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  • · Terminsgebühr

    Voraussetzung der fiktiven Terminsgebühr bei einer Verweisung im schriftlichen Verfahren

    Bild: © Your Hand Please - stock.adobe.com

    von RA Norbert Schneider, Neunkirchen

    | Unsicherheit besteht in der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Anwalt die Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG im Zivilprozess beanspruchen kann, wenn das Gericht ‒ mit ausdrücklichem Einverständnis der Parteien ‒ im schriftlichen Verfahren keine Sachentscheidung, sondern einen Verweisungsbeschluss gemäß § 281 ZPO erlässt. |

    1. Rechtliche Einordnung ist unsicher

    Diese Konstellation ist praktisch bedeutsam, weil der Gebührentatbestand typischerweise einen Vergleich zur mündlichen Verhandlung herstellt, während der Verweisungsbeschluss ein besonderes prozessuales Zwischenergebnis markiert. Gleichzeitig besteht Unsicherheit darüber, ob die Zustimmung der Parteien zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren dieselbe Rechtswirkung wie das Abhalten einer mündlichen Verhandlung entfaltet und somit zum Anfall der Terminsgebühr führen kann. Die korrekte Auslegung dieser Vorschriften entscheidet über die durchsetzbaren Kosten-ansprüche. Sie hat weitreichende Bedeutung für die anwaltliche Gebührenabrechnung und die Kostenfestsetzung nach gerichtlicher Verweisung.

    2. OLG Frankfurt a. M. entscheidet anwaltsfreundlich

    Das OLG Frankfurt a. M. (19.5.25, 30 W 47/25, Abruf-Nr. 250011) ist der Auffassung, dass die Terminsgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG auch entsteht, wenn das Gericht im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO entscheidet, den Rechtsstreit an ein anderes Gericht zu verweisen.

     

    Das AG hatte im Einverständnis der Parteien das schriftliche Verfahren angeordnet und einen Termin zur Entscheidung angesetzt. Kurz vor der Entscheidung beantragte der Kläger hilfsweise die Verweisung an das LG für den Fall der Unzuständigkeit. Das AG erklärte sich für unzuständig und verwies die Sache an das LG. Dort wurde die Klage ohne mündliche Verhandlung zurückgenommen. Das LG legte dem Kläger die Kosten auf, versagte dem Beklagten aber die beantragte 1,2-Terminsgebühr. Auf die Beschwerde der Beklagten hin hat das OLG die Terminsgebühr zugesprochen. Das OLG kommt in seiner Entscheidung zu folgendem Ergebnis:

     

    a) Entstehung der Terminsgebühr

      • Die Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG entsteht auch, wenn das AG mit Zustimmung der Parteien im schriftlichen Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) statt eines Urteils einen Verweisungsbeschluss erlässt.
      • Ursprünglich ist im Zivilprozess (§ 128 Abs. 1 ZPO) eine mündliche Verhandlung vorgesehen, die durch das schriftliche Verfahren ersetzt wird, sofern die Parteien zustimmen.

     

    b) Bedeutung des schriftlichen Verfahrens

      • Die Zustimmung der Parteien ist konstitutiv, d. h., nur dadurch darf das Gericht vom normalen Verfahren abweichen.
      • Das schriftliche Verfahren tritt funktional an die Stelle einer mündlichen Verhandlung. Die Entscheidung im schriftlichen Verfahren gilt für die Terminsgebühr so, als sei verhandelt worden.

     

    c) Keine Ausschlussgründe

      • Dass das Gericht rechtlich auch ohne Parteizustimmung im Beschlussweg hätte entscheiden können (§ 128 Abs. 4 ZPO), ist unerheblich ‒ im konkreten Fall wurde das schriftliche Verfahren bewusst gewählt.
      • Die Terminsgebühr ist nicht aufgrund nachträglicher Änderungen (z. B. Verweisungsantrag) ausgeschlossen, solange die Entscheidung auf der vorherigen Zustimmung zum schriftlichen Verfahren beruht.

     

    d) Besonderheiten des Falls

      • Das AG hätte bei Unklarheit über die Zuständigkeit eigentlich mündlich verhandeln müssen. Nur dank der Parteizustimmung zum schriftlichen Verfahren war eine Entscheidung ohne Verhandlung möglich.
      • Die Klärung der Zuständigkeit blieb bis zum Schluss streitig, was die Verfahrenswahl sachlich nachvollziehbar macht.

     

    Im Ergebnis ist damit die Terminsgebühr angefallen. Entscheidend war die Parteizustimmung zum schriftlichen Verfahren, und das Gericht ist entsprechend verfahren. Ein späterer Wechsel von einem erwarteten Urteil zu einem Verweisungsbeschluss ändert daran nichts.

     

    Die Entscheidung des OLG ist zutreffend. Wird im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO entschieden, entsteht die fiktive Terminsgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG, auch wenn das Gericht die Entscheidung nach anderen Vorschriften ebenfalls im schriftlichen Verfahren hätte erlassen können.

     

    Beachten Sie | Das Kostenrecht folgt dem Prozessverlauf. Es kommt nicht darauf an, wie das Gericht hätte verfahren können, sondern darauf, wie es verfahren ist.

    3. Ältere Entscheidung des OLG Karlsruhe

    Das Problem ist nicht neu. So hat bereits das OLG Karlsruhe (Justiz 99, 17) zur Vorgängervorschrift des § 35 BRAGO für eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO im Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO entschieden: Wird der Rechtsstreit durch übereinstimmende Erledigungserklärung der Parteien beendet, kann das Gericht gemäß § 91a Abs. 1 S. 2 ZPO die Kostenentscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen. Dabei entsteht lediglich (wenn noch nicht angefallen) eine Prozessgebühr, aber keine Verhandlungsgebühr für die Anwälte. Nur wenn das Gericht ausnahmsweise eine mündliche Verhandlung anberaumt oder ‒ mit Einverständnis der Parteien ‒ das schriftliche Verfahren (§ 128 Abs. 2 ZPO) wählt, können volle Verhandlungsgebühren entstehen, und zwar aus dem Wert der bis zur Erledigungserklärung angefallenen Kosten. Andernfalls bleibt es bei der reinen Prozessgebühr. Eine zusätzliche Verhandlungsgebühr fällt nicht an.

    Quelle: Ausgabe 11 / 2025 | Seite 193 | ID 50500280