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  • 10.05.2022 · IWW-Abrufnummer 229067

    Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Beschluss vom 09.02.2022 – 2 Ws 33/21

    1. Der Gegenstandswert von illegal produzierten und unversteuerten Zigaretten ist mit 0 € festzusetzen.

    2. Das Verschlechterungsverbot findet im Wertfestsetzungsverfahren keine Anwendung.


    OLG Frankfurt 2. Strafsenat

    09.02.2022


    Tenor

    Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers vom 26. August 2019 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit zur Verteidigung des vormals Angeklagten B gegen die Anordnung der Einziehung auf 0 € festgesetzt wird.

    Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 33 Abs. 9 RVG).

    Gründe

    I.

    In dem gegen den vormals Angeklagten und die 19 Mitangeklagten geführten Strafverfahren warf die Staatsanwaltschaft dem vormals Angeklagten vier Fälle von mittäterschaftlich begangener besonders schwerer Tabaksteuerhinterziehung, in einem Fall in Tateinheit mit strafbarer Kennzeichenverletzung nach dem Markengesetz, vor. In der Anklageschrift wurde auch angeführt, dass die in dem Verfahren sichergestellten Zigarettenherstellungsmaschinen, Tabak, Zigaretten, Verpackungs- und Herstellungsmaterialien gemäß § 375 Abs. 2 Nr. 1 AO der Einziehung unterliegen.

    Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Hanau begann am 18. März 2014. Das Verfahren gegen den vormals Angeklagten sowie einen Mitangeklagten wurde durch Beschluss vom 06. Dezember 2016 abgetrennt und der vormals Angeklagte wurde mit Urteil vom 14. Dezember 2016 freigesprochen. Eine Einziehung wurde nicht angeordnet. Das Urteil ist rechtskräftig.

    Der Beschwerdeführer hat angekündigt, die Festsetzung einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 VV RVG beantragen zu wollen und mit Schriftsatz vom 11. Januar 2018 die Festsetzung des Gegenstandswertes seiner anwaltlichen Tätigkeit in Bezug auf die Einziehung beantragt. Mit Beschluss vom 26. Februar 2019 setzte das Landgericht den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit in Bezug auf die Einziehung auf 2.733.829,12 €, dem Betrag der dem vormals Angeklagten in der Anklageschrift vom 06. September 2013 vorgeworfenen hinterzogenen Tabaksteuer, fest. Auf die Beschwerde der Bezirksrevisorin vom 26. April 2019 setzte das Landgericht den Gegenstandswert mit Beschluss vom 19. August 2019 gemäß § 23 Abs. 3 S. 2 RVG auf 5.000,00 € fest. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde vom 26. August 2019. Die Kammer hat der Beschwerde mit Beschluss vom 29. Oktober 2020 nicht abgeholfen.

    II.

    Die Beschwerde ist gemäß § 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft und auch im Übrigen zulässig; sie ist jedoch unbegründet und führt zu einer Wertfestsetzung in Höhe von 0 €.

    Das Landgericht hat den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit des Beschwerdeführers in Bezug auf eine Einziehung rechtsfehlerhaft zu hoch, nämlich auf € 5.000,00, festgesetzt. Dies kann im Beschwerdeverfahren korrigiert werden, da das Verbot der reformatio in peius im Rahmen der Wertfestsetzung nach § 33 RVG nicht gilt.

    Die Gebühr gemäß Nr. 4142 VV entsteht, wenn der Rechtsanwalt eine auf die Einziehung und verwandte Maßnahmen gerichtete Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt (BGH, Beschluss vom 29. November 2018 - 3 StR 625/17; Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 25. Auflage 2021, RVG VV 4142 Rdn. 6) und sich dadurch für das - oft besonders wertvolle - Eigentum des Mandanten einsetzt (KG, Beschluss vom 30. Juni 2021 - 1 Ws 16/21). Sinn und Zweck der Einziehungsgebühr besteht darin, dem Rechtsanwalt eine besondere Vergütung für seinen Einsatz zu gewähren, der sich auf die Bewahrung des Eigentums des Mandanten bezieht, da die Anordnung einer Einziehungsmaßnahme eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung für den Beschuldigten haben kann (BT- Drucksache 15/1971 S. 228). In diesen Fällen gestaltet sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts häufig aufwendiger und umfangreicher (KG, Beschluss vom 18. Juli 2005 - 5 Ws 256/05). Erfasst werden von ihr sämtliche Tätigkeiten, die der Rechtsanwalt im Hinblick auf die Einziehung erbringt und die zumindest auch einen Bezug zur Einziehung haben. Nr. 4142 VV RVG setzt dabei keine gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts voraus. Auch Besprechungen und Beratungen des Mandanten lösen die Gebühr aus, sofern die Tätigkeit nach Aktenlage geboten war (vgl. Burhoff, aaO, RVG VV 4142 Rdn. 10, 12). Allein der Umstand, dass im Fall der Verurteilung eine derartige Maßnahme gegebenenfalls in Betracht kommen könnte, reicht für die Entstehung der Gebühr dagegen nicht aus (KG, Beschluss vom 17. Juni 2008 - 1 Ws 123/08).

    Vorliegend wurde in der Anklageschrift vom 06. September 2013 die Einziehung der in dem Verfahren sichergestellten Zigarettenherstellungsmaschinen, Tabak, Zigaretten, Verpackungs- und Herstellungsmaterialien gemäß § 375 Abs. 2 Nr. 1 AO beantragt. Der Beschwerdeführer trägt zudem vor, es sei im Laufe der Hauptverhandlung mehrfach über die Möglichkeit dieser Einziehung gesprochen worden und er habe den vormals Angeklagten hierzu entsprechend beraten.

    Die Beratung des vormals Angeklagten hinsichtlich der Einziehung dieser Gegenstände kann zwar grundsätzlich eine Gebühr nach Nr. 4142 VV RVG auslösen; diese Gegenstände haben jedoch - wie das Landgericht zutreffend erkannt hat - keinen Gegenstandswert. Maßgeblich für den Gegenstandswert ist nämlich der normativ zu bestimmende objektive Geldwert des Gegenstandes. Das subjektive Interesse des Täters ist unbeachtlich (Mayer in Gerold/Schmidt, aaO, § 2 RVG Rdn. 9). Gegenstände, denen die Rechtsordnung keinen messbaren Wert zuschreibt, fehlt ein derartiger Wert. Die illegal hergestellten und unversteuerten Zigaretten sind unter Beachtung der Rechtsordnung nicht handelsfähig. Sie unterliegen ebenso wie Betäubungsmittel der Einziehung und werden vernichtet. Damit hat ihr ggf. auf dem Schwarzmarkt erzielbarer Preis bei der Wertfestsetzung außer Betracht zu bleiben, da dieser allein das subjektive Interesse der beteiligten Straftäter am verbotenen Handel mit illegal produzierten und unversteuerten Zigaretten beziffert (vgl. Brandenburgisches OLG, Beschluss vom 19. Januar 2010 - 2 Ws 79/09; LG Berlin, Beschluss vom 13. Oktober 2006 - 536 Qs 250/06, bestätigt durch Beschluss des KG, Beschluss vom 20. Dezember 2006 - 5 Ws 687/06). Der Wert der illegal produzierten und unversteuerten Zigaretten sowie des Feinschnitttabaks ist daher auf 0 € festzusetzen. Die Zigarettenfabrikationsanlage sowie die Verpackungs- und Herstellungsmaterialen sind aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses ebenfalls mit 0 € zu bewerten.

    Sofern der Beschwerdeführer geltend macht, bei der Festsetzung des Wertes der anwaltlichen Tätigkeit in Bezug auf die Einziehung müsse zumindest ergänzend auf die in der Anklageschrift vorgeworfene verkürzte Steuer abgestellt werden, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar hat die Kammer im weiteren Verlauf des Ursprungsverfahrens - nach Abtrennung des Verfahrens und Freispruch des vormals Angeklagten B - hinsichtlich vormals Mitangeklagter zum Teil auch auf Einziehungsentscheidungen in Höhe der jeweils hinterzogenen Steuern erkannt, die vor dem BGH allerdings keinen Bestand hatten (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2019 - 1 StR 225/19). Der Beschwerdeführer hat jedoch nicht vorgetragen, dass eine derartige Einziehungsentscheidung auch bezüglich des Angeklagten B im Raume stand, ggf. sogar ein entsprechender richterlicher Hinweis nach § 265 Abs. 2 Nr. 1 StPO erteilt wurde, und Gegenstand seiner anwaltlichen Beratung war. Im Rahmen des im Kostenfestsetzungsverfahrens grundsätzlich geltenden Beibringungsgrundsatzes (Toussaint, Kostenrecht, 51. Auflage, § 11 RVG Rdn. 61; § 33 Rdn. 21) wäre daher zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde eine dem Vergütungsanspruch zugrundeliegende Tätigkeit vorträgt. Dies ist vorliegend jedoch nicht erfolgt.

    Das Verschlechterungsverbot steht der Aufhebung des Beschlusses vom 19. August 2019 und der Herabsetzung des durch das Landgericht festgesetzten Wertes nicht entgegen. Das Verbot der reformatio in peius findet im Wertfestsetzungsverfahren keine Anwendung (vgl. Senat, Beschluss vom 16. März 2021 - 2 Ws 37/21; Hanseatisches OLG Hamburg, Beschluss vom 05. Mai 2010 - 2 Ws 34/10; LAG München, Beschluss vom 23. Juni 2015 - 3 Ta 170/15).

    § 33 RVG enthält keine den §§ 331, 358 Abs. 2 oder 373 Abs. 2 StPO entsprechende Regelung. Ein Verbot der Schlechterstellung des Beschwerdeführers durch die Beschwerdeentscheidung ist weder in der StPO noch in den Kostengesetzen und dem RVG gesetzlich geregelt und ist auch keine zwingende Folge aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BGHSt 9, 324, 332; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Auflage 2021, § 331 Rn 1 mwN). Bei den genannten gesetzlich geregelten Verschlechterungsverboten handelt es sich vielmehr um eine dem Angeklagten vom Gesetzgeber gewährte Rechtswohltat, welcher der Gedanke zu Grunde liegt, dass der Angeklagte beziehungsweise sein gesetzlicher Vertreter von der Einlegung von Rechtsmitteln gegen Urteile nicht durch die Besorgnis abgehalten werden soll, es könne ihm dadurch ein Nachteil entstehen. Dem Angeklagten sollen deshalb in diesen Fällen die durch das erste Urteil erlangten Vorteile belassen werden, auch wenn diese gegen das sachliche Recht verstoßen (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO). Daraus und aus der Bestimmung des § 309 Abs. 2 StPO, wonach das Beschwerdegericht „die in der Sache erforderliche Entscheidung” erlässt, erklärt sich, dass für die Beschwerde ein Verbot der reformatio in peius grundsätzlich nicht besteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 331 Rdn. 1, vor § 304 Rdn. 5 mwN). So wird auch für mit der sofortigen Beschwerde angreifbare Kostengrundentscheidungen (BGHSt 5, 52, 53) und für mit der Beschwerde angreifbare Kostenfestsetzungsbeschlüsse (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 464b Rdn. 8) ein Verschlechterungsverbot abgelehnt. Gleiches gilt für gerichtliche Entschädigungsfestsetzungen nach § 4 Abs. 1 JVEG und dagegen gerichtete Beschwerden nach § 4 Abs. 3 und Abs. 5 JVEG (Weber in: Toussaint, Kostenrecht, 51. Auflage 2021, § 4 JVEG Rdn. 55). Für das vorliegende Verfahren der Wertfestsetzung gemäß § 33 Abs. 3 RVG für die anwaltliche Tätigkeit in Bezug auf die Einziehung kann nichts Anderes gelten als für die übrigen genannten Kostenentscheidungen, denn die hier zu treffende Entscheidung ist wertungsmäßig diesen anderen Kostenentscheidungen gleichzusetzen. Ein den für das Urteilsverfahren gesetzlich geregelten Verschlechterungsverboten entsprechendes Schutzbedürfnis des Rechtsmittelführers gegenüber einer unbeabsichtigt durch ein eigenes Rechtsmittel herbeigeführten Schlechterstellung besteht im Bereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ebenso wenig wie im übrigen Kosten- und Entschädigungsrecht. Maßgeblich ist vielmehr die materielle Richtigkeit der Wertfestsetzung, zumal Kostenschuldner oftmals der Verurteilte ist (Senat, Beschluss vom 16. März 2021 - 2 Ws 37/21).

    RechtsgebieteStrafrecht, EinziehungVorschriften§ 33 RVG, §§ 73 ff. StGB