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  • · Fachbeitrag · Geschäftsgebühr


    Das Ermessen bei der Schwellengebühr: BGH schafft Klarheit


    von RAin Gudrun Stuth, FAin für Verkehrsrecht, Berlin


    | Der VI. Senat des BGH hat mit seiner Entscheidung vom 5.2.13 (VI ZR 195/12, Abruf-Nr. 130842 ) die Gelegenheit ergriffen, mit überzeugender Begründung die Sache des Ermessens bei Überschreitung der Schwellengebühr klarzustellen. Der folgende Beitrag stellt den bisherigen Meinungsstand und die hoffentlich endgültige Entscheidung vor. |

    1. Definitionsfragen


    Die Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG bewegt sich im Rahmen von 0,5 bis 2,5. Eine Gebühr von mehr als 1,3 kann jedoch nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Für diese 1,3 Gebühr hat sich umgangssprachlich der Begriff Schwellengebühr eingebürgert. Wer von Regelgebühr spricht, kann sich zwar auf die Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 15/1971) berufen - aber der Begriff ist eigentlich anders besetzt: Regelgebühren ist die gesetzliche Bezeichnung für die Gebühren aus der Gebührentabelle des § 13 RVG im Unterschied zu den PKH-Sätzen aus der PKH-Gebührentabelle des § 49 RVG.


    2. Ermessen im Spiegel der BGH-Rechtsprechung


    Bei Rahmengebühren - wozu die Geschäftsgebühr gehört - bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, nach billigem Ermessen - so steht es im § 14 Abs. 1 RVG. Das Ermessensrecht ist die Domäne des Verwaltungsrechts, wo es über viele Jahre ausgeformt und strukturiert wurde. Die dort entwickelten Grundsätze gelten aber auch für das Ermessen im Vergütungsrecht. Es gibt daher nicht nur den Freiraum - insbesondere die dem Anwalt von der Rechtsprechung zugebilligten 20 Prozent, in denen seine Vergütungsbestimmung grundsätzlich nicht der Überprüfung unterliegt - sondern auch die Ermessensreduzierung auf Null. Die Schwellengebühr ist eine solche Ermessensreduzierung: War die Tätigkeit nicht umfangreich oder schwierig, kann keine höhere Geschäftsgebühr als 1,3 gefordert werden. War die Tätigkeit umfangreich oder schwierig, hat der Anwalt einen Ermessensspielraum bis 2,5, der dann auch im Bereich von 20 Prozent nicht der näheren Überprüfung unterliegt.


    • Der BGH hat das in seiner Entscheidung vom 13.1.11 schlicht falsch gesehen. Er meinte, dass die Erhöhung der 1,3-fachen Regelgebühr auf eine 1,5-fache Gebühr einer gerichtlichen Überprüfung entzogen sei (IX ZR 110/10, Abruf-Nr. 110681).

    • Das führte in der Praxis dazu, dass einige Anwälte auch bei Angelegenheiten ohne Umfang oder Schwierigkeit schematisch nur noch die 1,5 Gebühr angesetzt haben, nach dem Motto: 1,3 plus unüberprüfbare 20  Prozent.


    • Der VIII. Senat hat das am 11.7.12 richtig gestellt: „Eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit des Rechtsanwalts umfangreich oder schwierig war, und ist deshalb nicht unter dem Gesichtspunkt der Toleranzrechtsprechung bis zu einer Überschreitung von 20 Prozent der gerichtlichen Überprüfung entzogen“ (VIII ZR 323/11, Abruf-Nr. 122519)


    • Dem VI. Senat wurde fälschlich der gleiche Fehler wie in IX ZR 110/10 unterstellt (8.5.12, VI ZR 273/11, Abruf-Nr. 121718). In diesem Fall hatte der Rechtsanwalt jedoch die Schwellenüberschreitung (d.h. den höheren Umfang bzw. die höhere Schwierigkeit seiner Tätigkeit) begründet. Wenn man seiner Begründung folgt (Schritt 1), steht ihm dann der Ermessensspielraum (Schritt 2) nebst „Toleranzgrenze“ von 20 Prozent zu. Vor diesem Hintergrund geht die Entscheidung des VI. Senats in Ordnung.


    3. VI. Senat des BGH schafft Klarheit


    Der VI. Senat hat nun die Gelegenheit ergriffen, mit überzeugender Begründung die Sache ein für alle Mal klarzustellen (5.2.13, VI ZR 195/12, Abruf-Nr. 130842). Er führt aus: Nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH kann eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Sie ist deshalb nicht unter dem Gesichtspunkt der Toleranzrechtsprechung bis zu einer Überschreitung von 20 Prozent der gerichtlichen Überprüfung entzogen.


    Zwar steht dem Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 1 RVG bei Rahmengebühren wie der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ein Ermessensspielraum zu, sodass, solange sich die vom Rechtsanwalt im Einzelfall bestimmte Gebühr innerhalb einer Toleranzgrenze von 20 Prozent bewegt, ist die Gebühr daher nicht unbillig i.S. des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG. Entsprechend ist sie von einem ersatzpflichtigen Dritten hinzunehmen. 


    Eine Erhöhung der Schwellengebühr von 1,3, die die Regelgebühr für durchschnittliche Fälle darstellt, auf eine 1,5-fache Gebühr ist aber nicht der gerichtlichen Überprüfung hinsichtlich des Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Überschreitung der Regelgebühr von 1,3 entzogen. Andernfalls könnte der Rechtsanwalt für durchschnittliche Sachen, die nur die Regelgebühr von 1,3 rechtfertigen, ohne Weiteres eine 1,5-fache Gebühr verlangen. Dies verstieße gegen den Wortlaut und auch gegen den Sinn und Zweck des gesetzlichen Gebührentatbestandes in Nr. 2300 VV RVG, der eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr hinaus nicht in das Ermessen des Rechtsanwalts stellt, sondern bestimmt, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig und damit überdurchschnittlich war.


    FAZIT |  Der VI. Senat stellt klar: Soweit dem Urteil des erkennenden Senats vom 8.5.12 (VI ZR 273/11) etwas Abweichendes zu entnehmen sein sollte, wird daran nicht festgehalten. 


    Wie lange hält nun die Ruhe an der Front?

    Quelle: Ausgabe 04 / 2013 | Seite 64 | ID 38328290