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  • 02.03.2021 · IWW-Abrufnummer 220889

    Landgericht Zweibrücken: Beschluss vom 02.12.2020 – 1 Qs 33/20

    1. Für Rechtsmittel gegen Kostenentscheidungen besteht grundsätzlich kein Verschlechterungsverbot.

    2. Das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde endet spätestens mit dem Eingang der Akten bei Gericht (§ 69 Abs. 3 Satz 1 OWiG) bzw. mit einer sonstigen vorherigen verfahrensbeendenden Maßnahme. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Verteidiger mit der Verwaltungsbehörde im Anschluss noch einmal schriftlich korrespondiert hat.

    3. Wird das Verfahren nach § 47 OWiG eingestellt, weil die Verwaltungsbehörde Informationen bzw. Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt hat, die der Verteidiger angefordert hatte, reicht das aus, um den Anfall der Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG zu rechtfertigen.

    4. Ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der Kosten eines privat beauftragten Sachverständigen setzt grundsätzlich voraus, dass alle prozessualen Mittel zur Erhebung des gewollten Beweises ausgeschöpft worden sind und dass sich der Betroffene nicht mehr anders verteidigen konnte. Nach diesen Maßstäben liegt Erstattungsfähigkeit i.d.R. nur vor, wenn der Betroffene einen Beweisantrag gestellt und er ggf. Einwendungen gegen die Ordnungsgemäßheit der Messung vorgebracht hat.


    LG Zweibrücken

    Beschluss vom 02.12.2020


    Beschluss

    In dem Bußgeldverfahren
    gegen pp.

    hat die 1. Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken durch die Vorsitzende Richterin am Landgericht, den Richter am Landgericht und den Richter am Landgericht am 02.12.2020 beschlossen:

    1.Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen pp. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Landstuhl vom 02.06.2020 wird der Beschluss des Amtsgerichts Landstuhl vom 02.06.2020 aufgehoben und wie folgt neu gefasst:

    Die nach dem rechtskräftigen Beschluss des Amtsgerichts Landstuhl vom 13.02.2020 aus der Staatskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen der Wahlverteidigerin pp. werden auf EUR 839,05 (in Worten: achthundertneununddreißg 05/100 EURO) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gern. § 247 BGB hieraus seit 07.04.2020 festgesetzt.

    2. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie seine notwendigen Auslagen zu tragen.

    Gründe:

    Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und auch die Beschwerdesumme des § 304 Abs. 3 StPO erreichende sofortige Beschwerde des Betroffenen führt in der Sache zur Festsetzung eines gegenüber dem angefochtenen Beschluss geringeren Betrages.

    Ein Verschlechterungsverbot besteht insoweit nicht. Für Beschwerde, sofortige Beschwerde und weitere Beschwerde ist, anders als für Berufung, Revision und Wiederaufnahme in den §§ 331, 358 Absatz 2, § 373 Absatz 2 StPO ein Verbot der Schlechterstellung des Beschwerdeführers durch die Beschwerdeentscheidung weder in der StPO noch in den Kostengesetzen und dem RVG gesetzlich geregelt. Ein Verschlechterungsverbot ist auch keine zwingende Folge aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BGHSt 9, 324 = NJW 1956, 1725; Meyer-Goßner/Schmitt. § 331 Rn 1 mwN). Bei den genannten gesetzlich geregelten Verschlechterungsverboten handelt es sich vielmehr um eine dem Angeklagten vom Gesetzgeber gewährte Rechtswohltat, welcher der Gedanke zu Grunde liegt, dass der Angeklagte von der Einlegung von Rechtsmitteln gegen Urteile nicht durch die Besorgnis abgehalten werden soll, es könne ihm dadurch ein Nachteil entstehen. Dem Angeklagten sollen deshalb in diesen Fällen die durch das erste Urteil erlangten Vorteile belassen werden, auch wenn diese gegen das sachliche Recht verstoßen (vgl. Meyer-Goßner, § 331 Rn 1 mwN). Daraus und aus der Bestimmung des § 309 Absatz 2 StPO. wonach das Beschwerdegericht „die in der Sache erforderliche Entscheidung" erlässt, erklärt sich, dass für die Beschwerde ein Verbot der reformatio in peius grundsätzlich nicht besteht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 331 Rn. 1, vor § 304 Rn. 5 mwN).

    Ausnahmen von der Nichtgeltung des Verschlechterungsverbotes im Beschwerdeverfahren hat die Rechtsprechung, weil grundsätzlich allein der Gesetzgeber darüber zu bestimmen hat, wann einem Rechtsmittelführer die Rechtswohltat des Verbotes der Schlechterstellung zukommen soll (Meyer-Goßner/Schmitt, § 331 Rn 1; vor § 304 Rn 5), zu Recht bisher nur in geringem Umfang zugelassen-

    Im Bereich der einfachen Beschwerde gern. §§ 304, 310 Absatz 1 StPO gilt nach h.M. das Verschlechterungsverbot mit Ausnahme des Sonderfalles der Verschonung von Untersuchungshaft (BVerfG, StV 2006, STV Jahr 2006 Seite 26) nicht.

    Anerkannt ist eine Ausnahme hingegen für Beschlüsse, die der Rechtskraft fähig sind und, vergleichbar zu Urteilen, Rechtsfolgen endgültig festsetzen (vgl. OLG Frankfurt a.M. in NStZ-RR 1996, 318; Meyer-Goßner/Schmitt, § 331 Rn 1). Dazu gehören mit dem befristeten Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde anfechtbare Beschlüsse über die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung und den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung.

    Im Bereich der Kostenentscheidungen besteht eine entsprechende verfestigte Rechtsprechung zu Ausnahmen von der grundsätzlichen Nichtgeltung des Verschlechterungsverbotes im Beschwerdeverfahren nicht. Eine solche Ausnahme wird vielmehr sogar für mit der sofortigen Beschwerde anfechtbare Kostengrundentscheidungen abgelehnt (vgl. BGHSt 5. 52). Für mit der „einfachen" Beschwerde anfechtbare Kostenfestsetzungsbeschlüsse gilt nach zutreffender h.M. ein Verbot der Schlechterstellung ebenfalls nicht (vgl. OLG Düsseldorf, MDR 1991, 370: OLG Karlsruhe, MDR 1986, ausdrücklich Meyer-Goßner/Schmitt, § 464b Rn 8 mwN; OLG Hamburg, Beschluss vom 5. 5. 2010 - 2 Ws 34/10).

    Festzusetzen war daher wie beantragt die Grundgebühr, Nr. 5100 VV RVG, in Höhe von EUR 100 als Mittelgebühr.

    Die Verfahrensgebühr, Nr. 5103 VV RVG, war jedoch abzusetzen. Bei dieser handelt es sich um die Verfahrensgebühr für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde. Nach Vorbemerkung 5.1.2 des Vergütungsverzeichnisses zum RVG gehört zu dem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde auch das Verwarnungsverfahren und das Zwischenverfahren (§ 69 OWiG) bis zum Eingang der Akten bei Gericht. Ausweislich BI. 42 f. d.A. wurde die Sache mit Verfügung vom 07.06.2019 von der Verwaltungsbehörde an das Amtsgericht Landstuhl abgegeben. Damit war das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde beendet, eine Verfahrensgebühr für das dortige Verfahren konnte nicht mehr anfallen. Das Verfahren endet spätestens mit dem Eingang der Akten bei Gericht (§ 69 Abs. 3 S. 1 OWiG) bzw. mit einer sonstigen vorherigen verfahrensbeendenden Maßnahme (Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, Vorbemerkung 5.1.2 Rn 3 mwN). Die Verteidigerin hat sich jedoch erst mit Schriftsatz vom 19.11.2019 gegenüber dem Amtsgericht Landstuhl bestellt. Zu diesem Zeitpunkt war das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde jedoch bereits beendet. Daher konnte eine Verfahrensgebühr nach Nr. 5103 VV VVG nicht mehr anfallen. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Verteidigerin mit der Verwaltungsbehörde im Anschluss noch einmal schriftlich korrespondiert hat. Nach Beendigung des Verwaltungsverfahrens kann dieses nicht durch erneute Korrespondenz wieder in das vorhergehende Stadium zurückversetzt werden. Sogar eine Zurückverweisung von Seiten des Gerichts an die Verwaltungsbehörde lässt grundsätzlich eine erneute Verfahrensgebühr für das Tätigwerden vor der Verwaltungsbehörde nicht entstehen (ebenda, Rn 4). Erst recht muss dies gelten, wenn von Seiten der Verteidigung ohne Zurück-verweisung mit der Verwaltungsbehörde korrespondiert wird. Der erhöhte Aufwand kann freilich im Rahmen des § 14 RVG Berücksichtigung finden.

    Weiter war antragsgemäß festzusetzen die Verfahrensgebühr nach Nr. 5109 VV RVG für das gerichtliche Verfahren im ersten Rechtszug zur Mittelgebühr von EUR 160,00.
    Gleiches gilt für die Terminsgebühr in Höhe von EUR 255,00 zur Mittelgebühr.

    Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts Landstuhl ist die zusätzliche Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG ebenfalls angefallen und mit EUR 160,00 festzusetzen. Jedenfalls auch - was ausreicht durch die anwaltliche Mitwirkung wurde die (erneute) Hauptverhandlung entbehrlich. Das Amtsgericht Landstuhl hat den Termin vom 13.02.2020 ausgesetzt. Im Anschluss hieran hat es das Verfahren nach § 47 OWiG eingestellt. Zur Begründung hat das AG Landstuhl auf die Nichtvorlage von Informationen bzw. Unterlagen abgestellt, die die Verteidigerin angefordert, welche ihr aber von Seiten der Verwaltungsbehörde nicht zur Verfügung gestellt wurden. Dies reicht aus, um den Anfall der Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG zu rechtfertigen. Die Höhe der Gebühr richtet sich nach Nr. 5515 VV RVG Abs. 3 Satz 2 für den Wahlanwalt nach der Rahmenmitte der jeweiligen Verfahrensgebühr. Diese beträgt - wie zutreffend beantragt - EUR 160,00.

    Weiter war lediglich eine Auslagenpauschale von EUR 20.00 nach Nr. 7002 VV RVG anzusetzen, nicht deren zwei wie beantragt. Zwar sind die Verfahren vor der Verwaltungsbehörde und das gerichtliche Verfahren jeweils eine eigene Angelegenheit, so dass die Pauschalen mehrfach anfallen können. Wie oben bereits festgehalten, fehlt es allerdings an einem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde, so dass auch eine Auslagenpauschale für ein dortiges Tätigwerden nicht anfallen kann.

    Ebenso wenig festsetzbar waren die Kosten der eingeholten gutachterlichen Überprüfung durch die GFU GmbH in Höhe von brutto EUR 828,24. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (vgl. bereits Beschluss der Kammer vom 26.10.2010, 1 Qs 66/10. NStZ-RR 2011, 95; 1 Qs 24/20 vom 08.07.2020) sind die Kosten privater Ermittlungen nicht erstattungsfähig. weil die damit verbundenen Auslagen regelmäßig nicht notwendig sind. Es ist Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden, den Sachverhalt zu ermitteln. Da die StPO einem Betroffenen bzw. Angeklagten die Möglichkeit gibt, Beweisanträge zu stellen und die Aufnahme von Ermittlungen anzuregen, sind eigene Ermittlungen grundsätzlich nicht erforderlich. Ausnahmsweise kommt allerdings eine Erstattung der Kosten in Betracht, wenn das Privatgutachten zur Verteidigung trotz der bestehenden amtlichen Aufklärungspflicht erforderlich ist. Dabei beurteilt sich die Frage, ob ein Privatgutachten erforderlich war, aus einer Beachtung "ex ante" aus der Sicht des jeweiligen Betroffenen bzw. Angeklagten zum Zeitpunkt der Vornahme der Handlung, hier also der Gutachtenbeauftragung. Beweiserhebungen sind aufgrund des geltenden Amtsermittlungsprinzips Sache der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts. Vorrangig sind daher insbesondere Beweisanträge zu stellen (vgl. KG StraFo 2012, 380; OLG Celle StV 2006, 32; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 127; LG Duisburg RVGreport 2013, 156; KK-Gieg, § 464a Rn 7; Meyer-Goßner/Schmitt, § 464a Rn 16).

    An dieser Rechtsprechung hält die Kammer fest. Deshalb setzt ein Erstattungsanspruch grundsätzlich voraus, dass alle prozessualen Mittel zur Erhebung des gewollten Beweises ausgeschöpft worden sind und dass sich der Betroffene nicht mehr anders verteidigen konnte (vgl. u.a. KG StraFo 2012. 380).

    Nach diesen Maßstäben liegt keine Erstattungsfähigkeit vor. Der Betroffene hat keinen Beweisantrag gestellt, er hat auch keine Einwendungen gegen die Ordnungsgemäßheit der Messung vor-gebracht. Keineswegs konnte sich der Verurteilte deshalb nicht mehr anders verteidigen als mit der Einholung einer privaten gutachterlichen Stellungnahme bzw. eines Privatsachverständigen-gutachtens. An der Ausschöpfung der ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Mittel mangelt es.

    Insgesamt waren daher festzusetzen:
    Gebühr Nr. 5100 W RVG: EUR 100,00
    Gebühr Nr. 5109 W RVG: EUR 160,00
    Gebühr Nr. 5110 VV RVG: EUR 255,00
    Gebühr Nr. 5115 VV RVG: EUR 160,00
    Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG: EUR 20,00
    Zwischensumme: UR 695,00
    Zzgl. USt. i.H.v. 19 %,
    Nr. 7008 VV RVG: EUR 132,05
    BETRAG: EUR 827,05
    Akteneinsichtsgebühr EUR 12,00

    GESAMT: EUR 839,05

    Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.

    RechtsgebietBußgeldverfahrenVorschriftenNr. 5115 VV RVG; § 47 OWiG