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  • 16.12.2014 · IWW-Abrufnummer 143494

    Oberlandesgericht Saarbrücken: Beschluss vom 10.11.2014 – 1 Ws 148/14

    Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin als Verteidiger eines Angeklagten bestellt worden ist, beschränkt sich nicht auf die Terminsgebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG.

    Dem anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für die Dauer eines Hauptverhandlungstermins oder für einen Teil eines Hauptverhandlungstermins beigeordneten weiteren Verteidiger ist für den in der Beiordnung bezeichneten Verfahrensabschnitt die Verteidigung ohne jede inhaltliche Beschränkung mit sämtlichen Verteidigerrechten und -pflichten übertragen. Eine Beiordnung lediglich als Vertreter des bereits bestellten Pflichtverteidigers dergestalt, dass der Beigeordnete gleichsam als Hilfsperson des eigentlichen Pflichtverteidigers in dessen Beiordnungsverhältnis mit einbezogen wird, kennt die Strafprozessordnung nicht. Durch die Beiordnung als Verteidiger für einen Terminstag oder Teile hiervon anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers wird vielmehr ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer der Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat.

    Für die Tätigkeit in einem jeden gerichtlichen Verfahren entsteht eine Verfahrensgebühr als Ausgangsgebühr. Durch sie wird bereits die Information als Bestandteil des Betreibens des Geschäfts entgolten. Die daneben entstehende Grundgebühr soll den zusätzlichen Aufwand entgelten, der für die erstmalige Einarbeitung anfällt.


    Oberlandesgericht Saarbrücken

    Beschl. v. 10.11.2014

    Az.: 1 Ws 148/14

    In der Strafsache
    gegen pp.
    wegen Diebstahls mit Waffen pp.
    (hier: Festsetzung der Vergütung des Pflichtverteidigers)
    Verteidiger: Rechtsanwalt X.
    Rechtsanwältin pp.1
    hat der 1. Strafsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts in Saarbrücken am 10. November 2014 durch
    den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht
    den Richter am Oberlandesgericht
    den Richter am Oberlandesgericht

    beschlossen:
    Tenor:

    1.

    Auf die Beschwerde der Verteidigerin Rechtsanwältin pp. 1 vom 16. Oktober 2014 wird der Beschluss der 6. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 30. September 2014 aufgehoben.

    Auf die Erinnerung der Verteidigerin Rechtsanwältin pp. 1 vom 9. September 2014 wird die Kostenfestsetzung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts Saarbrücken vom 22. August 2014 dahin abgeändert, dass über den bereits festgesetzten Betrag in Höhe von 761,60 EUR hinaus eine an Rechtsanwältin pp. 1, aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung in Höhe eines weiteren Betrages von 694,96 EUR festgesetzt wird.
    2.

    Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

    Gründe

    In dem gegen den Angeklagten und drei weitere Angeklagte vor dem Landgericht Saarbrücken geführten Strafverfahren, in dem dem Angeklagten zunächst Rechtsanwalt X. als Pflichtverteidiger bestellt war, fand an insgesamt 15 Tagen die Hauptverhandlung vor der 6. Großen Strafkammer statt. In dem Hauptverhandlungstermin vom 17.02.2014, zu dem Rechtsanwalt X. nicht, aber Rechtsanwältin pp.1.. für den Angeklagten erschienen war, beantragte diese, sie unter Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwalt X. dem Angeklagten als Pflichtverteidigerin für diesen Termin beizuordnen. Nach Anhörung des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft ordnete die Vorsitzende der 6. Strafkammer dem Angeklagten unter Zurücknahme der Beiordnung von Rechtsanwalt X. Rechtsanwältin pp.1als notwendige Verteidigerin bei, die an der laut Sitzungsprotokoll von 9.05 Uhr bis 15.10 Uhr dauernden Hauptverhandlung teilnahm. Gleiches geschah im Hauptverhandlungstermin vom 20.05.2014, der laut Sitzungsprotokoll von 10.20 Uhr bis 11.55 Uhr dauerte. An dem Hauptverhandlungstermin vorn 24.06.2014, der laut Sitzungsprotokoll von 09.30 Uhr bis 15.30 Uhr dauerte, nahmen — laut Sitzungsprotokoll — von 08.30 Uhr bis 09.15 Uhr sowie ab 13.00 Uhr bis 14.50 Uhr Rechtsanwalt X. und von 09.15 Uhr bis zur Mittagspause um 12.10 Uhr sowie ab 14.50 Uhr Rechtsanwältin pp.1für den Angeklagten teil. In diesem Termin wurde zunächst auf Antrag von Rechtsanwältin pp.1unter Zurücknahme der Beiordnung von Rechtsanwalt Rechtsanwältin pp.1dem Angeklagten als notwendige Verteidigerin beigeordnet. Nachdem Rechtsanwalt X. um 13.00 Uhr erschienen war, ordnete die Vorsitzende dem Angeklagten antragsgemäß erneut Rechtsanwalt X. unter Zurücknahme der Bestellung von Rechtsanwältin pp.1als notwendigen Verteidiger bei und am späteren Nachmittag — wiederum antragsgemäß — Rechtsanwältin pp.1unter Zurücknahme der Beiordnung von Rechtsanwalt X.

    Mit Schriftsatz vorn 03.07.2014 hat Rechtsanwältin pp.1die Festsetzung ihrer Vergütung als Pflichtverteidigerin aus der Landeskasse wie folgt beantragt:
    Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG 160,00 EUR
    Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4112 VV RVG 148,00 EUR
    Terminsgebühr gemäß Nr. 4114 W RVG (17.02.2014) 256,00 EUR
    Längenzuschlag gemäß Nr. 4116 VV RVG (17.02.2014) 128,00 EUR
    Terminsgebühr gemäß Nr. 4114 W RVG (20.05.2014) 256,00 EUR
    Terminsgebühr gemäß Nr. 4114 VV RVG (24.06,2014) 256,00 EUR
    Post- und Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
    Zwischensumme 1.224,00 EUR
    Umsatzsteuer in Höhe von 19% gemäß Nr. 7008 W RVG 232,56 EUR
    Endsumme 1.456,56 EUR

    Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Landgerichts Saarbrücken hat die der Rechtsanwältin pp.1aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung am 22. August 2014 auf 761,60 EUR festgesetzt. Hierbei hat sie die Grundgebühr, die Verfahrensgebühr, die Terminsgebühr für den 24.06.2014 sowie die Post- und Telekommunikationspauschale nebst anteiliger Umsatzsteuer abgesetzt, da Rechtsanwältin pp.1nur als Terminsvertreter neben dem "Vollverteidiger" anzusehen sei.

    Die von Rechtsanwältin pp.1hiergegen mit Schriftsatz vom 09.09.2014 eingelegte Erinnerung, der die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle nach Anhörung der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Saarbrücken nicht abgeholfen hat, hat der Einzelrichter der 6. Strafkammer mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet verworfen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Die in den Hauptverhandlungsterminen vorn 17.02., 20.05. und 24.06.2014 ergangenen Beschlüsse der Vorsitzenden der 6. Strafkammer hätten nicht auf eine Beiordnung der Rechtsanwältin pp.1als weitere Verteidigerin abgezielt, sondern auf eine Beiordnung als Vertreterin des an der Wahrnehmung des jeweiligen Hauptverhandlungstermins verhinderten, beige- ordneten Verteidigers, also auf eine Bestellung als bloße Terminsvertreterin des bei- geordneten Verteidigers X. Dem bloßen Terminsvertreter stünden aber nur die Gebühren zu, die der bestellte Rechtsanwalt geltend machen könnte, wenn er die Tätigkeit selbst ausgeübt hätte.

    Gegen diesen ihr am 09.10.2014 zugestellten Beschluss wendet sich die Rechtsanwältin pp.1mit ihrer am 16.10.2014 beim Landgericht eingegangenen Beschwerde, mit der sie die antragsgemäße Festsetzung ihrer Vergütung erstrebt. Sie ist der Ansicht, sie habe als Pflichtverteidigerin bestellt werden sollen und sei auch als Pflichtverteidigerin bestellt worden.

    Der zuständige Einzelrichter des Senats hat das Verfahren mit Beschluss vom 6. November 2014 auf den Senat übertragen.

    II.

    Die gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i. V. mit § 33 Abs. 3 Satz 1 und Satz 3, Abs. 7 RVG zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschwerdeführerin steht der von ihr geltend gemachte Vergütungsanspruch in Höhe von 1.456,56 EUR in vollem Umfang gegen die Landeskasse zu, so dass über die bereits erfolgte Festsetzung in Höhe von 761,60 EUR hinaus eine weitere aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung in Höhe von 694,96 EUR festzusetzen ist.

    1. Die Vorsitzende der 6. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken hat die Beschwerdeführerin für die Hauptverhandlungstermine vom 17.02.2014 und 20.05.2014 insgesamt sowie bezüglich des Hauptverhandlungstermins vom 24.06.2014 zeitweise anstelle des bestellten, an diesen Tagen (bzw. am 24.06.2014 zeitweise) jedoch verhinderten Pflichtverteidigers X. zur Pflichtverteidigerin des Angeklagten bestellt. Wie sich den Hauptverhandlungsprotokollen unzweifelhaft entnehmen lässt, sollte die Bestellung der Beschwerdeführerin zur Pflichtverteidigerin des Angeklagten jeweils auf die Dauer der Verhinderung des Pflichtverteidigers X. an den betreffenden Hauptverhandlungstagen beschränkt sein, die Beschwerdeführerin also lediglich als sogenannte "Terminsvertreterin" tätig werden.

    2. In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, welche vergütungsrechtlichen Konsequenzen sich aus einer solchen Bestellung als sogenannter "Terminsvertreter" anstelle des zunächst bestellten, jedoch an der Wahrnehmung eines Hauptverhandlungstermins ganz oder teilweise gehinderten Pflichtverteidigers ergeben. Einigkeit besteht lediglich darin, dass die Tätigkeit des "Terminsvertreters" nicht als Einzeltätigkeit im Sinne von Teil 4 Abschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG anzusehen ist, so dass sich die Vergütung nach Teil 4 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses bemisst (vgl. Burhoff in: Gerold/Schmidt, RVG, 21. Aufl., VV Einl. Vorb. 4.1 Rn. 12 mit Rechtsprechungsnachweisen).

    3.

    a) Nach einer Ansicht kann ein solcher "Terminsvertreter" die Grundgebühr, die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren sowie die Post- und Telekommunikationspauschale nicht verlangen, sondern nur die Terminsgebühren (vgl, OLG Celle StraFo 2006, 471 f. [OLG Celle 25.08.2006 - 1 Ws 423/06] und NdsRpfl 2009, 141 f. — Rn. 10 ff. nach [...]; KG NStZ-RR 2005, 327 f. [OLG Celle 08.06.2005 - 1 Ws 185/05 (StrVollz)] — Rn. 11 ff. nach [...] und NStZ-RR 2011, 295 f. Rn. 4 f. nach [...]; OLG Hamm, Beschl. v. 28.11.2006 — 3 Ws 569/06, Rn. 4 nach [...] für den Fall einer ausdrücklichen Beiordnung als Vertreter des bestellten Pflichtverteidigers; OLG Stuttgart Justiz 2011, 108 ff. — Rn. 9 ff. nach [...] sowie OLG Rostock, Beschl. v. 15.09.2011 — 1 Ws 201/11, Rn. 26 ff. nach [...], die allerdings neben einer Bestellung zum bloßen Vertreter aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls auch eine Bestellung zum weiteren Verteidiger für möglich halten; Hartmann, Kostengesetze, 44, Aufl., 4100, 4101 VV Rn. 2; vgl. auch Senatsbeschluss vom 29.07.2010 — 1 Ws 82/10 für den Fall der Bestellung eines Vertreters des Nebenklägerbeistands). Begründet wird dies im Wesentlichen damit, die Beiordnung als sogenannter "Terminsvertreter" sei verfahrensrechtlich zulässig und habe gebührenrechtlich zur Folge, dass nur ein Pflichtverteidigermandat abzurechnen sei. Der bestellte Verteidiger könne sich bei vorübergehender Verhinderung mit Genehmigung des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lassen und der allgemeine Vertreter des beigeordneten Verteidigers im Sinne von § 53 BRAO könne die Pflichtverteidigung für den beigeordneten Verteidiger führen. Dann müsse aber auch dem Gericht die Möglichkeit offen stehen, einen anderen Rechtsanwalt zum Vertreter des bestellten Pflichtverteidigers zu bestellen. Gebührenrechtlich bestehe im Fall der Vertretung lediglich ein einziges Mandat mit der Folge, dass alle Gebühren nur einmal entstünden. Der Vertreter könne daher keine höhere Vergütung beanspruchen, als der Vertretene hätte geltend machen können, wenn er den Termin selbst wahrgenommen hätte. Innerhalb dieser Ansicht ist streitig, ob dem als Vertreter beigeordneten Rechtsanwalt ein eigener Gebührenanspruch gegen die Staatskasse zusteht (so KG, a.a.O.) oder ob dieser lediglich in der Person des vertretenen Pflichtverteidigers anfällt (so OLG Celle NdsRpfl 2009, 141 f. — Rn. 17 f. nach [...]; OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 16 nach [...]), wobei nach der zuletzt genannten Auffassung "mindestens der Anschein einer Vollmacht für den Vertreter" bestehen soll, wenn der vertretene Pflichtverteidiger die Geltendmachung der Gebühren für die von seinem Vertreter wahrgenommenen Termine jenem überlässt (vgl. OLG Celle NdsRpfl 2009, 141 f. — Rn. 17 f. nach [...]; OLG Stuttgart, a.a.O., Rn. 16 nach [...]), daneben aber auch eine Abtretung des Vergütungsanspruchs durch den vertretenen Pflichtverteidiger an den "Terminsvertreter" (vgl. OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Rostock, a.a.O., Rn, 46 nach [...]) oder aber die Erteilung einer Einzugsermächtigung möglich sein soll (vgl. OLG Rostock, a.a.O.).

    b) Nach anderer, inzwischen wohl überwiegender Auffassung beschränkt sich der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin als Verteidiger eines Angeklagten bestellt worden ist, nicht auf die Terminsgebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (vgl. OLG Karlsruhe NJW 2008, 2935 [OLG Karlsruhe 16.07.2008 - 3 Ws 281/08] — Rn. 4 nach [...]; OLG Düsseldorf, Beschl, v. 29.10.2008 — 1 Ws 318/08, Rn. 3 f. nach [...]; OLG Hamm AGS 2007, 37 f. Rn. 13 ff. nach [...] und Beschl, v. 05.05.2009 — 3 Ws 68/09, Rn. 13 ff. nach [...]; OLG München NStZ-RR 2009, 32 [OLG München 23.10.2008 - 4 Ws 140/08 (K)] — Rn. 10 f. nach [...] und AGS 2014, 174 ff. — Rn. 14 ff. nach [...]; OLG Köln AGS 2011, 286 f. — Rn. 5 ff. nach [...]; OLG Bamberg, Beschl. v. 21.12.2010 1 Ws 700/10, Rn. 6 ff. nach [...]; Thüringer OLG JurBüro 2011, 478 f. Rn. 7 ff. nach [...]; Burhoff, a.a.O.). Der Senat, der dies in seinem Beschluss vom 29.07.2010 (1 Ws 82/10) für den hier vorliegenden Fall der Pflichtverteidigung ausdrücklich offen gelassen hat, schließt sich der zuletzt genannten Auffassung an, da für sie die besseren Argumente sprechen. Die von der Gegenansicht herangezogene, im Übrigen überaus konstruiert wirkende "Vertreterlösung" vermag hingegen nicht zu überzeugen und ist mit dem Sinn und Zweck einer notwendigen Verteidigung nicht in Einklang zu bringen.

    aa) Dem anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für die Dauer eines Hauptverhandlungstermins oder für einen Teil eines Hauptverhandlungstermins beigeordneten weiteren Verteidiger ist für den in der Beiordnung bezeichneten Verfahrensabschnitt die Verteidigung ohne jede inhaltliche Beschränkung mit sämtlichen Verteidigerrechten und -pflichten übertragen. Eine Beiordnung lediglich als Vertreter des bereits bestellten Pflichtverteidigers dergestalt, dass der Beigeordnete gleichsam als Hilfsperson des eigentlichen Pflichtverteidigers in dessen Beiordnungsverhältnis mit einbezogen wird, kennt die Strafprozessordnung nicht (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG München, a.a.O.) und ist daher auch in den vorliegenden Fällen der Bestellung der Beschwerdeführerin zur Pflichtverteidigerin des Angeklagten durch die Vorsitzende der 6. Strafkammer des Landgerichts Saarbrücken mit Recht nicht erfolgt.

    bb) Die Zulässigkeit der Beiordnung als bloßer Vertreter des bereits bestellten Pflichtverteidigers lässt sich auch nicht aus allgemeinen Grundsätzen herleiten. Bereits der Ausgangspunkt der Gegenauffassung, der bestellte Verteidiger könne sich bei vorübergehender Verhinderung mit Genehmigung des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lassen, trifft nicht zu. Eine Untervollmacht für die Verteidigung des Angeklagten kann der zum Pflichtverteidiger bestellte Rechtsanwalt einem anderen Rechtsanwalt nicht erteilen; denn die Bestellung zum Verteidiger bleibt auf seine Person beschränkt (vgl. BGH StraFo 2010, 339 f. Rn. 6 nach [...]; BGH, Beschl. v. 15.01.2014 — 4 StR 346/13, Rn. 2 nach [...]; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 142 Rn. 15; KKLaufhütte/Wallone, StPO, 7. Aufl., § 142 Rn. 10; SK-StPO/Wohlers, 4. Aufl., § 141 Rn. 20; a. A.: Löwe-Rosenberg/Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 142 Rn. 35). Die Annahme, der bestellte Verteidiger könne sich bei vorübergehender Verhinderung mit Genehmigung des Vorsitzenden des erkennenden Gerichts durch einen anderen Rechtsanwalt vertreten lassen, stellt sich daher als Umgehung des Verbots der Unterbevollmächtigung dar (so zutreffend bereits OLG Bamberg, a.a.O., Rn. 9 nach [...]), weshalb Lüderssen/Jahn (a.a.O., § 142 Rn. 36) mit Recht auf den Widerspruch, trotz Ablehnung einer Unterbevollmächtigung eine solche Vertretung zuzulassen, hinweisen und Schmitt (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O.) es in diesen Fällen für "richtiger" hält (nach Auffassung des Senats ist dies allein richtig), "den Vertreter" vorübergehend beizuordnen. Zwar trifft es zu, dass der entweder amtlich (§ 53 Abs. 2 Satz 3 BRAO) oder vom Verteidiger selbst (§ 53 Abs. 2 Satz 1 oder Satz 2 BRAO) bestellte allgemeine Vertreter des Pflichtverteidigers an dessen Stelle die Verteidigung führen darf (vgl. BGH StraFo 2010, 339 f. — Rn. 6 nach [...]; BGH, Beschl. v. 15.01.2014 — 4 StR 346/13, Rn, 2 nach [...]; Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 142 Rn. 17; KK-Laufhütte/Willnow, a, a. 0., § 142 Rn. 10; SK-StPO/Wohlers, a.a.O., § 141 Rn. 21; Löwe-Rosenberg/Lüderssen/Jahn, a.a.O., § 142 Rn. 37). In diesem Fall bedarf es der Bestellung des allgemeinen Vertreters zum Verteidiger des Angeklagten indes gerade nicht, weshalb aus der Befugnis des allgemeinen Vertreters des Pflichtverteidigers, an dessen Stelle die Verteidigung zu führen, auch nicht hergeleitet werden kann, dem Vorsitzenden des erkennenden Gerichts müsse die Möglichkeit offen stehen, einen anderen Rechtsanwalt zum Vertreter des bestellten Pflichtverteidigers zu bestellen. Die von der Gegenauffassung gewählte "Vertretungskonstruktion" ist daher ebenso unrichtig wie bereits die Bezeichnung des wegen Verhinderung des zunächst bestellten Pflichtverteidigers vorübergehend bestellten weiteren Pflichtverteidigers als sogenannter "Terminsvertreter" irreführend ist.

    cc) Durch die Beiordnung als Verteidiger für einen Terminstag oder Teile hiervon anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers wird vielmehr ein eigenständiges, öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet, aufgrund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer der Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Aus der Eigenständigkeit des jeweiligen Beiordnungsverhältnisses folgt zugleich, dass die anwaltlichen Tätigkeiten des jeweiligen Pflichtverteidigers auch hinsichtlich ihrer Vergütung gesondert zu bewerten sind (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG München, a.a.O.).

    3. Nach Maßgabe dieser Grundsätze steht der Beschwerdeführerin für ihre Pflichtverteidigertätigkeit über den bislang festgesetzten Betrag hinaus folgender weiterer,
    vorn Senat festgesetzter Vergütungsanspruch zu:
    Grundgebühr gemäß Nr. 4100 VV RVG 160,00 E
    Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4112 W RVG 148,00
    Terminsgebühr gemäß Nr. 4114 W RVG (24.06.2014) 256,00
    Post- und Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 W RVG 20,00 EUR
    Zwischensumme 584,00
    Umsatzsteuer in Höhe von 19% gemäß Nr. 7008 VV RVG 110,96
    Endsumme 694,96 EUR

    Die Grundgebühr entsteht gemäß Nr. 4100 Anmerkung 1 VV RVG neben der Verfahrensgebühr für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall. Die Verfahrensgebühr entsteht gemäß Vorbemerkung 4 Abs. 2 VV RVG für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information. Abgegolten wird mit ihr die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts im jeweiligen Verfahrensabschnitt, soweit hierfür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind (vgl. nur OLG München AGS 2014, 174 ff. — Rn. 18 nach [...]; Burhoff, a.a.O., Vorb. 4 W Rn. 10). Nach der durch das am 01.08.2013 in Kraft getretene 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 23.07.2013 erfolgten Änderung der Anmerkung 1 in Nr. 4100 VV RVG ist nunmehr klargestellt, dass die Grundgebühr "neben" der Verfahrensgebühr entsteht. Hierdurch soll verdeutlicht werden, dass die Grundgebühr grundsätzlich nicht allein anfällt, sondern regelmäßig neben der Verfahrensgebühr. Für die Tätigkeit in einem jeden gerichtlichen Verfahren entsteht eine Verfahrensgebühr als Ausgangsgebühr. Durch sie wird bereits die Information als Bestandteil des Betreibens des Geschäfts entgolten. Die Grundgebühr soll den zusätzlichen Aufwand entgelten, der für die erstmalige Einarbeitung anfällt. Sie hat daher den Charakter einer Zusatzgebühr, die den Rahmen der Verfahrensgebühr erweitert (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 14.11.2012, BT-Drucks. 17/11471, S. 281). Hieraus folgt, dass bereits mit der ersten Tätigkeit des Rechtsanwalts für den Mandanten in jedem (gerichtlichen) Verfahren eine Verfahrensgebühr als Ausgangsgebühr und daneben auch eine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG, die den für die erstmalige Einarbeitung anfallenden zusätzlichen Aufwand honoriert, entsteht (vgl. Burhoff, a.a.O., Vorb, 4 VV Rn. 11 und 4100, 4101 VV Rn. 9). Demgemäß sind für die Pflichtverteidigertätigkeit der Beschwerdeführerin in dem erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht, für die eine umfassende Einarbeitung in die Akten sowie wiederholte Besprechungen mit dem Angeklagten unabdingbar waren, sowohl die Grundgebühr als auch die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren angefallen (vgl. Burhoff, a.a.O., Nr. 4100, 4101 VV Rn. 5, Nr. 4106, 4107 Rn. 6). Darüber hinaus ist für ihre Teilnahme an dem Hauptverhandlungstermin vom 24.06.2014 die betreffende Terminsgebühr entstanden (vgl. Vorbemerkung 4 Abs. 3 Satz 1 VV RVG). Die Post- und Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG steht ihr ebenfalls zu, ohne dass es hierfür eines besonderen Nachweises bedürfte (vgl. OLG Hamm AGS 2007, 37 f. Rn. 20 nach [...]). Hinzu kommt die Umsatzsteuer auf diese Vergütung (Nr. 7008 VV RVG).

    Eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 56 Abs. 2 S. 2, 3 RVG).

    RechtsgebieteRVG, BRAOVorschriften§ 2 Abs. 2 RVG; § 53 BRAO