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  • 20.11.2019 · IWW-Abrufnummer 212339

    Amtsgericht Köln: Beschluss vom 08.10.2019 – 503 Gs 1630/19, 113 Js 952/13

    Diese Entscheidung enhält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.



    Tenor:

    wird gemäß § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog die bei der Durchsuchungsmaßnahme am 10.09.2019 am Arbeitsplatz des Beschuldigten D. in den Räumlichkeiten der Commerzbank AG, Dienstleistungszentrum (DLZ), in M. erfolgte vorläufige Sicherstellung des Leitz-Ordners mit der Aufschrift „Bonds XX“ – mit Ausnahme des Aktenvermerks von Rechtsanwältin Dr. N.Y. (E. & K. Rechtsanwälte PartG mbB) vom 27.02.2018 – richterlich bestätigt.

    Der Aktenvermerk vom 27.02.2018 (7 Seiten) ist unverzüglich auszusondern und ungelesen an Rechtsanwältin Dr. N.Y. herauszugeben.
     
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    G r ü n d e:
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    I.
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    Gegen den Beschuldigten D. bestehen nach den bisherigen Ermittlungen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Beteiligung an dem verfahrensgegenständlichen Steuerhinterziehungsmodell durch Cum/Ex-Geschäfte mit Leerverkäufen in seiner Eigenschaft als verantwortlicher Mitarbeiter des Kreditinstituts Commerzbank AG in den Jahren ab 2006. Ihm wird vorgeworfen, gemeinsam mit weiteren verantwortlichen Mitarbeitern der Commerzbank AG seit dem Jahr 2006 durch Wertpapierleihen oder Wertpapierverkäufe auf Ex/Ex-Basis mittelbar oder unmittelbar Leerverkäufer nach dem Dividendenstichtag mit Aktien beliefert zu haben, damit diese ihre zuvor „cum“ abgeschlossenen Verpflichtungsgeschäfte „ex“ erfüllen konnten. Zudem liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Commerzbank AG im Rahmen von Cum/Ex-Geschäften unter Nutzung von ETFs als Authorized Participant agierte und zudem als inländische Depotbank ausländischer Leerverkäufer keine KESt abgeführt hat.
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    Durch Beschluss des Amtsgerichts Köln vom 28.06.2019 (Az. 503 Gs 1038/19 – 1041/19) wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft Köln gemäß §§ 102, 105 StPO die Durchsuchung des Arbeitsplatzes des Beschuldigten D. bei der Commerzbank AG angeordnet. Wegen der Einzelheiten des zugrunde liegenden Sachverhalts und der verdachtsbegründenden Umstände wird auf die Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Köln vom 28.06.2019 (Az.: 503 Gs 1028/19 – 1041/19) Bezug genommen.
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    Im Rahmen der am 10.09.2019 aufgrund der vorbezeichneten Durchsuchungsbeschlüsse durch die Staatsanwaltschaft Köln in den Räumlichkeiten der Commerzbank AG, Dienstleistungszentrum (DLZ), durchgeführten Durchsuchungsmaßnahme wurde u.a. am Arbeitsplatz des Beschuldigten D. ein Leitz-Ordner mit der Aufschrift „Bonds XX“ (Asservat 00) sichergestellt.
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    Auf der ersten abgehefteten Seite befindet sich eine Belehrung des Beschuldigten durch die Kanzlei C aus dem Jahr 2018, welche von der Commerzbank AG beauftragt worden war, Interviews im Rahmen einer internen Untersuchung zu sog. Cum/Ex-Geschäften durchzuführen. Hinter der ersten Lasche ist ein entsprechendes Gesprächsprotokoll abgeheftet und hinter den nachfolgenden Laschen befinden sich nach grober Sichtung augenscheinlich Emailverkehr aus den Jahren 2007 bis 2010. Der Leitz-Ordner wurde daraufhin gemäß § 110 StPO vorläufig zur Sichtung als Asservat 00 sichergestellt.
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    Im Rahmen der Anfertigung des Sicherstellungsverzeichnisses merkte die Verteidigerin des Beschuldigten D. – Rechtsanwältin Dr. N.Y. – an, dass sich in dem Ordner ein Aktenvermerk aus dem Jahr 2018 von ihr befinde, bei dem es sich um beschlagnahmefreie Verteidigungsunterlagen handele. Die Verteidigerin hat der vorläufigen Sicherstellung sowie der Sichtung des von ihr gefertigten Vermerks, der sich in dem Leitz-Ordner befindet, widersprochen und die sofortige Herausgabe des Aktenvermerks an die verlangt.
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    II.
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    Die Mitnahme des verfahrensgegenständlichen Leitz-Ordners mit der Aufschrift „Bonds XX“ zur ersten Durchsicht stellt noch keine Beschlagnahme dar, sondern eine Mitnahme zur Durchsicht nach § 110 StPO, die dazu dient, mögliche in dem Aktenordner als Beweismittel für das Verfahren in Betracht kommende Unterlagen, die dann der Beschlagnahme unterliegen, auszusondern. Die Durchsicht der sichergestellten Unterlagen ist wegen des Umfangs der Asservate noch nicht abgeschlossen, sondern dauert an, so dass die Beweisbedeutung der Unterlagen für die Untersuchung noch ungeklärt ist. Entsprechend dieser Verfahrenssituation ist nicht die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme, sondern der vorläufigen Sicherstellung der Gegenstände zum Zwecke der Durchsicht zu beschließen. Da es sich bei der Mitnahme zur Durchsicht nach § 110 StPO noch um einen Teil der Durchsuchung handelt, ist in entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO ein Antrag auf richterliche Entscheidung zulässig (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, Rn. 10 zu § 110).
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    Die Sicherstellung/ Mitnahme des verfahrensgegenständlichen Leitz-Ordners mit der Aufschrift „Bonds XX“ ist – mit Ausnahme des Aktenvermerks vom 27.02.2018 (7 Seiten) – zu bestätigen.
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    1.) Die vorläufige Sicherstellung sowie die Mitnahme zur Durchsicht des vorgenannten Aktenordners hält sich in den Grenzen der Beschlüsse des Amtsgerichts Köln vom 28.06.2019, mit dem die Durchsuchung des Arbeitsplatzes des Beschuldigten D. in den Räumlichkeiten der Commerzbank AG und der Person des Beschuldigten sowie der ihm gehörenden Sachen angeordnet wurde.
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    Die Durchsuchungsbeschlüsse des Amtsgerichts Köln vom 28.06.2019 waren unter anderem gerichtet auf die Auffindung von Unterlagen und Aufzeichnungen, die Aufschluss über die handelnden und verantwortlichen Personen betreffend die sog. Cum/Ex-Geschäfte, Absprachen unter diesen, deren Kenntnisstand zu den vorgenannten Geschäften sowie deren steuerliche Zulässigkeit geben, insbesondere Geschäftsverteilungspläne, Organigramme, Protokolle über Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen, Berichte an den Aufsichtsrat, Risikoberichte, Arbeitspapiere, sonstige interne Berichte sowie E-Mail- und Schriftverkehr zwischen diesen Personen etc.
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    Ob sich Unterlagen mit dem vorgenannten Inhalt in dem als Asservat 00 sichergestellten Leitz-Ordner mit der Aufschrift „Bonds XX“ befinden, ist durch deren Durchsicht gerade zu klären.
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    Die vorläufig sichergestellten Unterlagen sind Papiere im Sinne von § 110 StPO oder ihnen gleichzusetzen. Die Vorschrift erfasst alle Gegenstände, die wegen ihres Gedankeninhalts Bedeutung haben, namentlich alles private und berufliche Schriftgut, aber auch Mitteilungen und Aufzeichnungen aller Art, gleichgültig auf welchem Informationsträger sie festgehalten sind. Schließlich durfte der Leitz-Ordner mit der Aufschrift „Bonds XX“ auch von dem Arbeitsplatz des Beschuldigten D. mitgenommen werden, weil die Beschaffenheit der Unterlagen eine sofortige Durchsicht an Ort und Stelle nicht ermöglichte. In welchem Umfang die inhaltliche Durchsicht des Materials notwendig ist, wie sie im Rahmen von § 110 StPO im Einzelnen zu gestalten und wann sie zu beenden ist, unterliegt zunächst der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die hierbei einen eigenverantwortlichen Ermessensspielraum hat. Derzeit ist die erforderliche Prüfung noch nicht abgeschlossen. Auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist angesichts der erst am 10.09.2019 erfolgten Sicherstellung der Unterlagen sowie der Komplexität des Sachverhaltes gewahrt.
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    2.) Der sich ebenfalls in dem Aktenordner befindliche Aktenvermerk der Verteidigerin vom 27.02.2018 (7 Seiten) unterliegt hingegen in entsprechender Anwendung des § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO  i.V.m. § 148 Abs. 1 StPO einem Beschlagnahmeverbot und ist unverzüglich an Rechtsanwältin Dr. N.Y. herauszugeben.
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    Über den Wortlaut des § 97 Abs. 1 StPO hinaus unterliegt die Beschlagnahme von Gegenständen weiteren Grenzen, die sich aus dem in der Verfassung normierten Rechtsstaatsprinzip und dem allgemeinen Freiheitsrecht ergeben. So führt eine verfassungskonforme Auslegung des § 97 Abs. 1 StPO auch in den in der Norm nicht ausdrücklich genannten Fällen zu einem Beschlagnahmeverbot, wenn das Geheimhaltungsinteresse des Beschuldigten das Strafverfolgungsinteresse des Staates eindeutig überwiegt (vgl. dazu LG Hamburg, Beschluss v. 17.08.2016 – 618 Qs 30/16, StraFo 2016, 463, Rn. 18). Das ist insbesondere im Hinblick auf Verteidigungsunterlagen eines Beschuldigten der Fall. Unterlagen, die sich ein Beschuldigter ersichtlich zur Vorbereitung seiner Verteidigung in einem gegen ihn laufenden Strafverfahren anfertigt, unterliegen daher einem Beschlagnahmeverbot (BGHSt 44, 46). Um dem Beschuldigten jederzeit die Möglichkeit einer geordneten und effektiven Verteidigung zu geben, dürfen auch in seinem Gewahrsam befindliche Aufzeichnungen nicht beschlagnahmt werden (LG Braunschweig, Beschluss v. 21.07.2015 – 6 Qs 116/15 – juris, Rn. 10; LG Hamburg, Beschluss vom 17.08.2016 – 618 Qs 30/16 StraFo 2016, 463, Rn. 19).
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    Gleiches gilt im Ergebnis für schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und seinem Verteidiger. Das folgt aus der Zielsetzung des § 148 Abs. 1 StPO, soweit das Material der Kommunikation mit dem Verteidiger dient, und wird im Übrigen aus dem aus Art. 6 Abs. 3 EMRK i.V.m. dem aus Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Gebot, effektive Verteidigung zu gewährleisten, hergeleitet (BGHSt 44, 46). Insoweit ergänzt der später in Kraft getretene § 148 Abs. 1 StPO, welcher den freien schriftlichen und mündlichen Verkehr des Beschuldigten mit dem Verteidiger garantiert, die Vorschrift des § 97 StPO (LG Hamburg, Beschluss v. 17.08.2016 – 618 Qs 30/16, StraFo 2016, 463, Rn. 20).
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    Bei dem sichergestellten Aktenvermerk von Rechtsanwältin Dr. N.Y. vom 27.02.2018 handelt es sich offensichtlich um eine beschlagnahmefreie Verteidigungsmitteilung.
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    Dem steht auch nicht entgegen, dass der Aktenvermerk bereits zu einem Zeitpunkt erstellt worden ist, in dem gegen den Beschuldigten D. noch kein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden war und er damit noch keine Beschuldigtenstellung innehatte. Denn die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Beschuldigten ist nach der jüngeren Rechtsprechung gerade keine notwendige Voraussetzung für die Beschlagnahmefreiheit von Verteidigungsunterlagen, da eine schützenswerte Vertrauensbeziehung zur Vorbereitung einer Verteidigung auch dann bestehen kann, wenn der Beschuldigte lediglich befürchtet, es werde zukünftig ein Ermittlungsverfahren gegen ihn geführt werden (LG München, Beschluss vom 11.12.2018 – 6 Qs 16/18, NStZ 2019, 172, Rn. 27 ff.; LG Braunschweig, Beschluss vom 21.07.2015 – 6 Qs 116/15 – juris, Rn. 10; LG Hamburg, Beschluss vom 17.08.2016 – 618 Qs 30/16, StraFo 2016, 463, Rn. 27 ff.; LG Gießen, Beschluss vom 25.06.2012 – 7 Qs 100/12, wistra 2012, 409, Rn. 11). Die Beschlagnahmefreiheit ist notwendige Bedingung der rechtsstaatlich gebotenen Ermöglichung wirksamer Verteidigung. Denn Verteidigung kann zutreffender Weise auch schon dann stattfinden, wenn gegen den Betroffenen noch nicht förmlich ermittelt wird, wenn nur der Rechtsanwalt aus gutem Grund seine Tätigkeit materiell als Verteidigung ansehen kann. Vor diesem Hintergrund wäre es aber mit der von § 97 Abs. 1 StPO und 148 Abs. 1 StPO bezweckten Gewährleistung einer geordneten und effektiven Verteidigung, die unabdingbar das schutzwürdige Vertrauen des Mandanten in die Vertraulichkeit der Korrespondenz mit seinem Rechtsanwalt erfordert, unvereinbar, wenn der Mandant jederzeit damit rechnen müsste, dass die vor seiner formellen Beschuldigtenstellung geführte Korrespondenz von den Ermittlungsbehörden umfassend verwertet und gegen ihn verwendet werden könnte (so ausdrücklich LG München, Beschluss vom 11.12.2018 – 6 Qs 16/18, NStZ 2019, 172, Rn. 31). Maßgeblich ist in diesem Fall für das Eingreifen des Beschlagnahmeschutzes vielmehr nur, ob es sich überhaupt um solche Unterlagen handelt, die in objektiv nachvollziehbarer Weise im Rahmen einer Mandatsbeziehung erstellt wurden, die auf die strafrechtliche Verteidigung des Mandanten gegen diejenigen Vorwürfe gerichtet ist, welche Gegenstand des gegen den Beschuldigten geführten Ermittlungsverfahren sind (LG München, Beschluss vom 11.12.2018 – 6 Qs 16/18, NStZ 2019, 172, Rn. 23).
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    Unter Zugrundelegung dieser Prämisse ist der verfahrensgegenständliche Aktenvermerk vom 27.02.2018 als beschlagnahmefreie Verteidigungsunterlage zu qualifizieren. Auch die vor der Durchsuchung erfolgte Kommunikation zwischen Rechtsanwältin Dr. N.Y. und dem Beschuldigten D. betraf ein Verteidigungsverhältnis. Der Einordnung des Aktenvermerks vom 27.02.2018 als Verteidigungsunterlage steht auch nicht entgegen, dass der Beschuldigte nach Lage der Dinge zunächst – in Unkenntnis des drohenden Strafverfahrens – in erster Linie darauf aus war, sich auf die interne Sonderuntersuchung durch die seitens seiner Arbeitgeberin beauftragte Wirtschaftsprüfungsgesellschaft C vorzubereiten. Zwar diente der Vermerk vom 27.02.2018 hiernach vorrangig der Vorbereitung des am 06.03.2018 durch Mitarbeiter von C geplanten Interviews des Beschuldigten im Rahmen der laufenden Cum/Ex Sonderuntersuchung der Commerzbank AG. Dies schließt indes nicht die zusätzliche Zweckbestimmung als Verteidigungsunterlage und -mitteilung aus. Denn die interne Untersuchung durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft C stand aus Sicht des Beschuldigten – nicht notwendig, sondern letztlich zufällig – als erstes an. Dieser Umstand ändert nichts daran, dass der anwaltlich beratene Beschuldigte der Sachlage nach mit dem tatsächlich sich schon anbahnenden und naheliegenden Strafverfahren gerechnet haben wird, in dem es um den nahezu identischen Sachverhalt und für ihn um nahezu die identische Interessenlage ging. Hiernach ist davon auszugehen, dass die sichergestellten Unterlagen auch einer möglicherweise nachfolgenden Strafverteidigung gewidmet waren. Eine wirkliche Trennung zwischen arbeitsrechtlich- und strafprozessualer Bestimmung erscheint angesichts dessen, dass beide Verfahren denselben Sachverhalt betreffen, nicht möglich. Bei einer solchen Sachlage muss sichergestellt sein, dass der Betroffene dem Rechtsanwalt, der ihn im anderweitig vertritt, alle Umstände offenlegen kann, die für die Prozessführung von Bedeutung sind, ohne dass er zugleich eine spätere Verwendung dieser Korrespondenz im Strafprozess fürchten muss. Dieses gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass eine Abgrenzung von strafrechtlicher und nichtstrafrechtlicher Tätigkeit des Rechtsanwalts kaum möglich ist.
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