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  • 10.08.2012 · IWW-Abrufnummer 122462

    Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen: Urteil vom 05.03.2012 – 9 A 178/11

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Oberverwaltungsgericht NRW

    9 A 178/11

    Tenor:

    Die Berufung wird zurückgewiesen.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

    Die Revision wird nicht zugelassen.

    Tatbestand:

    Die Klägerin betreibt eine Textilfabrik. Zum Betrieb ihres Unternehmens entnimmt sie über eine eigene Brunnenwasserversorgungsanlage Grundwasser. Diese Entnahme erfolgt aufgrund einer wasserbehördlichen Zulassung des Kreises T. (Untere Wasserbehörde) vom 28. Dezember 1998, welche eine maximale Entnahmemenge von 300.000 m³ pro Jahr festlegt.

    Im Januar 2010 übersandte die Bezirksregierung E. der Klägerin Formulare zur Angabe der entnommenen Wassermengen. Unter dem 26. Januar 2010 sandte die Klägerin die ausgefüllten Formulare zurück und gab dabei in einer formlosen Aufstellung unter anderem an, im Jahr 2006 die Menge von 249.124 m³ Brunnenwasser entnommen zu haben.

    Mit Bescheid vom 24. März 2010 setzte die Bezirksregierung E. gegenüber der Klägerin ein für das Veranlagungsjahr 2006 zu zahlendes Wasserent-nahmeentgelt in Höhe von 11.210,58 € fest. Dabei wurde ein Entgeltsatz von 0,045 € pro m³ entnommenes Brunnenwasser zugrunde gelegt.

    Am 1. April 2010 hat die Klägerin gegen diesen Bescheid Klage erhoben.

    Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen: Für das Veranlagungsjahr 2006 sei bereits Festsetzungsverjährung nach § 4 Abs. 4 Satz 1 und 3 i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 WasEG eingetreten. Gemäß § 10 Abs. 1 Buchst. d) WasEG i.V.m. § 47 AO sei der Entgeltanspruch daher erloschen. Die zehnjährige Festsetzungsfrist des § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG sei vorliegend nicht einschlägig, weil sie nicht unrichtige oder unvollständige Angaben, sondern bis zum 26. Januar 2010 überhaupt keine Angaben zur im Jahr 2006 entnommenen Brunnenwassermenge gemacht habe. Außerdem normiere § 3 Abs. 2 Satz 3 WasEG für die Fälle, in denen der Entgeltpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht oder nicht rechtzeitig nachkomme, die Verpflichtung der Festsetzungsbehörde, die Wassermenge zu schätzen. Dabei sei gemäß § 3 Abs. 2 Satz 4 WasEG im Regelfall die in dem Wasserrecht oder der wasserrechtlichen Befugnis zugelassene Entnahmemenge zugrunde zu legen. Dieser Schätzungsverpflichtung sei die Bezirksregierung E. allerdings nicht nachgekommen.

    Die Klägerin hat beantragt,

    den Festsetzungsbescheid 2006 (Vorauszah-lungsabrechnung 2006) des Beklagten vom 24. März 2010 aufzuheben.

    Der Beklagte hat beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Die zehnjährige Festsetzungsverjährungsfrist des § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG erfasse auch den vorliegenden Fall, in dem die entgeltpflichtige Klägerin bis zum 26. Januar 2010 überhaupt keine Erklärung abgegeben habe. Die Klägerin könne sich in diesem Zusammenhang nicht auf ihre Unkenntnis berufen, da nach § 3 Abs. 2 Satz 1 WasEG die Entgeltpflichtigen der Festsetzungsbehörde bis zum 1. März eines jeden Jahres "unaufgefordert" eine Erklärung über die entnommene Wassermenge des Vorjahres, die Art der Verwendung und die zum Nachweis dieser Angaben erforderlichen Unterlagen vorzulegen hätten. Soweit die Klägerin eine wasserrechtlich relevante Handlung vornehme, müsse sie sich mit den Rechtsvorschriften vertraut machen, die mit dieser Handlung in Zusammenhang stünden. Zweck der zehnjährigen Festsetzungsfrist sei es, den Eintritt der Festsetzungsverjährung in all den Fällen zu verhindern, in denen die Ermittlung der Wasserentnahmeentgeltpflicht von einer Mitwirkung des Entgeltpflichtigen abhängig sei. Dies entspreche auch dem Rechtsgedanken, der der Zehnjahresfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO bei Steuerhinterziehung zugrunde liege. Der Fall, dass gar keine Angaben gemacht würden, sei daher bei zulässiger extensiver Auslegung des Wortlauts von § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG umfasst. Die extensive Auslegung stelle den Gedanken des Gesetzes, der Behörde bei unzureichender Erfüllung der dem Entgeltschuldner auferlegten gesetzlichen Mitwirkungspflichten einen verlängerten Zeitraum zur Feststellung der Entgeltpflicht an die Hand zu geben, gegenüber dem zu engem Wortlaut klar. Einen allgemeinen Grundsatz, dass abgabenrechtliche Vorschriften im Zweifel eng, d.h. zu Lasten der Abgabenerhebung auszulegen seien, gebe es nicht. Dessen ungeachtet gelte auch das Analogieverbot zu Lasten des Abgabenschuldners nach (noch) herrschender Meinung nur mit der Einschränkung, dass keine neuen Steuertatbestände geschaffen bzw. vorhandene Steuertatbestände erweitert werden dürften. Darum gehe es im vorliegenden Fall allerdings nicht, da die Entgeltpflicht nach dem Wasserentnahmeentgeltgesetz im Grundsatz bestehe. Ferner treffe die Schätzungsvorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 3 WasEG keine Aussage zu der Frage, innerhalb welcher Frist eine Schätzung zu erfolgen habe. Dies werde erst in § 4 Abs. 4 WasEG geregelt, so dass für die Auslegung dieser Vorschrift durch die Betrachtung des § 3 Abs. 2 Satz 3 WasEG keine Schlüsse gezogen werden könnten.

    Durch Urteil vom 3. Januar 2011 hat das Verwaltungsgericht den Festsetzungsbescheid 2006 des Beklagten vom 24. März 2010 aufgehoben. Zur Begründung hat das Gericht im Wesentlichen ausgeführt, dass im Zeitpunkt des Bescheiderlasses die zweijährige Festsetzungsverjährungsfrist nach § 4 Abs. 4 Satz 1 und 3 i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 WasEG bereits verstrichen gewesen sei. Die Zehnjahresfrist des § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG greife nicht ein, weil die Klägerin innerhalb der Erklärungsfrist des § 3 Abs. 2 Satz 1 WasEG keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben gemacht, sondern vielmehr gar keine Erklärung über die entnommene Wassermenge abgegeben habe. Dem im Abgabenrecht geltenden Erfordernis der Normenklarheit und dem Verbot der Analogiebildung zu Lasten des Abgabenschuldners widerspräche es, § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG über seinen Wortlaut hinaus anzuwenden.

    Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung trägt der Beklagte ergänzend im Wesentlichen vor: Die Auslegung des Begriffs "unvollständig" in § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG als auch das völlige Unterlassen der Erklärung umfassend gehe nicht über den möglichen Wortsinn hinaus, weil das "unvollständige" Erklären notwendigerweise auch ein Unterlassen - nämlich das Unterlassen der vollständigen Erklärung - beinhalte. Außerdem lasse der Umstand, dass in der strafrechtlichen Norm des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO eine ausdrückliche Regelung hinsichtlich des Unterlassens steuerrechtlich relevanter Angaben getroffen sei, nicht den Rückschluss zu, dass ohne eine solche klarstellende Regelung die Formulierung "Machen unvollständiger Angaben" nicht dahin ausgelegt werden dürfte, dass auch das "Unterlassen vollständiger Angaben" erfasst sei. Denn im Strafrecht sei die "unechte Unterlassung" nur im Rahmen des § 13 StGB strafbar, so dass für den Gesetzgeber ein besonderes Bedürfnis zur Klarstellung der Strafbarkeit auch bei Unterlassen bestehe. Ferner stelle es einen Wertungswiderspruch dar, wenn der bloß fahrlässig unvollständig Erklärende zehn Jahre lang in der Haftung bliebe, der unter Umständen vorsätzlich sich vollumfänglich seinen Pflichten Entziehende sich aber bereits nach zwei Jahren auf Festsetzungsverjährung berufen könnte. Dessen ungeachtet beginne der Lauf der Festsetzungsfrist nach § 4 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 WasEG nach Auffassung des beklagten Landes erst mit der tatsächlichen Abgabe der Erklärung über die entnommene Wassermenge, hier also am 26. Januar 2010, so dass selbst die zweijährige Festsetzungsfrist erst am 26. Januar 2012 enden würde. Sinn und Zweck von Festsetzungsfristen sei es nämlich, der Festsetzungsbehörde eine "Entscheidungsfrist" zu gewähren. Eine Entscheidung über die Festsetzung könne von der Festsetzungsbehörde aber erst getroffen werden, wenn ihr alle erforderlichen Unterlagen vorlägen.

    Der Beklagte beantragt,

    das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

    Die Klägerin beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie trägt unter Vertiefung ihres bisherigen Vorbringens vor, dass die vom Beklagten nunmehr vertretene Ansicht zum Beginn des Laufs der Festsetzungsfrist nach § 4 Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 WasEG im Gesetzeswortlaut keine Stütze finde. Eine § 77 Abs. 2 LWG entsprechende Regelung, wonach die Frist für die Festsetzung der Abwasserabgabe im Falle der Abgabeerklärung erst mit der Vorlage der notwendigen Daten und Unterlagen beginne, finde sich im Wasserentnahmeentgeltgesetz nicht.

    Ein Antrag der Klägerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage ist in zweiter Instanz erfolglos geblieben (Beschluss vom 10. Juni 2010 – 9 B 605/10 -).

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens und des Verfahrens 9 B 605/10 sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Beiakten Hefte 1 – 4) Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe:

    Die Berufung hat keinen Erfolg. Die Klage ist zulässig und begründet. Der Festsetzungsbescheid der Bezirksregierung E. vom 24. März 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

    Der angefochtene Bescheid ist zwar formell rechtmäßig, insbesondere ist die Bezirksregierung E. zwar nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Erhebung eines Entgelts für die Entnahme von Wasser aus Gewässern (Wasserentnahmeentgeltgesetz – WasEG) in der Fassung von Art. 3 des Gesetzes zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 12. Dezember 2006 (GV. NRW. S. 622), das ohne Übergangsregelung mit Wirkung vom 1. Januar 2007 in Kraft getreten ist, zuständig.

    Der angefochtene Bescheid ist aber aus materiellen Gründen rechtswidrig.

    Der Anspruch des Beklagten gegenüber der Klägerin auf Entrichtung eines Wasserentnahmeentgelts für das Veranlagungsjahr 2006 ist nach § 10 Abs. 1 Buchst. d) WasEG i.V.m. § 47 der Abgabenordnung (AO) wegen Festsetzungsverjährung erloschen.

    Gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 WasEG beträgt die Festsetzungsfrist zwei Jahre nach Ablauf des Veranlagungsjahres, für die Veranlagungszeiträume der Jahre 2004 und 2005 beträgt die Frist drei Jahre. Nach § 4 Abs. 2 WasEG ist Veranlagungszeitraum das Kalenderjahr. Abweichend von § 4 Abs. 4 Satz 1 WasEG beträgt die Festsetzungsverjährungsfrist zehn Jahre, wenn der Entgeltpflichtige unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat und dadurch das Wasserentnahmeentgelt verkürzt wird (§ 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG). Der Lauf der Frist beginnt mit der gesetzlichen oder behördlich bestimmten Frist nach § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 (§ 4 Abs. 4 Satz 3 WasEG).

    Die Frist für die Festsetzung des Wasserentnahmeentgelts für das Veranlagungs-jahr 2006 begann vorliegend am 1. Januar 2007 (dazu 1.) und endete nach Ablauf der hier maßgeblichen zweijährigen Verjährungsfrist (dazu 2.) am 31. Dezember 2008. Der streitgegenständliche Festsetzungsbescheid vom 24. März 2010 erging aber erst nach Ablauf dieser Frist.

    1. Dabei geht der Senat – ohne dass es hier entscheidend darauf ankäme – davon aus, dass die regelmäßige Verjährungsfrist von zwei bzw. drei Jahren nach § 4 Abs. 4 Satz 1 WasEG nach Ablauf des Veranlagungsjahres, also jeweils am 1. Januar des Folgejahres, beginnt.

    § 4 Abs. 4 Satz 3 WasEG, wonach der Lauf der Frist mit der gesetzlich oder behördlich bestimmten Frist nach § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 WasEG beginnt, ist für den Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist nicht maßgeblich, weil er sich bei sachgerechter Auslegung nur auf § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG bezieht und den Beginn der dort für den Fall unrichtiger oder unvollständiger Angaben normierten zehnjährigen Festsetzungsfrist regelt. § 4 Abs. 4 Satz 1 WasEG enthält nämlich anders als § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG - mit der Wendung "nach Ablauf des Veranlagungsjahres" in Verbindung mit der Legaldefinition des Veranlagungszeitraums in § 4 Abs. 2 WasEG bereits eine Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist. Die Wendung "nach Ablauf des Veranlagungsjahres" wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erst nachträglich in § 4 Abs. 4 Satz 1 WasEG zur "Klarstellung" eingefügt.
    Vgl. hierzu: Landtag Nordrhein-Westfalen, Druck-sache 13/4890, Anhang 1, S. 4.

    Würde man § 4 Abs. 4 Satz 3 WasEG auch auf Satz 1 beziehen, stünden die Regelungen hinsichtlich des Beginns der regelmäßigen Festsetzungsfrist in einem durch Auslegung nicht mehr zu behebenden Widerspruch.

    Ob diese Regelung, nach der die Verjährungsfrist zu laufen beginnt, bevor der Behörde die maßgeblichen Entscheidungsgrundlagen vorliegen, sinnvoll ist, hat das Gericht nicht zu beurteilen. Sie entspricht jedenfalls ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers.

    Die zuletzt vom Beklagten vertretene Ansicht, der Lauf der Festsetzungsfrist beginne erst mit der tatsächlichen Abgabe der Erklärung des Entgeltpflichtigen über die im Veranlagungszeitraum entnommene Wassermenge - hier also am 26. Januar 2010 -, da es Sinn und Zweck von Festsetzungsfristen sei, der Festsetzungsbehörde eine "Entscheidungsfrist" zu gewähren, lässt sich mit dem Wortlaut des Wasserentnahmeentgeltgesetzes nicht vereinbaren. In diesem Gesetz fehlt nämlich gerade eine entsprechende Vorschrift zu § 77 Abs. 2 Satz 2 1. Hs. LWG, wonach im Fall der Abgabeerklärung die Festsetzungsfrist für die Abwasserabgabe erst mit der Vorlage der notwendigen Daten und Unterlagen durch den Abgabepflichtigen bei der Festsetzungsbehörde beginnt.

    2. Die zehnjährige Festsetzungsfrist des § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG findet hier entgegen der Auffassung des Beklagten keine Anwendung. Nach dieser Norm beträgt die Festsetzungsfrist zehn Jahre, wenn der Entgeltpflichtige unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat und dadurch das Wasserentnahme-entgelt verkürzt wird.

    Vorliegend hat die Klägerin jedoch nicht unvollständige oder unrichtige Angaben i.S.d. § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG gemacht. Vielmehr hat sie bis zum 26. Januar 2010 gegenüber der Bezirksregierung E. überhaupt keine Angaben über die von ihr im Veranlagungsjahr 2006 entnommene Wassermenge sowie die Art der Verwendung gemacht. Diese nicht erfolgten Angaben sind aber keine - was hier allein in Betracht kommt - unvollständigen Angaben i.S.d. § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG.

    "Unvollständig" bedeutet nach dem allgemeinen Sprachgebrauch "nicht alle zu einem Ganzen erforderlichen Teile habend".
    Vgl. DUDEN, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Band 6, S. 2715.

    Ausgehend von diesem allgemeinen Sprachgebrauch liegen unvollständige Angaben i.S.d. § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG nur dann vor, wenn der Entgeltpflichtige nicht alle der nach § 3 Abs. 2 Satz 1 WasEG relevanten Angaben, sondern nur einen Teil dieser Angaben gemacht hat. Der Fall, dass der Entgeltpflichtige überhaupt keine Angaben macht, ist hiervon - entgegen der Ansicht des Beklagten - nicht erfasst. Eine Auslegung des Begriffs "unvollständig" in § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG dergestalt, dass auch das Unterlassen jeglicher Angaben hierunter fiele, ginge über die Grenzen des Wortlauts hinaus. Eine Auslegung über die Wortlaut- bzw. Wortsinngrenze hinaus ist im Abgabenrecht aber grundsätzlich unzulässig.
    Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. November 2003 - 9 C 4.03 -, juris Rdnr. 19 = BVerwGE 119, 258 (260), Urteil vom 24. März 1999 - 8 C 27.97 -, juris Rdnr. 18 = BVerwGE 108, 364 (367), Urteil vom 1. März 1996 - 8 C 29.94 -, juris Rdnr. 18 = BVerwGE 100, 323 (332).

    Selbst wenn man jedoch die vom Beklagten vertretene Interpretation des Begriffs "unvollständig" in § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG als noch von der abgabenrechtlich maßgeblichen Auslegungsgrenze des Wortlauts bzw. Wortsinns erfasst ansähe, überzeugt die Auslegung des Beklagten nicht.

    Der Wortlaut legt das Normverständnis des Beklagten jedenfalls nicht nahe. Wenn der Gesetzgeber den Fall einer Verletzung der Erklärungspflicht hätte erfassen wollen, hätte es sich aufgedrängt, dies auch ausdrücklich zu formulieren. Dazu hätte die bloße Einfügung des Wortes "keine" in § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG ausgereicht.

    Gegen die Annahme des Beklagten, dass die zehnjährige Verjährungsfrist nach § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG auch Fälle der pflichtwidrigen Nichtabgabe erfassen soll, spricht außerdem maßgeblich, dass das Gesetz für diese Fälle in § 3 Abs. 2 Satz 3 WasEG eine eigenständige Sanktionsregelung enthält, die eine Verlängerung der Verjährungsfrist in aller Regel – vorbehaltlich praktisch zu vernachlässigender, hier im Übrigen nicht einschlägiger Fallgestaltungen bei wasserrechtlich erlaubnisfreien, aber gleichwohl trotz der Befreiungstatbestände nach § 1 Abs. 2 WasEG entgeltpflichten Entnahmen - als entbehrlich erscheinen lässt. Nach § 3 Abs. 2 Satz 3 WasEG schätzt die zuständige Behörde die Wassermenge, wenn der Entgeltpflichtige seiner Erklärungspflicht nicht oder nicht rechtzeitig nachkommt. Dabei ist im Regelfall die in dem Recht oder der Befugnis zugelassene Entnahmemenge zugrunde zu legen (§ 3 Abs. 2 Satz 4 WasEG).

    Für eine rechtmäßige Festsetzung im Wege der Schätzung ist die Behörde mithin auf die Angaben des Entgeltpflichtigen nicht angewiesen; sie kann vielmehr von der wasserrechtlich erlaubten Höchstmenge ausgehen.

    Daher gebietet auch der erkennende Sinn und Zweck der Verjährungsregelung die Ausdehnung auf Fälle der Nichtabgabe der Erklärung nicht insbesondere besteht der vom Beklagten für seine Ansicht angeführte Wertungswiderspruch nicht, dass bei anderer Interpretation des Begriffs "unvollständig" in § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG der bloß fahrlässig unvollständig Erklärende zehn Jahre mit einer Entgeltfestsetzung rechnen müsse, während der vorsätzlich nicht Erklärende sich bereits nach zwei Jahren auf Festsetzungsverjährung berufen könne. Das gilt jedenfalls in dem - auch hier gegebenen - Normalfall, dass die Wasserentnahme von einer wasserbehördlichen Zulassung gedeckt ist, nicht. Dabei ging der Gesetzgeber bei der Einführung des Wasserentnahmeentgelts im Jahr 2004 ausweislich der Gesetzesbegründung davon aus, dass die wasserrechtlichen Zulassungen bei den Wasserbehörden in digitaler Form vorliegen und damit der Festsetzungsbehörde zügig übermittelt werden können.
    Vgl. hierzu: Landtag Nordrhein-Westfalen, Druck-sache 13/4528, S. 2.

    Kennt die Festsetzungsbehörde - infolge der Übermittlung durch die Wasserbehörde - die wasserrechtliche Zulassung, kann sie relativ leicht feststellen, welcher Zulassungsinhaber bis zum 1. März des auf das Veranlagungsjahr folgenden Jahres keine Erklärung i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 WasEG abgegeben hat. Die zweijährige Festsetzungsfrist des § 4 Abs. 4 Satz 1 WasEG zur daraufhin erfolgenden Schätzung der entnommenen Wassermenge nach § 3 Abs. 2 Satz 3 und 4 WasEG durch die Festsetzungsbehörde erscheint daher nicht als zu knapp bemessen. Dabei hat der Gesetzgeber die Festsetzungsfrist für die ersten beiden Jahre der Wasserentnahmeentgelterhebung (2004 und 2005) im Hinblick darauf, dass der Erhebungsaufwand zu Beginn des Vollzuges im Einzelfall mehr Zeit in Anspruch nehmen kann, sogar auf drei Jahre festgelegt.
    Vgl. hierzu: Landtag Nordrhein-Westfalen, Druck-sache 13/4528, S. 31.

    Gibt ein Zulassungsinhaber allerdings eine unrichtige oder unvollständige Erklärung i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 WasEG ab, ist die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Erklärung für die Festsetzungsbehörde nicht ohne Weiteres erkennbar - ggf. muss sie weitere (langwierige) Sachverhaltsermittlungen durchführen -, weshalb in diesem Fall eine längere Festsetzungsfrist von zehn Jahren gerechtfertigt erscheint.

    Ausweislich der von den beiden Vertreterinnen der Bezirksregierung E. in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben hat der Gesetzgeber bei der Einführung des Wasserentnahmeentgelts im Jahr 2004 den Verwaltungsaufwand zur Erhebung des Wasserentnahmeentgelts allerdings unterschätzt und die Zusammenarbeit zwischen den Wasserbehörden und der Festsetzungsbehörde überschätzt. Entgegen der Annahme des Gesetzgebers lag nur ein geringer Teil der Daten über wasserrechtliche Erlaubnisse bei den Wasserbehörden in digitaler Form vor. Selbst die Weitergabe der vorhandenen digitalen Daten erfolgte – u.a. wegen datenschutzrechtlicher Bedenken – nur zögerlich. Die Übertragung des auf Karteikarten erfassten Datenbestandes in die Akten der für die Erhebung des Wasserentnahmeentgelts zuständigen Behörde – bis Ende 2006 das Landesumweltamt, seit 2007 die Bezirksregierung E. – erforderte weit mehr Zeit als vom Gesetzgeber angenommen und ist bislang nicht vollständig abgeschlossen.

    Dass die für Fälle der pflichtwidrigen Nichtabgabe der Erklärung nach § 3 Abs. 2 WasEG vom Gesetzgeber vorgesehene Sanktion aufgrund dieser Umstände in vielen Fällen nicht gegriffen hat, mag aus Sicht des Beklagten misslich sein. Gleichwohl ist es nicht Aufgabe der Gerichte, rechtspolitische Irrtümer des Gesetzgebers und behördliche Vollzugsdefizite durch eine vom Gesetzeswortlaut jedenfalls nicht nahegelegte und von der Gesetzessystematik nicht gedeckte Gesetzesauslegung nachträglich zu korrigieren.

    Eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG auf Fälle der Nichtabgabe der Erklärung kommt nicht in Betracht.

    Für eine Analogie fehlt es nach den vorstehenden Ausführungen nämlich bereits an der erforderlichen planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat keine denkbare Fallgestaltung – hier: die Nichtabgabe der Erklärung – bei der Regelung der Festsetzungsverjährung übersehen, sondern sich – wenn auch aufgrund unzutreffender Sachverhaltsannahmen – für eine andere Sanktion des Pflichtverstoßes entschieden, die er anscheinend als ausreichend angesehen hat. Anhaltspunkte dafür, dass der nordrhein-westfälische Gesetzgeber die zehnjährige Verjährungsfrist auf diese Fallgestaltung anwenden wollte, sind nicht ersichtlich.

    Im Übrigen verstieße eine analoge Anwendung des § 4 Abs. 4 Satz 2 WasEG auf den Fall, dass der Entgeltpflichtige überhaupt keine Erklärung i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 WasEG abgibt, gegen das im Abgabenrecht geltende Analogieverbot zu Lasten des Abgabenschuldners.
    Vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 24. März 1999

    - 8 C 27.97 -, juris Rdnr. 18 = BVerwGE 108, 364 (367), Urteil vom 1. März 1996 - 8 C 29.94 -, juris Rdnr. 18 = BVerwGE 100, 323 (332).

    Dieses Verbot gilt auch für Verjährungsvorschriften, soweit ihre analoge Anwendung auf gesetzlich nicht geregelte Fälle zu Lasten des Abgabenschuldners geht, wie etwa im vorliegenden Fall einer längeren Festsetzungsverjährungsfrist oder etwa im Fall der "Schaffung" eines weiteren Ablaufhemmungstatbestandes i.S.d. § 171 AO.
    Vgl. hierzu: Kruse, in: Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, Loseblatt, Stand: November 2011, § 171 Rdnr. 1 m.w.N.; Banniza, in: Hübschmann/Hepp/

    Spitaler, Kommentar zur AO, Loseblatt, Stand: Dezember 2011, § 171 Rdnr. 7 m.w.N.

    Denn der Zeitpunkt des Erlöschens der Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis muss für alle Beteiligten bereits aus dem Gesetz heraus - jedenfalls im Wege juristischer Auslegungsmethoden - klar zu ersehen sein.
    Vgl. zu diesem rechtsstaatlichen Grundsatz der Normenklarheit im Abgabenrecht: Lichtenfeld, in: Driehaus, Kommentar zum Kommunalabgabenrecht, Loseblatt, Stand: Juli 2011, § 4 KAG NRW Rdnr. 8 m.w.N.

    Soweit der Bundesfinanzhof in einer neueren Entscheidung,
    vgl. BFH, Urteil vom 14. Februar 2007 - II R 66.05 -, juris Rdnr. 17 = BFHE 217, 176 (179),

    eine Analogie auch zum Nachteil des Steuerpflichtigen für möglich hält, wenn sich einwandfrei ergibt, dass eine Lücke im Gesetz vorliegt, und aus dem Gesetzeswortlaut oder aus den Gesetzesmaterialien eindeutig zu entnehmen ist, dass es Rechtsprinzipien gibt, nach denen diese Lücke zu schließen ist, liegen diese Voraussetzungen hier nicht vor. Denn zum einen besteht vorliegend - wie zuvor ausgeführt - schon keine planwidrige Regelungslücke. Zum anderen ergäben sich weder aus dem Wortlaut des Wasserentnahmeentgeltgesetzes noch aus seinen Gesetzesmaterialien eindeutige Rechtsprinzipien zur "Lückenschließung". Vielmehr heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 4 WasEG lediglich: "Die Absätze 3 und 4 regeln die Fälligkeit, die Verjährung der Ansprüche und die Festsetzungsfristen. Die Festsetzungsfristen für die ersten beiden Jahre beträgt drei Jahre, da der Erhebungsaufwand zu Beginn des Vollzuges im Einzelfall mehr Zeit in Anspruch nehmen kann."
    Vgl. Landtag Nordrhein-Westfalen, Drucksache 13/4528, S. 31.

    Der Gefahr einer Verjährung des Anspruchs auf das Wasserentnahmeentgelt hätte der Gesetzgeber ebenso gut mit einer Verlängerung der Verjährungsfrist wie mit einem – entsprechend § 77 Abs. 2 LWG – späteren Fristbeginn begegnen können.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 132 Abs. 2 VwGO) nicht vorliegen.

    RechtsgebieteWasEG, NWVorschriften§ 3 Abs. 2 S. 1 WasEG,NW § 4 Abs. 4 S. 1, 3 WasEG,NW § 10 Abs. 1 Buchst. d WasEG,NW § 47 AO

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