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  • 17.09.2014 · IWW-Abrufnummer 142665

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 24.06.2014 – 1 K 1227/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Finanzgericht Köln

    1 K 1227/12

    Tenor:

    Unter Änderung des Aufhebungsbescheides vom 03.05.2011 wird dem Kläger für seine Tochter A, geboren 01.12.1989 für die Zeiträume Dezember 2007 bis April 2008 sowie August 2008 bis Januar 2010 Kindergeld in der gesetzlichen Höhe gewährt und der Rückforderungsbescheid in entsprechender Höhe aufgehoben.
    Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
    Die Revision wird zugelassen.
    Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
    Tatbestand
    Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Kindergeldaufhebungs- und Rückforderungsverfahrens über die wirksame Einspruchserhebung außerhalb der gesetzlichen Monatsfrist.
    Da der Kläger für seine am 01.12.1989 geboren Tochter A trotz Aufforderung der Beklagten keine Ausbildungsnachweise vorlegte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 03.05.2001 die Kindergeldfestsetzung für A ab Dezember 2007 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf und forderte gleichzeitig für den Zeitraum Dezember 2007 bis Juni 2010 überzahltes Kindergeld i.H. von 5.282 € nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zurück.
    Der Bescheid vom 03.05.2011 ist mit folgender Rechtsbehelfsbelehrung versehen:
    „Rechtsbehelfsbelehrung:
    Dieser Bescheid kann mit dem Einspruch angefochten werden. Ein Einspruch ist jedoch ausgeschlossen, soweit dieser Bescheid einen Verwaltungsakt ändert oder ersetzt, gegen den ein zulässiger Einspruch oder (nach einem zulässigen Einspruch) eine zulässige Klage, Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde anhängig ist. In diesem Fall wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Rechtsbehelfsverfahrens. Der Einspruch ist bei der vorbezeichneten Familienkasse schriftlich einzureichen oder zur Niederschrift zu erklären. Die Frist für die Einlegung eines Einspruchs beträgt einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf des Tages, an dem Ihnen der Bescheid bekannt gegeben worden ist. Bei Zusendung durch einfachen Brief oder Zustellung mittels Einschreiben durch Übergabe gilt die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post bzw. bei Übermittlung im Ausland einen Monat nach Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, dass der Bescheid zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Bei Zustellung durch Zustellungsurkunde oder durch Einschreiben mit Rückschein oder gegen Empfangsbekenntnis ist Tag der Bekanntgabe der Tag der Zustellung.
    Auch wenn Sie Einspruch einlegen, müssen Sie den Erstattungsbetrag bis zum oben genannten Fälligkeitstermin begleichen.
    Wichtiger Hinweis: Wenn Sie nicht innerhalb der Einspruchsfrist (siehe Rechtsbehelfsbelehrung) Einspruch einlegen, können Sie später zwar wieder einen neuen Antrag stellen. Die Zahlung von Kindergeld kann dann aber frühestens für die Zeit nach Ablauf des Monats erfolgen, in dem Ihnen dieser Bescheid bekanntgegeben worden ist.
    Hinweise:
    Wenn Sie mit der oben aufgeführten Forderung grundsätzlich nicht einverstanden sind, werden Sie sich bitte an Ihre zuständige Familienkasse.
    Bei Fragen zur Rückzahlung werden Sie sich bitte unverzüglich an das Regionale Forderungsmanagement:
    Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen
    Forderungsmanagement
    Görresstr. 15
    45657 Recklinghausen
    Tel. 0180 1003090
    E-Mail: Nordrhein-Westfalen.Forderungseinzug@arbeitsagentur.de
    Bitte geben Sie in Schreiben an das Regionale Forderungsmanagement immer den Verwendungszweck an.“
    Die in den Akten befindliche Bescheidkopie enthält den Vermerk des Sachbearbeiters „abgesandt am: 04.05.2011“.
    Am 09.08.2011 reichte der Kläger bei der Beklagten eine Bescheinigung der Abendrealschule B über den Besuch von A vom 11.08.2008 bis 28.01.2010, einen Berufsausbildungsvertrag zur Frisörin vom 03.08.2007 für die Zeit vom 01.08.2007 bis zum 31.07.2010 sowie Abmahnungen der Berufsschule über das Fehlen von A ab 21.01.2008. Daneben befindet sich im weiteren Verlauf der Kindergeldakte ein Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung, die den Bezug von Arbeitslohn vom Ausbildungsunternehmen für den Zeitraum 01.08.2007 bis 31.12.2007 ausweist.
    Mit Schreiben vom 12.09.2011 erklärte die Beklagte dem Kläger gegenüber, dass die Unterlagen wegen Rechtskraft der Bescheide nicht als Einspruch gewertet werden könnten. Hierauf erklärte der nunmehr durch die Prozessbevollmächtigte vertretene Kläger mit Schreiben vom 06.10.2011 mit, dass er nicht mehr nachvollziehen könne, wann er den Rückforderungsbescheid erhalten habe, im Einreichen der Unterlagen vom 09.08.2011 liege daher ein zulässiger Einspruch. Vorsorglich stellte er einen Antrag auf Wiedereinsetzung der Einspruchsfrist in den vorigen Stand und legte gleichzeitig Einspruch ein. Zur Begründung verwies er darauf, dass er die Ausbildungsunterlagen erst im August 2011 von seiner volljährigen Tochter habe erhalten können, er kaum Deutsch spreche und ihm nicht klar gewesen sei, dass er sich habe mit der Beklagten in Verbindung setzen können und Fristverlängerung beantragen, obwohl er die fehlenden Unterlagen noch nicht in seinem Besitz gehabt habe.
    Mit Einspruchsentscheidung vom 16.03.2012 wies die Beklagte den Wiedereinsetzungsantrag mangels unverschuldeter Säumnis zurück und verwarf den Einspruch wegen Verfristung als unzulässig.
    Mit der hiergegen am 20.04.2012 erhobenen Klage wiederholt der Kläger sein außergerichtliches Vorbringen und macht darüber hinaus unter Verweis auf das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 14.02.2014 3 K 742/13 KG, AO geltend, dass die Rechtsbehelfsbelehrung irreführend sei. Daneben reichte der Kläger in der mündlichen Verhandlung am 24.06.2014 eine Bescheinigung des Ausbildungsbetriebs von A ein, dass diese dort vom 01.08.2007 bis zum 30.04.2008 als Auszubildende gearbeitet habe.
    Der Kläger beantragt,
    für die Monate Dezember 2007 bis April 2008 und August 2008 bis Januar 2010 Kindergeld für das Kind A zu gewähren und den angefochtenen Rückforderungsbescheid insoweit aufzuheben.
    Die Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
    Zur Begründung verweist die Beklagte auf ihre Einspruchsentscheidung und ergänzt
    ihren außergerichtlichen Vortrag hinsichtlich der Entscheidung des FG Münster dahin, dass die Sachverhalte nicht vergleichbar seien, weil vorliegend vor dem „Hinweis“ mit dem „Wichtige Hinweis“ auf die Einhaltung der Einspruchsfrist hingewiesen werde, was sowohl eine Unklarheit, als auch eine Mehrdeutigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung ausschließe.
    Wegen der weiteren Einzelheiten der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 24.06.2014 verwiesen.
    Entscheidungsgründe
    Die Klage ist begründet.
    Der Kläger hat Anspruch auf Kindergeld für seine am 01.12.1989 geborene Tochter A für die Monate Dezember 2007 bis April 2008 sowie August 2008 bis Januar 2010. Insoweit hat die Beklagte auch keinen Erstattungsanspruch gegenüber dem Kläger.
    Die Kindergeldberechtigung des Klägers für seine im Streitzeitraum noch nicht 25-jährige und in Berufs- bzw. Schulausbildung befindliche Tochter A ergibt sich aus §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG. Da die generelle Kindergeldberechtigung zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, sieht das Gericht insoweit von weiteren Ausführungen ab.
    Der Kindergeldgewährung steht auch nicht die Bestandskraft des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides vom 03.05.2011 entgegen. Der Kläger hat mit Schreiben vom 06.10.2011 trotz des Überschreitens der Monatsfrist nach § 355 Abs. 1 AO form- und fristgerecht Einspruch erhoben. Denn durch die von der Beklagten im angefochtenen Bescheid verwendete Rechtsbehelfsbelehrung wurde die Rechtsbehelfsfrist nicht in Gang gesetzt (§ 356 Abs. 1 AO). Der Kläger konnte aufgrund unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung nach § 356 Abs. 2 AO seinen Einspruch innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe des Bescheides wirksam einlegen.
    Unrichtig i.S. des § 356 Abs. 2 Satz 1 AO ist eine Belehrung zum einen dann, wenn sie in wesentlichen Aussagen unzutreffend oder unvollständig ist. Unrichtig im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtsbehelfsbelehrung aber auch dann, wenn sie Informationen enthält, die über den gesetzlich erforderlichen Mindestinhalt hinausgehen und diese Informationen bei objektiver Betrachtung dazu geeignet sind, die Möglichkeiten der Fristwahrung zu gefährden (BFH-Beschluss vom 26.05.2010 VIII B 228/09, BFH/NV 2010, 2080). Enthält eine Rechtsbehelfsbelehrung noch andere als die notwendigen Angaben, so müssen auch diese Angaben richtig, vollständig und unmissverständlich sein (vgl. BFH-Urteil vom 21.06.2007 III R 70/06, BFH/NV 2007, 2064). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Rechtsbehelfsbelehrung dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG); Art. 19 Abs. 4 GG) Rechnung tragen muss, aber hierbei so einfach und klar wie möglich sein soll (BFH-Urteil vom 20.11.2013 X R 2/12, BStBl II 2014, 236). Insbesondere ist im Interesse rechtsunkundiger Beteiligter eine inhaltliche Überfrachtung zu vermeiden, die statt Klarheit zu schaffen wegen ihres Umfangs und ihrer Kompliziertheit Verwirrung stiftet (BFH-Urteil vom 07.03.2006 X R 18/05, BStBl II 2006, 455). Ob eine konkrete Rechtsbehelfsbelehrung den gesetzlichen Anforderungen genügt, ist aufgrund einer Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (BFH-Beschluss vom 09.11.2009 IV B 54/09, BFH/NV 2010, 448) und bestimmt sich danach, wie der Erklärungsempfänger die Rechtsbehelfsbelehrung oder die ergänzenden Angaben nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung der ihm bekannten Umstände verstehen musste, wobei Unklarheiten oder Mehrdeutigkeiten zu Lasten der Behörde gehen (vgl. BFH-Beschluss vom 09.11.2009 IV B 54/09, BFH/NV 2010, 448; BFH-Beschluss vom 26.05.2010 VIII B 228/09, BFH/NV 2010, 2080).
    Vorliegend erfüllt die von der Beklagten verwendete Rechtsbehelfsbelehrung in Zusammenhang mit den unmittelbar auf die Rechtsbehelfsbelehrung folgenden Hinweisen nicht die Anforderungen des § 356 Abs. 1 AO.
    Zweifelhaft ist bereits, ob die einleitende Rechtsbehelfsbelehrung der Beklagten den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung genügt. Die von der Beklagten verwendete Rechtsbehelfsbelehrung geht insoweit über den notwendigen Mindestinhalt nach § 356 Abs. 1 AO hinaus, als sie unabhängig davon, ob dies im konkreten Einzelfall von Bedeutung ist, direkt ab dem zweiten Satz darüber belehrt, wann ein Einspruch ausgeschlossen ist und erst danach - für den Fall, dass der Einspruch nicht ausgeschlossen ist - zu den notwendigen Angaben über die zuständige Behörde und die Frist Stellung nimmt. Dies führt dazu, dass die Rechtsbehelfsbelehrung inhaltlich überfrachtet und unübersichtlich ist und insbesondere in Fällen wie dem hier vorliegenden, in denen kein Fall des Ausschlusses vorliegt, jedenfalls bei einem juristischen Laien zu Verwirrung und Verunsicherung führt.
    In ihr Gegenteil verkehrt wird die zuvor erteilte Belehrung, dass der Bescheid durch einen Einspruch innerhalb eines Monats schriftlich angefochten werden kann, durch den nachfolgenden Hinweis, dass sich der Kläger an die zuständige Familienkasse wenden soll, wenn er mit der oben aufgeführten Forderung grundsätzlich nicht einverstanden sei. Dieser Hinweis erweckt den Eindruck, dass unabhängig von der (fristgebundenen) Einspruchseinlegung, die weitere Möglichkeit besteht sich – ohne Einhaltung einer Frist – an die Familienkasse zu wenden. Dieser Eindruck wird verstärkt, durch den Hinweis unter Angabe einer Telefonnummer, dass der Adressat des Bescheides sich bei Fragen zur Rückzahlung des Kindergeldes an das regionale Forderungsmanagement wenden soll. Zum einen kann nicht davon ausgegangen werden, dass einem juristischen Laien die Unterscheidung zwischen Rückforderung und Rückzahlung bewusst ist. Zum anderen suggeriert die Mitteilung einer Telefonnummer geradezu, dass unabhängig von der schriftlichen, fristgebundenen Einspruchseinlegung auch ein formloses, sogar telefonisches Vorgehen gegen den Bescheid möglich ist. Diese Mehrdeutigkeit hat zur Überzeugung des Gerichts die Folge, dass die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet ist.
    Dass diese Art der Rechtsbehelfsbelehrung tatsächlich missverständlich ist und geeignet die Möglichkeit der Fristwahrung zu gefährden, zeigt sich in der Vielzahl der gerichtlichen Kindergeldverfahren, in denen Einsprüche bei der Regionaldirektion NRW in Recklinghausen eingelegt wurden, bzw. die Einsprüche zwar bei der Familienkasse eingelegt wurden, allerdings mit dem Bemerken, zwar sei die Monatsfrist versäumt, aber die Unterlagen seien nunmehr beigefügt, sowie einer Vielzahl von Fällen, in denen vorgetragen wird, man habe sich entweder mit der Familienkasse oder der Regionaldirektion telefonisch in Verbindung gesetzt. Dies zeigt, dass die von der Familienkasse verwendete Rechtsbehelfsbelehrung nicht geeignet ist einem juristischen Laien zu vermitteln, dass er seine Einwendungen gegen den Bescheid zwingend schriftlich, innerhalb einer bestimmten Frist und bei einer bestimmten Behörde vorbringen muss.
    An dieser Beurteilung ändert auch der Umstand nichts, dass unter der einleitenden Rechtsbehelfsbelehrung als „Wichtiger Hinweis“ gekennzeichnet ausgeführt wird, dass der Kläger bei Versäumen der Einspruchsfrist zwar einen neuen Kindergeldantrag stellen könne, die Zahlung aber frühestens für die Zeit nach Ablauf des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung erfolgen könne. Denn dieser Hinweis betrifft vom unmittelbaren Erklärungsinhalt überhaupt nicht den vorliegenden Fall, in dem sich der Kläger gegen die Aufhebung und Rückforderung von Kindergeld wendet und keinen neuen Kindergeldantrag stellt.
    Da die Zahlung des streitigen Kindergeldes mithin nicht ohne rechtlichen Grund erfolgt ist, kommt eine Rückforderung nach § 37 Abs. 2 AO nicht in Betracht.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

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