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  • 14.03.2017 · IWW-Abrufnummer 192455

    Landgericht Hagen: Beschluss vom 09.01.2017 – 44 Qs 6/17

    Zur Auferlegung der Kosten und Auslage, die durch einen Adhäsionsantrag entstanden sind, auf den Angeklagten, nachdem das Verfahren nach § 153 a StPO eingestellt worden ist.


    44 Qs 6/17

    Landgericht Hagen

    Beschluss

    In der Strafsache
    gegen pp

    hat die 4. große Strafkammer des Landgerichts Hagen auf die sofortigen Beschwerden des Angeklagten pp.1 vom 14.11.2016 und des Angeklagten pp2. vom 14.11.2016 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hagens vom 08.11.2016, Az.: 98 Ds-409 Js 351/14-617/14, durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht, die Richterin am Landgericht und die Richterin am 09. Januar 2017 beschlossen:

    Die Beschwerden werden als unbegründet verworfen.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden den Beschwerdeführern auferlegt.

    Gründe:

    I.
    Mit Beschluss vom 08.11.2016 hat das Amtsgericht Hagen (Az.: 98 Ds 617/14) das Verfahren gegen die Angeklagten auf Antrag der Staatsanwaltschaft Hagen gem. § 153a Abs. 2 StPO nach vollständiger Auflagenerfüllung durch die Angeklagten endgültig eingestellt. Die Kosten des Verfahrens hat das Amtsgericht Hagen der Staatskasse auferlegt. Die den Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen hatten diese selbst zu tragen. Von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag des Geschädigten G. vom 29.08.2014 wurde gemäß § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO abgesehen. Den Angeklagten wurden die durch den Adhäsionsantrag des Geschädigten G. vom 29.08.2014 entstandenen gerichtlichen Auslagen und die durch den Adhäsionsantrag vom 29.08.2014 angefallenen Auslagen des Adhäsionsklägers als Gesamtschuldner auferlegt. Zur Begründung hat das Amtsgericht Hagen angeführt, dass die Angeklagten der Einstellung des Verfahrens zugestimmt hätten und der Angeklagte zu 1) den dem Adhäsionskläger entstandenen Schaden wieder gut gemacht habe und die Angeklagten sich dadurch letztlich freiwillig in die Rolle der Unterlegenen im Adhäsionsverfahren begeben hätten. Daher erscheine es angemessen, den Angeklagten die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Adhäsionsklägers aufzuerlegen.

    Gegen diese — letztere — Kostenentscheidung wenden sich die Angeklagten mit den jeweils durch Schriftsatz ihres Verteidigers bzw. Verteidigerin vom 14.11.2016 eingelegten (sofortigen) Beschwerden. Zur Begründung führen sie an, dass die Entscheidung ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung darstelle.

    II.

    Die vorliegend als sofortige Beschwerden auszulegenden Beschwerden sind zulässig, jedoch im Ergebnis unbegründet.

    1. Die sofortigen Beschwerden sind zulässig.

    Insbesondere sind die sofortigen Beschwerden nicht unstatthaft im Sinne des § 464 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StPO. Nach dieser Bestimmung ist die sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen unzulässig, wenn eine Anfechtung der in § 464 Abs. 1 StPO genannten Hauptentscheidung (hier: das Absehen von einer Entscheidung über den Adhäsionsantrag gemäß § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO) durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Das ist nach überwiegender Ansicht aber nur der Fall, wenn - anders als hier - die Anfechtbarkeit der Hauptentscheidung ausdrücklich oder nach dem systematischen Gesamtzusammenhang schlechthin ausgeschlossen ist; dass der Beschuldigte die Hauptentscheidung mangels Beschwer nicht anfechten kann, soll hingegen nicht erfasst sein (Meyer-Goßner, StPO, 58. Aufl. 2016, § 464 Rn. 19 m. w. N. und § 472a Rn. 4, Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vom 20. Juni 2014  -128/12 — m. w. N.).

    Die sofortigen Beschwerden sind auch fristgemäß eingegangen, da die Beschwerdefrist von einer Woche im Sinne des § 311 Abs. 2 StPO wegen der lediglich formlosen Bekanntmachung des Beschlusses (s. Vfg. BI. 186 d. A.) nicht in Lauf gesetzt worden ist (Meyer-Goßner/Schmitt, aaO, § 311 Rn. 2).

    2. Im Ergebnis sind die sofortigen Beschwerden allerdings nicht begründet.

    a) Zwar verstößt die Begründung des Amtsgerichts Hagen zur Auferlegung der gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten des Adhäsionsklägers aus dem Beschluss vom 08.11.2016 — wie von den Beschwerdeführern zu Recht ausgeführt - gegen die in Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerte Unschuldsvermutung, wonach ein Beschuldigter nicht als schuldig gilt, solange er nicht von einem Gericht verurteilt ist. Die als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips ausdrücklich gewährleistete Unschuldsvermutung soll sicherstellen, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt und der Strafanspruch des Staates nur in einem justizförmig geordneten Verfahren durchgesetzt wird, das eine wirksame Sicherung der Grundrechte des Beschuldigten gewährleistet. Sie verbietet es, jemanden ohne prozessordnungsgemäßen Schuldnachweis als schuldig zu behandeln und Maßnahmen zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen (vgl. Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, Beschluss vorn 20. Juni 2014 — 128/12 — m.w.N.).

    Auf strafrechtliche Schuld darf eine Entscheidung nur gestützt werden, wenn das Verfahren durch einen förmlichen Schuldspruch beendet oder zumindest bis zur Schuldspruchreife durchgeführt wurde. Bei einer Verfahrensbeendigung vor Schuldspruchreife dürfen allenfalls Erwägungen zum Tatverdacht angestellt werden, die lediglich eine Verdachtslage beschreiben und eindeutig nicht mit einer Zuweisung von Schuld verbunden sind. An eine solche Verdachtsbeschreibung dürfen zudem nur solche Rechtsfolgen geknüpft werden, die keinen sanktions- und strafähnlichen Charakter haben. Zur Abgrenzung zwischen einer stets unzulässigen Schuldfeststellung und einer im Einzelfall zulässigen Verdachtsbeschreibung sind die gesamten Entscheidungsgründe heranzuziehen. Unbedenklich sind nur solche Formulierungen, die von vornherein jeden Anschein einer unzulässigen Schuldzuweisung vermeiden (Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, aaO, m. w. N.). Danach dürfen auch Entscheidungen über Kosten und Auslagen vor Schuldspruchreife in keinem Fall ausdrücklich oder sinngemäß auf Erwägungen zur Schuld gestützt werden. Erwägungen zu einem nicht ausgeräumten Tatverdacht berühren die Unschuldsvermutung hingegen grundsätzlich nicht, weil sie nicht mit dem für eine Strafe typischen sozialethischen Unwerturteil verbunden sind. Es ist daher regelmäßig zulässig, einem Beschuldigten unter Hinweis auf einen verbleibenden Tatverdacht die Erstattung eigener Auslagen zu versagen.
     
    Für die Auferlegung von Verfahrenskosten oder anderer als eigener Auslagen des Strafverfahrens kann dies indes nicht in gleicher Weise gelten. Die mit Verdachtserwägungen begründete Auferlegung von Kosten oder Auslagen hat vielmehr regelmäßig einen sanktions- und strafähnlichen Charakter, weil sie den Schluss nahelegen kann, die Kostenfolge trete an die Stelle einer Bestrafung. Verdachtserwägungen sind deshalb grundsätzlich nicht geeignet, die Auferlegung von Kosten und anderer als eigener Auslagen zu rechtfertigen.

    Dieser Maßstab ist auch anzuwenden, soweit die Strafprozessordnung die vereinfachte Geltendmachung zivilrechtlicher Entschädigungsansprüche gegen den Be¬schuldigten nach §§ 403 ff. StPO im Verbund mit dem Strafverfahren ermöglicht und hierzu in § 472a Abs. 2 StPO eine eigenständige Bestimmung über Auslagen enthält, zumal der Adhäsionskläger häufig zusätzlich als Nebenkläger im Strafverfahren auftritt. Das den Gerichten in § 472a Abs. 2 StPO eingeräumte Ermessen bei der Entscheidung, wer die entstandenen gerichtlichen Auslagen und die insoweit den Beteiligten erwachsenen notwendigen Auslagen billigerweise zu tragen hat, falls das Gericht von der Entscheidung über den Adhäsionsantrag absieht, wird hierdurch verfassungsrechtlich begrenzt (Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, aaO, m. w. N.).

    Diesen Anforderungen wird die angegriffene Auslagenentscheidung nicht gerecht. Die vom Amtsgericht mitgeteilten Gründe seiner Ermessensentscheidung nach § 472a Abs. 2 StPO sind nicht geeignet, die Auferlegung der Kosten und Auslagen des ohne Sachentscheidung beendeten Adhäsionsverfahrens zu tragen.

    Schon die Begründung des Amtsgerichts, dass sich der Beschwerdeführer freiwillig in die Rolle des Unterlegenen im Adhäsionsverfahren begeben habe, verkennt den Charakter einer Zustimmung zur Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO sowie das Verhältnis von Straf- und Adhäsionsverfahren. Die Zustimmung zur Einstellung des Strafverfahrens enthält weder ein Eingeständnis strafrechtlicher Schuld noch irgendeine Erklärung zu den im Adhäsionsverfahren verfolgten vermögensrechtlichen Ansprüchen des Verletzten. Das Amtsgericht ist ferner zuvor selbst davon ausgegangen, dass der Entschädigungsantrag durch seine Entscheidung nach § 406 Abs. 5 Satz 2 StPO „unzulässig geworden" ist und dies den maßgeblichen Grund für das Absehen von einer Entscheidung hierüber darstellt.

    Die Entscheidungsgründe des Amtsgerichts lassen bei einer Gesamtwürdigung nur den Schluss auf eine verbotene, mit der Auslagenentscheidung nach § 472a Abs. 2 StPO verbundene strafähnliche Sanktion für eine vermutete und unterstellt, aber nicht rechtsstaatlich festgestellte Schuld der Beschwerdeführer zu (vgl. dazu Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, aaO, m.w.N.).

    b) Allerdings können den Beschwerdeführern die Auslagen im Adhäsionsverfahren auferlegt werden, wenn sie einen nachvollziehbaren Anlass für den Adhäsionsantrag gegeben hat. Dabei dürfen aber ebenfalls nur solche Umstände zugrunde gelegt werden, die keiner weiteren Aufklärung bedürfen (vgl. dazu Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, aaO, m.w.N).

    Im Rahmen der Hauptverhandlung vom 09.11.2015 haben sich die Angeklagten dahingehend geäußert, dass der Angeklagte pp.1 dem Geschädigten eine Kopfnuss gegeben habe und pp2. beim Losreißen den Geschädigten getroffen haben könnte. Dadurch haben sie zumindest einen nachvollziehbaren Anlass für die Stellung eines Adhäsionsantrages gegeben, so dass den Angeklagten die Auslagen im Adhäsionsverfahren auferlegt werden durften.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.