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  • 19.01.2016 · IWW-Abrufnummer 146174

    Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Beschluss vom 30.06.2015 – 2 Ws 10/15

    Die Dokumentenpauschale Nr. 7000 Nr. 1 VV-RVG ist für das Ermittlungs- und das sich daran anschließende gerichtliche Strafverfahren jeweils gesondert zu berechnen.


    Oberlandesgericht Frankfurt am Main

    Beschl. v. 30.06.2015

    Az.: 2 Ws 10/15

    Tenor:

    Die weitere Beschwerde wird kostenpflichtig als unbegründet verworfen.

    Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
    Gründe

    I.

    Der im Ermittlungs- und Strafverfahren als Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt des Verurteilten hat mit Kostenfestsetzungsantrag vom 22. Juli 2014 hinsichtlich der Kopierkosten für die erste Instanz und das Ermittlungsverfahren die Erstattung von Auslagen wie folgt beantragt:
    Kopierkosten Ermittlungsverfahren Nr. 7000 Nr. 1 VV-RVG
    72 Seiten (50 x 50 Cent; 22 x 15 Cent) € 28,30 netto
    Kopierkosten Hauptverfahren Nr. 7000 Nr. 1 VV-RVG
    51 Seiten (50 x 50 Cent; 1 x 15 Cent) € 25,15 netto

    Die die Staatskasse vertretende Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass die Kopien für das Ermittlungsverfahren und das Hauptverfahren einheitlich zu zählen und zu berechnen seien. Deshalb seien nur für die ersten 50 Kopien des Ermittlungs- und Hauptverfahrens 50 Cent pro Kopie anzusetzen, für die übrigen 73 Kopien jeweils 15 Cent.

    Nachdem zunächst das Amtsgericht und dann nachfolgend das Landgericht unter Zulassung der weiteren Beschwerde dem Antrag des Pflichtverteidigers in vollem Umfang stattgegeben hatten, hat die Beschwerdeführerin weitere Beschwerde eingelegt. Das Landgericht hat der weiteren Beschwerde nicht abgeholfen und die Akte dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

    II.

    1. Die weitere Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß § 33 Abs. 6 S. 1 RVG statthaft, da das Landgericht sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zugelassen hat. Sie ist auch fristgerecht gemäß § 33 Abs. 6 S. 4 in Verbindung mit § 33 Abs. 3 S. 3 RVG eingelegt worden.

    2. Die weitere Beschwerde ist allerdings nicht begründet. Das Amts- wie auch das Landgericht haben zu Recht dem Antrag des Pflichtverteidigers in Bezug auf die geltend gemachten Kopierkosten vollumfänglich stattgegeben.

    a) Die Erstattung von Kopierkosten des Rechtsanwalts richtet sich nach Nr. 7000 Nr. 1 VV-RVG. Danach sind die für angefertigte Kopien angefallenen Auslagen des Rechtsanwalts pauschaliert für die ersten 50 abzurechnenden Seiten in Höhe von 50 Cent, für jede weitere Seite in Höhe von 15 Cent zu erstatten. Aus dem Wortlaut des genannten Auslagentatbestandes im VV-RVG ergibt sich nicht, ob diese Pauschale für das Ermittlungs- und erstinstanzliche Verfahren insgesamt nur einmal oder für das Ermittlungs- und das erstinstanzliche Verfahren jeweils, also insgesamt zweimal, angesetzt werden kann. Je nachdem wären im vorliegenden Fall entweder 50 Kopien oder 100 Kopien mit dem erhöhten Satz abzurechnen.

    b) Die Auslangenpauschale Nr. 7000 Nr. 1 VV-RVG ist im Lichte der gesetzlichen Regelung in § 17 Nr. 10 RVG, der durch das am 1. August 2013 in Kraft getretene 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (vgl. zur alten Rechtslage noch BGH NJW 2013, 1610 [BGH 19.12.2012 - IV ZR 186/11] m. w. N.) neu eingeführt wurde, auszulegen. In § 17 Nr. 10 RVG ist geregelt, dass das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und ein nachfolgendes gerichtliches Verfahren gebührenrechtlich verschiedene Angelegenheiten darstellen. Mit dieser Neuregelung hat der Gesetzgeber die Frage der "verschiedenen Angelegenheiten" in Bezug auf das Gebührenrecht entschieden und dabei auch die Auswirkungen auf die Auslagentatbestände ("in erster Linie [ ] auf die in jeder Angelegenheit entstehende Postauslagenpauschale") im Blick gehabt (BT-Drucksache 17/11741, S. 267). Gestützt wird diese Auslegung von Nr. 7000 Nr. 1 VV-RVG durch deren Anmerkung 1, wonach die Höhe der Dokumentenpauschale (nur) in derselben Angelegenheit einheitlich zu berechnen ist, mithin bei "verschiedenen Angelegenheiten" - so nun ausdrücklich § 17 Nr. 10 RVG - nicht einheitlich, sondern getrennt zu berechnen ist.

    Diese Auslegung von Nr. 7000 Nr. 1 VV-RVG unter Berücksichtigung von § 17 Nr. 10 RVG hat zur Folge, dass die Dokumentenpauschale sowohl im Ermittlungsverfahren als auch im erstinstanzlichen Verfahren geltend gemacht werden kann. Dies führt dazu, dass die Reduzierung der Vergütung ab der 50. Kopie für das Ermittlungsverfahren und das erstinstanzliche Verfahren jeweils erst ab der 50. Kopie anfällt und der Verteidiger im Ermittlungsverfahren und im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren jeweils für die ersten 50 Seiten die volle Dokumentenpauschale berechnen darf (ebenso Rohn, in: Mayer/Kroiß, RVG, 6. Auflage, Rdnr. 84; BeckOK RVG, 27. Ed., v. Seltmann § 17 RVG Rdnr. 21 in Verbindung mit Sommerfeld/Sommerfeldt, VV 7000 RVG, Rdnr. 15; Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage, § 17 RVG Rdnr. 127; Pankatz, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 10. Auflage, § 17 RVG Rdnr. 47; Burhoff, StraFo 2013, 411; ders., RVG-Report 2014, 290; Schneider, NJW 2013, 3768, a. A. noch zur alten Rechtslage LG Zweibrücken, BeckRS 2012, 17846.).

    c) Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwand, es habe keine einheitliche Berechnung zu erfolgen, da das strafrechtliche Ermittlungsverfahren und das gerichtliche erstinstanzliche Verfahren ein "gerichtliches Verfahren" im Sinne der Anmerkung 1 zu Nr. 7000 Nr. 1 VV-RVG darstellten. Zum einen steht diesem Einwand § 17 Nr. 10 RVG entgegen, der das Ermittlungsverfahren und sich das daran anschließende erstinstanzliche Verfahren im Rahmen des RVG ausdrücklich als verschiedene Angelegenheiten ansieht. Zum anderen ist die Staatsanwaltschaft beim Ermittlungsverfahren die Herrin des Verfahrens. Diese Rolle geht erst nach Anklageerhebung auf das dann mit der Sache befasste Gericht über. Damit wird deutlich, dass das Ermittlungsverfahren in ein gerichtliches Verfahren im Sinne der Anmerkung 1 zu Nr. 7000 VV-RVG übergeht, mithin Ermittlungs- und erstinstanzliches Verfahren im Hinblick auf das RVG grundsätzlich kein "gerichtliches Verfahren in demselben Rechtszug" darstellen.

    Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin kann etwas anderes auch nicht daraus abgeleitet werden, dass das zweite Buch der Strafprozessordnung, das sowohl die Tätigkeit der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren als auch das nach Anklageerhebung weitere Vorgehen des Gerichts regelt, einheitlich mit "Verfahren im ersten Rechtszug" überschrieben ist. Im Hinblick auf die gebührenrechtliche Unterscheidung von verschiedenen Angelegenheiten hat der Gesetzgeber eine speziellen Regelung in § 17 Nr. 10 RVG geschaffen, der insoweit der Vorrang einzuräumen ist.

    Auch vermag der Vortrag der Beschwerde, dass eine der Postauslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG vergleichbare sprachliche Regelung bei der Dokumentenpauschale gemäß Nr. 7000 VV-RVG gesetzgeberisch unterblieben ist, nichts an dem oben gefundenen Ergebnis zu ändern. Aus den Änderungen in Nr. 7002 VV-RVG ist - worauf das Landgericht zutreffend hinweist - nicht zu schließen, dass der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung hinsichtlich der Dokumentenpauschale nicht herbeiführen wollte, zumal es in der Gesetzesbegründung zur Änderung von § 17 RVG heißt, dass die Änderung von § 17 RVG nur "in erster Linie" Einfluss auf die in jeder Angelegenheit entstehende Postauslagenpauschale hat. Damit hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass er eine Beeinflussung seiner Gesetzesänderung auf die Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV-RVG gerade nicht ausschließen wollte, sondern einen Einfluss von § 17 RVG auf die im VV-RVG geregelten Pauschalen im Blick hatte.

    RechtsgebietVV-RVGVorschriftenRVG § 17 Nr. 10; VV-RVG Nr. 7000 Nr. 1