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  • 08.07.2011 · IWW-Abrufnummer 111284

    Finanzgericht des Saarlandes: Urteil vom 17.02.2011 – 1 K 1468/08

    1. Das Fehlen einer Verpflichtung zur förmlichen Aufzeichnung der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte führt nicht dazu, dass das FA die erklärten Einkünfte ungeprüft übernehmen muss.



    2. Bei der Geltendmachung einer großen Anzahl von Fahrten über eine einfache Entfernung mit einer großen Gesamtkilometerzahl ist bereits im Eigeninteresse eine entsprechende Beweisfürsorge zu treffen.



    3. Können die Fahrten zwischen den verschiedenen Wohnungen der Fachschulrätin einer Hochschule und ihrer Arbeitsstätte mangels Aufzeichnungen nicht exakt ermittelt werden, ist das FA berechtigt die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Dies gilt vor allem, wenn der Beruf keine tägliche Präsenz an der Arbeitsstelle voraussetzt, die geltend gemachte jährliche Fahrleistung – von zunächst über 60.000 km und im Klageantrag nur noch rd. 36.000 km – erheblich divergiert und hohe Werbungskosten vor dem Hintergrund der Einkunftsgrenze des § 5 EigZulG geltend gemacht werden.


    FG des Saarlandes v. 17.02.2011

    1 K 1468/08

    Tatbestand
    Die ledige Klägerin erzielte als Fachschulrätin an der Hochschule in X X im Streitjahr 2005 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Rechtsstreit wird um die Höhe der Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geführt.

    Die Klägerin unterhielt ab Dezember 2003 bis zum 17. Juli 2005 eine Wohnung in Y. Mit Hauptwohnsitz war sie seit ihrer Geburt bis zum 31. Juli 2005 bei ihren Eltern in A gemeldet. Zum 1. August 2005 bezog sie ein eigenes Haus in Z, das sie durch Vertrag vom 20. Juni 2005 erworben hatte und das sie seitdem bewohnt. Für dieses Haus hatte sie die Eigenheimzulage ab 2005 beantragt und durch Bescheid vom 30. Dezember 2005 auch erhalten. Ab Oktober 2005 übernachtete sie in der Vorlesungszeit als Untermieterin bei einem Bekannten in B (Nähe X).

    Am 27. Juni 2006 reichte die Klägerin ihre Einkommensteuererklärung 2005 ein. Darin machte sie für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitstätte insgesamt 9.227 EUR geltend:

    > 193 Tage × 155 km = 29.915 km × 0,30 EUR = 8.974,50 EUR
    > 35 Tage × 24 km = 840 km ×0,30 EUR = 252,00 EUR
    Summe 30.755 km 9.226,50 EUR
    Gefahrene Strecke 61.510 km

    Aufgrund von Angaben, die die Klägerin im Verfahren der Eigenheimzulage gemacht hatte, ließ der Beklagte 3.554 EUR für folgende Fahrten zum Werbungskostenabzug zu

    > 73 Tage × 23 km = 1.679 km × 0,30 EUR = 503,70 EUR
    > 26 Tage × 160 km = 4.160 km × 0,30 EUR = 1.248,00 EUR
    > 29 Tage × 4 km = 116 km × 0,30 EUR = 34,80 EUR
    > 38 Tage × 155 km = 5.890 km × 0,30 EUR = 1.767,00 EUR
    Summe: 11.845 km 3.553,50 EUR
    Gefahrene Strecke 23.690 km

    und setzte durch Bescheid vom 13. September 2006 die Einkommensteuer 2005 aufgrund eines Gesamtbetrages der Einkünfte von 38.505 EUR dementsprechend fest (Gesamtbetrag der Einkünfte 2004: 37.539 EUR; 2006: 34.895 EUR). Am selben Tage hob der Beklagte die Eigenheimzulage wegen Überschreitung der Einkunftsgrenze auf.

    Die Klägerin legte am 29. September 2006 Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2005 ein und machte folgende Fahrten geltend:

    Strecke insgesamt Anzahl Tage einf. Entfernung km
    Y – X 1.1.-31.7. 35 23 1.610
    A/Z – X 1.1.-31.12. 183155 56.730
    B – X 1.8.-31.12 17 4 136
    Summe 235 58.476

    Im Zuge des Einspruchsverfahrens erließ der Beklagte Änderungsbescheide, zuletzt am 22. August 2008. Darin wurden zusätzliche Werbungskosten i.H.v. 1.528 EUR aufgrund folgender Fahrten anerkannt:

    Strecke insgesamt Anzahl Tage einf. Entfernung km
    Y – X 1.1.-31.7. 132 23 6.072
    A/z – X 1.1.-31.7. 26 160 8.320
    B – X 1.8.-31.12. 29 4 232
    Mandelbachtal – X 1.8.-31.12. …38 155 11.780
    Summe 225 26.404

    Die Zahl der Fahrten von Y nach X wurde dabei von 73 auf 132 erhöht (Gesamtbetrag der Einkünfte: 36.437 EUR). Der Beklagte wies den verbliebenen Einspruch mit Entscheidung vom 26. August 2008 als unbegründet zurück. Wegen Einzelheiten der Änderungen wird auf die Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

    Am 24. September 2008 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie beantragt,

    unter Änderung des Bescheides vom 22. August 2008 in Form der Einspruchsentscheidung vom 26. August 2008 die Einkommensteuer 2005 unter Berücksichtigung weiterer Werbungskosten i.H.v. 1.463,70 EUR bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit festzusetzen.

    Im gesamten Jahr 2005 habe sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Klägerin im Saarland befunden. Anfang 2005 habe die Klägerin den Entschluss gefasst, eine zu eigenen Wohnzwecken genutzte Immobilie im Saarland zu erwerben. Sie sei mit dem Verkäufer im April 2005 handelseinig geworden und habe im Mai 2005 in Eigenleistung mit der Renovierung begonnen. Aufgrund des Erwerbs, der Renovierung und der Ausstattung der Immobilie sei sie häufig im Saarland gewesen. Daher seien die Fahrten von A zu ihrer Arbeitsstätte in X als Werbungskosten geltend gemacht worden. Streitig sei die Anzahl dieser Fahrten. Die Klägerin habe folgende Fahrten durchgeführt:

    Strecke insgesamt Anzahl Tage einf. Entfernung km
    Y – X 1.1.-31.7. 103 23 4.738
    A – X 1.1.-31.7. 55 160 17.600
    B – X 1.8.-31.12. 23 4 184
    Z – X 1.8.-31.12. …44 155 13.640
    Summe 225 36.162

    Der Beklagte habe in den Monaten Mai, Juni und Juli keine Fahrtkosten anerkannt, obwohl die Klägerin nachweislich im Saarland gewesen sei. Selbst nachdem sie ihre Wohnung in Y aufgelöst und nur noch über eine Wohnung im Saarland verfügt habe, seien die entsprechenden Fahrtkosten nicht anerkannt worden. Die Fahrten gingen aus folgenden Nachweisen hervor:

    1. Kontoauszüge/Belege

    Die Kontoauszüge zeigten, dass an mindestens 97 Tagen Einkäufe im Saarland und Umgebung mittels EC-Karte getätigt worden seien. Zudem sei durch einzelne Belege nachweisbar, dass die Klägerin an bestimmten Tagen im Saarland gewesen sei und somit auch Fahrten zwischen Mandelbachtal und X unternommen habe. Sei die Klägerin am Wochenende im Saarland gewesen, habe folglich auch eine Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitstätte freitags/montags stattgefunden. Um diese zusätzlichen Fahrten sei die Auflistung des Beklagten zu ergänzen.

    2. TÜV-Berichte

    Um die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bewältigen zu können, habe die Klägerin 2005 sogar einen zweiten PKW angeschafft. Anhand der TÜV-Belege ergäben sich folgende Fahrleistungen:

    BMW: Fahrleistung vom 3. August 2005 bis zum 2. August 2007: (201.600 - 132.613 =) 68.987 km; durchschnittliche Fahrleistung pro Jahr (68.987 km / 24 Monate × 12) 34.493 km.

    Rover: Fahrleistung vom 6. Januar 2004 bis zum 20. Juni 2006: (136.671 km - 85.045 km =) 51.626 km. Durchschnittliche Fahrleistung (51.626 km / 22 Monate × 8) 18.773 km.

    In der Einspruchsentscheidung sei die rechnerisch mögliche Fahrleistung 2005 mit 24.110 km angegeben. Der BMW sei bis zum 15. September 2005 auf den Vater der Klägerin zugelassen gewesen. Da der Vater im September 2005 ein neues Kfz angeschafft habe, sei der BMW auf die Klägerin angemeldet worden. Die Klägerin habe auch das neue Fahrzeug des Vaters nutzen können (Bl. 12).

    Die im Einkommensteuerbescheid berücksichtigten 64 Fahrten zwischen Mandelbachtal und X seien nicht auf Grund einer Schätzung ermittelt worden. Ein Sachbearbeiter des Veranlagungsbezirkes habe anhand der Belege eine taggenaue Auflistung gefertigt, die alle Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte enthalte.

    Die Veranlagungszeiträume 2004 und 2005 ließen sich nicht miteinander vergleichen. Seit Anfang 2005 habe die Klägerin eine Immobilie im Saarland gesucht. Diesbezüglich seien entsprechende Verhandlungen zu führen gewesen. Die Immobilie sei unter wesentlicher Mitwirkung der Klägerin vollständig renoviert worden.

    Die Klägerin habe lediglich bis zum 18. Juli 2005 über die Wohnung in Y verfügt. Die Wohnung in B sei 2005 lediglich für 17 Übernachtungen genutzt worden (bestätigt durch den Vermieter). Die Laufleistungen der von der Klägerin bereit gehaltenen Fahrzeuge deckten die beantragten Kilometer deutlich ab. Der Beklagte habe bereits 64 Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anhand einer genauen Auflistung ermittelt. Die Auflistung berücksichtige jedoch nicht alle Fahrten zwischen Mandelbachtal und X. Die Kontoauszüge wiesen eine regelmäßige Anwesenheit der Klägerin im Saarland nach (Einkäufe mit EC-Karte im Saarland oder Abhebungen am Geldautomaten). Weiterhin existieren Belege über Warenkäufe mit Barzahlung. Danach habe sich die Klägerin an wesentlich mehr Tagen im Saarland aufgehalten.

    Die Klägerin habe mit Schreiben vom 24. November 2005 zu ihrer aktuellen Arbeitssituation im Rahmen eines Antrages für Eigenheimzulage Stellung genommen. Das Schreiben beziehe sich in erster Linie auf die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Jahre 2006 und beschreibe nur teilweise die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Jahre 2005.

    Mit dem Vermieter in B sei vereinbart worden, die Wohnung als Untermieterin maximal 3 Mal in der Woche zu nutzen und hierfür ein Entgelt i.H.v. 100 EUR zu zahlen. In dieser 2-ZKB-Wohnung lebe der Vermieter mit seiner Lebensgefährtin. Die Klägerin habe auf dem Schlafsofa im Wohnzimmer übernachtet und sei daher bemüht gewesen, die Nutzung auf „Notfälle” zu beschränken, d.h. wenn durch die Arbeitszeiten eine verspätete Abreise und gleichzeitig eine frühe Anreise notwendig geworden seien.

    Die vom Beklagten übermittelten Arbeitszeitblätter wichen erheblich von den Arbeitszeitblättern ab, die sich im Original in den Handakten des Bevollmächtigten befänden. Mit dem Schreiben vom 24. November 2005 sei der Finanzverwaltung die zu diesem Zeitpunkt aktuelle und zukünftige Fahrsituation geschildert worden.

    Die mit dem Schriftsatz des Beklagten vom 28. Januar 2009 übersandten Arbeitszeitblätter wiesen im Wesentlichen keine gekennzeichneten Fahrtage auf. Die Arbeitszeitblätter seien zur Vorlage beim Arbeitgeber gefertigt worden. Sie dokumentierten daher die Arbeitstage im Jahre 2005 und seien als Grundlage für die Ermittlung der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verwendet worden. Die Tage mit Fahrten zwischen A/Z und X seien mit einem Stern vor dem Datum versehen. Die Originale befänden sich beim Bevollmächtigten.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage als unbegründet abzuweisen.

    Weitere Fahrten als die, die im Bescheid vom 22. August 2008 angesetzt worden seien, seien nicht zu berücksichtigen. Die Fahrten zwischen den verschiedenen Wohnungen und der Arbeitsstätte seien nicht nachgewiesen. Die im Klageverfahren eingereichten 27 Belege seien zum Nachweis der zusätzlichen 35 Fahrten von Mandelbachtal nach X ungeeignet. Sie könnten allenfalls darlegen, dass die Fahrten an anderen Tagen als in den Arbeitszeitblättern deklariert stattgefunden hätten. Die Markierungen auf den Arbeitszeitblättern würden zudem nicht nachweisen, an welchen Tagen solche Fahrten stattgefunden hätten. Zum einen seien die Markierungen nicht zeitnah, sondern erst nachträglich angebracht worden. Zum anderen seien sie auch zumindest teilweise unzutreffend (s. Skipflichtexkursion vom 11. bis 18. März 2005 und Arbeitsgemeinschaft vom 16. bis 20. Dezember 2005).

    Im Hinblick auf die ungewöhnlich hohe Kilometerleistung (mehr als 61.000 km) für Fahrten zwischen den verschiedenen Wohnungen und der Arbeitstätte trage die Klägerin eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Es sei ihr möglich und zumutbar gewesen, durch Fahrtenbücher mit begleitenden Unterlagen (Benzin-, Reparatur-, Inspektionsrechnungen usw.) den Sachverhalt so weit wie möglich zu beweisen. Da sie dies nicht getan habe, seien die Fahrten zu schätzen. Die Schätzung habe sich im Wesentlichen an den von der Klägerin selbst eingereichten Arbeitszeitblättern orientiert. Die darin erklärten 64 Fahrten zwischen Mandelbachtal und X seien dem Umfang nach als glaubhaft anzusehen. Im Übrigen habe die Klägerin für 2004 lediglich 46 Fahrten zwischen Mandelbachtal und X erklärt. Die Einlassung, die Klägerin habe die Wohnung in B 2005 lediglich 17 Mal genutzt, widerspreche ihrem Schreiben vom 24. November 2005.

    Das Schreiben vom 24. November 2005 beziehe sich nicht in erster Linie auf Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte im Jahre 2006. Ob die von der Klägerin eingereichten Kopien der Arbeitszeitblätter von den Originalen abwichen, könne nicht beurteilt werden. Die in der Einkommensteuererklärung 2005 angegebenen Fahrten entsprächen offensichtlich nicht den tatsächlichen Gegebenheiten, was auch die Ausführungen der Klägerin im Einspruchsverfahren belegten.

    Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Akten des Beklagten, die von der Hochschule X erteilten Auskünfte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.



    Entscheidungsgründe
    Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Beklagte hat die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht zum Nachteil der Klägerin geschätzt.

    1. Rechtsgrundlagen zur Schätzung der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte

    a. Gesetzliche Regelung

    Nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG sind Werbungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die Arbeitsstätte aufsucht, eine Entfernungspauschale i.H.v. 0,30 EUR für jeden vollen Kilometer anzusetzen, höchstens jedoch 4500 EUR im Kalenderjahr; ein höherer Betrag als 4500 EUR ist anzusetzen, soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen Kraftwagen benutzt. Hat ein Arbeitnehmer mehrere Wohnungen, so sind die Wege von einer Wohnung, die nicht der Arbeitsstätte am nächsten liegt, nur zu berücksichtigen, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers bildet und nicht nur gelegentlich aufgesucht wird.

    b. Schätzungsbefugnis

    Das Finanzamt hat die Besteuerungsgrundlagen – wie z.B. die Höhe bestimmter Werbungskosten – zu schätzen, soweit es sie nicht exakt ermitteln oder berechnen kann. Insbesondere ist zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann (§ 162 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2 AO). Die Besteuerungsgrundlagen dürfen nur geschätzt werden, „soweit” sie nicht exakt ermittelt werden können. Das Finanzamt hat von der Steuererklärung auszugehen, soweit diese zutrifft. Die verwertbaren Teile der Unterlagen des Steuerpflichtigen sind zu berücksichtigen. Eine Vollschätzung kommt nur in Betracht, wenn entweder keine Unterlagen vorlegt werden oder die vorgelegten Unterlagen insgesamt kein Vertrauen verdienen (BFH v. 15. April 1999 IV R 68/98, BStBl II 1999, 481).

    Für bestimmte Bereiche – z.B. Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte eines Arbeitnehmers – gibt keine gesetzliche Aufzeichnungspflicht. Gleichwohl ist der Steuerpflichtige im Eigeninteresse gehalten, dem Finanzamt die für die Besteuerung maßgeblichen Umstände in einer Art und Weise darzulegen, dass sich der jeweilige Sachbearbeiter zu den Vorgängen eine entsprechende Überzeugung bilden kann. Entscheidend ist, dass die für die Besteuerung maßgeblichen Vorgänge vollständig erfasst werden (BFH vom 16. Februar 2006 X B 57/05, BFH/NV 2006, 940 zu den Aufzeichnungen bei Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG). Die Aufzeichnungen oder Darlegungen des Steuerpflichtigen müssen – will er eine Schätzung vermeiden – so klar und vollständig sein, dass sie einem sachverständigen Dritten in vertretbarer Zeit den Umfang der Einkünfte plausibel machen. Denn das Fehlen einer Verpflichtung zur förmlichen Aufzeichnung bestimmter Bemessungsgrundlagen kann schon aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht bedeuten, dass das Finanzamt die vom Steuerpflichtigen erklärten Einkünfte ungeprüft übernehmen müsste. Die (ggf. freiwillige und im eigenen Interesse liegende) Aufbewahrung aller Belege ist im Regelfall auch notwendige Voraussetzung für den Schluss, dass die fraglichen Vorgänge vollständig erfasst und die geltend gemachten Aufwendungen durch die Einkunftserzielung veranlasst sind.

    c. Durchführung der Schätzung

    Die Besteuerungsgrundlagen sind nach Maßgabe ihrer größten Wahrscheinlichkeit zu schätzen (grundlegend: BFH v. 31. August 1967 V 241/64, BStBl. III BStBl 1964 III S. 1967, BStBl 1964 III S. 686). Bei der Schätzung nach Wahrscheinlichkeitsgrundsätzen besteht eine Bandbreite möglicher Wertansätze (Schätzungsrahmen). Der Schätzungsrahmen ist umso größer, je ungesicherter das Tatsachenmaterial ist, auf dem die Schätzung basiert. Der Steuerpflichtige hat keinen Anspruch darauf, dass sich die Schätzung bei Einnahmen u.ä. im untersten Rahmenbereich bewegt. Der seine Mitwirkungspflicht verletzende Steuerpflichtige soll nicht besser stehen als derjenige, der die Besteuerungsgrundlagen ordnungsgemäß aufzeichnet und erklärt. Bei groben Pflichtverletzungen (z.B. keine Abgabe der Steuerklärung oder offensichtlich unzutreffende Angaben), die darauf hindeuten, dass Einkünfte verheimlicht oder vermindert werden sollen, kann sich das Finanzamt im Gegenteil an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren (BFH v. 20. Dezember 2000 I R 50/00, BStBl II 2001, 381; v. 29. März 2001 IV R 67/99, BStBl II BStBl 1999 II S. 2001, BStBl 1999 II S. 484). Aber auch dann muss die Schätzung in sich schlüssig, ihre Ergebnisse müssen wirtschaftlich vernünftig und möglich sein ( BFH v. 8. Dezember 1984 VIII R 195/82 , BStBl II 1986, 226; v. 9. Dezember 2001 VI R 72/97, BStBl II 2001, 775).

    In der Praxis hat sich eine Reihe von Schätzungsmethoden entwickelt. Sie sind die Hilfsmittel, um zu dem Wert mit der größtmöglichen Wahrscheinlichkeit zu gelangen (BFH v. 26. Februar 2002 X R 59/98, BStBl II 2002, BStBl 2002 II S. 450, BStBl 2002 II S. 452). Alle Methoden sind situations-, anwender- und normabhängig. Ihre Durchführung setzt u.U. erhebliche Ermittlungen voraus (z.B. bei einer Kalkulation oder einem Vermögensvergleich). Die Methodenwahl steht im pflichtgemäßen Ermessen des Finanzamtes. Der Steuerpflichtige hat keinen Anspruch auf Anwendung einer bestimmten Schätzungsmethode (BFH vom 3. September 1998 XI B 209/95, BFH/NV 1999, 290). Die Methode muss auf zumutbare Weise zum Ergebnis mit der größten Wahrscheinlichkeit führen ( BFH vom 18. Dezember 1984 IV R 33/82 , BStBl II 1986, BStBl 1986 II S. 226, BStBl 1986 II S. 229; vom 17. Oktober 2001 I R 103/00, BFH/NV 2002, 134, 138). Die Qualität der Aufzeichnungen und die Mitwirkungsbereitschaft des Steuerpflichtigen bestimmen den Sorgfaltsmaßstab für die Schätzung des Finanzamtes.

    Gem. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO entscheidet das Finanzgericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 AO gelten sinngemäß. Das Finanzgericht ist damit in der Lage, im Klageverfahren die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen in vollem Umfang zu überprüfen und selbst Schätzungen vorzunehmen.

    2. Anwendung auf den Entscheidungsfall

    Der Senat sieht keine Veranlassung, den vom Beklagten geschätzten Aufwand für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu beanstanden.

    a. Der Beklagte war zweifelsfrei zur Schätzung des streitigen Aufwandes befugt. Denn die Zahl der Fahrten der Klägerin zwischen ihren verschiedenen Wohnungen und ihrer Arbeitsstätte ist nicht exakt zu ermitteln.

    Über die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte werden zwar in aller Regel keine Aufzeichnungen geführt. Dies ist weder gesetzlich gefordert, noch ist dies der Sache nach normalerweise erforderlich. Die Zahl und Entfernung dieser Fahrten folgt i.a.R. ohne weiteres aus dem Umstand, dass der Steuerpflichtige von seiner Wohnung aus in einem bestimmten Zeitraum täglich zu seiner Arbeitsstätte und wieder zurück fährt. Im Entscheidungsfall liegen die Dinge aber anders.

    Die Klägerin hat eine große Anzahl von Fahrten über eine einfache Entfernung mit einer großen Gesamtkilometerzahl geltend gemacht. Die in der Einkommensteuererklärung geltend gemachten Fahrtleistungen (61.510 km) differieren stark von denen des Klageantrags (36.162 km). Auch die dem Klageantrag zugrunde gelegten Fahrleistungen werden nur selten von Steuerpflichtigen erreicht, die von Berufs wegen mit dem Fahrzeug unterwegs sind (Versicherungsvertreter, Schornsteinfeger u.ä.). Es ist klar und unstreitig, dass Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ihrer Art nach stattgefunden haben. Streitig sind jedoch deren Zahl und der Ort, von dem aus die Arbeitsstelle jeweils angefahren worden ist. Die Klägerin übt überdies einen Beruf aus, der nicht ihre tägliche Präsenz an der Arbeitstelle voraussetzt. Zudem erscheint es dem Senat als nicht unbeachtlich, dass die Klägerin die streitigen Werbungskosten nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der Einkunftsgrenze des § 5 Eigenheimzulagegesetz geltend macht.

    Aufzeichnungen über den Tag und die Durchführung der jeweiligen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte existieren nicht. Eine entsprechende Beweisvorsorge hat die Klägerin nicht getroffen, obwohl dies angesichts der geltend gemachten ungewöhnlich hohen Fahrleistungen, die sie erbracht haben will, im Eigeninteresse durchaus geboten gewesen wäre. Durch Zeugen oder sonstige Beweismittel können derartige Aufwendungen nicht unmittelbar nachgewiesen werden. Die (zunächst im Verfahren der Eigenheimzulage vorgelegten) Arbeitsblätter sind zur unmittelbaren Überzeugungsbildung über die Existenz der streitigen Fahrten ebenso ungeeignet wie die Aufzählung bestimmter Ereignisse oder die Vorlage von Kontoauszügen und sonstiger Belege (Einkaufsbelege, TÜV-Berichte u.ä.).

    Die Arbeitsblätter weisen nur die Arbeitszeit, nicht aber die Präsenz der Klägerin in X nach. Dies hat nicht zuletzt auch die bei der PH X eingeholte Auskunft ergeben. Die mit einem Stern versehenen Tage sind offenbar nicht zeitnah, sondern erst im Nachhinein gekennzeichnet worden. Die Kennzeichnungen sind zudem ohne eigenen Aussagewert und – soweit dies an Hand anderer Unterlagen nachprüfbar ist – teilweise falsch. So sind etwa Tage mit einem Stern versehen, an denen eine Skipflichtexkursion bzw eine Arbeitsgemeinschaft stattgefunden haben. Der Beklagte hat hierauf auf Seite 3 f. seines Schriftsatzes vom 6. November 2008 hingewiesen. Die Arbeitsblätter spiegeln diese – aufgrund anderer Unterlagen feststehenden – Vorgänge nicht wieder und vermitteln insbesondere bei Betrachtung der Originale nicht den Eindruck, als seien sie zeitnah und mit großer Sorgfalt geführt worden.

    Die Kontoauszüge und Belege lassen allenfalls erkennen, wann die Klägerin wo etwas gekauft oder bezahlt hat, nicht aber ob und wann sie welche Strecken zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zurückgelegt hat. Die geltend gemachten Fahrtleistungen können nicht mit dem auf die Klägerin zugelassenen Fahrzeug erbracht worden sein. Ob und in welchem Umfang Sie das Fahrzeug ihres Vaters genutzt hat, ist aus den Unterlagen – auch aus der Bestätigung des Vaters – nicht erkennbar. Auf die Unschlüssigkeiten, die sich aus den Tankbelegen ergeben, hat der Beklagte bereits in seiner Einspruchsentscheidung hingewiesen (dort Seite 7).

    b. Der Beklagte hat von seiner Schätzungsbefugnis keinen Gebrauch gemacht, der der Klägerin zum Nachteil gereicht.

    Im Streitjahr ist im Wesentlichen von folgenden Semester- und vorlesungsfreien Zeiten auszugehen:

    WS 2004/2005: 01.01. – 15.02.

    Semesterferien: 15.02. – 15.04.

    SS 2005: 16.04. – 30.07.

    Semesterferien: 01.08. – 14.10.

    WS 2005/2006: 15.10. – 31.12.

    Im Wintersemester 2004/2005 hatte die Klägerin wöchentliche Vorlesungs- und Praktikumstermine am

    ■> Dienstag

    ■> Mittwoch,

    ■> Donnerstag und

    ■> Freitag.

    Im Sommersemester 2005 hatte sie Vorlesungs- und Praktikumsverpflichtungen

    ■> dienstags,

    ■> mittwochs

    ■> donnerstags und

    ■> freitags.

    Im Wintersemester 2005/2006 musste sie präsent sein

    ■> dienstags,

    ■> mittwochs

    ■> freitags.

    Die Klägerin hat vorgetragen, dass sie wegen ihres persönlichen Engagements mehr Präsenz an der PH X als an ihren Pflichtstunden gezeigt habe. Auch wenn der Senat ihr darin folgt, geht er gleichwohl davon aus, dass die Klägerin – wie dies jeder Andere an ihrer Stelle auch getan hätte – zumindest aus Zeit- und Kostengründen die Fahrtstrecken auf ein möglichst erträgliches Maß reduziert hat. Der Kauf des Hauses im Z spricht dafür, dass dies aufgrund ihrer Tätigkeitsmodalitäten und ihrer praktischen Umsetzung möglich gewesen ist.

    Im ersten Halbjahr 2005 verfügte die Klägerin noch über eine eigene Wohnung in Y. Im Kaufvertrag vom 20. Juni 2005 ist als Wohnadresse der Klägerin diese Wohnung in Y angegeben. Die Klägerin war zwar seit ihrer Geburt in A mit erstem Wohnsitz gemeldet. Die Wohnung im Elternhaus wird im Kaufvertrag jedoch lediglich als Postadresse angegeben. Die Klägerin war im Streitjahr über 30 Jahre alt. Sie ist bis 2004 beim Finanzamt Y zur Einkommensteuer veranlagt worden und wohnte zuvor bereits ca. 11 Jahre in einer anderen Stadt. Der Senat hält es deshalb für wahrscheinlich, dass die Klägerin – selbst wenn sich in A ihr Lebensmittelpunkt befunden haben mag – nicht an jedem Wochenende nach A ins Elternhaus gefahren ist, sondern allenfalls jedes zweite Wochenende.

    Die Klägerin hat zwar behauptet, dass sie bereits ab Mai mit der Renovierung des Hauses begonnen habe. Dies hat sie jedoch nicht zur Überzeugung des Senats nachgewiesen. Nach dem am 20. Juni 2005 geschlossenen Kaufvertrag war der Kaufpreis nicht vor dem 29. Juli 2005 zu zahlen. Der Besitz sollte nach dem Kaufvertrag mit der Zahlung des Kaufpreises auf die Klägerin übergehen. Am 1. August 2005 begannen die Semesterferien. Die Rechnungen über den Bezug bestimmter Materialien und über den Umzug am 18. Juli 2005 belegen, dass hiervon nicht gravierend abgewichen wurde.

    Die Klägerin hat danach vom 1. Januar bis zum 1. Juli 2005 ca. 13 Fahrten zwischen A und X absolviert. Für den Juli 2005 schätzt der Senat, dass vier Fahrten zwischen A und X stattgefunden haben. An den übrigen „Präsenztagen” hat die Klägerin die Arbeitsstelle von Y aus aufgesucht. Dies waren bis zum 18. Februar 2005 (Wintersemester 2004/2005) ca. 7 Wochen à 4 Tage, also insgesamt 28 Tage. Für die vorlesungsfreie Zeit gab es nach Auskunft der Hochschule X für das Fach Sport keine Anbindung der Präsenzpflicht (20 Zeitstunden wöchentlich) an bestimmte Wochentage. Eine nachvollziehbare Kontrolle dieser Präsenzpflicht ist seitens der PH X offenbar nicht durchgeführt worden. Der Senat schätzt für den Zeitraum 21. Februar bis 15. April drei wöchentliche Fahrten, also 8 × 3 = 24 Fahrten. Im Sommersemester 2005 hatte die Klägerin an vier Wochentagen Vorlesung/Praktikum, so dass vom 18. April bis zum 29. Juli 15 Wochen à 4 Fahrten, insgesamt also 60 Fahrten durchzuführen waren. Von der Gesamtzahl von (28 + 24 + 60=) 97 sind die 17 Fahrten von und nach A abzuziehen, da die Klägerin diese von A aus wohl direkt zur Hochschule X ausgeführt hat. Es verbleiben damit für den Zeitraum 1. Januar bis 31. Juli 2005 (112 - 17 =) 95 Fahrten.

    Vom 1. August bis zum 5. September 2005 hat die Klägerin ihren Arbeitsblättern zufolge keine Fahrten nach X unternommen (Urlaub). Für die restliche vorlesungsfreie Zeit bis zum 15. Oktober 2005 schätzt der Senat zwei Wochenfahrten von Z nach X (Präsenzpflicht). Dies ergibt (6 × 2 =) 12 Fahrten.

    Im Wintersemester 2005/2006 hatte die Klägerin an drei Wochentagen Vorlesungen zu halten. Der Senat geht davon aus, dass die Klägerin in dieser Zeit die Strecke Z - X ein Mal wöchentlich zurückgelegt hat und im Übrigen die Arbeitsstätte von B aus angefahren hat. Damit ergeben sich 10 Fahrten zwischen Z und X und (10 × 3 – 10 =) 20 Fahrten zwischen B und X. Bei insgesamt wohlwollender Betrachtung (insbesondere wegen der Fahrten in der vorlesungsfreien Zeit) ergibt sich damit folgendes Bild:

    Strecke insgesamt Anzahl Tage einf. Entfernung km
    Y – X 1.1.-31.7. 95 23 4.370
    A – X 1.1.-31.7. 17 160 5.440
    B – X 1.8.-31.12. 20 4 160
    Z – X 1.8.-31.12. …22 155 6.820
    Summe 154 16.790

    Der Senat hält damit die Schätzung, die der Beklagte bei Erlass des Änderungsbescheides vom 22. August 2008 vorgenommen hat, zugunsten der Klägerin für erheblich überzogen. Wegen des im Klageverfahren geltenden Verböserungsverbotes ist der Senat jedoch daran gehindert, hieraus eine andere Konsequenz als die der Klageabweisung zu ziehen.

    3. Die Klage war demnach als unbegründet abzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 FGO kam nicht in Betracht.

    RechtsgebieteEStG, AO, FGOVorschriftenEStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 AO § 162 Abs. 1 FGO § 96 Abs. 1

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