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  • 04.11.2020 · IWW-Abrufnummer 218744

    Oberlandesgericht Bremen: Beschluss vom 07.09.2020 – 1 W 20/20

    1. Gegen die Ablehnung eines Antrags auf Änderung einer Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 3 S. 1 GKG ist eine Beschwerdemöglichkeit nicht gegeben.

    2. Eine unzulässige Beschwerde gegen eine Ablehnung eines Antrags auf Änderung einer Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 3 S. 1 GKG kann in eine Beschwerde gegen die ursprüngliche Streitwertfestsetzung nach § 68 Abs. 1 S. 1 GKG umzudeuten sein.

    3. Das Verfahren einer Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Änderung einer Streitwertfestsetzung ist in entsprechender Anwendung des § 68 Abs. 3 GKG gerichtsgebührenfrei und eine Erstattung von Kosten findet nicht statt.

    4. Ist in der Hauptsache kein Rechtsmittel statthaft, dann ist auch ein Rechtsmittel gegen die Versagung der Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben.


    Oberlandesgericht Bremen

    Beschluss vom 07.09.2020


    Tenor:

    I. Die Beschwerde des Beklagtenvertreters vom 05.06.2020 wird als unzulässig verworfen.

    II. Der Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird als unzulässig verworfen.

    Gründe

    I.

    Der Beklagtenvertreter begehrt aus eigenem Recht die Änderung einer Streitwertfestsetzung für die 1. Instanz.

    Mit Urteil vom 12.12.2018 hat das Landgericht in der Hauptsache das klagabweisende Versäumnisurteil vom 30.05.2018 aufrechterhalten und den Streitwert auf EUR 100.000,- festgesetzt. Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil wurde durch den Senat mit Beschluss vom 26.07.2019 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen, wobei der Senat den Streitwert für das Berufungsverfahren auf EUR 1.000.000,- festgesetzt hat. Dieser Beschluss wurde den Parteien zugestellt am 01.08.2019.

    Mit Antrag vom 20.08.2019 beantragte die Beklagte im Kostenfestsetzungsverfahren vor dem Landgericht eine Kostenfestsetzung unter Zugrundelegung eines Streitwerts von EUR 1.000.000,-, woraufhin das Landgericht mit Verfügungen vom 28.10.2019 und 31.03.2020 darauf verwies, dass der Streitwert durch das Landgericht mit Entscheidung vom 12.12.2018 auf EUR 100.000,- festgesetzt wurde und dass die Streitwertfestsetzung durch den Senat allein für das Berufungsverfahren erfolgt war. Die Beklagte erklärte daraufhin am 07.04.2020, den Antrag vom 20.08.2019 einstweilen zurückzuziehen, und der Beklagtenvertreter beantragte im eigenen Namen mit Antrag vom selben Tag gegenüber dem Landgericht die Berichtigung der Streitwertfestsetzung auf EUR 1.000.000,-, hilfsweise die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil er nicht auf die Möglichkeit eines Antrags auf Berichtigung des Streitwerts hingewiesen worden sei.

    Mit Beschluss vom 25.05.2020 hat das Landgericht den Antrag des Beklagtenvertreters auf Streitwertberichtigung mit der Begründung zurückgewiesen, dass die für die Abänderung der Streitwertfestsetzung zu beachtende Frist von sechs Monaten nach der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache gemäß § 63 Abs. 3 S. 2 GKG bereits am 02.03.2020 geendet habe, so dass der Antrag vom 07.04.2020 verfristet gewesen sei. Zugleich hat das Landgericht auch den Hilfsantrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen, da es sich bei der Frist nach § 63 Abs. 3 S. 2 GKG um eine Ausschlussfrist handele, bei der eine Wiedereinsetzung nicht zulässig sei.

    Hiergegen wendet sich der Beklagtenvertreter mit seiner im eigenen Namen eingelegten Beschwerde vom 05.06.2020, mit der er geltend macht, dass bereits der Kostenfestsetzungsantrag vom 20.08.2019 immanent einen Antrag auf Streitwertberichtigung enthalten habe, so dass dieser Antrag nicht verfristet sei. Hilfsweise beantragt er erneut die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das Landgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 04.08.2020 nicht abgeholfen.

    II.

    1. Soweit das vom Beklagtenvertreter im eigenen Namen (§ 32 Abs. 2 S. 1 RVG) eingelegte Rechtsmittel als Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts vom 25.05.2020 auszulegen war, war dieses Rechtsmittel ebenso wie der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand als unzulässig zu verwerfen.

    a. Gegen die Ablehnung eines Antrags auf Änderung einer Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GKG ist eine Beschwerdemöglichkeit nicht gegeben (siehe BGH, Beschluss vom 06.06.2013 - IX ZR 75/12, juris Rn. 1; OLG Bamberg, Beschluss vom 22.07.1980 - 3 W 27/80, JurBüro 1980, 1865; OLG Koblenz, Beschluss vom 18.11.1966 - 3 W 288/66, JurBüro 1967, 807; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 10.11.1978 - 6 WF 156/78, JurBüro 1979, 405; BeckOK Kostenrecht-Jäckel, 30. Ed., § 63 GKG Rn. 35; Binz/Dörndorfer, 4. Aufl., § 63 GKG Rn. 10a). Die Unzulässigkeit einer solchen Beschwerde beruht auf den folgenden Erwägungen: Zum einen sieht das Gesetz vor, dass die Änderung einer Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 3 S. 1 GKG von Amts wegen erfolgt, so dass ein hierauf gerichteter Antrag lediglich als Anregung zu verstehen ist, der kein förmliches Verfahren in Gang setzt und keine förmliche Entscheidung erfordert, so dass eine solche, wenn sie auf diese Anregung dennoch ergeht, auch nicht durch denselben Beteiligten als Antragsteller angefochten werden kann (siehe BGH, a.a.O.; OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Koblenz, a.a.O.; OLG Zweibrücken, a.a.O.). Zum anderen regelt § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GKG, dass das Rechtsmittelgericht zur Entscheidung über eine nachträgliche Änderung der Streitwertfestsetzung zuständig nur ist, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt: Das Gesetz sieht mithin eine außerhalb dieser Fallkonstellationen bestehende Möglichkeit der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts im Rahmen einer Beschwerde gegen die Ablehnung eines Antrags auf Änderung des zuvor festgesetzten Streitwerts nicht vor.

    b. Auch der in Bezug auf diese Beschwerde hilfsweise gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war als unzulässig zu verwerfen: Über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet nach § 237 ZPO das Gericht, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozesshandlung zusteht, d.h. hier das Landgericht im Hinblick auf seine Zuständigkeit zur Entscheidung über den Antrag auf Änderung der Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GKG. Auf die Anfechtung der Entscheidung des Landgerichts über die Wiedereinsetzung sind nach § 238 Abs. 2 S. 1 ZPO die Vorschriften anzuwenden, die für die nachgeholte Prozesshandlung gelten, d.h. es bestimmt sich die Anfechtbarkeit der Entscheidung über die Wiedereinsetzung nach dem Rechtsmittel in der Hauptsache. Ist die Hauptsacheentscheidung - wie hier die Entscheidung des Landgerichts über die Ablehnung des Antrags auf Änderung des zuvor festgesetzten Streitwerts - nicht anfechtbar, dann ist auch kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung über die Wiedereinsetzung gegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 20.04.2011 - IX ZA 52/10, juris Rn. 3, ZIP 2011, 1170; Musielak/Voit-Grandel, 17. Aufl., § 238 ZPO Rn. 7).

    2. Allerdings kann eine unzulässige Beschwerde gegen eine Ablehnung eines Antrags auf Änderung einer Streitwertfestsetzung nach § 63 Abs. 3 S. 1 GKG in eine Beschwerde gegen die ursprüngliche Streitwertfestsetzung selbst nach § 68 Abs. 1 S. 1 GKG umgedeutet werden (siehe OLG Bamberg, a.a.O.; OLG Koblenz, a.a.O.). Auch als eine solche Beschwerde ist das Rechtsmittel des Beklagtenvertreters vom 05.06.2020 aber unzulässig, da die Frist für diese Beschwerde nach §§ 68 Abs. 1 S. 3, 63 Abs. 3 S. 2 GKG nicht gewahrt ist.

    a. Die Rechtskraft für die Entscheidung in der Hauptsache ist mit Ablauf der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Senats vom 26.07.2019 am 02.09.2019 eingetreten, so dass die Sechsmonatsfrist des § 63 Abs. 3 S. 2 GKG am 02.03.2020 endete. Die Beschwerde des Beklagtenvertreters ist erst am 07.04.2020 erhoben worden und es ist damit die Beschwerdefrist nicht gewahrt.

    b. Es ist auch nicht der Kostenfestsetzungsantrag vom 20.08.2019 zugleich als Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung im Urteil vom 12.12.2018 auszulegen gewesen: Nach der ausdrücklichen Formulierung des Antrags ist dieser allein auf eine Kostenfestsetzung durch das Landgericht bezogen gewesen und es scheidet nach allgemeinen Grundsätzen eine vom Wortlaut abweichende Auslegung dann aus, wenn durch einen Rechtsanwalt Prozesserklärungen mit einem eindeutigen, nicht auslegungsfähigen Erklärungsgehalt abgegeben werden (siehe BVerfG, 25.01.2014, 1 BvR 1126/11, juris Rn. 26, NJW 2014, 991; BGH, Urteil vom 03.04.1974 - IV ZR 83/73, juris Ls., NJW 1974, 1248; Urteil vom 28.03.1989 - VI ZR 246/88, juris Rn. 6, NJW-RR 1989, 1344; Beschluss vom 02.06.2017 - AnwZ (Brfg) 26/16, juris Rn. 11, MDR 2017, 1091 [BGH 03.07.2017 - AnwZ (Brfg) 45/15]; Urteil vom 16.03.2017 - I ZR 205/15, juris Rn. 17, NJW 2017, 3304; siehe auch BVerwG, Urteil vom 12.12.2001 - 8 C 17/01, juris Rn. 40, BVerwGE 115, 302; siehe auch die Rspr. des Senats, Hanseatisches OLG in Bremen, Beschluss vom 12.06.2019 - 1 EK 4/18, juris Rn. 7, NJW-RR 2019, 1215). Im Übrigen wäre vorliegend auch nicht eine Umdeutung des Kostenfestsetzungsantrags vom 20.08.2019 in eine Beschwerde gegen die ursprüngliche Streitwertfestsetzung im Urteil vom 12.12.2018 auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geboten gewesen, wonach der Anspruch des Einzelnen auf wirkungsvollen Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG verlangt, prozessuale Erklärungen der Parteien wohlwollend im Sinne des erkennbaren Rechtsschutzanliegens auszulegen und notfalls in die richtige Erklärung umzudeuten (vgl. BVerfG, 25.01.2014, 1 BvR 1126/11, juris Rn. 25, NJW 2014, 991; Beschluss vom 17.12.2015 - 1 BvR 3164/13, Rn. 32, NJW 2016, 2018; Beschluss vom 06.12.2018 - 1 BvR 875/18, juris Rn. 17; BGH, Urteil vom 02.07.2004 - V ZR 290/03, juris Rn. 10, NJW-RR 2005, 371; Beschluss vom 02.02.2016, VI ZB 33/15, juris Rn. 7, NJW-RR 2016, 445; siehe auch Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 02.04.2019 - 4 UF 138/18, juris Rn. 6; Beschluss vom 12.06.2019 - 1 EK 4/18, juris Rn. 7, NJW-RR 2019, 1215 [OLG Köln 09.05.2019 - 15 W 70/18]). Eine Umdeutung des Kostenfestsetzungsantrags vom 20.08.2019 in eine Beschwerde gegen die ursprüngliche Streitwertfestsetzung im Urteil vom 12.12.2018 konnte demnach schon deswegen nicht in Betracht kommen, weil eine - allerdings nach dem Wortlaut des Antrags ebenfalls nicht anzunehmende - Anregung zur nachträglichen Änderung des Streitwerts nach § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GKG naheliegender gewesen wäre.

    c. Schließlich war dem Beklagtenvertreter auch nicht auf den Antrag vom 05.06.2020 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist nach den §§ 68 Abs. 1 S. 3, 63 Abs. 3 S. 2 GKG zu gewähren. Der Beklagtenvertreter hat bereits nicht dargetan, im Sinne des § 68 Abs. 2 S. 1 GKG ohne sein Verschulden daran verhindert gewesen zu sein, die Frist einzuhalten. Dabei ist grundsätzlich eine Verletzung der üblichen, von einem Rechtsanwalt bei der Behandlung von Fristen zu fordernden Sorgfalt und damit ein Verschulden des Rechtsanwalts anzunehmen, wenn die Fristversäumnis auf einer unrichtigen, nicht hinreichend überprüften Rechtsansicht beruht (siehe BGH, Beschluss vom 01.02.1995 - VIII ZB 53/94, juris Rn. 12, NJW 1995, 1095). Dass der Beklagtenvertreter in der Entscheidung des Senats vom 26.07.2019 - entgegen dem eindeutigen Wortlaut dieser Entscheidung und ungeachtet des ihm vom Rechtspfleger des Landgerichts bereits am 28.10.2019 erteilten Hinweises - weiterhin an seiner Auffassung festhielt, dass mit der Entscheidung des Senats eine Abänderung des Streitwerts auch für die erste Instanz erfolgt sei, ohne stattdessen den gebotenen und zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht verfristeten Weg zu beschreiten, entweder eine ausdrücklichen Anregung zur Abänderung des Streitwerts oder eine Beschwerde gegen die ursprüngliche Streitwertfestsetzung zu erheben, begründet mithin einen eigenen Sorgfaltsverstoß des Beklagtenvertreters. Ein unrichtiger, den Beklagtenvertreter an der Nutzung einer dieser Vorgehensweisen hindernder Hinweis ist durch das Gericht nicht erteilt worden.

    3. Der Beschluss ergeht nach § 68 Abs. 3 S. 1 GKG gebührenfrei und Kosten werden nach § 68 Abs. 3 S. 2 GKG nicht erstattet. Dies gilt für die Auslegung des Rechtsmittels des Beklagtenvertreters als Beschwerde gegen den Beschluss vom 25.05.2020 ebenso wie für die Auslegung als Beschwerde gegen die ursprüngliche Streitwertfestsetzung. Zwar gelten die Regelungen des § 68 Abs. 3 GKG unmittelbar lediglich für die Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung (siehe § 68 Abs. 1 S. 1 GKG), die Interessenlage der beteiligten Parteien ist aber vergleichbar im Fall der Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags auf Abänderung des zuvor festgesetzten Streitwerts.

    RechtsgebietZivilprozessrechtVorschriften§ 63 Abs. 3 S. 1, § 63 Abs. 3 S. 2, § 68 Abs. 1 S. 1 GKG, § 238 Abs. 2 S. 1 ZPO