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  • · Fachbeitrag · Haftung

    Keine Haftung von Bankmitarbeitern für Steuerhinterziehung anonymer Kunden

    von RA Dr. Markus Adick, Flick Gocke Schaumburg, Bonn und RA StB Dr. Carsten Höink, AWB Steuerberatungsgesellschaft mbH, Münster

    | Im Zusammenhang mit anonymisierten Kapitaltransfers ins Ausland setzt die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für Steuerverkürzungen auf den Einzelfall bezogene Feststellungen dazu voraus, dass der jeweilige Inhaber des in das Ausland transferierten Kapitals daraus in Deutschland steuerpflichtige Erträge erzielt und insoweit vorsätzlich unrichtige Angaben in seiner Steuererklärung gemacht und dadurch Steuern hinterzogen hat ( BFH 15.1.13, VIII R 22/10, Abruf-Nr. 131234 ). |

    1. Sachverhalt

    Der Kläger K war Leiter der Wertpapieradministration einer deutschen Bank. Die Bank war an zwei Auslandsgesellschaften in Luxemburg und der Schweiz beteiligt. Im Jahr 1992 genehmigte der Kläger nach interner Abstimmung zwei Anweisungen, die darauf gerichtet waren, den anonymen Transfer von Wertpapieren zu den Auslandsgesellschaften zu ermöglichen. Diese Regelung wurde später ergänzt für sogenannte auslandsverwahrte Werte. Hiernach konnten effektiv eingelieferte Werte „auch ohne Legitimationsprüfung entsprechend der Kundenangabe (z.B. Kennwort oder Kundennummer)“ angenommen werden. Auf die - bis dahin einzuholende - Aneignungsermächtigung nach § 13 DepotG sollte verzichtet werden können.

     

    Im Jahr 1996 begann die Finanzverwaltung mit Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Bank. Gegenstand der Ermittlungen war der Verdacht der Beihilfe zur Steuerhinterziehung durch deren Mitarbeiter und Vorstandsmitglieder zugunsten der Bank und ihrer Auslandsgesellschaften in Luxemburg und in der Schweiz. Die Ermittlungen ergaben, dass eine Vielzahl von Kunden die Möglichkeit genutzt hatte, Kapital und Wertpapiere anonym über die Grenze zu den Auslandsgesellschaften zu transferieren. Anstelle personenbezogener Kundendaten waren lediglich Referenznummern, Kundennummern, Depot- oder Kontennummern sowie mit der Auslandsgesellschaft vereinbarte Kennworte auf den Transferbelegen vermerkt worden. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen konnten gleichwohl etwa 75 % der Vorgänge einzelnen Kunden zugeordnet werden. Ferner ergaben die Ermittlungen, dass nahezu keiner dieser Kunden die im Ausland erzielten Erträge in seiner Einkommensteuererklärung angegeben hatten. Die Identität der übrigen Kunden konnte nicht ermittelt werden. Von diesen hatten 638 Kunden Wertpapiere transferiert, deren Nominalwert sich in Summe auf rund 305 Mio. DM belief.

     

    Das FA nahm den Kläger nach § 71 AO wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in diesen 638 Fällen in Haftung. Gegenstand der Haftung war hinterzogene Einkommensteuer von rund 2,25 Mio. EUR nebst Hinterziehungszinsen von 1,2 Mio. EUR. Der Kläger und seine Mitarbeiter hätten ein System entwickelt und praktiziert, das den Kunden einen anonymen Kapitaltransfer ins Ausland und die Umgehung der Zinsabschlagsteuer ermöglicht habe. Dem Kläger sei auch bekannt gewesen, dass die Kunden den anonymen Transfer dazu nutzen wollten, um die auf Kapitalerträge anfallenden Steuern zu hinterziehen. Die Summe der Haftung berechnete das FA auf der Grundlage der Ermittlungsergebnisse in der Vergleichsgruppe der enttarnten Kunden. Unter Berücksichtigung eines Sicherheitsabschlags von 25 % ergebe sich in der Gruppe der Kunden, deren Identität nicht ermittelt wurde, die im Haftungsbescheid genannte Hinterziehungssumme nebst der genannten Hinterziehungszinsen.

     

    Der BFH hatte auf Antrag des Klägers die Vollziehung des Haftungsbescheids ausgesetzt. Das FG gab der Klage gegen den Haftungsbescheid statt und hob ihn auf. Der BFH hat nun die Revision des FA als unbegründet zurückgewiesen.

    2. Entscheidungsgründe

    Die Erkenntnis des FG, dass der Kläger für die mögliche und auch wahrscheinliche, aber nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbare Steuerhinterziehung anonym gebliebener Kunden haftet, ist nach dem BFH frei von Rechtsfehlern. Nach § 71 AO haftet, wer an einer Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 AO) teilnimmt. Gehilfe ist, wer einem anderem zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat vorsätzlich Hilfe geleistet hat (§ 27 StGB). Eine Haftung als Gehilfe setzt damit voraus, dass der Steuerschuldner die objektiven und subjektiven Merkmale einer Steuerhinterziehung verwirklicht hat. Der Vorsatz des Gehilfen muss sich darüber hinaus auf die Haupttat, also die Steuerhinterziehung durch den Steuerschuldner erstrecken (doppelter Gehilfenvorsatz).

     

    Steuerrechtlich setzt die Haftung weiter voraus, dass der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis noch existiert (Akzessorietät der Haftung). Sind von den Finanzbehörden und -gerichten die Voraussetzungen von Normen des materiellen Strafrechts - hier von § 370 AO - festzustellen, sind verfahrensrechtlich nur die Normen der AO und der FGO und nicht die StPO maßgeblich. Nach § 96 Abs. 1 S. 1 HS 1 FGO hat das FG aufgrund seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, ob für den Erlass eines Haftungsbescheids nach § 71 AO diejenigen Tatsachen vorliegen, die den Tatbestand des Strafgesetzes ausfüllen. Allerdings darf es sich für die Feststellung einer Steuerhinterziehung nicht auf die Anwendung eines reduzierten Beweismaßes oder eine Schätzung beschränken; verbleibende Zweifel gehen nach den Regeln der Feststellungslast zulasten des FA.

     

    PRAXISHINWEIS | Welche Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung im Einzelfall gestellt werden müssen, entzieht sich weitgehend abstrakter Festlegung. Grundsätzlich muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorliegen der entscheidungserheblichen Tatsachen bilden. Das bedeutet, dass der Tatrichter ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangt, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Der Richter darf dabei nicht eine von allen Zweifeln freie Überzeugung anstreben, er muss sich vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen.

     

    Das FG habe im Wesentlichen ausgeführt, die Tatsache des anonymen Kapitaltransfers in einer bestimmten Anzahl von Fällen und in einer bestimmten Höhe lasse keinen sicheren Schluss darauf zu, dass die 638 nicht enttarnten Wertpapierkunden Steuern hinterzogen haben. Diese fehlende Überzeugung des Gerichts gehe zulasten des FA. Das Gericht dürfe die fehlende Überzeugung nicht durch Wahrscheinlichkeitsurteile ersetzen.

     

    Das FG habe als Voraussetzung einer Haftung nach § 71 AO Tatsachen zu einer sicher bestimmbaren Zahl von Fällen feststellen müssen. Erforderlich seien tatsächliche Feststellungen dazu gewesen, dass der jeweilige Inhaber des in das Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Erträge erzielt hat, die der Besteuerung im Inland unterlagen, dass er z.B. unrichtige Angaben in seiner Steuererklärung gemacht, dadurch Steuern hinterzogen und dabei vorsätzlich gehandelt hat. Außerdem habe das FG feststellen müssen, dass der jeweilige Steueranspruch noch existierte und nicht z.B. durch Zahlung oder Verjährung erloschen war. Könne das FG verbleibende tatsächliche Zweifel nicht ausräumen, müsse es den Haftungstatbestand verneinen.

     

    Die Auffassung des FA, zur Begründung der Haftung nach § 71 AO reiche schon eine hinreichend sichere Annahme einer Steuerhinterziehung i.S. einer gruppenbezogenen Betrachtung aus - hier der nicht enttarnten Kunden -, finde im Gesetz keine Stütze. Schon die strafrechtlichen Begriffe (Steuerhinterziehung, Teilnahme) gebieten nach dem BFH für die Anwendung von § 71 AO eine grundsätzlich auf den Einzelfall abstellende Betrachtung. Die gegenteilige Auffassung des FA sei mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten Anforderungen an die Bestimmtheit von Eingriffsrecht und die grundsätzliche Bindung des Richters an das Gesetz unvereinbar. Auch der Umstand, dass der Kläger gerade durch das ihm zur Last gelegte Verhalten die Enttarnung der Bankkunden aktiv erschwert und zum Teil vereitelt habe, vermag nach dem BFH keine Ausweitung der Haftung über den gesetzlichen Tatbestand hinaus zu rechtfertigen.

     

    Das FG habe seine Überzeugung zu Recht nicht nach einem reduzierten Beweismaß anhand eines Wahrscheinlichkeitsmaßstabs gebildet, wie ihn das FA mit einem Sicherheitsabschlag von 25 % zugrunde legen wolle. Ein solcher Sicherheitsabschlag erhöhe nur die Wahrscheinlichkeit, dass die geschätzte Haftungssumme den tatsächlichen Steuerschaden nicht übersteige. Nicht erhöht sei jedoch die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Tatsachen, aus denen sich in der Vielzahl der Einzelfälle das Vorliegen einer Steuerhinterziehung dem Grunde nach ergebe.

     

    Die von dem FG vorgenommene Würdigung sei jedenfalls möglich; an die - negative - tatsächliche Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestands durch das FG sei der BFH gebunden. Zum einen gebe es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass, wer Kapital anonym ins Ausland verbringt, auch in der Steuererklärung unrichtige Angaben hinsichtlich der daraus erzielten Erträge macht (BFH 20.6.07, II R 66/06, BFH/NV 07, 2057). Zum anderen habe das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Häufigkeit der Steuerhinterziehung in der Gruppe der enttarnten Kunden bei der Prüfung einer möglichen Steuerhinterziehung durch nicht enttarnte Kunden unberücksichtigt gelassen.

    3. Praxishinweis

    Die Entscheidung betrifft nicht die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Bankmitarbeiter in strafbarer Weise an steuerunehrlichem Verhalten von Kunden teilnimmt (§§ 26, 27 StGB). Beachtung verdient die Entscheidung vielmehr unter einem verfahrensrechtlichen Gesichtspunkt, weil sie sich einer Erosion der Anforderungen an die Feststellung haftungsbegründender Tatsachen entgegenstellt. Es klingt selbstverständlich, dass Behörden und Gerichte zu allen Merkmalen eines Tatbestands sichere Feststellungen treffen müssen, wenn eine Entscheidung die Rechte einer Person eingreift. Wenn ein Ergebnis als „richtig“ erscheint, ist es regelmäßig schwer, sich strikt an diesen Grundsatz zu halten und nicht zu abweichendem Vorgehen verleiten zu lassen. Selbst wenn es hier möglich oder sogar wahrscheinlich war, dass auch nicht enttarnte Kunden der Bank Steuern hinterzogen hatten: Für eine Haftung des Bankmitarbeiters wären konkrete Feststellungen erforderlich gewesen und nicht lediglich eine Umschreibung des unterschwellig gehegten Verdachts, dass „die 638 anderen werden wohl auch hinterzogen haben“.

     

    Was für das Verfahren vor dem FG richtig ist, gilt im Strafverfahren erst recht. Nach § 261 StPO muss auch das Strafgericht über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung entscheiden. Auch wenn der Strafrichter an Beweisregeln oder -vermutungen nicht gebunden ist, benötigt auch seine Überzeugungsbildung eine rational-objektive Grundlage. Fehlerfrei ist seine Beweiswürdigung im Strafurteil nur, wenn sie auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsichtigen Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung sich nicht als bloße Vermutung erweist, die nicht mehr als einen Verdacht zu begründen vermag (Meyer-Goßner, StPO, § 261 Rn. 2a m.w.N.). Im Streitfall wäre die strafrechtliche Verfolgung vermeintlicher Beihilfetaten in den 638 fraglichen Fällen zudem ungeachtet der Beweisschwierigkeiten nicht möglich gewesen. Denn es ist bereits kaum vorstellbar, wie eine fehlerfreie Anklage hätte erhoben werden können. Die Anklageschrift hat unter anderem die Tat zu bezeichnen (§ 200 Abs. 1 StPO). Diese prozessuale Tat (§ 264 StPO) muss im Anklagesatz als historisches Ereignis so geschildert werden, dass die Identität des gemeinten Vorgangs klargestellt wird.

     

    In der Praxis sind fehlerhafte, weil im Möglichen oder Wahrscheinlichen verbleibende - letztlich also spekulative - Feststellungen vor allem dann vorzufinden, wenn es um innere Tatsachen (Kenntnisse, Vorstellungen, Intentionen etc.) geht. Die Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung, die verlängerte Festsetzungsfrist oder die Haftung des Teilnehmers für Steuerverkürzungen setzen vorsätzliches Verhalten voraus. Folglich muss das Gericht Feststellungen zum inneren Vorstellungsbild treffen. Hierzu kann es äußere Umstände (z.B. Verhalten oder Erklärungen des Beschuldigten oder anderer Personen) heranziehen. Nicht selten begegnen dem Berater auch in strafgerichtlichen Entscheidungen jedoch Ausführungen zum vermeintlichen „steuerlichen Allgemeinwissen“ oder zur „Wahrscheinlichkeit nach der Lebenserfahrung“. Die Aufgabe des Beraters und Verteidigers ist es dann, diese kritisch zu prüfen und das Gericht notfalls auf die Anforderungen an die Feststellung von Tatsachen festzulegen.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2013 | Seite 146 | ID 39474860

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