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  • 28.06.2011

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 25.03.2011 – 9 K 2386/10

    Die ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift in Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO ist nicht zu beanstanden, soweit danach ein Erlass von Nachzahlungszinsen bei einer vorzeitigen Zahlung nur für jeweils volle Monate vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung in Betracht kommt.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat der Richter am Finanzgericht als Einzelrichter des 9. Senats nach § 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 25. März 2011 für Recht erkannt:

    Tatbestand

    Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte verpflichtet ist, gegenüber der Klägerin festgesetzte Nachzahlungszinsen in Höhe von 3.186,40 EUR wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen.

    Die Klägerin reichte Anfang April 2009 ihre Einkommensteuererklärung für das Jahr 2007 beim Beklagten ein. Im Anschluss hieran zahlte die Klägerin am 09.04.2009 die sich danach voraussichtlich ergebenden Nachzahlungen an Einkommensteuer in Höhe von 910.412 EUR sowie die darauf entfallenden Nebenforderungen (Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer) an die Finanzkasse des Beklagten und bat darum, den Betrag in Höhe von insgesamt 1.115.471,08 EUR in Verwahrung zu nehmen und gesondert zu verbuchen. Dem stimmte der Beklagte zu und nahm den Betrag an.

    Mit Einkommensteuerbescheid vom 25.11.2009 wurde die Einkommensteuer für 2007 auf 946.789 EUR festgesetzt, wobei nach Abzug von Lohn- und Kapitalertragsteuer sowie Zinsabschlag ein verbleibender Betrag in Höhe von 910.520 EUR im Abrechnungsteil ausgewiesen wurde.

    Im Rahmen dieses Bescheids wurden Zinsen zur Einkommensteuer in Höhe von 36.420 EUR festgesetzt. Bei der Berechnung dieses Nachzahlungszinsbetrages legte der Beklagte einen Steuerbetrag in Höhe von 910.500 EUR sowie einen Verzinsungszeitraum vom 01.04.2009 bis zum 30.11.2009, mithin für acht Monate zu 0,5 % = 4 % zugrunde.

    Mit Schreiben vom 09.12.2009 beantragte die Klägerin beim Beklagten den Erlass der Zinsen in Höhe von 36.420 EUR.

    Mit Bescheid vom 05.03.2010 sprach der Beklagte einen Teilerlass der Zinsen in Höhe von 31.868 EUR aus. In diesem Bescheid, der ohne Rechtsbehelfsbelehrung erging, berechnete der Beklagte fiktive Erstattungszinsen für den Zeitraum vom 09.04.2009 bis zum 09.11.2009, mithin für sieben Monate, bezogen auf eine Bemessungsgrundlage in Höhe von 910.500 EUR Einkommensteuer und damit in Höhe von 31.868 EUR. Nicht erlassen wurde der Restbetrag der Zinsen in Höhe von 4.552 EUR (= 36.420 EUR ./. 31.868 EUR).

    Gegen diesen Teilerlass legte die Klägerin am 19.05.2010 Einspruch ein und begehrte den Erlass auch der restlichen Zinsen in Höhe von 4.552 EUR.

    Mit Einspruchsentscheidung vom 21.06.2010 wurde der Einspruch der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Dabei führte der Beklagte aus, dass zwar grundsätzlich im Falle einer vorzeitig erfolgten und vom Finanzamt angenommenen und behaltenen Zahlung ein Erlass von Nachzahlungszinsen geboten sein könne. Allerdings setze dies nach Nr. 70.1.2 des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 233 a AO ausdrücklich voraus, dass bei einer erst nach Beginn des Zinslaufs erbrachten Leistung ein voller Monat bis zur Wirksamkeit der Steuerfestsetzung vorgelegen haben müsse. Diese Voraussetzung sei im Streitfall insoweit nicht erfüllt, als gemäß der im angefochtenen Verwaltungsakt zutreffend erläuterten Berechnung unter Berücksichtigung der am 09.04.2009 erfolgten Zahlung sich volle Monate nur bis zum 09.11.2009 ergeben würden, mithin für sieben Monate. Für den verbleibenden Teil des Zinszeitraums werde hingegen kein voller Monat mehr erreicht, so dass insoweit auch keine Erlassgrundlage gegeben sei.

    Im Rahmen ihrer hiergegen fristgerecht erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, zwar seien Nachzahlungszinsen auch dann festzusetzen, wenn vor Festsetzung der Steuer freiwillige Zahlungen erbracht würden. Diese Nachzahlungszinsen seien jedoch aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, soweit der Steuerpflichtige auf die sich aus der Steuerfestsetzung ergebende Steuernachzahlung bereits vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung freiwillige Leistungen erbracht habe und das Finanzamt diese Leistungen angenommen und behalten habe.

    Die Klägerin habe am 09.04.2009 die Einkommensteuernachzahlung geleistet. Die Festsetzung der Einkommensteuer sei am 30.11.2009 wirksam geworden.

    Eine Verzinsung nach § 233 a AO solle nach dem Willen des Gesetzgebers einen Ausgleich dafür schaffen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen aus welchen Gründen auch immer zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig würden. Durch die Festsetzung von Nachzahlungszinsen solle demzufolge ein Liquiditätsnachteil des Steuergläubigers ausgeglichen werden. Mit Leistung der freiwilligen Zahlung auf ihren noch festzusetzenden Einkommensteuernachzahlungsbetrag am 09.04.2009 habe die Klägerin jedoch keinen Liquiditätsvorteil mehr gegenüber solchen Steuerpflichtigen gehabt, deren Einkommensteuer für 2007 bereits im April 2009 fällig geworden sei. Bei diesen Steuerpflichtigen wären jedoch aufgrund der Regelung des § 238 Abs. 1 Satz 2 AO keine Nachzahlungszinsen festgesetzt worden. Auch sei dem Beklagten kein Liquiditätsnachteil entstanden, der ausgeglichen werden müsse.

    Durch die Berechnung von fiktiven Erstattungszinsen gemäß Nr. 70.1.2 AEAO zu § 233 a AO werde der Monat der freiwilligen Leistung weiterhin verzinst. Bei der Ermittlung von Nachzahlungszinsen finde im Gegensatz dazu eine Verzinsung von angefangenen Monaten gemäß § 238 Abs. 1 Satz 2 AO nicht statt. Die Berechnung fiktiver Erstattungszinsen lediglich für volle Monate führe somit zu einem nicht sachgerechten Ergebnis. Insbesondere sei die in Nr. 70.1.2 AEAO zu § 233 a AO vorgesehene Methode der Berücksichtigung fiktiver Erstattungszinsen nur für volle Monate vom Gesetz nicht gedeckt.

    Zuletzt hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass sie nicht den Erlass der Nachzahlungszinsen für den gesamten Monat April in Höhe von 4.552 EUR begehre, sondern unter Berücksichtigung ihrer Zahlung vom 09.04.2009 lediglich einen Erlass in Höhe von 21/30 dieses Betrages, mithin in Höhe von 3.186,40 EUR.

    Die Klägerin beantragt,

    den Beklagten zu verpflichten, weitere Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2007 in Höhe von 3.186,40 EUR zu erlassen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen,

    im Unterliegensfalle die Revision zuzulassen.

    Der Beklagte hat im Klageverfahren auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung Bezug genommen.

    Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

    Darüberhinaus hat der Senat am 28.02.2011 den Rechtsstreit dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

    Entscheidungsgründe

    Die Klage ist nicht begründet.

    Der Beklagte war im Streitfall nicht aufgrund einer sogenannten Ermessensreduzierung auf Null dazu verpflichtet, die gesamten Nachzahlungszinsen zu erlassen.

    Darüberhinaus liegen auch keine Ermessensfehler des Beklagten im Rahmen seiner Entscheidung, einen Erlass der restlichen Nachzahlungszinsen abzulehnen, vor.

    I. Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des Falles unbillig wäre. Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehören nach § 37 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 4 auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen wie Zinsen nach den §§ 233 ff. AO.

    1. Grundsätzlich ist daher auch der Erlass von Zinsen aus Billigkeitsgründen nach § 227 AO möglich. Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen kann gegeben sein, wenn die Geltendmachung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis im Einzelfall zwar dem Wortlaut einer Vorschrift entspricht, aber nach dem Zweck des zugrundeliegenden Gesetzes nicht oder nicht in vollem Umfang zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands einer Vorschrift bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen jedoch keinen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen. Ein Erlass aus Billigkeitsgründen darf jedenfalls nicht dazu führen, die generelle Geltungsanordnung eines den Anspruch aus dem Steuerverhältnis begründenden Gesetzes zu unterlaufen (vgl. Fritsch in Pahlke/König, Kommentar zur Abgabeordnung, 2. Auflage 2009, § 227 Rn. 13 mit Nachweisen zur ständigen Rechtsprechung des BFH).

    2. Die Entscheidung über den Erlass von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis ist eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde im Sinne des § 5 AO, die gemäß § 102 FGO durch die Finanzgerichte nur eingeschränkt überprüft werden kann. Die gerichtliche Überprüfung einer solchen Ermessensentscheidung und damit auch einer Erlassentscheidung ist nach § 102 FGO darauf beschränkt, ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen überhaupt ausgeübt, ob sie bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Dabei kann aber im Einzelfall der Ermessensspielraum der Finanzbehörde so eingeengt sein, dass nur eine Entscheidung als ermessensgerecht anzusehen ist; in diesem Fall liegt eine sogenannte Ermessensreduzierung auf Null vor. Ist in einem solchen Fall nur der Erlass eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ermessensgerecht, kann das Gericht gemäß § 101 Satz 1 FGO die Verpflichtung zu diesem Erlass aussprechen (so die allgemeinen, in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätze des BFH zur Überprüfung von Ermessensentscheidungen der Finanzbehörden durch die Finanzgerichte, aus neuerer Zeit etwa BFH-Entscheidungen vom 25.08.2010 X B 149/09, BFH/NV 2011, 266; sowie vom 26.08.2010 III R 80/07, BFH/NV 2011, 401).

    3. Die Finanzverwaltung kann allerdings für die Ausfüllung der ihr eröffneten Ermessensspielräume im Rahmen sogenannter ermessenslenkender Verwaltungsvorschriften Regeln aufstellen, um damit eine möglichst einheitliche Ermessensausübung sicherzustellen. Hat die Finanzverwaltung solche Ermessensrichtlinien erlassen, so haben die Finanzgerichte grundsätzlich nur zu prüfen, ob sich die Finanzbehörden an diese ermessensausfüllenden Richtlinien gehalten haben und ob diese selbst die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhalten und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch machen. Die Finanzverwaltung ist somit in geeigneten Fällen zum Erlass von Verwaltungsvorschriften berechtigt, die das Ermessen der nachgeordneten Finanzbehörden lenken und binden. Dabei müssen diese allgemeinen und grundlegenden Vorgaben für die Ermessensausübung aber stets eine sachgerechte Ermessenausübung gewährleisten und auch Raum für abweichende Ermessensentscheidungen lassen, soweit dies nach den besonderen Umständen des Einzelfalles geboten ist (vgl. BFH-Urteile vom 24.11.2005 V R 37/04, BStBl. II 2006, 466 und vom 11.04.2006 VI R 64/02, BStBl. II 2006, 642).

    II. Die Finanzverwaltung hat für den Fall freiwilliger Zahlungen auf Steuernachforderungen vor deren Festsetzung im Rahmen des Anwendungserlasses zur Abgabenordnung allgemeine ermessenslenkende Regeln aufgestellt, wie sich der Umstand einer solchen vorzeitigen Zahlung vor Steuerfestsetzung auf die Festsetzung von Nachzahlungszinsen bzw. auf die Entscheidung über den Erlass solcher Zinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen auswirkt.

    1. Danach sind gemäß Nr. 70.1.1 AEAO zu § 233 a AO Nachzahlungszinsen zwar auch dann festzusetzen, wenn vor Festsetzung der Steuer freiwillige Leistungen erbracht werden. Diese sind jedoch aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, soweit der Steuerpflichtige auf die sich aus der Steuerfestsetzung ergebende Steuerzahlungsforderung bereits vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung freiwillige Leistungen erbracht und das Finanzamt diese Leistung angenommen und behalten hat. Nachzahlungszinsen sind damit nach Nr. 70.1.2 Satz 1 AEAO zu § 233 a AO nur für den Zeitraum bis zum Eingang der freiwilligen Leistung zu erheben.

    Zugleich sieht jedoch Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO vor, dass, soweit die freiwillige Leistung erst nach Beginn des Zinslaufs erbracht worden ist, Nachzahlungszinsen aus Vereinfachungsgründen insoweit zu erlassen sind, wie die freiwillige Leistung für jeweils volle Monate vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung erbracht worden ist (sogenannte fiktive Erstattungszinsen).

    Aus dieser Regelung des Anwendungserlasses folgt mithin, dass die Finanzverwaltung hinsichtlich des Erlasses von Nachzahlungszinsen eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift des Inhalts geschaffen hat, dass der Erlass von Nachzahlungszinsen bei einer Zahlung nach Beginn des Zinslaufs, aber vor Steuerfestsetzung nur für jeweils volle Monate zwischen der freiwilligen Zahlung und dem Wirksamwerden der Steuerfestsetzung in Betracht kommt

    Dieser Ermessensvorgabe wird die Entscheidung des Beklagten, die entstanden Nachzahlungszinsen nur für den Zeitraum zwischen dem 09.04.2009 und dem 09.11.2009 zu erlassen, in vollem Umfang gerecht. Denn nur für diesen Zeitraum hat die Klägerin ihre vorzeitige Zahlung in vollen Monaten vor Wirksamwerden der Steuerfestsetzung am 30.11.2009 erbracht. Der Beklagte hat sich daher an die für ihn verbindliche Ermessensrichtlinie gehalten und im Rahmen seiner Ermessensentscheidung das Vorliegen von deren Voraussetzungen eingehend dargelegt. Eine weitergehende Begründung seiner Ermessensentscheidung oblag ihm dagegen nicht.

    2. Die ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift der Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO gewährleistet eine sachgerechte Ermessensausübung durch die nachgeordneten Finanzbehörden, wahrt dabei auch selbst die gesetzlichen Grenzen des Ermessens und macht von dem gesetzlich eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch. Insbesondere bewirkt die Ermessensrichtlinie auch keine planmäßige und damit ermessensfehlerhafte Benachteiligung der Steuerpflichtigen.

    Denn zunächst einmal kann diese Regelung immer nur dazu führen, dass allenfalls für einen Monat mehr Nachzahlungszinsen erhoben als erlassen werden. Denn endet der Zinslauf noch in dem Monat, in dem auch der letzte volle Monat seit der freiwilligen Zahlung endet, so kann es zu keinem Auseinanderfallen von festzusetzenden und zu erlassenden Nachzahlungszinsen kommen. Das heißt, wäre also die Steuerfestsetzung im Streitfall zwischen dem 09.11. und dem 29.11.2009 wirksam geworden, wären für den Monat November 2009 gemäß § 238 Abs. 1 Satz 2 AO keine Nachzahlungszinsen mehr entstanden. Der Umfang der festzusetzenden (vom 01.04. bis zum 31.10.2009 = 7 Monate) und der zu erlassenden (vom 09.04. bis zum 09.11.2009 = 7 Monate) Nachzahlungszinsen wäre mithin identisch gewesen. Nur bei einem Ende des Zinslaufs in der Zeit vom 30.11 bis zum 08.12.2009 ergab sich ein weiterer voller Monat, in dem Nachzahlungszinsen entstehen konnten, nunmehr insgesamt für die Zeit vom 01.04. bis zum 30.11.2009, mithin für 8 volle Monate. Mit einem Wirksamwerden der Steuerfestsetzung ab dem 09.12. bis zum 30.12.2009 hätte wiederum die Anzahl der vollen Monate zwischen freiwilliger Zahlung und dem Ende des Zinslaufs 8 volle Monate (09.04. bis zum 09.12.2009) betragen, der Umfang der festzusetzenden und der zu erlassenden Nachzahlungszinsen wäre wieder identisch gewesen. Die Zeitspanne, innerhalb derer es zu einer Unterschiedlichkeit der festzusetzenden und der zu erlassenden Nachzahlungszinsen kommen kann, verlängert sich zwar zu Lasten des Steuerpflichtigen, je später im Monat die freiwillige Leistung erbracht wird – bei einer freiwilligen Leistung etwa zum 20. eines Monats liegt diese Zeitspanne zwischen dem 1.und dem 19. des jeweiligen Folgemonats, bei einer freiwilligen Leistung zum 30. eines Monats beträgt diese Zeitspanne immerhin 29 Tage. Allerdings hat gerade im zuletzt genannten Beispiel der Steuerpflichtige den Liquiditätsvorteil, um dessen Abschöpfung sich die Verzinsungsregelungen der §§ 233 ff. AO aus Gründen der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen bemühen, im Zahlungsmonat für einen vollen Monat (freiwillige Zahlung am 30.04., Ende des Zinslaufs zwischen dem 30.11 und dem 29.12.; festzusetzende Nachzahlungszinsen daher für die Zeit vom 01.04. bis zum 30.11.2009 = insgesamt 8 volle Monate, zu erlassende Nachzahlungszinsen für die Zeit vom 30.04. bis längsten zum 29.12.2009 = insgesamt 7 volle Monate) genossen, sodass die Festsetzung und der Nichterlass von Nachzahlungszinsen für diesen Zeitraum von einem Monat – den Monat April – weder als unbillig noch als unverhältnismäßig anzusehen ist.

    Das Gericht stuft daher diese wirtschaftliche und finanzielle Belastung des Steuerpflichtigen mit Nachzahlungszinsen von 0,5 % für einen Monat als zumindest derart überschaubar ein, dass von einem Verstoß gegen Verhältnismäßigkeitsmaßstäbe oder Grundsätze des Verbots der Übermaßbelastung nicht ernsthaft gesprochen werden kann.

    3. Die Ermessensvorgabe der Nr. Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO verstößt aber auch nicht gegen die grundlegenden in den §§ 233 a Abs. 2, 238 Abs. 1 Satz 2 AO zum Ausdruck gekommen gesetzgeberischen Wertungen zur Dauer des Zinslaufes, wonach Nachzahlungszinsen nur für jeweils volle Monate zu erheben sind.

    Zwar hat im Streitfall ein Liquiditätsvorteil der Klägerin allenfalls für die Zeitdauer vom 01.04. bis zum 09.04.2009 und damit nur für 9 Tage bestanden, sodass im Ergebnis ein voller Monat für die Erhebung von Nachzahlungszinsen nicht erreicht wird. Andererseits gilt die Regelung des § 238 Abs. 1 Satz 2 AO auch für Erstattungszinsen. Das heißt, dass auch im Falle eines Erstattungsanspruchs aufgrund von überbezahlten Vorauszahlungen und/oder Steuerabzugsbeträgen im Wege der Lohn- oder Kapitalertragsteuer oder des Zinsabschlags nach der gesetzgeberischen Konzeption des § 238 Abs. 1 Satz 2 AO eine Verzinsung dieser Erstattungsbeträge ebenfalls nur für volle Monate vorzunehmen ist. Wird also etwa eine Steuerfestsetzung mit einem Erstattungsbetrag nach Ablauf der Karenzzeit zum 29. eines Monats wirksam, so braucht der Steuergläubiger diesen ihm entstandenen Liquiditätsvorteil für die Zeitspanne von nahezu einem Monat nicht zu verzinsen, weil der Zinslauf nicht die Zeitdauer eines vollen Monats erreicht. Dies bedeutet aber zugleich, dass bereits nach der gesetzlichen Grundkonzeption der Steuerpflichtige Zinsnachteile jedenfalls in dem Fall hinnehmen muss, in dem ihm ein an sich nach § 233 a AO zu verzinsender Erstattungsanspruch gegen den Steuergläubiger zusteht, dessen Verzinsung jedoch deshalb unterbleibt, weil die Zeitdauer des Zinslaufs keinen vollen Monat beträgt. Muss aber der Steuergläubiger im Falle einer Erstattungsverpflichtung einen ihm nahezu einen Monat verbleibenden Liquiditätsvorteil nicht verzinsen, so widerspricht es gleichfalls nicht grundlegenden gesetzgeberischen Wertungen, wenn sich der Erlass von Nachzahlungszinsen auf die Zeitdauer von vollen Monaten zwischen der vorzeitigen Leistung und dem Ende des Zinslaufs beschränkt. Die gesetzlich in § 238 Abs. 1 Satz 2 AO angeordnete wirtschaftliche und finanzielle Belastung durch die unterbleibende Verzinsung eines Erstattungsanspruchs steht insoweit demjenigen Nachteil gleich, den der Steuerpflichtige dadurch erleidet, dass er für einen vollen Monat Nachzahlungszinsen auf einen Steuerbetrag bezahlen muss, den er unter Umständen nur für wenige Tage zur Verfügung hatte und über den der Steuergläubiger sodann ohne Liquiditäts- und Zinsnachteile uneingeschränkt verfügen konnte. Und ebenso stehen diese sowohl vom Erstattungsgläubiger als auch vom freiwillig Leistenden zu tragenden Zinsnachteile denjenigen gleich, die der Steuergläubiger selbst zu tragen hat, soweit sein Steuernachforderungsanspruch keinen vollen Monat des Zinslaufs erreicht.

    Die Ermessensvorgabe der Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO gewährleistet daher im Ergebnis eine sachgerechte Ermessensausübung.

    4. Im Streitfall sind auch keine besonderen Umstände ersichtlich, die es erforderlich machen würden, von den ermessensregelnden Vorgaben des Anwendungserlasses abzuweichen.

    Der Gesetzgeber hat in den §§ 233 a Abs. 2, 238 Abs. 1 Satz 2 AO eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung im Bereich der Nachzahlungs- und der Erstattungszinsen eine taggenaue Zinsberechnung nicht für geboten erachtet, sondern die monatsweise Berechnung und Berücksichtigung von Erstattungs- und Nachforderungszinsen als gerechtfertigt ansieht. Dem hat sich die Finanzverwaltung für den Bereich des Erlasses von Nachzahlungszinsen wegen vorzeitiger Zahlungen im Rahmen einer Ermessensrichtlinie angeschlossen. Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass die besondere Situation des Erlasses von Nachzahlungszinsen bei freiwilliger Leistung eine abweichende, nämlich taggenaue Betrachtung erfordert, oder gar die Regelung des § 238 Abs. 1 Satz 2 AO hinsichtlich des Entstehens von Nachzahlungszinsen nur für jeweils volle Monate zwingend zu einem vollständigen Erlass aller Nachlasszahlungszinsen führen muss.

    Denn wie bereits dargelegt, müssen im Anwendungsbereich des § 238 Abs. 1 Satz 2 AO sowohl Steuergläubiger als auch Steuerpflichtiger Zinsnachteile hinnehmen, sodass die Entstehung vergleichbarer Nachteile beim Erlass von Nachzahlungszinsen keine Korrektur erfordert. Zudem handelt es sich um wirtschaftlich und finanziell überschaubare Nachteile, die zudem noch, je nach dem, zu welchem Zeitpunkt im Monat der Steuerpflichtige seine freiwillige Zahlung erbracht hat, durch entsprechende Liquiditätsvorteile erheblich gemildert sein können.

    Darüberhinaus hat es der Steuerpflichtige auch selbst in der Hand, durch eine Zahlung vor Ablauf oder zumindest zum Ablauf der Karenzzeit sicherzustellen, dass festzusetzende und zu erlassende Nachzahlungszinsen in ihrem Umfang nicht zu seinem Nachteil voneinander abweichen.

    5. Auch wenn daher im Ergebnis möglicherweise eine taggenaue Berechnung von Nachzahlungszinsen in Fällen der freiwilligen Vorabzahlung allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen eher entgegenzukommen vermag und auch unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten die größere Nachvollziehbarkeit und Akzeptanz dafür sprechen könnte, in diesen Fällen Nachzahlungszinsen taggenau ab dem Zahlungszeitpunkt zu erlassen, so führen diese Erwägungen im Streitfall nicht zur Feststellung einer Ermessensreduzierung auf Null. Denn die genannten Gründe der Verwaltungsvereinfachung, die gesamte gesetzgeberische Konzeption im Bereich des § 238 Abs. 1 Satz 2 AO, die begrenzte Anzahl der Fallkonstellationen, in denen die Problematik akut wird sowie insbesondere die überschaubaren nachteiligen wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen verdeutlichen, dass die Ermessensregelung der Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO zumindest vertretbar ist.

    6. Da im Streitfall auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass dem Beklagten im Rahmen seiner Ermessensentscheidung ein Ermessensfehler, etwa in Gestalt eines Ermessensnichtgebrauchs, eines Ermessensfehlgebrauchs oder einer Ermessensüberschreitung, unterlaufen ist, ist die Klage insgesamt unbegründet.

    III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    IV. Das Gericht lässt die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu, da die Klägerin mit beachtlichen Argumenten die Rechtmäßigkeit der ermessensregelnden Verwaltungsvorschrift der Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO angreift, zu dieser Frage bislang nur Entscheidungen von Finanzgerichten mit unterschiedlichen Ergebnissen vorliegen (vgl. Urteile des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 24.04.2002 2 K 651/00, EFG 2003, 135 sowie vom 18.06.2002 6 K 449/00, EFG 2003, 17; des Finanzgerichts München vom 21.05.2003 10 K 1892/00, EFG 2003, 1512 sowie des Finanzgerichts Nürnberg vom 21.01.2004 III 30/2002, n.v.) und daher eine klärende höchstrichterliche Stellungnahme erforderlich erscheint.

    VorschriftenAO § 233a, AO § 5, FGO § 102, AO § 227

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