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  • 11.03.2019 · IWW-Abrufnummer 207648

    Landgericht Hildesheim: Beschluss vom 03.12.2018 – 22 Qs 8/18

    1. Auch in Steuerstrafsachen ist die Wirtschaftsstrafkammer als Beschwerdegericht (leider) nur zuständig, wenn als Gericht der Hauptsache (voraussichtlich) zumindest das Schöffengericht zuständig ist.

    2. Eine allgemeine Strafkammer kann ein Beschwerdeverfahren nicht an die Wirtschaftsstrafkammer abgeben, sondern muss es ihr entsprechend § 209 StPO vorlegen.

    3. Werden ein Beschuldigter und eine Drittbeteiligte (Einziehungsinteressentin) von demselben Rechtsanwalt vertreten, liegt eine unzulässige Mehrfachverteidigung vor, sodass auch im (Arrest-)Beschwerdeverfahren zunächst eine Entscheidung des Gerichts der Hauptsache zur Zurückweisung des Verteidigers einzuholen ist.

    4. Das Beschwerdegericht kann aber in einem solchen Fall den Vollzug der angefochtenen Entscheidung aussetzen; jedenfalls bei Vermögensarrestbeschlüssen ist auch eine teilweise Aussetzung des Vollzuges möglich.

    5. Nach der AO anfallende Hinterziehungszinsen können nur insoweit zur Arretierung von Vermögenswerten herangezogen werden, als sie tatsächlich auf die hinterzogenen Steuern erlangt worden sind (gezogene Nutzungen).

    6. Für eine zu Gunsten einer drittbeteiligten Kapitalgesellschaft hinterzogene Steuern haftet der mutmaßliche Täter gesamtschuldnerisch mit der Gesellschaft. Das Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft ist hierfür ohne Bedeutung.


    22 Qs 8/18

    Tenor: Die Vollziehung des angefochtenen Arrestbeschlusses des Amtsgerichts Hannover vom 29. September 2017 (170 Gs 844/17) wird für die Dauer von drei Monaten ausgesetzt, soweit sie einen Betrag von … € übersteigt.

    Gründe:

    I.    

    Die beschließende Wirtschaftsstrafkammer ist anstelle der zunächst mit der Sache befassten allgemeinen Strafkammer .. des Landgerichts Hannover für die Entscheidung über die Beschwerde des Beschuldigten gegen den angefochtenen Vermögensarrestbeschluss funktionell zuständig (§ 74c Abs. 3, Abs. 4 GVG, § 18 Nr. 1 ZustVO-Justiz).

    Zwar ergibt sich dies entgegen den Ausführungen in dem „Abgabebeschluss“ des Landgerichts Hannover vom 7. November 2018 nicht schon daraus, dass es sich um eine Steuerstrafsache handelt. Die Wirtschaftsstrafkammer ist im zweiten Rechtszug nur zuständig, wenn Gegenstand des Verfahrens eine Steuerstrafsache oder eine andere Katalogtat des § 74c Abs. 1 GVG ist und für das Hauptverfahren zumindest das Schöffengericht zuständig ist (§ 74c Abs. 1 S. 1 a. E, Abs. 2 GVG, vgl. zu dieser überholten Regelung ThürOLG, Beschl. v. 8. Dezember 2011, 1 Ws 474/11, NStZ 2012, 711f.; Waider, StV 2013, 14ff.; Meyer-Goßner-Schmitt, StPO, 61. Aufl., Rn. 8 zu § 74c GVG).

    Von einer erstinstanzlichen Zuständigkeit des Schöffengerichts ist hier angesichts des dem Beschuldigten gegenwärtig zur Last gelegten Hinterziehungserfolges aber auch nach Auffassung der Ermittlungsbehörde auszugehen. Im Hinblick auf diese der Kammer förmlich mitgeteilte Auffassung bedarf es auch nicht der Rücksendung der Akten an das Landgericht Hannover, um diesem Gelegenheit zu geben, das Verfahren entsprechend § 209 Abs. 2 StPO über die Ermittlungsbehörde der beschließendem Wirtschaftsstrafkammer als dem höheren Gericht (§ 209a Nr. 1 StPO) vorzulegen.

    II.    

    Die Wirtschaftsstrafkammer kann gegenwärtig nicht abschließend über die Beschwerde der Drittbeteiligten entscheiden.

    Im bisherigen Beschwerdeverfahren ist der Beschuldigten unter Verstoß gegen § 146 StPO von demselben Rechtsanwalt .. vertreten worden, der auch die Drittbeteiligte vertritt. Das Verbot der Mehrfachverteidigung umfasst auch die gleichzeitige Vertretung eines Beschuldigten und einer Drittbeteiligten (Einziehungsinteressentin, vgl. Schmitt, a. a. O., Rn. 11 zu § 146 StPO m. w. N.)

    Die ihm durch Schreiben des Kammervorsitzenden vom 16. November 2018 eröffnete Gelegenheit zur gesetzeskonformen Gestaltung der Verteidigungsverhältnisse hat Rechtsanwalt .. nicht genutzt, sodass er vor einer abschließenden Sachentscheidung gemäß § 146a Abs. 1 S. 1 StPO zurückzuweisen sein dürfte.

    Diese Entscheidung obliegt aber im Ermittlungsverfahren ausschließlich erstinstanzlich dem Gericht der Hauptsache (§ 146a Abs. 1 S. 3 StPO).

    Nach gegenwärtigem Stand dürfte es sich hierbei um das Schöffengericht bei dem Amtsgericht .. handeln, dem das Verfahren daher über die Ermittlungsbehörde vorzulegen ist. Seine örtliche Zuständigkeit folgt aus § 391 Abs. 1 S. 1 AO, 33 Abs. 2 Nr. 3 NJG.

    Eine den amtsgerichtlichen Strafbann übersteigende Strafe ist nach den dem Beschuldigten gegenwärtig zur Last gelegten Hinterziehungserfolgen und seinen nur geringen strafrechtlichen Vorbelastungen nicht zu erwarten, ...
    Bisher lässt sich eine erstinstanzliche sachliche Zuständigkeit des Landgerichts und damit der - .. - beschließenden Wirtschaftsstrafkammer auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 24 Abs. 1 Nr. 3 GVG rechtfertigen. Besonders umfangreich ist der Aktenumfang - soweit bisher ersichtlich - nicht. Auch erscheint der Sachverhalt noch überschaubar und es ist bisher keine allzu lange Hauptverhandlung zu erwarten.

    III.    

    Die beschließende Wirtschaftsstrafkammer hält es aber für geboten, vor ihrer abschließenden Entscheidung über die Beschwerde nach der zunächst herbeizuführenden Entscheidung des Schöffengerichts .. über die Zurückweisung des Verteidigers den Vollzug des angefochtenen Vermögensarrests teilweise auszusetzen (§ 307 Abs. 2 StPO).

    Dem Grunde nach besteht für die beschließende Kammer kein Zweifel an der Berechtigung des Vermögensarrests. Soweit das Beschwerdevorbringen überhaupt nachvollziehbar ist, werden die dem Beschuldigten zur Last gelegten Steuerhinterziehungen (§§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 AO, 52, 53 StGB) durch unvollständige Erfassung der Einnahmen des von ihm beziehungsweise ab Ende 2014 von der Drittbeteiligten betriebenen Gastronomiebetriebs per se nicht in Zweifel gezogen. Der Arrest ist daher regelmäßig anzuordnen (§ 111e Abs. 1 S. 2 StPO).

    Der Höhe nach entspricht der nunmehr angefochtene Vermögensarrest nicht mehr dem Ermittlungsstand und ist daher auch unter Würdigung des wohl primär auf die bisherige Verfahrensdauer abstellenden Beschwerdevorbringens anzupassen. Durch die zwischenzeitlich ergangenen neuen Steuerbescheide lassen sich die mutmaßlichen Hinterziehungsbeträge genauer abschätzen, als es zum Zeitpunkt des Erlasses des Arrestbeschlusses vor mehr als einem Jahr der Fall gewesen ist:

    1. Nach den nunmehrigen - anhand der schlüssigen Ausführungen im Außenprüfungsbericht .. ohne Weiteres nachvollziehbaren - Einkommensteuerbescheiden ist für die Jahre 2010 bis 2015 insgesamt von einem Hinterziehungserfolg der Einkommensteuer in Höhe von .. € auszugehen.

    Entsprechend ergibt sich aus den neuen Umsatzsteuerbescheiden für die Umsatzsteuer ein Hinterziehungserfolg von .. €.

    Der Gewerbesteuerhebesatz der Stadt .. hat bis 2013 ..% und in 2014 ..% betragen, so dass nach Maßgabe der geänderten Gewerbesteuermessbescheide insoweit von .. € auszugehen ist.

    2. Darüber hinaus haftet der Beschuldigte gesamtschuldnerisch mit der Drittbeteiligten für die zu ihren Gunsten hinterzogenen Steuern, weil er insoweit als deren Alleingeschäftsführer zumindest wirtschaftliche Mitverfügungsgewalt über die hinterzogenen (ersparten) Steuern erlangt hat (vgl. hierzu Fischer, StGB, Rn. 29 zu § 73 m. w. N.).

    Dies sind ausweislich der schlüssigen Ausführungen im Außenprüfungsbericht für die Drittbeteiligte .. hinsichtlich der Körperschaftsteuer 2014 .. € auszugehen und hinsichtlich der Gewerbesteuer 2014 für die Drittbeteiligte von .. € (um .. € höherer Messbetrag).

    Da in den Außenprüfungsberichten vom Vorliegen einer Organschaft (§ 2 Abs. 2 UStG) durch die mit der Gründung der Drittbeteiligten herbeigeführten Aufspaltung des (vorherigen) einzelgewerblichen Betriebes des Beschuldigten ausgegangen wird, sind die auf nicht erklärte Umsätze der Drittbeteiligten in 2014 entfallenden Umsatzsteuern bereits in den Beträgen enthalten, die sich aus dem diesbezüglichen Bescheid für den Beschuldigten ergeben.

    Auch für 2015 und 2016 ergeben sich mithin die auf nicht erklärte Umsätze der Drittbeteiligten hinterzogenen Umsatzsteuern aus den entsprechenden neuen Umsatzsteuer-Bescheiden für den Beschuldigten und den vorgenannten Außenprüfungsberichten...


    3. Eine höhere Arrestsumme als insgesamt (gerundet) .. € erscheint daher nicht veranlasst.

    Insbesondere können nicht Hinterziehungszinsen (§§ 235, 238 AO) eine höhere Summe rechtfertigen. Abgesehen von den - in Bezug auf den festen Zinssatz von 6 % - erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Zinsen (vgl. BFH, Beschl. v. 25. April 2018, BFHE 260, 431) sind Gegenstand einer Wertersatzeinziehung nur gezogene Nutzungen (§ 73 Abs. 2 StGB), mithin tatsächlich erzielte Zinsen und nicht steuerrechtlich geschuldete Hinterziehungszinsen. Dass der Beschuldigte mit den - mutmaßlich - erlangten Hinterziehungssummen Zinserträge erzielt hat, ist bisher nicht ersichtlich; angesichts des Auffindens erheblicher Bargeldbeträge ist dies vielmehr eher unwahrscheinlich.

    4. Ergänzend weist die Kammer im Hinblick auf die diesbezüglichen, in ihrer Diktion recht fragwürdigen, Ausführungen in der Beschwerdeschrift daraufhin, dass die Einzahlung der sichergestellten Bargeldbeträge bei der Finanzkasse ohne konkreten Verwendungszweck nicht zu beanstanden ist. Das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen nimmt noch gemäß §§ 386, 399 Abs. 1 AO die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahr und dieser obliegt die Verwaltung von in Vollziehung eines Vermögensarrests sichergestellter Geldbeträge (§ 111m StPO).

    Auch der Ablauf des Abhilfeverfahrens bei dem Amtsgericht Hannover ist nicht zu beanstanden; die Akten mussten der Ermittlungsrichterin erst wieder von der Ermittlungsbehörde vorgelegt werden. Zu Recht hat sie diesbezüglich um die Mitteilung des aktuellen Standes des Außenprüfungs- und Besteuerungsverfahrens gebeten und demzufolge die aktuellen Steuerbescheide erhalten.

    RechtsgebieteGVG, StPO, AO, StGBVorschriften§ 74c Abs. 3 GVG; § 18 Nr. 1 NZustVO-Justiz; § 111e Abs. 1 StPO; § 111m StPO; § 146 StPO; § 146a Abs. 1 StPO; § 209 StPO; § 209a Nr. 1 StPO; § 307 Abs. 2 StPO; § 235 AO; § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO; § 73 Abs. 2 StGB

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