.V. Die Klägerin beschäftige sich im großen Garten des Bungalows mit dem Anbau von Obst und Gemüse und habe hierfür im Jahr 2016 ein Gewächshaus angeschafft. Ferner unternehme sie gemeinsam mit der Tochter Radtouren an der D. In der Umgebung von L-Stadt hätten die Kläger sowie die Tochter auch ihre Ärzte. Hierzu reichten die Kläger bereits zur Begründung ihrer Einsprüche Bonushefte und Arztrechnungen ein (Anl. 5 zum Schreiben des Klägervertreters vom 17.4.2016). Im Gegensatz zum Bungalow in L-Stadt sei die Wohnung in I-Stadt klein, einfach ausgestattet und alle Räume hätten Dachschrägen.
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    Die Mutter werde unter anderem bei der Gartenarbeit und beim Einkauf unterstützt. Die Kläger bezahlten die Einkäufe sowie Abfall- und Wassergebühren. Zu den Gebühren reichten sie bereits im Einspruchsverfahren wegen Einkommensteuer 2012 Zahlungsbelege ein. Demgegenüber bezahle die Mutter Strom und Gas. Darüber hinaus hätten die Kläger auch die Kosten für Reparatur-und Instandhaltungsmaßnahmen am Objekt in L-Stadt getragen. So seien in den Jahren 2011 und 2014 Pflasterarbeiten durchgeführt und im Jahr 2012 ein Fenster ausgetauscht worden. Hierzu reichten die Kläger ebenfalls bereits im Einspruchsverfahren wegen Einkommensteuer 2012 Rechnungen und Zahlungsbelege ein.
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    Die Kläger beantragen,
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    den Einkommensteuerbescheid für 2013 vom 20.2.2015 und den Einkommensteuerbescheid für 2014 vom 22.10.2015, jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.9.2016, dahingehend zu ändern, dass pro Jahr für den Kläger und die Klägerin jeweils zusätzliche Werbungskosten in Höhe von 7.134 € (abzüglich der vom Beklagten vorgenommenen Erhöhung der Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. erster Tätigkeitsstätte) bei den Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit berücksichtigt werden,
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    hilfsweise, für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens, die Revision zuzulassen.
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    Der Beklagte beantragt,
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    die Klage abzuweisen,
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    hilfsweise, für den Fall des Unterliegens oder Teilunterliegens, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
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    Er ist der Auffassung, dass sich der Lebensmittelpunkt der Kläger in I-Stadt befinde. Die Aufenthalte in L-Stadt stellten demgegenüber Besuche bei der Mutter dar. Dies folge daraus, dass beide Eheleute bereits seit 1998 in I-Stadt lebten, dort gemeldet seien und das gemeinsame Kind dort den Kindergarten bzw. die Schule besuche. Hier spiele sich der Kernbereich des familiären Lebens ab. Nach der Lebenserfahrung sei auch nach so langer Zeit von sozialen Kontakten auszugehen. Die Größen der beiden Wohnungen seien zumindest vergleichbar. Die Wohnung in L-Stadt sei nicht besser und komfortabler ausgestattet als die familiengerechte Wohnung in I-Stadt. Die Arztbesuche, der Erholungsfaktor und die Mitgliedschaft im Anglerverein änderten hieran nichts.
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    Die Kläger unterhielten keinen eigenen Hausstand in L-Stadt. Sie hätten für das Haus lediglich überschaubare Aufwendungen getragen, was schon aus der Stellung der Klägerin als Miteigentümerin folge.
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    In der Sache haben am 6.6.2018 ein Erörterungstermin vor dem Berichterstatter und am 26.9.2018 eine mündliche Verhandlung vor dem Senat stattgefunden. Auf die Sitzungsprotokolle wird Bezug genommen.
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    Entscheidungsgründe
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    Die Klage ist zulässig und begründet.
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    Die Einkommensteuerbescheide für 2013 und 2014 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung, FGO), soweit der Beklagte die Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung nicht anerkannt hat.
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    Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören zu den Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer beruflich veranlassten doppelten Haushaltsführung entstehen. Nach Satz 2 dieser Vorschrift liegt eine doppelte Haushaltsführung nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes seiner ersten Tätigkeitsstätte einen eigenen Hausstand unterhält und auch am Ort der ersten Tätigkeitsstätte wohnt. „Hausstand“ im Sinne dieser Vorschrift ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt (BFH-Urteil vom 14.6.2007 VI R 60/05, BStBl. II 2007, 890).
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    Die Kläger unterhielten in den Streitjahren 2013 und 2014 in L-Stadt einen eigenen Hausstand. Bis einschließlich 2013 gab es zur Frage, wann ein Arbeitnehmer einen „eigenen“ Hausstand unterhält, keine gesetzliche Regelung. Ein eigener Hausstand erforderte nach der Rechtsprechung, dass er vom Arbeitnehmer aus eigenem oder abgeleitetem Recht genutzt wird (BFH-Urteil vom 30.7.2009 VI R 13/08, BFH/NV 2009, 1986). Er muss die Wohnung zumindest gleichberechtigt mitbenutzen können (BFH-Urteil vom 28.10.2009 VIII R 13/09, BFH/NV 2010, 411) und den Hausstand unterhalten oder zumindest mit unterhalten. Eine zusammen mit anderen Personen bewohnte Wohnung ist kein eigener Hausstand, wenn der Arbeitnehmer die Hausstandsführung nicht zumindest mitbestimmt, sondern in einen fremden Hausstand, zum Beispiel als Gast, eingegliedert ist (BFH-Urteil vom 28.3.2012 VI R 87/10, BStBl. II 2012, 800). Nach der ab 2014 gültigen Gesetzesfassung setzt das Vorliegen eines „eigenen“ Hausstands das Innehaben einer Wohnung sowie eine finanzielle Beteiligung an den Kosten der Lebensführung voraus (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG n.F.).
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    Der Bungalow in L-Stadt stellte sowohl nach der für das Streitjahr 2013 als auch nach der für das Streitjahr 2014 gültigen Rechtslage einen eigenen Hausstand der Kläger dar. Die Kläger nutzten die Wohnung aus eigenem Recht, da die Klägerin Miteigentümerin des Grundstücks war. Den Klägern standen drei Räume zur alleinigen Nutzung zur Verfügung. Lediglich Küche, Bad und Esszimmer mussten sie sich mit der Mutter teilen. Sie haben sich - neben der Mutter der Klägerin - auch an den Kosten für den Haushalt beteiligt, indem sie nachweislich Abfall- und Wassergebühren übernommen haben. Darüber hinaus haben sie sich an den notwendigen Instandhaltungsarbeiten beteiligt, indem sie Kosten für Reparaturen und Pflasterarbeiten getragen haben. Schließlich haben sich die Kläger auch dadurch an den Haushaltsführungskosten beteiligt, dass sie nach ihrer unbestrittenen Einlassung Einkäufe durchgeführt und bezahlt haben. In der Gesamtschau entspricht diese Situation nicht mehr derjenigen eines Gastes, der zu Besuch kommt oder der - wie etwa junge Arbeitnehmer kurz nach Beendigung ihrer Ausbildung, die noch ihr Kinderzimmer bewohnen (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 16.1.2013 VI R 46/12, BStBl. II 2013, 627) - in einen fremden Haushalt eingegliedert sind. Die Kläger waren in den Streitjahren beide über 40 Jahre alt, miteinander verheiratet, hatten ein gemeinsames Kind und verfügten über ausreichendes eigenes Einkommen, um sich an den Kosten des Haushalts zu beteiligen. Dies erfolgte nicht nur in Form einer Beteiligung an den laufenden Kosten, sondern auch durch Tragung außerordentlicher Aufwendungen (Pflasterung) und von Instandhaltungsmaßnahmen (Fensteraustausch).
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    Die Kläger hatten in den Streitjahren auch ihren Lebensmittelpunkt in L-Stadt. Lebensmittelpunkt ist der Mittelpunkt der Lebensinteressen. Ob eine außerhalb des Beschäftigungsortes liegende Wohnung als Mittelpunkt der Lebensinteressen anzusehen ist, erfordert eine Abwägung und Bewertung aller Umstände des Einzelfalles. Indizien können sich aus einem Vergleich von Größe und Ausstattung der Wohnungen sowie aus Dauer und Häufigkeit der Aufenthalte in den Wohnungen ergeben (BFH-Urteil vom 30.10.2008 VI R 10/07, BStBl. II 2009, 153). Bei einem verheirateten Arbeitnehmer liegt der Lebensmittelpunkt grundsätzlich an dem Ort, an dem auch der Ehepartner wohnt. Allein das Zusammenleben berufstätiger Ehegatten am Beschäftigungsort führt für sich genommen jedoch noch nicht zu einer Verlagerung des Lebensmittelpunkts (BFH-Beschlüsse vom 9.7.2008 VI B 4/08, BFH/NV 2008, 2000 und vom 9.2.2015 VI B 80/14, BFH/NV 2015, 675). In der Regel verlagert sich aber der Mittelpunkt der Lebensinteressen eines Arbeitnehmers an den Beschäftigungsort, wenn er dort mit seinem Ehegatten, Lebenspartner oder Lebensgefährten in eine familiengerechte Wohnung einzieht, auch wenn die frühere Wohnung beibehalten und zeitweise noch genutzt wird (BFH-Urteil vom 8.10.2014 VI R 16/14, BStBl. II 2015, 511; BFH-Beschlüsse vom 9.2.2015 VI B 80/14, BFH/NV 2015, 675). Wenn beide Ehegatten während der Woche gemeinsam in einer Wohnung zusammen leben und an den Wochenenden und im Urlaub eine andere Wohnung nutzen, ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass der Lebensmittelpunkt in der Wohnung ist, von der aus beider regelmäßig ihre Arbeitsstätte aufsuchen (BFH-Beschluss vom 4.5.2011 VI B 152/10, BFH/NV 2011, 1347).
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    Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung stellt die Tatsache, dass die Kläger als beiderseits berufstätige Eheleute seit 1998 und damit in den Streitjahren bereits seit 15 bzw. 16 Jahren in I-Stadt wohnten, ein gewichtiges Indiz dafür dar, dass sie inzwischen ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlagert haben. Hinzu kommt, dass sie seit 2007 ein Kind haben, das dort in den Kindergarten bzw. zur Schule geht.
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    Der Senat ist dennoch davon überzeugt, dass die Kläger ihren Lebensmittelpunkt in L-Stadt beibehalten haben. Hierfür spricht, dass sowohl die Kläger selbst als auch ihre Tochter dort ihre Freundeskreise unterhalten. Auch die weiteren Familienangehörigen – z.B. die Eltern der Kläger und die Schwester der Klägerin - leben in dem Ort bzw. in der näheren Umgebung. Die Kläger haben glaubhaft dargelegt, in I-Stadt keine (nennenswerten) sozialen Kontakte zu unterhalten, so dass sich das gesamte Privatleben in L-Stadt abspielt. Hierfür spricht, dass sie sich an nahezu allen Wochenenden und freien Tagen dort aufhalten, teilweise sogar getrennt voneinander. Die Angaben der Kläger werden durch objektive Anhaltspunkte gestützt. So haben sie teilweise nicht unerhebliche Investitionen in das Anwesen getätigt (Pflasterarbeiten, Bau eines Gewächshauses und Reparaturen). Darüber hinaus hat die Klägerin auch angrenzende Grundstücke hinzuerworben, um diese als Gartenland zu nutzen und zu bewirtschaften. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, an dem die Kläger bereits seit mehreren Jahren in I-Stadt wohnten. Angesichts des Alters der Mutter ist nicht davon auszugehen, dass die Klägerin dies hauptsächlich deshalb tat, um der Mutter einen größeren Garten zu verschaffen, der mit zusätzlicher Arbeit verbunden ist. Vielmehr wollte die Klägerin die vergrößerte Fläche nutzen, um in ihrer Freizeit ihrem Interesse – dem Obst- und Gemüseanbau – nachgehen zu können.
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    Dass sich die Hausärzte und Zahnärzte der gesamten Familie (einschließlich der Tochter) in der Umgebung von L-Stadt befinden, ist als gewichtiges Anzeichen für einen dortigen Lebensmittelpunkt zu werten. Da Arztbesuche typischerweise nicht am Wochenende stattfinden, müssen sich die Kläger auch häufiger an Wochentagen dort aufgehalten haben. Darüber hinaus war der Kläger nachweislich Mitglied im örtlichen Angelverein.
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    Der Vergleich der Wohnsituationen in beiden Orten spricht nicht gegen einen Lebensmittelpunkt in L-Stadt. Die Dreizimmerwohnung in I-Stadt ist zwar mit 80 m² als familiengerecht anzusehen. Dies ist jedoch dem Umstand geschuldet, dass sie für die Tochter ein eigenes Zimmer zur Verfügung gestellt haben. Der Familie stehen in L-Stadt ebenfalls drei Zimmer zur alleinigen Nutzung zur Verfügung. Lediglich Küche, Bad und Esszimmer müssen sie sich mit der Mutter der Klägerin teilen. Vor dem Hintergrund, dass den Klägern und ihrer Tochter mit dem eigenen Wohnzimmer in L-Stadt eine Rückzugsmöglichkeit verbleibt und die Tochter dort über ein eigenes Kinderzimmer verfügt, lässt die Wohnsituation nicht als schlechter als diejenige in I-Stadt erscheinen. Im Ergebnis dürfte die zur Verfügung stehende Wohnfläche in beiden Wohnungen in etwa gleich hoch sein. Da die Wohnung in I-Stadt allerdings nur über einen Balkon und nicht über eine Gartennutzungsmöglichkeit verfügt, weist das Grundstück in L-Stadt mit seinem großen Garten eine höhere Wohnqualität auf.
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    Schließlich stellt nach Ansicht des Senats gerade auch der lange Zeitraum, in dem die Kläger bereits in dieser Situation leben, ein Indiz dafür dar, dass sie ihren Lebensmittelpunkt in L-Stadt keinesfalls aufgeben wollten. Nach ihren glaubhaften Angaben sind sie weiterhin ernsthaft daran interessiert, ganz dorthin zurückzukehren, wenn sie in der Nähe entsprechende Arbeitsplätze fänden.
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    Die Kläger können die geltend gemachten Aufwendungen auch der Höhe nach als Werbungskosten abziehen. Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Sätze 3 und 4 EStG a.F. (entspricht Sätzen 5 und 6 EStG n.F.) können Fahrtkosten nur im Umfang von einer Familienheimfahrt wöchentlich mit 0,30 € pro Entfernungskilometer abgezogen werden. Da diese Vorschrift als Pauschalregelung für jeden Arbeitnehmer gesondert anzuwenden ist, kann jeder der beiden Kläger einen Betrag in Höhe von 316 km * 0,30 € * 45 Fahrten = 4.266 € abziehen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Fahrten gemeinsam oder zusammen durchgeführt wurden, denn die Entfernungspauschale kann aufwandsunabhängig in Anspruch genommen werden (BFH-Urteil vom 18.4.2013 VI R 29/12, BStBl. II 2013, 735).
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    Darüber hinaus können die Kläger zulässigerweise die Unterkunftskosten in Höhe von 12 * 478 € = 5.736 € abziehen. Hierzu zählt die Miete einschließlich der Nebenkosten (Krüger in Schmidt, EStG, 37. Aufl. 2018, § 9, Rn. 247). Die Mietaufwendungen sind den Klägern jeweils zur Hälfte zuzurechnen.
    33

    Gegenzurechnen ist jedoch die vom Beklagten vorgenommene Erhöhung der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bzw. erster Tätigkeitsstätte im Verhältnis zu den erklärten Fahrten, was zwischen den Beteiligten auch nicht streitig ist. Diese Kürzung beträgt jeweils 45 Fahrten für das Jahr 2013 und 40 Fahrten für das Jahr 2014. Dabei geht das Gericht - wie der Beklagte - von einer einfachen Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte des Klägers von lediglich 13 km aus. Dies ergibt sich aus dem in der Steuerakte befindlichen Ausdruck eines Routenplaner und wird von den Klägern auch nicht bestritten. Daraus ergibt sich folgende Erhöhung der Werbungskosten:
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    2013
       

    Kläger
       

    Klägerin

    Fahrten L-Stadt
       

    4.266,00 €
       

    4.266,00 €

    Unterkunft
       

    2.868,00 €
       

    2.868,00 €

    Kürzung Fahrten Wohnung-Arbeitsstätte
       

    -175,50 €
       

    -202,50 €

    Summe
       

    6.958,50 €
       

    6.931,50 €
           

    2014
           

    Fahrten L-Stadt
       

    4.266,00 €
       

    4.266,00 €

    Unterkunft
       

    2.868,00 €
       

    2.868,00 €

    Kürzungsfahrten Wohnung- Erste Tätigkeitsstätte
       

    -156,00 €
       

    -180,00 €

    Summe
       

    6.978,00 €
       

    6.954,00 €
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    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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    Die Revision war nicht zuzulassen, da kein Revisionsgrund im Sinne von § 115 Abs. 2 FGO vorliegt. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung, weil es im Kern um eine Abwägung aller Gesamtumstände des Einzelfalles geht.

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