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  • · Fachbeitrag · Untersuchungshaft

    Faires Verfahren setzt ungehinderten Kontakt zur Verteidigung voraus

    von RAin Dr. Steffi Kindler, Krause & Kollegen, Berlin

    Die Beschränkung des Telefonkontakts eines in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten zu seinem ortsfremden Verteidiger auf besonders zu begründende Dringlichkeitsfälle verletzt den Beschuldigten in seinem Grundrecht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip (BVerfG 7.3.12, 2 BvR 988/10, Abruf-Nr. 122134).

    Sachverhalt

    Die Beschwerdeführerin B wurde wegen Flucht- und Verdunklungsgefahr in Untersuchungshaft genommen. Die Ermittlungsrichterin ER ordnete gemäß § 119 Abs. 1 StPO an, dass die Telekommunikation der Erlaubnis bedarf und zu überwachen ist. Hiervon unberührt sollte gemäß § 119 Abs. 4 S. 1 StPO der Verkehr mit dem Verteidiger V bleiben.

     

    Gleichwohl lehnte ER einen Antrag des ortsfremden V auf Genehmigung eines fernmündlichen Gesprächs mit B ab. Aus Gründen der Anstaltssicherheit und der Gleichbehandlung könne die Erlaubnis nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes erteilt werden. Denn Telefonate seien mit einem erheblichen, die Anstaltssicherheit gefährdenden personellen und organisatorischen Aufwand verbunden und könnten aus Sicherheitsgründen nur aus dem Geschäftszimmer der Dienstleitung im Beisein eines Vollzugsbeamten geführt werden. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wurde vom LG verworfen. Gegen beide Entscheidungen erhob B Verfassungsbeschwerde mit der Rüge einer Verletzung ihres Rechts auf effektive Verteidigung.

     

    Entscheidungsgründe

    Das BVerfG nahm die Beschwerde zur Entscheidung an. Die Versagung des Telefonkontakts zu ihrem Verteidiger verletze B in ihrem Grundrecht auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Recht habe der Gesetzgeber mit § 148 Abs. 1 StPO dahingehend konkretisiert, dass auch dem inhaftierten Beschuldigten schriftlicher und mündlicher Verkehr mit dem Verteidiger gestattet ist. Eine eng auszulegende Ausnahme gelte gemäß § 148 Abs. 2 StPO lediglich für Fälle des dringenden Verdachts einer Straftat nach §§ 129a, 129b StGB. Jenseits dessen sei eine Überwachung der Kommunikation mit dem Verteidiger ausgeschlossen. Die Neufassung des § 119 Abs. 1 StPO durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.7.09 (BGBl I 09, 2274), welche zur Abwehr einer Flucht-, Verdunklungs- oder Wiederholungsgefahr Beschränkungen der Telekommunikation von Untersuchungsgefangenen ermögliche, habe daran nichts geändert. Dies stelle § 119 Abs. 4 StPO n.F. ausdrücklich klar. Da der Verteidiger als Organ der Rechtspflege nach geltendem Recht einen Vertrauensvorschuss genieße, könne nicht - wie vorliegend - ohne nähere Begründung angenommen werde, es sei nicht gewährleistet, dass dieser tatsächlich der Gesprächspartner sei. Überdies gerate eine Beschränkung des Telefonkontakts auf besonders zu begründende Dringlichkeitsfälle in Konflikt mit dem Anspruch auf Vertraulichkeit der Verteidigerkommunikation und verkenne die Bedeutung telefonischer Kontaktmöglichkeiten für die Effektivität des vom Recht auf ein faires Verfahren umfassten Rechts auf freie Wahl des Verteidigers (§ 137 StPO).

     

    Praxishinweis

    Beschränkungen des fernmündlichen Verteidigerkontakts unter Hinweis auf organisatorische Belange der Justizvollzugsanstalt sind keine Seltenheit. Die hierdurch bewirkte Verkürzung der Verteidigungsrechte ist fatal und angesichts der klaren Rechtslage nicht hinnehmbar. Nach den deutlichen Worten des BVerfG besteht die begründete Hoffnung, dass derartige Beschneidungen der Beschuldigtenrechte der Vergangenheit angehören.

    Quelle: Ausgabe 08 / 2012 | Seite 187 | ID 34382650

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