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  • 03.08.2023 · IWW-Abrufnummer 236586

    Oberlandesgericht Stuttgart: Beschluss vom 23.01.2023 – 4 Ws 13/23

    Wird der Beschuldigte bereits von einem Wahlverteidiger vertreten, entsteht für den ausschließlich für die Vorführung und Vernehmung vor dem zuständigen Richter gemäß § 115 Abs. 1 u. 2 StPO beigeordneten Pflichtverteidiger nur die Verfahrensgebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4103 Ziff. 4 VV RVG.


    Oberlandesgericht Stuttgart

    Beschluss vom 23.01.2023

    4 Ws 13/23

    Tenor:  

    1.Die weitere Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts - 20. Große Strafkammer - Stuttgart vom 14. Dezember 2022 wird als unbegründet verworfen. 2.Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

    Gründe
    I.
    Der damals Beschuldigte ... wurde am 29. Juni 2022 festgenommen und zur Eröff-nung des Haftbefehls dem Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Stuttgart vorge-führt. Zu diesem Zeitpunkt wurde er bereits von Rechtsanwalt ... als Wahlverteidi-ger vertreten. Weil Rechtsanwalt ... aber verhindert war, erklärte sich ... damit ein-verstanden, im Vorführungstermin vom Beschwerdeführer, Rechtsanwalt ..., ver-treten zu werden. Das Amtsgericht bestellte diesen daraufhin "für den heutigen Anhörungstermin" zum Pflichtverteidiger. In seiner richterlichen Vernehmung machte ... weder zur Person noch zur Sache angaben, und Rechtsanwalt ... bean-tragte, den Haftbefehl entweder nicht zu erlassen, oder aber gegen Auflagen außer Vollzug zu setzen. In der Folge erließ das Amtsgericht den Haftbefehl jedoch und setzte ihn in Vollzug. Im weiteren Verlauf des Verfahrens trat Rechtsanwalt ... für den Angeklagten nicht mehr auf.

    Mit Schriftsatz vom 30. Juni 2022 machte der Beschwerdeführer eine Pflichtver-teidigervergütung in Höhe von 709,24 Euro brutto, bestehend aus der Grundge-bühr gemäß Nr. 4101 VV RVG in Höhe von 216 Euro, der Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4105 VV RVG in Höhe von 177 Euro, der Terminsgebühr gemäß Nr. 4103 VV RVG sowie der Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG zuzüglich Umsatzsteu-er, geltend. Zur Begründung führte er aus, der Strafprozessordnung sei ein "be-schränkter" Pflichtverteidiger fremd. Auch der lediglich für einen Termin bestellte Pflichtverteidiger sei ein Verteidiger mit allen Rechten und Pflichten und deshalb umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte- und pflichten betraut. Es handele sich lediglich um einen zeitlich begrenzten Auftrag ohne inhaltliche Be-schränkung. Eine Einzeltätigkeit liege nicht vor, denn auch der für einen Termin bestellte Verteidiger müsse sich vollständig und selbständig in den Rechtsfall einar-beiten. Darüber hinaus sei auch nicht nur die Terminsgebühr angefallen. Denn mangels Verhandelns im Sinne der Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG entstehe diese Gebühr im Rahmen der Eröffnung eines Haftbefehls nicht. Der Pflichtverteidiger müsse daher ohne Vergütung tätig werden, würde man dieser Auffassung folgen.

    Mit Beschluss vom 8. Juli 2022 setzte die Kostenbeamtin des Amtsgerichts die Gebühren und Auslagen auf 285,60 Euro fest. Es liege eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG vor, denn der Beschwerdeführer sei lediglich für die Einzeltä-tigkeit der Vertretung des Angeklagten im Rahmen der Haftbefehlseröffnung bei-geordnet worden. Mit der Verteidigung im Übrigen sei bereits Rechtsanwalt ... beauftragt. Die Rechtsanwalt ... zustehende Vergütung setze sich daher aus der Gebühr Nr. 4301 VV RVG in Höhe von 220,00 Euro sowie der Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG zuzüglich Umsatzsteuer zusammen. Der Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 11. Juli 2022 zugestellt.

    Mit Schriftsatz vom 13. Juli 2022, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, erhob der Beschwerdeführer Erinnerung gegen diesen Beschluss. Zur Begründung verwies er auf seinen Antrag vom 30. Juni 2022.Mit Beschluss vom 28. Juli 2022 wies das Amtsgericht die Erinnerung als unbegründet zurück, weil der Beschwer-deführer dem damaligen Beschuldigten lediglich in einer Einzeltätigkeit beigeordnet worden sei. Der Beschluss wurde am 4. August 2022 zugestellt.

    Mit Schriftsatz vom 10. August 2022, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen den Beschluss ein, ohne diese weiter zu begründen.

    Am 13. Dezember 2022 hat der Einzelrichter beim Landgericht Stuttgart die Ent-scheidung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage auf die Kammer übertragen. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2022 hat die 20. Große Strafkam-mer die sofortige Beschwerde als unbegründet verworfen und in ihrem Beschluss die weitere Beschwerde zugelassen. Maßgeblich für die Abgrenzung eines Einzel-tätigkeitsauftrags von einer Vollverteidigung sei die gerichtliche Bestellung. Nach dieser sei der Beschwerdeführer ausschließlich für die Haftbefehlseröffnung beige-ordnet worden. Die Auffassung, dass jede Pflichtverteidigerbeiordnung zur Ent-stehung einer Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr führe, finde im Wortlaut der Vorbemerkung 4.3 VV RVG keinen Halt. Eine einzeltätigkeitsbezogene Pflicht-verteidigerbeiordnung sei ohne weiteres mit dem Wortlaut vereinbar. Auch die Systematik der Nr. 4301 VV RVG spreche gegen eine Entstehung darüberhinaus-gehender Gebühren. Die vom Beschwerdeführer vertretene Auffassung führe da-zu, dass der Gebührentatbestand Nr. 4301 VV RVG auf Pflichtverteidiger grund-sätzlich nicht anwendbar sei. Der Beschluss wurde am 28. Dezember 2022 zuge-stellt.

    Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2022, eingegangen beim Landgericht am selben Tag. Eine zunächst an-gekündigte weitere Begründung ist nicht eingegangen.

    Das Landgericht hat der weiteren Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

    II.
    Die weitere Beschwerde ist gemäß § 56 Abs. 2 RVG, § 33 Abs. 6 RVG statthaft und auch ansonsten zulässig erhoben. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

    1. Gemäß § 33 Abs. 6 Satz 2 RVG kann die weitere Beschwerde nur darauf gestützt werden, dass das Beschwerdegericht eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig an-gewendet hat und die Entscheidung auf dieser unrichtigen Anwendung beruht. Ein Rechtsfehler in diesem Sinne ist hier nicht ersichtlich. Zu Recht hat das Landgericht für die Teilnahme des Beschwerdeführers am Termin zur Eröffnung des Haftbefehls lediglich die Verfahrensgebühr für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG festgesetzt.

    2. In Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG ist nach Absatz 1 der Vorbemerkung zu den Gebüh-rentatbeständen Nrn. 4300 bis 4303 VV RVG die Vergütung des Rechtsanwalts geregelt, der nicht insgesamt mit der Interessenwahrnehmung beauftragt ist, also nicht den vollen Verteidigungsauftrag hat, sondern hieraus nur eine einzelne Tätig-keit übernimmt. Bei den dort genannten Einzeltätigkeiten erhält der Rechtsanwalt jeweils eine Verfahrensgebühr, andere Gebühren werden ihm nicht gewährt.

    3. Für die Abgrenzung zwischen einem "Vollverteidiger" und einem mit einer Ein-zeltätigkeit beauftragten Rechtsanwalt ist bei einem Pflichtverteidiger gemäß § 48 Abs. 1 RVG der Wortlaut der Verfügung des Vorsitzenden oder des Gerichtsbe-schlusses maßgebend, durch den die Bestellung erfolgt ist (Senatsbeschluss vom 3. Februar 2011 - 4 Ws 195/10, juris Rn. 17). Vorliegend wurde der Beschwerdefüh-rer nach dem Wortlaut des Beschlusses des Amtsgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2022 "für den heutigen Anhörungstermin", also für die Vorführung und Verneh-mung vor dem zuständigen Richter gemäß § 115 Abs. 1 u. 2 StPO, zum Pflichtver-teidiger bestellt. Der Formulierung des Beschlusses kann hier sowohl eine zeitliche, als auch eine inhaltliche Beschränkung der Bestellung - nämlich auf die Haftfrage - entnommen werden. Für eine unbeschränkte Beiordnung des Beschwerdeführers als Pflichtverteidiger war schon deshalb kein Raum, weil für den Beschuldigten zum Zeitpunkt der Beiordnung bereits Rechtsanwalt ... als Wahlverteidiger tätig und der Beschuldigte damit nicht unverteidigt im Sinne des § 141 Abs. 1 Satz 1 StPO war. Jedenfalls in einem solchen Fall handelt es sich bei der Vertretung des Beschuldig-ten im Rahmen der Haftvorführung nach § 115 StPO um eine Einzeltätigkeit.

    4. Die Gebühr für die Beistandsleistung bei einer richterlichen Vernehmung im Rahmen einer Einzeltätigkeit ist in Nr. 4301 Ziff. 4 VV geregelt. Vernehmung in die-sem Sinne ist auch die Vernehmung bei einer Vorführung gemäß § 115 Abs. 2 StPO (Felix in: Toussaint, Kostenrecht, 52. Auflage, VV 4301 Rn. 13; Burhoff in: Ge-rold/Schmidt, RVG, 25. Auflage, VV 4301 Rn. 15). Der Auffassung, der Pflichtver-teidiger sei ausdrücklich als Verteidiger beigeordnet, was die Anwendung von Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG ausschließe (Burhoff, Handbuch des strafrechtlichen Ermitt-lungsverfahrens, 9. Auflage, P Rn. 3435) tritt der Senat nicht bei. Derartiges ergibt sich aus dem Wortlaut des zur Begründung herangezogenen Absatz 1 der Vorbe-merkung 4.3 VV gerade nicht. Nach Absatz 1 der Vorbemerkung 4.3 VV entstehen die Gebühren für einzelne Tätigkeiten, ohne dass dem Rechtsanwalt sonst die Ver-teidigung oder Vertretung übertragen ist. Der Begriff "sonst" impliziert, dass auch der in einer einzelnen Tätigkeit auftretende Rechtsanwalt Verteidiger ist. Der Wort-laut differenziert also zwischen einem Rechtsanwalt dem die Verteidigung aus-schließlich in einer einzelnen Tätigkeit übertragen ist und einem Rechtsanwalt der auch sonst - also über die einzelne Tätigkeit hinaus - als Verteidiger auftritt. Beide sind dabei im Umfang ihrer jeweiligen Tätigkeit Verteidiger mit allen Rechten und Pflichten. Eine Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr verdient aber nur derjenige Rechtsanwalt der auch über die einzelne Tätigkeit hinaus für den Mandanten tätig wird. Auch ein Vergleich mit den sonstigen von Nr. 4301 VV umfassten Einzeltätig-keiten zeigt, dass es keineswegs unangemessen ist, einen Rechtsanwalt der aus-schließlich für eine Haftvorführung zum Pflichtverteidiger bestellt wird, lediglich mit der Festgebühr in Höhe von 220 Euro zu vergüten; dies unabhängig von Um-fang und Aufwand der mit der Haftvorführung verbundenen Beratung. So sieht Nr. 4301 Ziff. 5 VV etwa eine Gebühr in derselben Höhe für denjenigen Rechtsanwalt vor, der den Antragsteller im Rahmen eines Klageerzwingungsverfahrens vertritt, mit dem in der Regel ebenfalls ein hoher Einarbeitungs- und Begründungsaufwand einhergeht.

    III.
    Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Satz 2 u. 3 RVG.

    RechtsgebieteStrafprozess, Gebührenrecht PflichtverteidigerVorschriftenNr. 4301 Ziff. 4, Vorbem. 4.3 Abs. 1 VV RVG, § 141 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 StPO