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  • 25.04.2025 · IWW-Abrufnummer 247832

    Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 06.02.2025 – 12 W 70/25

    Die Teilnahme eines Rechtsanwalts an der mündlichen Verhandlung löst das Entstehen einer Terminsgebühr auch dann aus, wenn die Klage gegen den vertretenen Beklagten schon vor der mündlichen Verhandlung zurückgenommen worden ist, aber der aufrufende Richter hiervon (noch) keine Kenntnis hatte. Die Gebühr ist aber vom zurücknehmenden Gegner nicht zu erstatten, wenn der an der Verhandlung teilnehmende Prozessbevollmächtigte des Beklagen seinerseits schon früher Kenntnis von der Zurücknahme hatte und seine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung aus Sicht einer verständigen und wirtschaftlichen vernünftig denkenden Partei nicht notwendig war.


    Oberlandesgericht Dresden, Beschluss vom 06.02.2025, Az. 12 W 70/25

    Tenor:

    I.
    Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Leipzig vom 30.10.2024, 9 O 1163/15, teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

    Die von der Klägerin an den Beklagten zu 6 aufgrund des rechtskräftigen Beschlusses des Landgerichts Leipzig vom 28.03.2024 zu erstattenden Kosten werden auf 1.141,90 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.03.2024 festgesetzt.

    II.
    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu 6 zu tragen.

    Gründe
    I.

    Die Klägerin wendet sich gegen die Berücksichtigung einer Terminsgebühr in einem gegen sie ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss.

    Die Klägerin nimmt in einem seit dem Jahr 2015 anhängigen Verfahren sechs Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch, ohne dass bis zum Jahr 2023 eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden ist. Hinsichtlich der Beklagten zu 1 bis 4 ist das Verfahren unterbrochen, da Insolvenzverfahren über ihre Vermögen eröffnet worden sind. Nach mehreren Beanstandungen des Beklagten zu 6 zur Verfahrensdauer hat das Landgericht hinsichtlich der Beklagten zu 5 und 6 Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 09.11.2023, 13:00 Uhr, bestimmt und mit der Ladung darauf hingewiesen, dass die Klage gegen den Beklagten zu 6 keine Aussicht auf Erfolg habe. Mit einem dem Landgericht am Verhandlungstag um 09:37 Uhr per Fax zugegangenen Schriftsatz nahm die Klägerin die Klage gegen den Beklagten zu 6 zurück. Nahezu zeitgleich um 9:38 Uhr teilte der Klägervertreter per Fax der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 6 die Klagerücknahme unter Beifügung einer Abschrift des Rücknahmeschreibens mit. Gleichwohl nahm eine Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 6 per Video an der mündlichen Verhandlung teil. Bei Aufruf der Sache war der Vorsitzenden des Landgerichts die Rücknahmeerklärung noch nicht zugeleitet worden; sie hatte mithin bei Aufruf noch keine Kenntnis von der Klagerücknahme. Der Klägervertreter erklärte zu Protokoll erneut die Klagerücknahme.

    Nach Erlass eines Beschlusses, mit dem der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 6 auferlegt worden sind, hat das Landgericht einen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30.10.2024 über 2.177,50 Euro zugunsten des Beklagten zu 6 gegen die Klägerin erlassen. Dabei hat es den vom Landgericht festgesetzten Streitwert der Hauptsache von 28.000,00 Euro zugrunde gelegt und neben der Auslagenpauschale in Höhe von 20,00 Euro eine Verhandlungsgebühr in Höhe von 1.121,90 Euro und eine Terminsgebühr in Höhe von 1.035,60 Euro in Ansatz gebracht. Aufgrund einer Stellungnahme der Vorsitzenden Richterin vom 29.08.2024 sowie des Umstandes, dass das Rücknahmeschreiben erst nach dem Terminsprotokoll der Akte zugeordnet wurde, sei zugrunde zu legen, dass erst nach Aufruf der Sache dem Gericht der Wille der Klägerin, die Klage gegen den Beklagten zu 6 zurückzunehmen, bekannt geworden ist. Dafür spreche auch, dass die Klagerücknahme nach Aufruf der Sache (nochmals) im Termin erklärt wurde. Dann aber sei die Terminsgebühr entstanden. Die Teilnahme der Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 6 am Verhandlungstermin sei aus anwaltlicher Vorsicht zur Vermeidung eines Versäumnisurteils erforderlich gewesen.

    Gegen diesen ihren Prozessbevollmächtigten am 11.11.2024 zugestellten Beschluss richtet sich die am 25.11.2024 eingegangene sofortige Beschwerde der Klägerin, in der die Berücksichtigung einer Terminsgebühr beanstandet wird. Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

    II.

    Die sofortige Beschwerde hat Erfolg.

    1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, da der Mindestbeschwerdewert des § 567 Abs. 2 ZPO überschritten ist und die Form- und Fristvorschriften eingehalten worden sind. Die sofortige Beschwerde ist bei verständiger Auslegung auf einen Betrag in Höhe von 1.035,60 Euro beschränkt; nur der Anfall, die Höhe und die Erstattungsfähigkeit der Terminsgebühr stehen im Streit.

    2. Die sofortige Beschwerde ist begründet, da auf Seiten des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 6 zwar eine Terminsgebühr aus einem Streitwert von 28.000,00 Euro angefallen, diese aber nicht erstattungsfähig ist.

    2.1. Entgegen der Ansicht der Klägerin hat das Landgericht zu Recht zugrunde gelegt, dass eine Terminsgebühr aus einem Streitwert von 28.000,00 Euro durch die Teilnahme der Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 6 per Video an der mündlichen Verhandlung entstanden ist.

    Die Vorsitzende des Landgerichts hatte bei Aufruf der Sache keine Kenntnis von der Klagerücknahme, so dass allein aus diesem Grund die Anwesenheit (per Video nach § 128a ZPO) der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 6 das Entstehen der Terminsgebühr ausgelöst hat (vgl. Müller-Rabe in: Gerold/Schmidt, RVG, 26. Aufl., Anhang VII Rn. 345, beck-online m.w.N.).

    Da keine der Parteien einen Antrag nach § 33 RVG auf Festsetzung eines abweichenden Wertes der anwaltlichen Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 6 gestellt hat, hat das Landgericht im Kostenfestsetzungsverfahren bei Bemessung der Gebühr auch zu Recht gemäß § 32 Abs. 1 RVG den vom Landgericht mit Beschluss vom 21.12.2023 festgesetzten Streitwert von 28.000,00 Euro zugrunde gelegt, ohne dass es hier darauf ankommt, ob auf einen derartigen Antrag hinsichtlich der Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 6 ab Eingang des Rücknahmefaxes ein geringerer Wert - etwa in Höhe des Kosteninteresses - festzusetzen wäre.

    2.2. Entscheidend für den Erfolg der Beschwerde ist, dass die Teilnahme der Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 6 an der mündlichen Verhandlung nicht erforderlich war. Vom Prozessgegner sind nach § 91 ZPO jedoch ausschließlich solche Kosten zu erstatten, die notwendig zur Rechtsverteidigung waren. Maßstab für die Notwendigkeit von Kosten zur Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist dabei, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt als sachdienlich ansehen durfte (BGH, Beschluss vom 23.5.2019, V ZB 196/17, Rn. 6; Jaspersen in BeckOK ZPO, 55. Ed. vom 1.12.2024, § 91 Rn. 165.4, beck-online)

    Dies ist hinsichtlich der durch die Teilnahme der Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 6 an dem Termin entstandenen Kosten nicht der Fall. Die Klägerin hatte am Terminstag bereits um 9:37 Uhr die Klage gegen den Beklagten zu 6 zurückgenommen, so dass objektiv bereits die Rechtshängigkeit entfallen war. Hiervon hatte die Prozessbevollmächtigte des Beklagten unstreitig bereits vor Einwahl zur Videoverhandlung aufgrund der Mitteilung des Klägervertreters von 9:38 Uhr Kenntnis. Eine Notwendigkeit, gleichwohl an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, bestand aus Sicht einer wirtschaftlich vernünftig denkenden Partei hier nicht. Soweit der Beklagte zu 6 im Kostenfestsetzungsverfahren darauf abstellt, dass es an einer Terminsaufhebung des Landgerichts fehle, ignoriert er, dass eine solche nicht zu erwarten war, da die Klage nur gegen den Beklagten zu 6, nicht aber gegen den Beklagten zu 5 - der nachfolgend aufgrund dieser Verhandlung durch Teilurteil vom 21.12.2023 zur Leistung von Schadensersatz verurteilt worden ist - zurückgenommen worden ist, so dass kein Anlass für das Landgericht bestehen konnte, wegen der Teilklagerücknahme den Termin aufzuheben. Die Klägerin hat durch die Information des gegnerischen Rechtsanwalts von der Klagerücknahme mit Übersendung einer Abschrift der Rücknahmeschrift alles ihr Zumutbare unternommen, um die Entstehung unnötiger Kosten für den Gegner zu vermeiden (vgl. hierzu Müller-Rabe, a.a.O., Rn. 348). Soweit der Beklagte zu 6 auf eine Entscheidung des OLG Frankfurt (Beschluss vom 09.05.2023, 6 WF 53/23, Rn. 12, juris) abstellt, in der in einem nicht entscheidungserheblichen obiter dictum ausgeführt wurde, dass auch eine in Kenntnis der Rücknahme erfolgende Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung bei fehlender Abladung die Erstattungsfähigkeit entstehender Gebühren begründe, ist dem nicht zu folgen. In der hier vorliegenden Situation bestand aus Sicht einer vernünftigen Partei keinerlei Zweifel, dass die Klägerin aufgrund ihrer Klagerücknahme gegenüber dem Beklagten zu 6 vor Beginn der ersten mündlichen Verhandlung dessen außergerichtliche Kosten zu tragen haben würde. Es gab keine Grundlage für die gänzlich fernliegende Annahme, das Landgericht werde die Absicht haben, über diese Kostenentscheidung mündlich mit den Parteien zu verhandeln; der Beklagte zu 6 behauptet auch nicht, dass seine Prozessbevollmächtigte dies angenommen hätte. Der Beklagte zu 6 trägt auch nicht vor, dass irgendwelche äußeren Umstände Anhalt dafür gegeben haben könnten, dass der Klägervertreter trotz des Umstandes, dass er die Klage gegen den Beklagten zu 6 nach vorangegangenem Hinweis des Landgerichts auf deren Aussichtslosigkeit zurückgenommen und den Beklagten zu 6 hierüber informiert hatte, versuchen würde, bei Nichtteilnahme der Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 6 ein Versäumnisurteil gegen diesen zu erschleichen. Es wird auch nicht dargetan, dass dessen Prozessbevollmächtigte etwas Derartiges befürchtete. Dann aber bestand aus Sicht einer wirtschaftlich und vernünftig denkenden Partei kein Anlass, durch eine sachlich überflüssige Teilnahme ihrer Prozessbevollmächtigten an der mündlichen Verhandlung weitere Kosten entstehen zu lassen.

    III.

    Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 ZPO.

    Anlass zur Übertragung des Verfahrens auf den vollbesetzten Senat mit dem Ziel einer Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Divergenz besteht nicht, da die oben wiedergegebene Ansicht des OLG Frankfurt lediglich in einem nicht entscheidungserheblichen obiter dictum erfolgt ist (vgl. insoweit zu der gleichgelagerten Problematik in § 543 ZPO: Nober in: Anders/Gehle, ZPO, 83. Aufl., § 543 Rn. 16, beck-online; Krüger in MüKoZPO, 6. Aufl., § 543 Rn. 16, beck-online; sowie zu § 77 GWB: Kunnes in: Jaeger/Kokott/Pohlmann/Schroeder/Seeliger, Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, 109. Lieferung, § 77 GWB Rn. 38). Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nur dann in Betracht zu ziehen, wenn der Entscheidung ein Rechtssatz zu Grunde liegt, der von einem die Entscheidung tragenden Rechtssatz eines höherrangigen Gerichts oder eines anderen gleichgeordneten Gerichts abweicht (vgl. BGH, Beschluss vom 05.11.2002, VI ZB 40/02, dort Ziffer II.3.a), NJW 2003, 437) .

    RechtsgebieteTerminsgebühr, KlagerücknahmeVorschriften§§ 32, 33 RVG, Nr. 3104, 3202 VV RVG, § 91 ZPO