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  • 12.02.2019 · IWW-Abrufnummer 207124

    Verwaltungsgericht Aachen: Urteil vom 10.01.2019 – 5 K 4827/17

    Widerruf der Approbation als Apotheker wegen Unwürdigkeit nach Verurteilung wegen Steuerhinterziehung


    Verwaltungsgericht Aachen

    5 K 4827/17

    Tenor:

    Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 16. August 2017 wird aufgehoben.

    Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

    1

    T a t b e s t a n d :

    2

    Der 1961 geborene Kläger ist seit dem 27. Januar 1988 approbierter Apotheker und wendet sich gegen den Widerruf der Approbation.

    3

    Der Kläger betreibt seit 1989 die U. -Apotheke in E. und seit 2006 zusätzlich die Bahnhof-Apotheke in E. .

    4

    Mit Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 28. März 2017 ‑ 454 Ds‑304 Js 560/16‑143/16 – verurteilte das Amtsgericht Aachen den Kläger wegen Steuerhinterziehung in 7 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten und setzte gleichzeitig die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts verwandte der Kläger zwischen dem 15. Juli 2009 und dem 26. April 2012 eine Manipulationssoftware und erfasste von ihm entnommene Geldbeträge im System als Minderumsatz „Vergütung Leihgebühr“ mit der Folge der Minderung der steuerpflichtigen Barumsätze im Bon- und Tagesabschluss. Darüber hinaus hat der Kläger Kapitalerträge aus Vermögensanlagen nicht erklärt und für 2007 bis 2010 jeweils falsche Steuererklärungen abgegeben, wodurch es zu einer Verkürzung der Steuern (Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuern) in Höhe von insgesamt 238.776,12 € gekommen ist. Dieser Betrag setzte sich wie folgt zusammen:

    5

    Fall 1

    6

    verkürzte Einkommensteuer 2007 = 41.418,00 €

    7

    Fall 2

    8

    verkürzte Umsatzsteuer 2007 = 18.628,74 €

    9

    verkürzte Gewerbesteuer 2007 = 22.050,00 €

    10

    Fall 3

    11

    verkürzte Einkommensteuer 2008 = 32.304.00 €

    12

    Fall 4

    13

    verkürzte Umsatzsteuer 2008 = 18.972.83 €

    14

    verkürzte Gewerbesteuer 2008 = 15.718,50 €

    15

    Fall 5

    16

    verkürzte Einkommensteuer 2009 = 23.223,00 €

    17

    verkürzte Umsatzsteuer 2009 = 14.027,70 €

    18

    verkürzte Gewerbesteuer 2009 = 11.623,50 €

    19

    Fall 6

    20

    verkürzte Einkommensteuer 2010 = 20.374,00 €

    21

    Fall 7

    22

    verkürzte Umsatzsteuer 2010 = 11.174,86 €

    23

    verkürzte Gewerbesteuer 2010 = 9.261,00 €

    24

    Im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigte das Amtsgericht, dass der Kläger ein Geständnis abgelegt hatte. Die Sozialprognose sei günstig. Das Gericht erwarte, dass der erstmals straffällig gewordene Kläger sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lasse und künftig auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde. Die Bewährung endet am 27. März 2019.

    25

    Mit Schreiben vom 11. Juli 2017 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er aufgrund der strafgerichtlichen Verurteilung und einer sich aus seinem Verhalten möglicherweise ergebenden Unwürdigkeit zur Ausübung des Apothekerberufs den Widerruf der Approbation prüfe und Gelegenheit zur Stellungnahme gewähre.

    26

    Mit anwaltlichem Schreiben vom 18. Juli 2017 wies der Kläger darauf hin, dass er von Anfang an bei der Aufklärung des Sachverhalts mitgewirkt habe; die gesamten Steuern seien bezahlt. Die Vorfälle lägen bereits 7 bis 10 Jahre zurück. Das Amtsgericht habe ihm eine günstige Sozialprognose erteilt. Gericht und Staatsanwaltschaft seien davon ausgegangen, dass ihm berufsrechtliche Nachteile nicht entstehen würden.

    27

    Mit Bescheid vom 16. August 2017, zugestellt am 21. August 2017, widerrief der Beklagte die Approbation des Klägers als Apotheker und untersagte ihm die Ausübung des Apothekerberufs. Gleichzeitig forderte er ihn auf, ihm die Original-Approbationsurkunde innerhalb von zwei Wochen nach Bestandskraft des Bescheides auszuhändigen oder zu übersenden und drohte für den Fall der Nichtbefolgung innerhalb der Zweiwochenfrist ein Zwangsgeld von 2.000,00 € an. Zur Begründung führte er aus, dass sich aus den vom Kläger begangenen Straftaten die Unwürdigkeit zur Ausübung des Apothekerberufs ergebe, auch wenn dies nicht den Kernbereich seiner Berufstätigkeit als Apotheker betreffe. In seinem Fall sei insbesondere die Höhe der insgesamt verkürzten Steuern sowie die Begehung der Taten über mehrere Jahre ausschlaggebend. Die Verwendung von Manipulationssoftware zeige darüber hinaus ein gewisses Maß an krimineller Energie, welche geeignet sei, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand nachhaltig zu erschüttern, bliebe das Verhalten für den Fortbestand der Approbation folgenlos. Angesichts der Höhe der pro Veranlagungszeitraum verkürzten Steuern handele es sich um ein schwerwiegendes, gemeinschädliches Fehlverhalten, das das Ansehen der Heilberufe in der Bevölkerung gravierend erschüttere. Dabei sei zu berücksichtigen, dass ein Fehlverhalten mit mittelbarem Berufsbezug vorliege, da die Manipulationssoftware beim Betrieb der Apotheken eingesetzt worden sei. Angesichts des Umfangs der Steuerhinterziehung besitze der Kläger nicht mehr das für die Ausübung des Berufs erforderliche Ansehen und Vertrauen in der Bevölkerung. Dabei sei unerheblich, ob und wie das Strafgericht eine berufsrechtliche Wertung vorgenommen habe. Eine günstigere Bewertung ergebe sich schließlich auch nicht aus dem Umstand, dass die Steuern zwischenzeitlich vollständig gezahlt worden seien, da es sich lediglich um die selbstverständliche Wiedergutmachung des dem Gemeinwesen entstandenen Schadens handele. Hieraus und aus dem abgelegten Geständnis folge nicht die Wiedererlangung der Berufswürdigkeit.

    28

    Die Forderung der Herausgabe der Approbationsurkunde ergehe nach § 52 VwVfG, die Zwangsgeldandrohung finde ihre rechtliche Grundlage in §§ 55, 56, 57, 58, 60 und 63 VwVG NRW.

    29

    Der Kläger hat am 8. September 2017 Klage erhoben, zu deren Begründung er vorträgt: Seiner Auffassung nach sei der Begriff „Unwürdigkeit“ völlig unbestimmt und verstoße, wenn er als Grundlage für berufsrechtliche Entscheidungen herangezogen werde, gegen den Gleichheitsgrundsatz und die Freiheit der Berufsausübung. Grundlage der Prüfung einer „Unwürdigkeit“ könne allein das strafgerichtliche Urteil sein, nicht sonstige nicht strafbefangene steuerliche Sachverhalte wie Betriebsprüferberichte. Der Vorsitzende Richter und die Staatsanwaltschaft seien davon ausgegangen, dass die Angelegenheit für den Kläger mit der Verurteilung beendet sei. Gegenstand des Strafverfahrens seien weder die Verletzung der Pflichten des Klägers als Apotheker noch die Gefährdung oder Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit von Menschen gewesen. Eine erhebliche Beschädigung des Ansehens und des Vertrauens in die Apothekerschaft aufgrund des Steuervergehens könne nicht gesehen werden. Unberücksichtigt geblieben sei, dass die Steuerhinterziehung zwischen 7 und 10 Jahre zurückliege und dass die hinterzogene Steuer in keinem Jahr den Betrag von 50.000,00 € überstiegen habe sowie die dem Kläger bescheinigte günstige Sozialprognose. In vielen anderen Berufsarten werde der Maßstab der Unwürdigkeit nicht zum Maßstab einer weiteren Tätigkeit genommen, z.B. bei einem Geschäftsführer einer GmbH nur auf die Höhe der verhängten Strafe abgestellt. Das Berufsverbot stelle eine unzulässige Doppelbestrafung dar. Eine Steuerhinterziehung werde gesetzlich anders bewertet als Verstöße gegen sonstiges Strafrecht, indem etwa nach § 371 AO die Selbstanzeige zur Straffreiheit des Täters führe. Da das Strafgericht keinen besonders schweren Fall einer Steuerhinterziehung angenommen habe, könne der Beklagte auch keine besondere kriminelle Energie annehmen. Auch sei seine Bewährungszeit fast abgelaufen und das Verfahren vor dem Berufsgericht für Heilberufe bei dem Verwaltungsgericht L. am 2. August 2018 eingestellt worden.

    30

    Er habe gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen vom 6. Juli 2018 im Verfahren 7 K 5905/17, mit welchem dieses seine Klage gegen den Widerruf seiner Apothekenbetriebserlaubnis für zwei Apotheken abgewiesen habe, einen Antrag auf Zulassung der Berufung bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen gestellt (13 A 3040/18).

    31

    Der Kläger beantragt,

    32

    die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 16. August 2017 aufzuheben.

    33

    Der Beklagte beantragt,

    34

    die Klage abzuweisen.

    35

    Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid und führt ergänzend aus: Bei dem Widerruf der Approbation handele es sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht um eine Ermessens- sondern um eine gebundene Entscheidung. Die Verfassungskonformität des Tatbestandsmerkmals der Unwürdigkeit sei für Parallelnormen im Arzt- und Zahnarztrecht seit langem in der Rechtsprechung anerkannt. Auch wenn hier „lediglich“ eine Summe von nicht mehr als 50.000 €/Jahr steuerlich hinterzogen worden sei, ergebe sich hieraus keine andere Beurteilung, da der Betrag einem nicht unüblichen Jahresgehalt entspreche und durch die Manipulation des Kassensystems eine besondere kriminelle Energie an den Tag gelegt worden sei. Das Berufsbild des Apothekers beinhalte – anders als das eines Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft - die Vertrauensbildung durch die Bevölkerung. Bei dem Widerruf handele es sich darüber hinaus nicht um eine sanktionierende Maßnahme, sondern um eine präventive. Er könne daher keine Doppelbestrafung darstellen. Dem Tatbestandsmerkmal der Unwürdigkeit wohne, anders als dem der Unzuverlässigkeit, keine prognostische Komponente inne.

    36

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten ergänzend Bezug genommen.

    37

    E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

    38

    Die zulässige Klage hat Erfolg. Der angefochtene Bescheid vom 16. August 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

    39

    Rechtliche Grundlage für den Widerruf der Approbation als Apotheker ist § 6 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Bundes-Apothekerordnung (BApO). Danach ist die Approbation zu widerrufen, wenn nachträglich eine der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BApO weggefallen ist, d.h. der Apotheker sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Apothekerberufs ergibt.

    40

    1. Eine Unzuverlässigkeit des Klägers im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BApO liegt nicht vor. Insoweit hat der Beklagte den Widerruf zu Recht - wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt bewusst - nicht auf dieses Tatbestandsmerkmal gestützt. Die Begriffe Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit besitzen jeweils eine eigenständige Bedeutung. Der Begriff der Unzuverlässigkeit setzt - im Gegensatz zum Begriff der Unwürdigkeit - eine Zukunftsprognose voraus, dass der Kläger im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der (letzten) Behördenentscheidung, hier also am 16. August 2017, aufgrund der begangenen Verfehlungen nicht die Gewähr dafür bietet, künftig die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten zu beachten.

    41

    Vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 27. Oktober 2010 – 1 BvR 1098/07 ‑, juris.

    42

    Weiter ist für die Auslegung des Begriffs der Unzuverlässigkeit im Sinne der BApO zu berücksichtigen, dass die apothekenrechtliche Betriebserlaubnis, die im Falle des Klägers durch den - noch nicht bestandskräftigen - Bescheid des Kreises E. vom 16. November 2017 ebenfalls widerrufen wurde, gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 ApoG neben dem Besitz der Approbation als Apotheker voraussetzt, dass die für den Betrieb einer Apotheke erforderliche Zuverlässigkeit gegeben ist; dies ist nicht der Fall, wenn Tatsachen vorliegen, welche die Unzuverlässigkeit des Antragstellers in Bezug auf das Betreiben einer Apotheke dartun, insbesondere wenn strafrechtliche oder schwere sittliche Verfehlungen vorliegen, die ihn für die Leitung einer Apotheke ungeeignet erscheinen lassen, oder wenn er sich durch gröbliche oder beharrliche Zuwiderhandlung gegen dieses Gesetz, die auf Grund dieses Gesetzes erlassene Apothekenbetriebsordnung oder die für die Herstellung von Arzneimitteln und den Verkehr mit diesen erlassenen Rechtsvorschriften als unzuverlässig erwiesen hat. Aus der Zusammenschau der beiden Vorschriften folgt, dass nicht jeder approbierte Apotheker automatisch die für den Betrieb einer Apotheke erforderliche Zuverlässigkeit besitzt und dass der - hier maßgebliche - Begriff der Unzuverlässigkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BApO nicht deckungsgleich ist mit dem Begriff der Unzuverlässigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 4 ApoG. Insoweit steht das Urteil der 7. Kammer des erkennenden Gerichts vom 6. Juli 2018 im Verfahren 7 K 5905/17, mit dem die gegen den Widerruf der Betriebserlaubnis gerichtete Klage abgewiesen wurde, weil der Kläger aufgrund der strafrechtlichen Verfehlungen nicht mehr die für den Betrieb einer Apotheke erforderliche Zuverlässigkeit besitze, der Einschätzung der Kammer, dass der Kläger weiter die Zuverlässigkeit zur Ausübung des Apothekerberufs besitzt, nicht entgegen. Der Kläger hat einerseits - schwerwiegend - gegen die jedem Kaufmann und damit auch einem Apotheker obliegenden gewerberechtlichen Pflichten verstoßen, indem er die Finanzbuchhaltung der von ihm geführten Apotheken im Zeitraum Juli 2009 bis April 2012 mittels einer Software manipulierte, für die Veranlagungsjahre 2007 bis 2010 jeweils inhaltlich falsche Steuererklärungen abgab und überdies im Ausland befindliches Kapitalvermögen nicht deklarierte. Andererseits bewegten sich diese Pflichtverstöße nicht im Kernbereich der berufsrechtlichen, sondern im Bereich der gewerberechtlichen Pflichten und teilweise im privaten Bereich (Nichtdeklarierung von Kapitalvermögen). Weiter hat der Kläger bereits bis zum 25. Juli 2016 - also über ein Jahr vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides am 16. August 2017 - vollständige Schadenswiedergutmachung geleistet und auch Nachzahlungen vorgenommen, die über die von der Staatsanwaltschaft bereits ermittelten Beträge hinausgingen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger, der seit 1988 approbiert ist und bereits seit 1989 die Hauptapotheke (U. -Apotheke) führt, in der Vergangenheit Pflichten des Apothekerberufs verletzt hätte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Einem - möglicherweise zu besorgenden erneuten - Verstoß gegen gewerberechtliche Pflichten ist der Kreis E. durch den Widerruf der Betriebserlaubnis entgegengetreten, so dass der selbständige Betrieb einer Apotheke durch den Kläger ausgeschlossen ist. Dass der Kläger darüber hinaus auch als angestellter Apotheker aufgrund der begangenen Verfehlungen nicht mehr die Gewähr dafür bietet, künftig die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten zu beachten, vermag die Kammer aufgrund des festgestellten Sachverhalts nicht zu erkennen.

    43

    2. Der Kläger ist auch nicht unwürdig zur Ausübung des Apothkerberufs.

    44

    Allerdings verstößt die Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BApO wegen des darin enthaltenen Begriffs der Unwürdigkeit - entgegen der Auffassung des Prozessbevollmächtigten des Klägers - nicht gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot,

    45

    vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. September 2017 – 1 BvR 1657/17 ‑, juris, zu § 5 Abs. 2 i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Bundesärzteordnung; BVerwG, Beschluss vom 23. Oktober 2007 – 3 B 23/07 ‑, juris, zu § 6 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BApO.

    46

    Die Verwendung unbestimmter, der Auslegung und Konkretisierung bedürftiger Begriffe allein stellt noch keinen Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Normklarheit und Justitiabilität dar. Erforderlich ist, dass die von der Norm Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Die für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unwürdigkeit maßgeblichen Gesichtspunkte lassen sich hier aus dem Gesamtzusammenhang, d.h. den dem Apotheker zukommenden Aufgaben und seinen berufsrechtlichen Pflichten entnehmen.

    47

    Die Kammer vermag sich auch nicht der Auffassung des Klägers, der Begriff der Würde im Zusammenhang mit Berufsverboten sei überholt und verfassungswidrig, weil dieser auch in anderen Berufen - wie etwa bei einem Geschäftsführer einer GmbH – keine Rolle spiele, anzuschließen. Denn diese Sichtweise verkennt wesentliche Unterschiede zwischen einer rein gewerblichen und einer freiberuflichen Tätigkeit in Berufszweigen, denen kraft Gesetzes ein besonderer Auftrag für die Gesundheitsfürsorge des Einzelnen und der Bevölkerung insgesamt zukommt, wie dies bei Ärzten und Apothekern der Fall ist.

    48

    Mit Blick auf den grundgesetzlich gewährleisteten Schutz der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist die Feststellung der Berufsunwürdigkeit jedoch an hohe Voraussetzungen geknüpft. Sie verlangt ein schwerwiegendes Fehlverhalten, das bei Würdigung aller Umstände die weitere Berufsausübung im maßgeblichen Zeitpunkt untragbar erscheinen lässt. Es müssen gravierende Verfehlungen vorliegen, die geeignet sind, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Berufsstand, bliebe das Verhalten für den Fortbestand der Approbation folgenlos, nachhaltig zu erschüttern. Dabei sind die Art der Straftat, das Ausmaß der Schuld und der Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit zu berücksichtigen. Straftaten außerhalb des beruflichen Wirkungskreises können abhängig von der Schwere des Delikts, die Annahme der Unwürdigkeit rechtfertigen, wenn sie zu einem Ansehens- und Vertrauensverlust führen, der den Betroffenen für den ausgeübten Beruf als auf absehbare Zeit untragbar erscheinen lässt. Wenn diese Voraussetzung gegeben ist, ist der im Entzug der Approbation liegende, sehr schwerwiegende Eingriff in die Berufsfreiheit sachlich gerechtfertigt, ohne dass es noch einer zusätzlichen Auseinandersetzung mit individuellen Umständen, wie dem Alter des Betroffenen und Möglichkeiten anderweitiger beruflicher Tätigkeit, bedarf. Dies gilt ebenso für die Berücksichtigung eines – wie hier – durchgeführten heilberufsgerichtlichen Verfahrens. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird zusätzlich durch die Möglichkeit Rechnung getragen, dass nach Abschluss des Widerrufsverfahrens ein Antrag auf Wiedererteilung der Approbation gestellt werden kann,

    49

    vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 4. August 1993 – 3 B 5/93 ‑, vom 28. August 1995 – 3 B 7/95 ‑, vom 14. April 1998 – 3 B 95/97 – und vom 27. Januar 2011 – 3 B 63/10, alle: juris.

    50

    Ein Apotheker ist unwürdig zur Ausübung des Apothekerberufs, wenn er wegen seines Verhaltens in der Vergangenheit nicht mehr das zur Ausübung seines Berufes unabdingbar erforderliche Ansehen und Vertrauen genießt und dadurch den Beruf schwer belastet. Ein konkret in der Öffentlichkeit bereits eingetretener Ansehensverlust ist nicht erforderlich. Maßgeblich ist vielmehr eine abstrakte Betrachtungsweise. Nach § 1 BApO ist der Apotheker berufen, die Bevölkerung ordnungsgemäß mit Arzneimitteln zu versorgen; er dient der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes. Dabei wird von einem Apotheker, der in einem der Kernbereiche des Gesundheitswesens tätig ist, wegen des besonderen Vertrauensverhältnisses, das zwischen ihm und den Patienten vorhanden sein muss, nicht nur eine sorgfältige und ordnungsgemäße, sondern eine auch sonst in jeder Hinsicht integre Berufsausübung erwartet,

    51

    vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (BayVGH), Urteil vom 15. Februar 2000 – 21 B 96.1637 – (bestätigt durch BVerwG, Urteil vom 26. September 2002 – 3 C 37/01 ‑, juris) und Beschluss vom 9. Juli 2012 – 21 ZB 11.2997 –, juris.

    52

    Der Widerruf der Approbation ist eine Maßnahme der Abwehr von Gefahren, die von der Tätigkeit eines unzuverlässigen oder zur Berufsausübung unwürdigen Approbationsinhabers ausgehen. Er stellt keine weitere Bestrafung dar und setzt deshalb (nicht einmal) ein strafbares Verhalten voraus,

    53

    vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3. August 2018 – 13 A 1535/17 ‑, juris,; VG L. , Urteil vom 30. Mai 2017 – 7 K 1352/17 ‑, juris (Streitgegenstand ärztliche Approbation).

    54

    Für die Beurteilung der Widerrufsvoraussetzungen kommt es auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens, hier am 16. August 2017 an. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet nicht, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen mit der Folge, dass Lebensführung und berufliche Entwicklung des Betroffenen nach Abschluss des behördlichen Widerrufsverfahrens erst in einem Verfahren auf Wiedererteilung zu berücksichtigen sind,

    55

    vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. August 2011 – 3 B 6/11 ‑, juris, m.w.N.

    56

    Auch sieht die Kammer nach den Vorschriften der BApO keinen Vorrang des strafgerichtlichen Urteils vor dem Verwaltungsverfahren oder eine Bindung der Verwaltungsbehörde in bestimmten Umfang an die Erkenntnisse im Strafverfahren,

    57

    vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. August 1993 – 3 B 5/93 ‑, juris, Rn. 5.

    58

    Behörde und Gericht haben eine eigene Prüfung vorzunehmen, ob nach den oben dargelegten Grundsätzen die Voraussetzungen der Unwürdigkeit gegeben sind. Auch das Verfahren nach der Heilberufsgerichtsbarkeit führt nicht zu einer Sperre des Approbationsentzugs durch eine disziplinarrechtliche Verurteilung, da eine unmittelbare Abhängigkeit in dem Sinne, dass der Widerruf eine entsprechende heilberufsgerichtliche Feststellung voraussetzt, vom Landesgesetzgeber in den Vorschriften zum berufsgerichtlichen Verfahren im Heilberufsgesetz nicht getroffen worden ist,

    59

    vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. April 1998 – 3 B 95/97 ‑, juris Rn. 8 (dort: § 58 Heilberufsgesetz NRW in der Fassung vom 26. April 1994, GVBl 1994, 204, jetzt § 60 Heilberufsgesetz NRW).

    60

    Sofern - wie vorliegend - Straftaten die Unwürdigkeit begründen sollen, sind insbesondere die Art der Straftat, das Ausmaß der Schuld und der Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit in den Blick zu nehmen. Bei schweren, gemeingefährlichen oder gemeinschädlichen oder gegen die Person gerichteten, von der Allgemeinheit besonders missbilligten Vorsatztaten, insbesondere bei Verbrechenstatbeständen, ist der objektive Unrechtsgehalt so erheblich, dass dieser grundsätzlich und völlig unabhängig davon, ob die Tat bei Begehung unmittelbar oder mittelbar im Zusammenhang mit der Berufsausübung steht, den Widerruf der Approbation rechtfertigt. Dagegen kommt dem Kriterium der Berufsbezogenheit umso mehr Relevanz und Gewicht zu, je geringer die Schwere und der Unrechtsgehalt der in Rede stehenden Straftat sind. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass den Vertretern der Heilberufe heute nicht mehr eine in jeder Beziehung integre Lebensführung als Berufspflicht auferlegt wird.

    61

    So bereits Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 29. September 1981 - IX 2309/79 - MedR 1983, 36, 38; vgl. weiter: VG Regensburg, Urteil vom 28. April 2016 - RN 5 K 15.1137 -, juris.

    62

    Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze kommt die Kammer zum Ergebnis, dass die vom Kläger begangenen Straftaten nicht von einer solchen Schwere und einem solchen Unrechtsgehalt geprägt sind, dass sie die letzte und äußerste Maßnahme, die beruflich gegen einen Apotheker überhaupt verhängt werden kann, nämlich den - zwingenden - Widerruf der Approbation rechtfertigen.

    63

    Die Kammer geht insoweit von den Feststellungen im rechtskräftigen Strafurteil des Amtsgerichts Aachen vom 28. März 2017 (454 Ds-304 Js 560/15-143/16) aus. Der Kläger hat noch am Tag der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Aachen auf Rechtsmittel verzichtet, so dass keinerlei Anlass für das Verwaltungsgericht besteht, die Richtigkeit der getroffenen Feststellungen in Zweifel zu ziehen.

    64

    Vgl. zum Rückgriff auf Feststellungen des Strafgerichts: BVerwG, Beschluss vom 6. März 2003 - 3 B 10/03 -, juris m.w.N.

    65

    Danach ist die Verurteilung des Klägers wegen Steuerhinterziehung in 7 Fällen, (wobei in 4 dieser Fälle tateinheitlich verschiedene Steuern hinterzogen wurden) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, erfolgt, weil der Kläger durch den Einsatz einer Manipulationssoftware im Abrechnungssystem der U. -Apotheke in der Zeit vom 15. Juni 2009 bis 26. April 2012 sowie durch die Nichtangabe von Kapitalerträgen aus Vermögensanlagen in den Veranlagungsjahren 2007 bis einschließlich 2010 Steuern in Höhe von insgesamt 238.776,12 € verkürzte.

    66

    Wie bereits unter 1. ausgeführt hat der Kläger damit - schwerwiegend - gegen die jedem Kaufmann und damit auch einem Apotheker obliegenden gewerberechtlichen sowie allgemein gegen seine vermögensrechtlichen Pflichten verstoßen. Es handelt sich dabei auch nicht um Bagatellverstöße, was insbesondere die Verurteilung des Klägers zu einer Freiheitsstrafe verdeutlicht. Allerdings bezieht sich das - hier in Rede stehende und gegebenenfalls durch einen Widerruf zu schützende - Vertrauensverhältnis zwischen Apotheker und Patient bzw. Kunde in erster Linie auf die gesundheitliche Beratung, die von einem Apotheker erwartet wird. Insoweit gibt es keinerlei Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des seit nunmehr über einen Zeitraum von drei Jahrzehnten beanstandungsfrei als Betriebsinhaber der U. -Apotheke tätigen Klägers. In vermögensrechtlicher Hinsicht dürfte die Vertrauenserwartung der Bevölkerung an einen Apotheker eher gering, jedenfalls deutlich nebensächlich sein, insbesondere wenn wie vorliegend weder die Abrechnungen gegenüber dem Kunden noch gegenüber den Kassen tangiert sind und es weder zu einer Schädigung des öffentlichen Gesundheitssystems gekommen ist, noch eine solche beabsichtigt war. Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Kläger den Einsatz der "Mogelsoftware" aus eigenem Antrieb beendet, nach der Aufdeckung der Verfehlungen in jeder Hinsicht an der Aufklärung mitgewirkt und sowohl durch seine Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Aachen als auch durch den unmittelbar erklärten Rechtsmittelverzicht gegen das Strafurteil seine Unrechtseinsicht bekundet hat. Überdies hat er bereits ein Jahr vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides den entstandenen Schaden wiedergutgemacht und zwar wohl auch für strafrechtlich verjährte Zeiten.

    67

    Insoweit sind das Verhalten und die Verfehlungen des in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Klägers in keiner Weise vergleichbar mit der Sachlage, die der vom Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung des VG E1. ,

    68

    vgl. Urteil vom 30. November 2018 – 7 K 2276/16 – (Widerruf der ärztlichen Approbation), nach telefonischer Auskunft des VG E1. nicht rechtskräftig,

    69

    zugrunde lag und die dort zur Annahme einer Unwürdigkeit führte. Gegen den - in der Insolvenz befindlichen - Kläger dieses Verfahrens waren durch zwei Strafbefehle Geldstrafen wegen Steuerhinterziehung in den Veranlagungszeiträumen 2004 bis 2012 festgesetzt worden. Zu seinen Lasten hat das Verwaltungsgericht eine besondere Beharrlichkeit des Fehlverhaltens festgestellt, da der dortige Kläger auch nach Bekanntwerden der Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung weiterhin Abrechnungen über nicht auf seinen Namen lautende Konten vornahm, über die er jedoch verfügungsberechtigt war, ohne die Einzahlungen steuerlich als eigene Einnahmen anzugeben. Darüber hinaus hat das Gericht ihm das Fehlen einer Einsicht in das begangene Unrecht bescheinigt.

    70

    Bei der gebotenen Würdigung aller Umstände ist zur Überzeugung der Kammer der Entzug der Apothekenbetriebserlaubnis mit Bescheid der zuständigen Aufsichtsbehörde vom 16. November 2017 - der für die wirtschaftliche und berufliche Existenz des Klägers bereits weitreichende Folgen haben dürfte - als milderes Mittel gegenüber der Untersagung jeglicher Berufstätigkeit als Apotheker hinreichend geeignet, der Öffentlichkeit deutlich zu machen, dass das Fehlverhalten nicht folgenlos bleibt, und einer nachhaltigen Erschütterung des Ansehens und Vertrauens der Bevölkerung in den Berufsstand entgegenzuwirken.

    71

    Zum vergleichbaren Verhältnis Entzug der Kassenzulassung und Widerruf der ärztlichen Approbation: VGH Ba-Wü, Urteil vom 29. September 1981 - IX 2309/79 -, MedR 1983, S. 36ff, wonach im Falle eines Zahnarztes, der wegen betrügerischer Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen verurteilt worden war und der deshalb die Zulassung als Kassenarzt verloren hatte, nicht allein deswegen auch die Approbation zu widerrufen ist.

    72

    Damit sind auch die Forderung auf Rückgabe der Approbationsurkunde und die Zwangsgeldandrohung für den Fall der nicht rechtzeitigen Rückgabe rechtswidrig und aufzuheben.

    73

    Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 709 Satz 1 der Zivilprozessordnung.

    RechtsgebietBApOVorschriftenBApO § 6 Abs. 2; BApO § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; BApO § 4 Abs. 1 S. 1; BApO § 4 Abs. 1

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