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  • 09.12.2021 · IWW-Abrufnummer 226270

    Kammergericht Berlin: Beschluss vom 23.08.2021 – 5 U 121/19

    Zur Frage der Kostentragung bei einer durch Berufungsrücknahme wirkungslos gewordenen Anschlussberufung, mit welcher der erstinstanzlich siegreiche Kläger zweitinstanzlich seine Klage erweitert hatte.




    In dem Rechtsstreit
    hat das Kammergericht - 5. Zivilsenat - durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht ###, die Richterin am Kammergericht ### und den Richter am Kammergericht ### am 23.08.2021 beschlossen:
    Tenor:

        1.

        Die Beklagte ist des eingelegten Rechtsmittels der Berufung verlustig.
        2.

        Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 10% und die Beklagte 90%.
        3.

        Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 6.500,00 € festgesetzt.

    Gründe

    A.

    Die Entscheidung zu Nr. 1 des Tenors beruht auf § 516 Abs. 3 ZPO. Die Berufung ist zurückgenommen worden.

    B.

    Die Festsetzung des Berufungswerts hat ihre Grundlage in § 3 ZPO, §§ 40, 47 Abs. 1 S. 1, 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GKG.

    1.

    Der Wert der Berufung beträgt 6.000,00 €. Wenn ein Unternehmer seine E-Mail-Werbung an einen anderen Unternehmer richtet, geht der Senat - derzeit - im Regelfall von einem Wert in Höhe von 6.000,00 € in der Hauptsache aus (seit Senat, Beschluss vom 17. Mai 2016 - 5 W 209/15, BeckRS 2016, 129689 Rn. 9).

    2.

    Den Wert der Anschlussberufung beziffert der Senat mit 500,00 €. Der Kläger verfolgt mit der Datenauskunft ein immaterielles Interesse (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 12. November 2020 - I-9 W 34/20 -, Rn. 7, juris; Beschluss vom 05. Februar 2018 - I-9 U 120/17 -, Rn. 3, juris). Wie der Wert zu ermitteln wäre, wenn der Kläger (auch) ein wirtschaftliches Ziel verfolgen würde, muss vorliegend nicht entschieden werden.

    3.

    Die Werte von Berufung und Anschlussberufung sind zusammenzurechnen, denn sie sind nicht wirtschaftlich identisch und betreffen daher nicht "denselben Gegenstand", § 45 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1, Satz 3 GKG.

    C.

    Die Kosten des Berufungsverfahrens sind in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 1 ZPO im Verhältnis der Streitwerte von Berufung und Anschlussberufung zu verteilen.

    1.

    Nach Auffassung des Senats ist im vorliegenden Falle eine Abweichung von dem Grundsatz geboten, dass die Berufungsrücknahme gemäß § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO die Verpflichtung der zurücknehmenden Partei zur Folge hat, die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten einer durch ihre Berufungsrücknahme wirkungslos gewordenen Anschlussberufung zu tragen. Diese im Falle des § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO dem zurücknehmenden Rechtsmittelkläger aufzuerlegen, hält der Senat im vorliegenden Fall nicht für gerechtfertigt.

    a) Das in diesem Zusammenhang für die gegenteilige Auffassung herangezogene Argument, die durch die Anschlussberufung ausgelösten Kosten gingen letztlich auf die Veranlassung des Berufungsklägers zurück, denn ohne seine Berufung hätte sich der Berufungsbeklagte und Anschlussberufungskläger mit dem Urteil des ersten Rechtszuges zufrieden gegeben, greift nur für den Fall, dass der Berufungsbeklagte (lediglich) ein Begehren weiterverfolgt, welches er bereits in erster Instanz - erfolglos - verfolgt hatte und hinsichtlich dessen es auch für den Berufungskläger nicht fernliegend war, dass es im Wege der Anschlussberufung auch in zweiter Instanz geltend gemacht würde. Das genannte Argument ist indes - jedenfalls im Regelfall - nicht stichhaltig, soweit der Berufungsbeklagte in zweiter Instanz im Rahmen einer Anschlussberufung eine Klageerweiterung vornimmt. Über diese konnte das erstinstanzliche Gericht gar nicht entscheiden, so dass sich für den Berufungsbeklagten gar nicht die Frage stellte, ob er sich mit der erstinstanzlichen Entscheidung zufrieden geben soll oder nicht. Wenn der Berufungsbeklagte in einer solchen Lage lediglich die Berufung des Berufungsklägers zum Anlass nimmt, eine weitere Forderung in dem bereits anhängigen Berufungsverfahren geltend zu machen, besteht daher keine ausreichende Rechtfertigung, die insoweit durch die Anschlussberufung des Berufungsbeklagten ausgelösten Kosten (im Rahmen der einheitlichen Kostenentscheidung) nicht diesem, sondern dem Berufungskläger aufzuerlegen. Etwas Anderes erscheint auch deswegen nicht sachgerecht, weil der Rechtsmittelkläger in Fällen der vorliegenden Art dem gleichen Kostenrisiko zum zweiten Mal ausgesetzt werden kann, wenn nämlich sein Gegner nach Zurücknahme der Berufung die damit gegenstandslos gewordene Klageerweiterung erneut in erster Instanz rechtshängig macht (vgl. Kammergericht, Beschluss vom 18. April 1988 - 18 UF 5043/87, FamRZ 1988, 1301; vgl. auch Beschluss vom 30. Oktober 2013 - 26a U 98/13 -, Rn. 19, juris).

    b) Die vom Kläger in seinem Schriftsatz vom 30. Juli 2021 vorgebrachten Argumente überzeugen nicht.

    aa) Vorliegend kommt es nicht auf die Frage an, ob mit der Anschlussberufung ein neuer Sachverhalt in den Rechtsstreit eingeführt wurde oder nicht; entscheidend ist vielmehr, dass das erstinstanzliche Gericht - mangels entsprechenden Antrages - über den klageerweiternden Anspruch nicht entscheiden konnte.

    bb) Bei seinen Ausführungen zur angeblichen Kostenersparnis der Klageerweiterung übersieht der Kläger, dass im vorliegenden Fall über den klageerweiternd geltend gemachten Anspruch gerade nicht entschieden wurde. Vielmehr kann der Kläger nach Zurücknahme der Berufung die damit gegenstandslos gewordene Klageerweiterung erneut in erster Instanz rechtshängig machen und die Beklagte damit erneut einem Kostenrisiko aufgrund desselben Sachverhaltes aussetzen.

    cc) Die Anwendung des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO scheidet im vorliegenden Fall schon deswegen aus, da infolge der (klageerweiternden) Anschlussberufung eine Gebührenstufe überschritten wurde und die dadurch verursachten Kosten höher als 10% sind (vgl. hierzu nur Herget in: Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 92 ZPO, Rn. 10).

    c) Unter Anlegung dieser Maßstäbe ergibt sich die aus dem Tenor zu 2) ersichtliche Kostenverteilung.

    aa) Da es für die Anwendung des § 92 ZPO ohne Bedeutung ist, ob eine Partei mit einem Haupt- oder Nebenanspruch teilweise obsiegt bzw. unterliegt, ist ein fiktiver Streitwert zu bilden, der auch trotz der Regelung des § 43 GKG die vom Kläger geltend gemachte Nebenforderung sowie die begehrten Zinsen berücksichtigt (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1988 - IX ZR 127/87 -, Rn. 28, juris; Urteil vom 04. Juni 1992 - IX ZR 149/91 -, Rn. 108, juris).

    b) Damit ergeben sich folgende Werte:

    Der fiktive Streitwert der Anschlussberufung beträgt 664,53 € und setzt sich zusammen aus den Anschlussberufungsanträgen zu 1) (= 500,00 €), zu 2) (= 147,56 €) und den vom Kläger geltend gemachten Zinsen bis zum 05. August 2021 (= 16,97 €), dem Datum des Eingangs der Rücknahme der Berufung bei Gericht.

    Insoweit hat der Kläger die Kosten des Berufungsverfahren zu tragen, was bei einem fiktiven Gesamtwert von 6.664,53 € eine Unterliegensquote von 9,97% ergibt.

    RechtsgebietZivilprozess Vorschriften§ 516 Abs. 3 S. 1 ZPO, § 92 Abs. 1, Abs. 2 ZPO