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  • · Fachbeitrag · Gebührenmanagement

    Strafrechtliche Mandate optimal abrechnen: Aktuelles aus der Rechtsprechung

    von RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Münster/Augsburg

    | Die Erstattungspraxis im strafrechtlichen Gebühren- und Auslagenrecht wird maßgeblich auch von der obergerichtlichen Rechtsprechung geprägt. Die aktuellen Entwicklungen und Tendenzen fasst dieser Beitrag strukturiert zusammen - insbesondere mit einem Rückblick auf 2014. |

     

    Rechtsprechungsübersicht / 

    1. Rechtsmittelverfahren: Verfahrensgebühr bei Rechtsmittelrücknahme der Staatsanwaltschaft

    Eine im Kostenrecht strittige Rechtsfrage ist, ob dem Angeklagten die Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren (Nr. 4124, 4130 VV RVG) in folgender Konstellation erstattet wird: Die Staatsanwaltschaft legt nach einem Urteil Berufung oder Revision ein, begründet sie aber nicht. Sie nimmt das eingelegte Rechtsmittel zurück, nachdem der Angeklagte anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen hat.

     

    Die wohl überwiegende Meinung (Fundstellen Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 4. Aufl., Nr. 4124 VV, Rn. 31) lehnt die Erstattung mit der Begründung ab, das Tätigwerden des Verteidigers in dieser Phase sei eine nutzlose Tätigkeit. Dafür müsse die Verfahrensgebühr nicht erstattet werden. Der Angeklagte müsse warten, ob die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel begründet. Erst dann bestehe Anlass, einen Verteidiger auch für das Rechtsmittelverfahren zu beauftragen (OLG Koblenz NStZ-RR 14, 327; LG Köln StRR 14, 256). Diese Sichtweise ist meines Erachtens falsch. Sie übersieht, dass der Angeklagte gerade auch in dieser Schwebephase einen Anspruch auf Verteidigung und Informationen und Beratung des Verteidigers hat. Die Rechtsprechung ist zudem widersprüchlich: Wenn man, wie das KG (StRR 11, 387 mit ablehnender Anmerkung Burhoff) vom „verständigen und erfahrenen Verteidigeri“ erwartet, auf voreilige Überlegungen und spekulative Beratungen zu verzichten, muss der Verteidiger den Angeklagten darüber aufklären, warum nichts unternommen wird. Das aber ist eine notwendige und nicht nutzlose Tätigkeit, die natürlich auch honoriert werden muss (zutreffend in diese Richtung: LG München I 29.8.14, 22 Qs 55/14, Abruf-Nr. 144276 [Leitsatz]). Die Diskussion ist also noch nicht am Ende.

     

    PRAXISHINWEIS | Da die Diskussion andauert, sollten Verteidiger die h.M. nicht als gegeben hinnehmen und immer wieder versuchen, durch Erstattungsanträge, die andere - richtige - Auffassung durchzusetzen.

     

    2. Anfertigung von Kopien aus der Verfahrensakte (§ 46 RVG, Nr. 7000 VV RVG)

    Rege diskutiert wurde insbesondere in 2014 die Frage, ob und in welchem Umfang dem Verteidiger aus der Verfahrensakte angefertigte Kopien erstattet werden. Meist hat es sich um Pflichtverteidigungsmandate gehandelt, in der sich die Frage während des Mandats aufgrund eines Vorschussantrags (§ 47 RVG, Burhoff, RVG prof. 14, 158 und 173) oder im Rahmen eines Antrags nach § 46 Abs. 2 S. 1 RVG gestellt hat. Die umfangreiche Rechtsprechung kann hier nur in einem Überblick vorgestellt werden. Im Einzelnen:

     

    • Das OLG Brandenburg (RVGreport 14, 308; LG Aachen RVG prof. 14, 207) geht nach wie vor davon aus, dass grundsätzlich die Staatskasse die Beweislast dafür trägt, dass Auslagen zur sachgemäßen Wahrnehmung der Interessen der Partei nicht erforderlich gewesen sind. Allerdings (so OLG Köln 15.1.15, 2 Ws 651/14, Abruf-Nr. 144277) setzt die Erstattungsfähigkeit von Kopierkosten voraus, dass die angefertigten Vervielfältigungen geboten waren. Dies ist der Fall, wenn sie, aus der objektiven Sicht eines vernünftigen, sachkundigen Dritten zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache erforderlich waren. Aber: Grundsätzlich obliegt die Entscheidung, welche Aktenteile ein Verteidiger für seinen Mandanten kopiert, in seinem Ermessen (LG Aachen, a.a.O.).

     

    • Den Rechtsanwalt trifft die Verpflichtung darzulegen, welche Schriftstücke oder Gruppen von Schriftstücken er zu kopieren für erforderlich gehalten hat (OLG Braunschweig RVGreport 14, 317; LG Neuruppin, 11.11.13, 11 Qs 18/13, Abruf-Nr. 144278).
    • Der Verteidiger darf auch nicht „blind“ seinem Mandanten ein vollständiges Aktendoppel überlassen. Es soll vielmehr seine Aufgabe sein, vor Anfertigung und Überlassung der Kopien eine Vorauswahl zu treffen und dabei mithilfe seines beruflichen Sachverstands Schwerpunkte zu setzen (OLG Rostock RVGreport 14, 471 und JurBüro 15, 22; OLG München RVGreport 15, 106; andere Ansicht LG Duisburg RVGreport 14, 435).

     

    • Benötigt der Verteidiger, dem gegebenenfalls eine digitale Akte überlassen worden ist, einen Ausdruck, darf er nach der Rechtsprechung nicht die ganze Akte unbesehen kopieren. Vielmehr ist es ihm zuzumuten, die Akten innerhalb der ihm zur Verfügung stehenden Zeit zunächst am Bildschirm zu sichten und eine Auswahl zu treffen, welche Aktenbestandteile er für seine weitere Tätigkeit (auch) auf Papier ausgedruckt benötigen könnte. Auf einen entsprechend begründeten Antrag hin sind allenfalls die für die Erstellung eines solchen papiernen Aktenauszugs anfallenden Auslagen zu erstatten (OLG Düsseldorf in mehreren Beschlüssen, siehe StRR 15, 39; OLG München RVGreport 15, 106). Das Akteneinsichtsrecht des Verteidigers nach § 147 Abs. 1 StPO sei nicht mit einem Anspruch auf Erhalt eines vollständigen Exemplars der Papierakte in jedem Fall gleichzusetzen.

     

    PRAXISHINWEIS | Das Fazit und die Tendenz der Rechtsprechung aus dieser Rechtsprechung ist eindeutig. Sie geht eher in Richtung „contra“ als in Richtung „pro“ Erstattung. Das gilt vor allem, wenn es sich um Verfahren mit umfangreichem Aktenmaterial handelt und erhebliche Erstattungsbeträge geltend gemacht werden. Klären Sie daher die Fragen vorab mit Ihrem Mandanten ab und stellen Sie einen Vorschuss- beziehungsweise Feststellungsantrag (§ 47, § 46 Abs. 2 S. 1 RVG).

     

    3. Gebühren des Zeugenbeistands (Vorb. 4 Abs. 1 VV RVG)

    Im Rahmen der Abrechnung der Tätigkeiten eines Zeugenbeistands stellt sich stets die Frage: Werden sie nach Teil 4 Abschn. 1 VV RVG oder nach Teil 4 Abschn. 3 VV RVG abgerechnet? Diese Frage beschäftigt die gebührenrechtliche Rechtsprechung seit Inkrafttreten des RVG im Jahr 2004 (Zusammenstellung der Rechtsprechung bei Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 21. Aufl., VV Einl. Vorb. 4.1 Rn. 5). Die Diskussion hat nun auch den Umstand einbezogen, ob nicht gegebenenfalls durch das 2. KostRMoG v. 23.7.13 (BGBl 13, 2586) eine Änderung der Rechtsprechung angemessen wäre. Dieses hat zwar nicht, wie zunächst geplant, die Vorb. 4 Abs. 1 VV RVG klarstellend an die richtige Sicht der Auffassung angepasst, die nach Teil 4 Abschn. 1 VV RVG abrechnet. Aber: Die Gesetzesbegründung zum 2. KostRMoG enthielt eine eindeutige Aussage, wie der Gesetzgeber die Regelung in Vorb. 4 Abs. 1 VV RVG verstanden haben wissen möchte. Das hätte meines Erachtens Anlass sein müssen, die abweichende Rechtsprechung zu überdenken. Leider ist das nicht eingetreten (z.B. OLG München AGS 14, 219; OLG München 7.3.14, 4c Ws 4/14, Abruf-Nr. 144279; LG Hagen 30.4.14, 46 KLs-408 Js 285/12-24/13, Abruf-Nr. 144280; LG Leipzig 22.5.14, 2 Qs 3/14 jug, Abruf-Nr. 144281, die an der alten Rechtsprechung festhalten). Und nicht nur das: Zum Teil sind Gerichte, die früher nach Teil 4 Abschn. 1 VV RVG abgerechnet haben, auf eine Abrechnung nach Teil 4 Abschn. 3 VV RVG umgeschwenkt (unter anderem OLG München AGS 14, 219). Das ist für mich nicht nachvollziehbar.

     

    PRAXISHINWEIS | Auch hier kann nur geraten werden, nach Teil 4 Abschn. 1 VV RVG abzurechnen und Rechtsmittel gegen eine Festsetzung nach Teil 4 Abschn. 3 VV RVG als Einzeltätigkeit einzulegen. Nur so lässt sich eine Änderung der Rechtsprechung erreichen.

     

    4. Gebühren des Terminsvertreters (Vorb. 4 Abs. 1 VV RVG)

    Ebenfalls seit Inkrafttreten des RVG im Jahr 2004 besteht die Diskussion um die Festsetzung der Gebühren des Terminsvertreters des Pflichtverteidigers, also des Rechtsanwalts, der für einen verhinderten Pflichtverteidiger einen (Hauptverhandlungs-)Termin wahrnehmen soll. Hier sind folgende Tendenzen erkennbar.

     

    • Weiterhin überwiegend unstreitig ist, dass dieser Rechtsanwalt nach Teil 4 Abschn. 1 VV RVG abrechnet (OLG München RVG prof. 14, 133; JurBüro 14, 359; OLG Nürnberg AGS 15, 29; OLG Oldenburg RVGreport 15, 23; OLG Saarbrücken RVGreport 15, 65).
    • Weiterhin umstritten ist allerdings die Frage, welche Gebühren entstehen, nämlich ob nur die Terminsgebühr (OLG Oldenburg RVGreport 15, 23; LG Saarbrücken 30.6.14, 2 KLs 2/13, Abruf-Nr. 144282) oder Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr (so zutreffend OLG Saarbrücken RVGreport 15, 65; grundsätzlich auch OLG Nürnberg AGS 15, 29).

     

    • Praxishinweis | Zutreffend ist es, davon auszugehen, dass alle Gebühren entstehen können. Denn der Rechtsanwalt ist „voller Verteidiger“. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass er nur vertritt (OLG Saarbrücken, a.a.O.). Denn eine Vertretung existiert bei der Pflichtverteidigung nicht (BGH NJW 14, 3320).
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    5. Grundgebühr (Nr. 4100 VV RVG)

    Bei der Grundgebühr haben die (Ober-)Gerichte die Änderung in der Anm. zur Nr. 4100 VV RVG erfreulicherweise sehr schnell umgesetzt. Man ist sich einig, dass diese nach der Änderung und Aufnahme des Passus „neben der Verfahrensgebühr“ immer neben dieser entsteht (OLG Saarbrücken RVGreport 15, 65; LG Duisburg RVG prof. 14, 155; LG Oldenburg AGS 14, 552). Der alte Streit zum Verhältnis zwischen Grundgebühr und Verfahrensgebühr ist damit erledigt. Lediglich das OLG Nürnberg AGS 15, 29 hat noch anders entschieden, allerdings ohne das näher zu begründen.

     

    6. Analoge Anwendung von Nr. 4102 VV RVG

    Fortgesetzt hat sich in 2014 der Streit in der Rechtsprechung, ob die Nr. 4102 VV RVG analog angewendet werden kann und so auch in der Gebührenvorschrift nicht erwähnte Termine honoriert werden können (Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV 4102, 4103 Rn. 5). Das hat das OLG Köln (RVGreport 15, 108 für Erörterungstermine nach § 202a S. 1 StPO) mit der h.M. zutreffend verneint, während das LG Freiburg eine analoge Anwendung auf andere als die angeführten Termine bejaht und für die Teilnahme des Rechtsanwalts an einem Explorationsgespräch bei einem Sachverständigen eine Gebühr nach Nr. 4102 VV RVG gewährt hat.

     

    PRAXISHINWEIS | Der Verteidiger kann und sollte versuchen, sich auf die für ihn günstige Rechtsprechung, die eine analoge Anwendung bejaht, zu berufen. Im Übrigen: Die Frage bedarf dringend einer gesetzlichen Klärung.

     

    7. Zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG  

    Das RVG sieht in Nr. 4142 VV RVG eine zusätzliche Verfahrensgebühr vor, wenn der Anwalt bei Einziehung und verwandten Maßnahmen (§ 442 StPO) eine darauf bezogene Tätigkeit für den Beschuldigten ausübt. Hier kann der Verteidiger, da es sich um eine reine Wertgebühr handelt, erhebliche Gebühren verdienen (Einzelheiten in RVG prof. 09, 65). Nach überwiegender Auffassung in der Literatur ist Nr. 4142 VV RVG nicht anwendbar im Fall des Arrests im Rahmen der Rückgewinnungshilfe, was damit begründet wird, dass es dabei nicht um die Verhinderung des endgültigen Entzugs einer Sache geht (AnwKom-RVG/N. Schneider, RVG, 7. Aufl., VV 4142 Rn. 12; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., VV 4142 Rn. 8; Burhoff/Burhoff, RVG, a.a.O., Nr. 4142 VV Rn. 7, KG AGS 09, 224).

     

    In der neueren Rechtsprechung ist hier die für den Verteidiger erfreuliche Tendenz zu erkennen, diese Gebühr auch bei einem Arrest im Rahmen der Rückgewinnungshilfe zu gewähren (OLG Stuttgart RVG prof. 14, 188; LG Essen StraFo 2015, 41; ähnlich in der Vergangenheit schon, allerdings ohne nähere Begründung OLG Hamm AGS 08, 341; OLG München wistra 10, 456; andere Auffassung OLG München 30.7.13, 4 Ws 074/13 [K], Abruf-Nr. 144283). Den gewichtigen Argumenten für eine andere Sicht wird man sich kaum verschließen können, sodass hier hoffentlich ein weiteres Umdenken der Rechtsprechung erfolgt.

     

    Weiterführende Hinweise