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  • 19.08.2015 · IWW-Abrufnummer 145149

    Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Beschluss vom 17.10.2012 – 14 W 88/12

    Eine an den im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt vorprozessual gezahlte Geschäftsgebühr ist nicht vorrangig auf die nach § 49 RVG zu berechnende Verfahrensgebühr, sondern gemäß § 58 Abs. 2 RVG zunächst auf die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung anzurechnen.


    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    Beschl. v. 17.10.2012

    Az.: 14 W 88/12

    Tenor:

    Die Beschwerde der Staatskasse gegen den Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Kassel vom 23.09.2012 wird zurückgewiesen.

    Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

    Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
    Gründe
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    1. Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung auf Leistungen aus dem Versicherungsvertrag in Anspruch. Vorprozessual hatte ihm der Antragsteller eine 1,3 Geschäftsgebühr in Höhe von 1.079,00 EUR ausgehend von einem Gegenstandswert von 31.500 EUR in Rechnung gestellt, die der Kläger zahlte. Nachdem das Landgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung des Antragstellers bewilligt hatte, beantragte der Antragsteller gemäß § 47 RVG die Festsetzung eines Vorschusses in Höhe von 861,32 EUR, wobei er u.a. ausgehend von einem Gegenstandswert von mehr als 30.000 EUR eine 1,3 Verfahrensgebühr über 508,30 EUR nebst anteiliger Umsatzsteuer berechnete. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte mit Verfügung vom 26.06.2012 die an den Antragsteller zu zahlende Vergütung auf 558,88 EUR fest. Dabei zog sie eine 0,65 Geschäftsgebühr in Höhe von 254,15 EUR ab. Hiergegen legte der Antragsteller Erinnerung ein, mit der er an seinem Antrag auf Vorschusszahlung in voller Höhe festhielt. Die Erinnerung wurde mit Beschluss der Einzelrichterin des Landgerichts vom 02.08.2012 zurückgewiesen. Gegen diese ihm am 07.08.2012 zugestellte Entscheidung legte der Antragsteller am 13.08.2012 Beschwerde ein. Nach Richterwechsel half das Landgericht mit Beschluss vom 23.09.2012 der Beschwerde ab und setzte den Vorschuss antragsgemäß fest. Gegen diese ihr am 28.09.2012 zugestellte Entscheidung hat die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Kassel namens der Staatskasse am 09.10.2012 Beschwerde eingelegt. Sie meint, eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr sei nach der Anrechnungsbestimmung in Teil 3, Vorbem. 3, Abs. 4 VVRVG vorzunehmen. Diese Anrechnung entfalle auch nicht infolge der Bestimmung des § 58 Abs. 2 RVG. Das Landgericht hat der Beschwerde der Staatskasse nicht abgeholfen.
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    2. Die Beschwerde der Staatskasse ist nach § 56 Abs. 2 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 RVG statthaft und auch ansonsten zulässig. In der Sache ist sie unbegründet.
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    Dem Antragsteller steht nach § 47 Abs.1 Satz 1 RVG für die entstandenen Gebühren und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen aus der Staatskasse ein angemessener Vorschuss zu, den das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zutreffend auf 861,32 EUR festgesetzt hat.
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    Die mit 508,30 EUR richtig errechnete 1,3 Verfahrensgebühr ist nicht durch Anrechnung von 0,65 der vorprozessual gezahlten Geschäftsgebühr erloschen.
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    a) § 15 a Abs.1 RVG bestimmt allerdings, dass in den Fällen, in denen dieses Gesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorsieht, der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern kann, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag beider Gebühren. Eine solche gesetzliche Anrechnung sieht Teil 3, Vorbem. 3, Abs.4 VVRVG vor. Wenn wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entsteht, wird diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Soweit in § 15 a Abs. 2 RVG eine Berufung Dritter auf eine Anrechnung nur in den dort vorgesehenen Fällen möglich ist bedarf das hier keiner Vertiefung. Denn die Staatskasse wird im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 45 Abs.1 Satz 1 RVG unmittelbarer Gebührenschuldner und tritt insoweit an die Stelle des Mandanten. Sie ist nicht Dritter im Sinne des § 15 a Abs. 2 RVG (zutreffend OLG Frankfurt am Main - 4. FamS. - Beschluss vom 20.03.2012 - 4 WF 204/11 zit. n. juris). Gestützt auf die Bestimmung des § 55 Abs. 5 Satz 2 bis 4 RVG wird für die Anrechnung auf eine von der Beiordnung erfasste Gebühr ferner verlangt, dass die anzurechnende Gebühr gezahlt ist (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG, 20.Aufl., § 58, Rdn. 36 m.w.N.). Soweit hierzu auch abweichende Auffassungen vertreten worden sind, kann dies im Streitfall dahinstehen, weil der Kläger unstreitig Zahlung geleistet hat.
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    b) Ist damit grundsätzlich eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des beigeordneten Rechtsanwalts vorzunehmen, bestimmt indes § 58 Abs. 2 RVG dass in Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses bestimmen, Vorschüsse und Zahlungen, die der Rechtsanwalt vor oder nach der Beiordnung erhalten hat, zunächst auf die Vergütungen anzurechnen sind, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 RVG besteht. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen fraglos vor, denn der Antragsteller hat die Zahlung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr von dem Kläger vor seiner Beiordnung erhalten. Teilweise wird die Auffassung vertreten, § 58 Abs. 2 RVG stehe einer anteiligen Anrechnung der um die Hälfte verminderten Geschäftsgebühr auf die von der Staatskasse zu zahlenden Verfahrensgebühr nicht entgegen. Die Vorschrift regle lediglich, in welcher Weise eine nicht durch die Staatskasse geleistete Zahlung an den beigeordneten Rechtsanwalt zu berücksichtigen sei. Sie verändere aber weder die Tatbestände zur Entstehung und Höhe der Rechtsanwaltsgebühren noch bestimme sie den Umfang des a priori von der Staatskasse an den beigeordneten Rechtsanwalt Geschuldeten. Überdies würde die Anrechnung in der Weise, dass zunächst die Differenz zwischen einer nach § 49 RVG berechneten Verfahrensgebühr und der Verfahrensgebühr nach § 13 RVG berücksichtigt würde, in erster Linie und zu Lasten der Staatskasse der Deckung der über § 49 RVG hinausgehenden Wahlanwaltsgebühren dienen, was mit dem Zweck der Anrechnungsvorschrift nicht vereinbar sei (OLG Düsseldorf Beschluss vom 27.01.2009 - 10 W 120/08; OLG Frankfurt am Main - 18. Zivilsenat - Beschluss vom 12.02.2010 - 18 W 3/10 zit. n. juris). Das entspricht einer vor Einführung des § 15 a RVG weit verbreiteten Auffassung (vgl. die Übersicht bei Gerold/Schmidt/Müller-Rabe aaO., § 58, Rdn. 43). Überwiegend wird demgegenüber aus § 58 Abs. 2 RVG abgeleitet, dass der anzurechnende Teil der Geschäftsgebühr zunächst auf die Differenz zwischen der Wahlanwaltsvergütung und der Prozesskostenhilfevergütung zu verrechnen sei (KG Beschluss vom 13.01.2009 - 1 W 496/08; OLG München Beschluss vom 10.12.2009 - 11 W 2649/09; OLG Zweibrücken Beschluss vom 11.05.2010 - 2 WF 33/10; OLG Braunschweig Beschluss vom 22.03.2011 - 2 W 18/11; Hess FG Beschluss vom 10.05.2011 - 13 KO 580/11; OLG Brandenburg Beschluss vom 25.07.2011 - 6 W 55/10; OLG Oldenburg Beschluss vom 01.09.2011 - 13 W 29/11 unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung sämtlich zit. n. juris; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe aaO., § 58, Rdn. 43).
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    Der Senat folgt der letztgenannten Auffassung. Sie entspricht dem Wortlaut des § 58 Abs. 2 RVG, der die Zahlung auf eine Geschäftsgebühr von dem Regelungsumfang nicht ausnimmt und deutlich macht, worauf diese Zahlung "zunächst" zu verrechnen ist. Dem würde eine vorrangige Anrechnung auf die Verfahrensgebühr nach § 49 RVG widersprechen. Bestätigt wird die Richtigkeit dieser Auffassung auch durch die oben wiedergegebenen gesetzgeberischen Motive zu § 58 Abs. 2 RVG. Soweit der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main darauf abstellt, dass § 58 Abs. 2 RVG weder die Tatbestände zur Entstehung und Höhe der Rechtsanwaltsgebühren verändere noch den Umfang des a priori von der Staatskasse an den beigeordneten Rechtsanwalt Geschuldeten regle, kommt es darauf nicht an. Nach der neu eingeführten Bestimmung des § 15 a RVG ist jedenfalls klargestellt, dass sowohl die Geschäftsgebühr als auch die Verfahrensgebühr in voller Höhe entstehen. Damit ist das von der Gegenmeinung früher verwendete Argument, die Verfahrensgebühr entstehe von vornherein nur in der um die anteilige Geschäftsgebühr gekürzten Höhe, nicht mehr stichhaltig (vgl. OLG Braunschweig aaO.). Der mit der Verwendung des Begriffes a priori postulierte Vorrang der Anrechnung der gezahlten Geschäftsgebühr auf die von der Staatskasse geschuldete Verfahrensgebühr findet ansonsten in dem RVG keine Stütze.
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    c) Deswegen verbleibt es dabei, dass die Zahlung der Geschäftsgebühr zunächst im Rahmen des § 58 Abs. 2 RVG auf die Vergütungen zu verrechnen ist, für die ein Anspruch gegen die Staatskasse nicht oder nur unter den Voraussetzungen des § 50 RVG besteht. Das Landgericht ist in der angefochtenen Entscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass die Gegenüberstellung der Wahlanwaltsvergütung zu der Vergütung aus der Staatskasse einen Differenzbetrag von 1.606,14 EUR ergibt, auf den die vorgerichtliche Zahlung vollständig anzurechnen ist. Daraus folgt gleichzeitig, dass dem Antragsteller die unverminderte Verfahrensgebühr nach § 49 RVG als Vorschuss zusteht.
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    Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 RVG.
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    Eine Rechtsbeschwerde findet nicht statt, §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 RVG.

    RechtsgebietRVGVorschriften§ 13 RVG; § 15a Abs. 1 RVG; § 33 Abs. 3 RVG; § 45 Abs. 1 RVG; § 47 Abs. 1 RVG; § 49 RVG; § 50 RVG; § 56 Abs. 2 RVG; § 58 Abs. 2 RVG