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  • 11.12.2009 · IWW-Abrufnummer 094027

    Oberlandesgericht Thüringen: Beschluss vom 14.09.2009 – 1 Ws 343/09

    1. Der dem Nebenkläger bestellte Vertreter kann aus der Staatskasse Gebühren nach Nr. 4143 VVRVG nur dann beanspruchen, wenn dem Nebenkläger (auch) in Bezug auf die in Nr. 4143 VVRVG genannte Tätigkeit (hier Abschluss eines Vergleiches) Prozesskostenhilfe bewilligt wurde.



    2. Das Entstehen der Gebühr nach Nr. 4143 VVRVG hängt nicht von einem förmlichen Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO ab. Entsprechend der Vorbemerkung 4 im Vergütungsverzeichnis entsteht die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VVRVG mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts, sofern dieser beauftragt ist, im Strafverfahren hinsichtlich des vermögensrechtlichen Anspruchs tätig zu werden.



    3. Zum Entstehen der Vergleichsgebühr nach Nr. 1003 VVRVG.


    1 Ws 343/09
    130 Js 2519/08 – 6 KLs jug.LG Erfurt
    THÜRINGER OBERLANDESGERICHT
    Beschluss
    In dem Strafverfahren XXX
    Wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern,
    hier: Festsetzung der Vergütung der Nebenklägervertreterin

    hat auf die sofortige Beschwerde der Rechtsanwältin B gegen den Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 28.07.2009
    der 1. Strafsenat des Thüringer Oberlandesgerichts durch XXX am 14. September 2009 b e s c h l o s s e n :

    1. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Erfurt vom 27.04.2009 in Verbindung mit dem Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 28.07.2009 wird dahin abgeändert, dass die aus der Landeskasse zu erstattenden Auslagen auf 976,99 € festgesetzt werden.
    2. Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.
    3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
    G r ü n d e:
    I.
    Im Strafverfahren gegen S H wurde der Geschädigte C R im Hauptverhandlungstermin vor der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Erfurt am 12.01.2009 als Nebenkläger zugelassen. Zur unentgeltlichen Wahrnehmung seiner Interessen wurde dem Geschädigten Rechtsanwältin B als Opferanwältin beigeordnet (§ 397a Abs. 1 i.V.m. § 395 Abs. 1 Nr. 1a StPO). In ihrem Schlussvortrag beantragte die Nebenklägervertreterin u.a., diesem „Prozesskostenhilfe bezüglich des Abschlusses des Vergleichs zu bewilligen unter gleichzeitiger Beiordnung“.
    Nach Verkündung des Urteils an diesem Tage erging in der Hauptverhandlung folgender Beschluss:
    „Dem Nebenkläger wird bezüglich des Abschlusses des Prozessvergleiches Prozesskostenhilfe unter gleichzeitiger Beiordnung von Rechtsanwältin B bewilligt.“
    Im Anschluss schlossen der Nebenkläger und der Angeklagte zu Protokoll der Hauptverhandlung einen Vergleich über die Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 1.500 €.
    Mit Schriftsatz vom 13.01.2009 beantragte Rechtsanwältin B für ihre Tätigkeit als Vertreterin des Nebenklägers die Festsetzung ihrer Vergütung in Höhe von insgesamt 1.039,47 €, wobei sich dieser Betrag aus einer Grundgebühr nach Nr. 4100 VVRVG (132,00 €), einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 VVRVG (124,00 €), einer Terminsgebühr nach Nr. 4114 VVRVG (216,00 €), einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VVRVG (210,00 €), einer Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VVRVG (1,5-facher Satz – 157,50 €), einer pauschale für Post- und Telekommunikation nach Nr. 7002 VVRVG (20,00 €) und einer Dokumentenpauschale nach Nr. 7001 VVRVG (14,00 €) sowie der auf diese Beträge entfallenden Umsatzsteuer von 19 % nach Nr. 7008 VVRVG (165,97 €) zusammensetzt.
    Mit Beschluss vom 13.02.2009 setzte die Urkundsbeamte beim Landgericht Gera die aus der Staatskasse an Rechtsanwältin B zu zahlende Vergütung auf 976,99 € fest, wobei sie statt der beantragten 1,5-fachen Gebühr nach Nr. 1000 VVRVG nur die einfache Vergleichsgebühr in Höhe von 105,00 € nebst Mehrwertsteuer festsetzte.
    Mit Schriftsatz vom 05.03.2009, der am selben Tage beim Landgericht Erfurt einging, hat Rechtsanwältin B nach Zustellung des Kostenfestsetzungsbeschlusses am 20.02.2009 – als Rechtsmittel, hilfsweise Gegendarstellung bezeichnet – Erinnerung gegen diese Festsetzung eingelegt.
    Diese wurde der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Erfurt am 25.03.2009 vorgelegt, die ihrerseits beantragte, der Erinnerung von Rechtsanwältin B abzuhelfen, aber andererseits selbst Erinnerung einlegte mit dem Ziel, die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VVRVG in Wegfall zu bringen.
    Mit Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin vom 27.04.2009 wurde die Vergütung der Nebenklägervertreterin entsprechend dem Vorschlag der Bezirksrevisorin festgesetzt: Erhöhung der Einigungsgebühr auf den 1,5-fachen Satz und Wegfall der Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VVRVG.
    Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 27.04.2009 legte die Nebenklägervertreterin nach Zustellung am 15.05.2009 unter dem 28.05.2009 erneut Erinnerung ein, welche die 6. große Strafkammer des Landgerichts Erfurt mit Beschluss vom 28.07.2009 als unbegründet zurückwies.
    Gegen diesen ihr am 13.08.2009 zugestellten Beschluss hat Rechtsanwältin B mit Schriftsatz vom 17.08.2009, eingegangen beim Landgericht Erfurt am 18.08.2009, sofortige Beschwerde eingelegt.
    II.
    1. Nachdem das Verfahren vor dem Landgericht der Kammer übertragenen war, entscheidet auch der Senat in der Besetzung mit 3 Richtern (§§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 8 RVG).
    2. Gemäß §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 1 und 3 RVG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache einen überwiegenden Erfolg.
    Der Nebenklägervertreterin steht für ihre Tätigkeit in der Hauptverhandlung vom 02.01.2009 auch die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VVRVG zu.
    Nr. 4143 VVRVG regelt die Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Verfahren über vermögensrechtliche Ansprüche des Verletzten oder seines Erben. Vorliegend ist für das Entstehen des Gebührenanspruchs der Nebenklägerin zunächst Voraussetzung, dass für den Abschluss eines Prozessvergleichs, der sich auf vermögensrechtliche Ansprüche des Verletzten bezog, eine ausdrückliche Bewilligung von Prozesskostenhilfe erfolgte. Die zu Beginn der Hauptverhandlung vom 12.01.2009 erfolgte Beiordnung erstreckte sich nämlich noch nicht auf die Geltendmachung vermögensrechtlicher Ansprüche des Verletzten. Erst durch die Erweiterung der Bestellung auf den Abschluss eines Vergleichs kommt eine Geltendmachung von Gebühren nach Nr. 4143 VV RVG überhaupt in Betracht (vgl. BGH NJW 2001, 2486; OLG München StV 2004, 38; OLG Dresden AGS 2007, 405, zitiert nach juris; OLG Hamm NStZ-RR 2001, 351).
    Dem Entstehen einer Gebühr nach Nr. 4143 VVRVG steht nicht entgegen, dass ein Adhäsionsverfahren nach § 404 Abs. 1 StPO nicht förmlich eingeleitet war: der Abschluss eines Vergleiches vor Gericht wurde nicht „bis zum Beginn der Schlussvorträge“ beantragt, sondern erst im Schlussvortrag von der Nebenklagevertreterin angesprochen.
    Dass das Entstehen der Gebühr nach Nr. 4143 VVRVG nämlich nicht vom förmlich gestellten Antrag nach § 404 Abs. 1 StPO abhängt, ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung des RVG. Nach der Vorbemerkung 4 im Vergütungsverzeichnis entsteht die Verfahrensgebühr „für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information“.
    Somit entsteht die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts, sofern dieser beauftragt ist, im Strafverfahren hinsichtlich des vermögensrechtlichen Anspruchs tätig zu werden. Dass der Anspruch im Strafverfahren bereits anhängig geworden ist, ist nicht erforderlich (vgl. Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl. VV Teil 4 Abschn. 1, Rn. 133 ff.; AnwK-RVG/N. Schneider, 4. Aufl., VV 4143 – 4144, Rn. 19; Hartung/Römermann/
    Schons, RVG, 4143, 4144 VV, Rn. 9 ff.).
    Durch die Verfahrensgebühren werden alle Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Strafverfahren abgegolten, soweit dafür keine anderen Gebühren im Abschnitt 4 des RVG vorgesehen sind (vgl. für den Fall der Gebühren nach Nr. 4112, 4113 VVRVG: OLG Hamm, Beschluss vom 12.02.2008, 4 Ws 541/07 bei juris).
    Hier ergibt sich schon aus dem gestellten Antrag der Nebenklägervertreterin, einen Vergleich über die vermögensrechtlich Ansprüche des Nebenklägers aufzunehmen, dass Rechtsanwältin B mit der Geltendmachung vermögensrechtliche Ansprüche beauftragt und insoweit für den Nebenkläger gegenüber dem Angeklagten bereits tätig war. Wenn dies in anderen Fällen, z.B. im Strafbefehlsverfahren, wenn kein formaler Antrag i.S.v. § 404 Abs. 1 StPO mehr gestellt werden konnte, für das Entstehen der Gebühr nach Nr. 4143 VVRVG genügt (vgl. Hartung/Römermann a.a.O.), muss dies erst recht für die vorliegende Fallgestaltung gelten, dass erst im Schlussvortag der Antrag auf den gerichtlichen Abschluss eines Vergleiches gestellt wird, der in der Hauptverhandlung abgeschlossen wird.
    Soweit der angefochtene Beschluss die Kommentierung von Burhoff in Gerold/Schmidt, 18. Aufl., Nr. 4143, 4144, Rn. 6 zur Begründung der gegenteiligen Auffassung heranzieht, überzeugt dies aufgrund der ausdrücklichen Formulierung des Gesetzes in der Vorbemerkung 4 nicht. Das Entstehen der Gebühr nach Nr. 4143 VVRVG setzt kein förmliches Verfahren nach § 403 ff. StPO voraus.
    Die vom Landgericht herangezogenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs betrafen im Übrigen gerade nicht das Entstehen der Gebühren für die Tätigkeit des Rechtsanwalts des Nebenklägers, sondern die Geltendmachung eines Adhäsionsantrages an sich.
    Der Vertreter des Nebenklägers steht deshalb die Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VVRVG zu.
    Hingegen kann die Festsetzung der Vergleichsgebühr nach Nr. 1000 VVRVG keinen Bestand haben. Durch die in Nr. 1000 VVRVG vorgenommene Erhöhung der Vergleichsgebühr von 1,0 auf 1,5 soll nach dem Gesetzeszweck das anwaltliche Bestreben, Streitigkeiten möglichst ohne Anrufung des Gerichts beizulegen, gefördert und belohnt werden. Eine Anrufung des Gerichts erfolgt gemäß der Anmerkung Nr. 1003 VVRVG aber auch dann, wenn ein Verfahren über die Prozesskostenhilfe anhängig gemacht wird. Wenn - wie vorliegend - die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, wie in der Anmerkung zu Nr. 1003 VVRVG benannt, nicht lediglich für die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wurde, sondern Prozesskostenhilfe für den Abschluss eines Vergleichs beantragt und bewilligt wurde, wurde die Strafkammer nicht lediglich als Beurkundungsorgan, sondern auch im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage bei Formulierung des Vergleichs in Anspruch genommen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 04.05.2009, Az.: 5 Ta 97/09 bei juris).
    Die Vergleichsgebühr war deshalb nach Nr. 1003 VVRVG auf 105,00 € festzusetzen.
    Der Nebenklägervertreterin sind mithin folgende Gebühren und Auslagen zu erstatten:
    Gebühr nach Nr. 4100 VVRVG 132,00 €
    Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 VVRVG 124,00 €
    Terminsgebühr nach Nr. 4114 VVRVG 216,00 €
    Verfahrensgebühr nach Nr. 4143 VVRVG
    (Gegenstandswert 1.500,00 €) Gebührensatz 2,0 210,00 €
    Einigungsgebühr nach Nr. 103 VVRVG
    (Gegenstandswert 1.500,00 €) Satz der Gebühr 1,0 105,00 €
    Pauschale für Post und Telekommunikation
    nach Nr. 7002 VVRVG 20,00 €
    Dokumentenpauschale für Ablichtungen nach Nr. 7000 VVRVG 14,00 €
    Zwischensumme 821,00 €
    19 % MwSt. nach Nr. 7008 RVVRVG 155,99 €
    Summe 976,99 €
    Der Ausspruch über die Gebühren und Kosten folgt aus § 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG

    RechtsgebieteStPO, VV RVGVorschriftenStPO § 404 Abs. 1 und 5; VVRVG Nr. 1000, 1003, 4143