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  • · Fachbeitrag · Werbungskosten

    Erste Tätigkeitsstätte von Leiharbeitnehmern: BFH mit steuerzahlerfreundlicher Entscheidung

    von Dipl.-Finanzwirt Marvin Gummels, Hage, www.steuer-webinar.de

    | In Deutschland gibt es ca. 900.000 Zeit- und Leiharbeitnehmer. Bei allen stellt sich die Frage, ob und, wenn ja, wo sie eine ‒ steuerlich ungünstige ‒ erste Tätigkeitsstätte haben. Eine der letzten offenen Fragen hat der BFH jetzt zugunsten der Leiharbeiter entschieden. SSP nimmt das zum Anlass, das Thema „Erste Tätigkeitsstätte von Leiharbeitern“ noch einmal grundsätzlich aufzubereiten und die BFH-Entscheidung darin einzubetten. |

    Die vertraglichen Beziehungen bei Leiharbeitnehmern

    Die Tätigkeit eines Leiharbeitnehmers bringt es mit sich, dass er von seinem Arbeitgeber (Verleiher) für einige Tage oder Monate an einen Dritten (Entleiher) entliehen wird. Während er seine Arbeitskraft für den Entleiher erbringt, stellt der Verleiher dem Entleiher darüber eine Rechnung. Das Arbeitsentgelt erhält der Leiharbeitnehmer im Anschluss vom Verleiher. Ein Arbeitsverhältnis besteht deshalb zum Verleiher und nicht zum Entleiher.

     

    In der Praxis stellt sich deshalb die Frage, ob der Betrieb des Verleihers oder des Entleihers für den Leiharbeitnehmer eine erste Tätigkeitsstätte darstellt oder ob er über gar keine erste Tätigkeitsstätte verfügt. Denn fährt der Leiharbeitnehmer zu einem Arbeitsort, der nicht seine erste Tätigkeitsstätte darstellt, dann kann er insbesondere

    • 1. Fahrtkosten,
    • 2. Verpflegungsmehraufwendungen,
    • 3. Unterkunftskosten und
    • 4. Reisenebenkosten

    als Werbungskosten von der Steuer absetzen. Zudem kann ihm sein Arbeitgeber (der Verleiher) entsprechende Beträge steuer- und beitragsfrei erstatten.

    Die ungünstige erste Tätigkeitsstätte

    Für den Leiharbeitnehmer ergibt sich beim Betrieb des Entleihers immer dann eine ungünstige erste Tätigkeitsstätte, wenn der Verleiher im Rahmen seines Direktionsrechts den Betrieb des Entleihers als erste Tätigkeitsstätte bestimmt hat (§ 9 Abs. 4 S. 1 EStG). Voraussetzung ist aber, dass der Leiharbeiter dieser Tätigkeitsstätte dauerhaft zugeordnet ist und dort zumindest einen Teil seiner beruflichen Tätigkeit erbringen muss. Tätigkeiten in ganz geringem Umfang reichen aus, selbst Hilfs- und Nebentätigkeiten genügen.

     

    Ergibt sich aus dem Direktionsrecht des Arbeitgebers keine erste Tätigkeitsstätte oder ist die Festlegung nicht eindeutig, müssen die quantitativen Kriterien des § 9 Abs. 4 S. 4 EStG herangezogen werden. Danach gilt als erste Tätigkeitsstätte die betriebliche Einrichtung, an der der Leiharbeitnehmer dauerhaft

    • 1. typischerweise arbeitstäglich,
    • 2. je Arbeitswoche an zwei vollen Arbeitstagen oder
    • 3. mindestens einem Drittel seiner vereinbarten Arbeitszeit

    tätig werden soll. Bei dieser Zuordnung sind lediglich die eigentlichen beruflichen Tätigkeiten zu berücksichtigen. Hilfs- und Nebentätigkeiten bleiben unberücksichtigt. Für jedes Arbeitsverhältnis kann sich auch hiernach maximal eine (aber auch gar keine) erste Tätigkeitsstätte ergeben.

     

    Dauerhafte Zuordnung im Bereich der Leiharbeit

    Eine erste Tätigkeitsstätte kann sich nur ergeben, wenn die Zuordnung durch den Verleiher dauerhaft erfolgt oder der Leiharbeitnehmer die quantitativen Kriterien dauerhaft erfüllt. Liegen die Voraussetzungen nur vorübergehend vor, ergibt sich keine erste Tätigkeitsstätte.

     

    Eine Dauerhaftigkeit ergibt sich nach § 9 Abs. 4 S. 3 EStG, wenn die Zuordnung bzw. Tätigkeit

    • 1. unbefristet,
    • 2. für die Dauer des befristeten oder unbefristeten Dienstverhältnisses oder
    • 3. über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus

    erfolgt. Dabei kann eine Zuordnung „bis auf Weiteres“ ebenfalls eine Zuordnung ohne Befristung und damit dauerhaft sein. Auch der Umstand, dass der Leiharbeitnehmer jederzeit einer anderen Tätigkeitsstätte zugeordnet werden könnte, führt nicht zu einer befristeten Zuordnung (BFH, Urteil vom 04.04.2019 Az. VI R 27/17, Abruf-Nr. 209985).

     

    PRAXISTIPP | Maßgebend für die konkrete Einordnung ist die auf die Zukunft gerichtete prognostische Betrachtung (Ex-ante-Betrachtung). Deshalb sind sämtliche Veränderungen der Zuordnung durch den Verleiher (z. B. Wechsel des Entleihers) nicht rückwirkend, sondern lediglich für die Zukunft zu berücksichtigen. Es ist bei jeder Änderung eine neue Prognose bezüglich der „Dauerhaftigkeit“ anzustellen.

     

    Das Prüfungsschema (Kurzform)

    Wurde dem Leiharbeitnehmer durch den Verleiher keine erste Tätigkeitsstätte wirksam und vor allem dauerhaft zugewiesen, ist zu unterscheiden:

     

    • 1. Unbefristeter Leiharbeitsvertrag mit dem Verleiher?
      • a. Tätigkeit für einen Entleiher „bis auf Weiteres“?
      • b. Tätigkeit für einen Entleiher für voraussichtlich mindestens 48 Monate?
    • 2. Befristeter Leiharbeitsvertrag mit dem Verleiher?
      • a. Tätigkeit für einen Entleiher für das gesamte Arbeitsverhältnis?
      • b. Tätigkeit für einen Entleiher für voraussichtlich mindestens 48 Monate?

     

    Wird eine der Fragen mit „ja“ beantwortet, liegt eine erste Tätigkeitsstätte beim Entleiher vor. Andernfalls ergibt sich regelmäßig eine Auswärtstätigkeit. Ausnahmen ergeben sich, wenn der Leiharbeitnehmer parallel für mehrere Entleiher tätig werden soll (es kann nur eine erste Tätigkeitsstätte geben).

    Der aktuelle Fall vor dem BFH

    Beim BFH hing jetzt noch ein Fall, in dem es darum ging, ob ein Leiharbeiter, der in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Verleiher steht, selbst dann nur die Entfernungspauschale geltend machen kann, wenn der Verleiher mit dem Entleiher eine Befristung der Tätigkeit vereinbart hatte (keine „Dauerhaftigkeit“).

     

    Die Entscheidung der Vorinstanz (FG Niedersachsen)

    Das FG Niedersachsen hatte das in der Vorinstanz bejaht. Nach Auffassung des FG soll das zumindest dann gelten, wenn der Leiharbeitnehmer ausschließlich für den Einsatz beim Entleiher eingestellt wurde und er nur dort eingesetzt wird. Dieser Einsatz sei nach Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls sowohl für den Leiharbeitnehmer als auch den Verleiher von vornherein so gestaltet worden, dass der Leiharbeitnehmer „bis auf Weiteres“, also nicht befristet, beim Entleiher eingesetzt werden solle (FG Niedersachsen, Urteil vom 28.05.2020, Az. 1 K 382/16, Abruf-Nr. 217475).

     

    Folge: Obwohl sich nach dem oben dargestellten Prüfungsschema für den Leiharbeitnehmer im Betrieb des Entleihers eigentlich keine ungünstige erste Tätigkeitsstätte ergeben würde, lag diese nach Ansicht des FG doch vor. Der Leiharbeitnehmer könnte daher weder Reisekosten als Werbungskosten absetzen noch steuerfreie Reisekostenvergütungen vom Verleiher erhalten. Er könnte lediglich die normale Entfernungspauschale absetzen.

     

    BFH gibt FG Niedersachsen kontra

    Der BFH sah die Sache anders ‒ und entschied im Revisionsverfahren zu- gunsten des Leiharbeiters. Die Frage, ob sich für den Leiharbeitnehmer eine ungünstige erste Tätigkeitsstätte ergibt, entscheidet sich nach dem Arbeitsverhältnis, das zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeiter besteht. Das Verhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher ist unbeachtlich, so der BFH. Besteht der Einsatz eines beim Verleiher unbefristet beschäftigten Leiharbeitnehmers deshalb bei dem Entleiher in wiederholten, aber befristeten Einsätzen, fehlt es an einer dauerhaften Zuordnung i. S. v. § 9 Abs. 4 S. 3 EStG (BFH, Urteil vom 12.05.2022, Az. VI R 32/20, Abruf-Nr. 231633).

     

    FAZIT | Ist das Arbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer unbefristet und wird der Leiharbeitnehmer befristet für nicht mehr als 48 Monate bei einem Entleiher eingesetzt, erfolgt die Zuordnung nicht dauerhaft. Eine ungünstige erste Tätigkeitsstätte ergibt sich beim Betrieb des Entleihers nicht. Das gilt auch, wenn die Entleihung später (mehrfach) verlängert wird und sich dadurch rückblickend betrachtet ein Einsatz von mehr als 48 Monaten für den identischen Entleiher ergeben sollte. Der Leiharbeitnehmer kann dann Reisekosten absetzen bzw. vom Verleiher steuer- und beitragsfrei erstattet bekommen.

     

    Weiterführender Hinweis

    • Beitrag „Mit Reisekosten Steuern sparen: Das ist abzugsfähig bzw. kann steuerfrei erstattet werden“, SSP 2/2021, Seite 5 → Abruf-Nr. 47058147
    Quelle: Ausgabe 11 / 2022 | Seite 15 | ID 48663668

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