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  • 20.01.2016 · IWW-Abrufnummer 146181

    Oberlandesgericht Saarbrücken: Urteil vom 27.05.2015 – 1 U 89/14

    Bei dem durch das 2. WiKG vom 23.07.2004 neu eingeführten § 266a Abs. 2 StGB, der zusätzlich die Strafbarkeit von nicht abgeführten Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung durch den Arbeitgeber vorsieht, handelt es sich - ebenso wie bei § 266 Abs. 1 StGB - um ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB.


    Oberlandesgericht Saarbrücken

    Urt. v. 27.05.2015

    Az.: 1 U 89/14

    In dem Rechtsstreit

    ... pp., Körperschaft des öffentlichen Rechts, vertreten durch den Vorstand,

    Klägerin und Berufungsklägerin,

    Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

    gegen

    A. S.,

    Beklagter und Berufungsbeklagter,

    Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte

    hat der 1. Zivilsenat des Saarländischen Oberlandesgerichts

    auf die mündliche Verhandlung vom 29.04.2015

    durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht H.-P. Schmidt, die Richterin am Oberlandesgericht Feltes und den Richter am Oberlandesgericht Dr. K. Schmidt

    für R e c h t erkannt:
    Tenor:

    I. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 10.06.2014 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken - 4 O 64/13 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

    1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 142.166,23 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.12.2011 zu zahlen.

    2. Es wird festgestellt, dass der Beklagte bezüglich der Forderung aus Ziffer 1 aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung haftet.

    3. Wegen der weitergehenden Zinsforderung wird die Klage abgewiesen.

    II. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Beklagte.

    III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

    Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, es sei denn, die Klägerin leistet zuvor Sicherheit in gleicher Höhe.

    IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
    Gründe

    A.

    Die Klägerin, eine gesetzliche Krankenkasse, hat den Beklagten, der vom 19.04.2007 bis Januar 2009 Geschäftsführer der Firma pp. war, gestützt auf einen Betriebsprüfungsbericht der Deutschen Rentenversicherung vom 05.11.2010 (GA 12 ff.) unter dem Gesichtspunkt der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen für bei der Firma pp. in der Zeit vom 01.01.2007 bis 28.02.2009 beschäftigte Arbeitnehmer auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von insgesamt 142.166,23 € in Anspruch genommen. Hiervon entfielen 70.112,83 € auf die Arbeitnehmeranteile und 72.053,41 € auf die Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung. Darüber hinaus hat sie die Feststellung begehrt, dass der Beklagte hierfür aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung haftet.

    Der Beklagte hat Fehler bei der Abrechnung eingeräumt, die allerdings nur auf Problemen bei der Kommunikation und Abstimmung mit dem von ihm beauftragten Steuerberater beruhten. Ein vorsätzliches Handeln liege deshalb nicht vor. Zudem hat er die Schadensberechnung als unsubstantiiert gerügt.

    Durch das angefochtene Urteil vom 10.06.2014 (GA 135 ff.), auf dessen tatsächliche und rechtliche Feststellungen vollumfänglich gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht den Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 266a Abs. 1, 14 StGB zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe nicht abgeführter Arbeitnehmeranteile in Höhe von 70.112,83 € nebst gesetzlicher Zinsen seit dem 09.12.2011 verurteilt und insoweit festgestellt, dass die Haftung auf vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung beruht. Ein Schadensersatzanspruch wegen nicht abgeführter Arbeitgeberanteile scheitere daran, dass § 266a Abs. 2 StGB kein Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB sei. § 266a Abs. 2 StGB n. F. bezwecke vielmehr die Sicherung des Gesamtaufkommens an Beiträgen zur Sozialversicherung und nicht etwa den Schutz eines Sozialversicherers.

    Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter, soweit er erstinstanzlich erfolglos geblieben ist.

    Sie vertritt die Auffassung, dass es sich bei § 266a Abs. 2 StGB sehr wohl um ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB handele, denn durch die Einfügung von § 266a Abs. 2 StGB sollte auch die Vorenthaltung von Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung in das Schutzkonzept des § 266a StGB einbezogen werden, was auch bei der zivilrechtlichen Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen sei. Denn einheitliches Schutzgut des § 266a Abs. 1 und Abs. 2 StGB sei allein das Beitragsaufkommen und damit das Vermögen der Sozialversicherungsträger.

    Zudem seien Verzugszinsen bereits seit dem 26.02.2009 zu zahlen, da der Schadensersatzanspruch der Klägerin mit den fällig gewordenen Beitragsforderungen der Klägerin gegen die GmbH korrespondiere.

    Die Klägerin beantragt (GA 163/172, 211),

    das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 10.06.2014 - 4 O 64/13 - dahingehend abzuändern, dass der Beklagte verurteilt wird, über die erstinstanzlich zuerkannte Hauptforderung von 70.112,83 € weitere 72.053,40 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.02.2009 zu zahlen.

    Der Beklagte beantragt (GA 182/185, 211),

    die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

    Er verteidigt das angefochtene Urteil, soweit ihm günstig, unter Wiederholung und Vertiefung seines früheren Vorbringens. Zudem bestreitet er die Aktivlegitimation der Klägerin als zuständige Einzugsstelle und verweist darauf, dass er die Meldungen zur Sozialversicherung von seinem Steuerberater habe erstellen lassen. Vorsatz liege deshalb nicht vor. Schließlich fehle jede Grundlage für die von der Klägerin vorgenommenen pauschalen Zuschätzungen, deren Ermittlungen weder dem Grunde nach der Höhe nach schlüssig dargetan seien.

    Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 29.04.2015 (GA 211 ff.) Bezug genommen.

    B.

    Die Berufung der Klägerin ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin zulässig.

    In der Sache hat sie auch Erfolg, denn der Klägerin steht auch wegen der nicht abgeführten Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung der geltend gemachte Schadensersatzanspruch in Höhe von weiteren 72.053,40 € gemäß §§ 823 Abs. 2 BGB, 266a Abs. 2, 14 StGB gegen den Beklagten zu.

    I. Ohne Erfolg bestreitet der Beklagte die Aktivlegitimation der Klägerin zum Einzug der Sozialversicherungsbeiträge auch in Bezug auf die Arbeitgeberanteile.

    Abgesehen davon, dass sein erstmaliges Bestreiten der Aktivlegitimation in der Berufungsinstanz als neues - streitiges - Verteidigungsvorbringen nach §§ 529, 531 ZPO unberücksichtigt zu bleiben hat, ist, wenn eine personenbezogene Zuordnung der Arbeitnehmer zu einer Krankenkasse - wie hier mangels Meldung - nicht möglich und auch die letzte zuständige Kasse nicht feststellbar ist, die zuständige Einzugsstelle nach Maßgabe der Regelung des § 175 Abs. 3 Satz 2 SGB V zu bestimmen. Danach ist die Zuweisung der Beschäftigten in Anlehnung an die beiden letzten Ziffern der Betriebsnummer des Arbeitgebers zu bestimmen, was im Streitfall zur Zuständigkeit der Klägerin führt.

    II. Der zur Berufung angefallene Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen ihr als zuständigem Sozialversicherungsträger vorenthaltener Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung folgt aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. den §§ 266 a Abs. 2, 14 StGB.

    1. Entgegen der Rechtsauffassung des Landgerichts handelt es sich bei dem durch das 2. WiKG 2004 vom 23.07.2004 neu eingeführten § 266 a Abs. 2 StGB, der zusätzlich die Strafbarkeit von nicht abgeführten sozialversicherungsrechtlichen Arbeitgeberbeiträgen durch Arbeitgeber vorsieht, um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB.

    a. Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist jede Rechtsnorm, die zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen (Palandt/Sprau, BGB, 74. Aufl., § 823 Rdnr. 58). Dabei kommt es entscheidend auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, dass gerade der Rechtsschutz zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt ist. Hierbei muss die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruchs erkennbar vom Gesetzgeber erstrebt sein oder zumindest im Rahmen des haftungsrechtlichen Gesamtsystems sinnvoll und tragbar erscheinen (BGH, Urt. v. 19.2.2008 - XI ZR 170/07, NJW 2008, 1734, 1736 Tz. 18; Urt. v. 13.12.2011 - XI ZR 51/10, NJW 2012, 1800, 1802 Tz. 21). Dass die Rechtsnorm daneben oder möglicherweise sogar in erster Linie Gemeininteressen im Auge hat, schadet nicht (BGH, Urteil vom 18. 11. 2003 - VI ZR 385/02 - NJW 2004, 356, 357).

    b. Nach dem dabei in den Blick zu nehmenden gesamten Regelungszusammenhang der Norm bezweckt § 266 a Abs. 2 StGB ebenso wie Absatz 1 der Vorschrift jedenfalls auch den Schutz der Vermögensinteressen der Sozialversicherungsträger.

    aa. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte und einhelliger Auffassung in der Kommentarliteratur handelt sich bei § 266 a Abs. 1 StGB und dessen Vorläuferregelungen betreffend das Nichtabführen von Arbeitnehmeranteilen um ein Schutzgesetz zu Gunsten der Sozialversicherungsträger (BGH, Urteil vom 21.01.1997 - VI ZR 338/95 - NJW 1997, 1237 ff.; BGH, Urteil vom 16. 5. 2000 - VI ZR 90/99 - NJW 2000, 2993 ff.; BGH, Urteil vom 18. 4. 2005 - II ZR 61/03 - NJW 2005, 2546, 2547 m.w.N.; BGH, Versäumnisurteil vom 16. Februar 2012 - IX ZR 218/10 - BeckRS 2012, 06804).

    bb. Nichts anderes gilt für den Straftatbestand des § 266a Abs. 2 StGB.

    Nach dem Willen des Normgebers sollte durch diese Regelung eine bis dahin bestehende Strafbarkeitslücke geschlossen werden, die auf der Konstruktion beruht, dass der Arbeitgeber die Arbeitgeberanteile in Erfüllung einer ihn selbst treffenden Verpflichtung an die Sozialversicherungsträger zu leisten hat. Eine Strafbarkeit ergab sich nach altem Recht in solchen Fällen daher nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 263 StGB. Vor dem Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 263 StGB, der auch für einen auf einer Täuschung durch pflichtwidriges Unterlassen beruhenden Irrtum eine konkrete Fehlvorstellung verlangt und diese verneint hat, wenn ein Arbeitgeber die Anmeldung seiner Arbeitnehmer bei einer Einzugsstelle unterlässt, die bis dahin noch keine Geschäftsbeziehung zu ihm hatte (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2010 - 1 StR 111/10 -, wistra 2010, 408 f., jurisRn. 9), wurde durch das WiKG der an § 370 AO angelehnte neue betrugsähnliche Tatbestand geschaffen, um die bei § 263 StGB bestehenden Strafbarkeitslücken zu schließen (BT-Drs. 15/2573 S. 28; Perron in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 29. Auflage 2014, § 266a Rn. 1).

    Dass § 266 a Abs. 2 StGB in den Nr. 1 und 2 betrugsähnlich ausgestaltet und an § 370 AO angelehnt ist, ist dem Umstand geschuldet, dass eine Bestrafung wegen der schlichten Nichtbezahlung einer den eigenen Vermögensbereich betreffenden Schuld dem deutschen Strafrecht, wie ausgeführt, fremd wäre (BT-Drs. 14/8221 S. 18; Schönke/Schröder/Perron aaO. m. w. N.). Für die Frage nach dem Schutzzweck hat dies keine Bedeutung. Insbesondere steht der Annahme, dass es sich bei § 266 a Abs. 2 StGB um ein Schutzgesetz handelt, nicht entgegen, dass § 370 AO, an den die Norm angelehnt wurde, nach allgemeiner Auffassung kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist. Denn diese Vorschrift schützt - anders als § 266 a StGB - unstrittig nur den Anspruch des Staates auf den vollen und rechtzeitigen Ertrag aus jeder Steuer, damit dem Staat die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Mittel zur Verfügung stehen und schützt damit erkennbar ausschließlich Gemeininteressen. Ein Individualschutz kann hier allenfalls im Wege eines Reflexes entstehen, wenn angenommen wird, dass die der Allgemeinheit dienende Sicherung des Mittelzuflusses auf jeden einzelnen Bürger des Gemeinwesens zurückschlägt (BFH, Urteil vom 24.10.1996 - VII R 113/94 - NJW 1997, 1725, 1727).

    Demgegenüber dienen die beiden ersten Absätze des § 266 a StGB dem Schutz desselben Rechtsguts, nämlich dem Gesamtinteresse der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung der Mittel für die Sozialversicherung. Damit bezwecken sie aber zugleich auch den Schutz des Vermögens und der Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungsträger, welche die Leistungen tatsächlich erbringen und deren Vermögen auch dann gefährdet wird, wenn Arbeitgeber den von ihnen nach § 28 e Abs. 1 SGB IV geschuldeten Beitrag unter den in § 266 a Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB geregelten Voraussetzungen vorenthalten (Fischer, StGB, 62. Auflage, § 266 a, Rn. 2; Schönke/Schröder/Perron, aaO. § 266 a Rn. 2 m. w. N.; LK-Möherenschläger, StGB, 12. Auflage, § 266 a Rn. 8; SK-Hoyer, StGB, § 266 a Rn. 3 f.; Gercke/Leimerstoll, HRRS Heft 10/2009, 442, 443).

    Wenn § 266 a Abs. 1 StGB in der Rechtsprechung und der Straf- und zivilrechtlichen Kommentarliteratur unstrittig nicht allein dem abstrakten Interesse am Schutz des Aufkommens der Sozialversicherung dient, sondern auch konkret das Vermögen der Sozialversicherungsträger schützt, die die Leistungen im Gemeininteresse aus ihrem Beitragsaufkommen erbringen müssen (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1996 - VI ZR 319/95 - BGHZ 133, 370 ff., jurisRn. 13; Urteil vom 15.10.1996 - VI ZR 319/95 - NStZ 1997, 125; Staudinger/Hager, BGB, II 2009, § 823 G 42 m.w.N.; MünchKomm.BGB-Wagner, 6. Aufl. 2013, § 823 Rn. 103) und da die Schutzrichtung der Absätze 1 und 2 des § 266 a StGB identisch ist, kann für Abs. 2 nichts anderes gelten. Andernfalls müsste man konsequenterweise den unstreitigen Schutzgesetzcharakter von § 266 a Abs. 1 StGB für Sozialversicherungsträger ebenfalls in Frage stellen.

    Hinzu kommt, dass das Gesamtversicherungsaufkommen, dessen Schutz § 266 a Abs. 1 und Abs. 2 StGB dient, den jeweiligen Sozialversicherungsträgern zugeordnet ist, so dass der strafrechtliche Schutz den jeweiligen Sozialversicherern zugutekommt, die durch die sanktionierte Vorenthaltung der Beiträge in ihren Vermögensinteressen beeinträchtigt sind. Dass dieser Kreis - die Gesamtheit der Sozialversicherer - hinreichend konkretisiert ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. 11. 2004 - VI ZR 311/03 - NJW-RR 2005, 680 unter II. 1.; BGH, Urteil vom 14. 6. 2005 - VI ZR 185/04 - NJW 2005, 2923, 2924 unter II. 1. a. aa.), ist für § 266a Abs. 1 StGB anerkannt und kann für dessen Abs. 2 nicht anders gesehen werden.

    2. Der Beklagte hat durch die Nichtabführung der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung gegen § 266 a Abs. 2 StGB verstoßen.

    In Fällen der Schutzgesetzverletzung muss der Geschädigte den Verstoß, also die Verwirklichung aller tatbestandlichen Merkmale des Schutzgesetzes, beweisen (BGH, Urt. v. 19. 7. 2011 - VI ZR 367/09 - NJW-RR 2011, 1661, 1662 Tz. 13), weiter den Zurechnungszusammenhang zwischen der Schutzgesetzverletzung und dem streitgegenständlichen Schaden. Grundsätzlich trifft den Verletzer auch die Beweislast für das Verschulden des Schädigers, das sich nach h. M. allein auf die Verletzung des Schutzgesetzes bezieht. Der subjektive Tatbestand des Schutzgesetzes, insbesondere die zur Verwirklichung erforderliche Schuldform (Vorsatz, Fahrlässigkeit), ist auch für die Ersatzpflicht des § 823 Absatz 2 BGB maßgebend (BGH, Entscheidung vom 29. April 1966 - V ZR 147/63 -, BGHZ 46, 17-24, jurisRn. 10 m. w. N.). Der Verletzer muss bei Schutzgesetzen, die in der Form des Vorsatzes verwirklicht werden, vorsätzlich gehandelt haben, was der geschädigte Sozialversicherungsträger zu beweisen hat. Eine bei feststehendem objektiven Verstoß prinzipiell mögliche Beweislastumkehr erstreckt sich in Fällen wie dem vorliegenden nicht auf den Vorsatz des in Anspruch genommenen Geschäftsführers, den allerdings eine sekundäre Darlegungslast trifft (BGH, Urteil vom 18.12.2012 - II ZR 220/10 - NJW 2013, 1304, 1305 Tz. 14).

    a. § 266 a StGB ist ein Sonderdelikt. In den Fällen der Absätze 1 bis 3 können Täter nur der Arbeitgeber oder eine der in Abs. 5 aufgeführten Personen sein. Der Beklagte war als vertretungsberechtigtes Organ der Firma pp. im Zeitpunkt der Verletzungshandlungen nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB straf- und haftungsrechtlich für das rechtzeitige Abführen der Beiträge verantwortlicher Arbeitgeber (BGH, Urteil vom 15.10.1996 - VI ZR 319/95 - DStZ 1997, 125, 126 unter 2.). Insoweit wird auf die diesbezüglichen eingehenden und überzeugenden Ausführungen des Landgerichts, die mit der Berufung auch nicht angegriffen werden, Bezug genommen.

    b. Die hier in Betracht kommende Tatvariante des § 266 a Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter gegenüber der zuständigen Einzugsstelle unrichtige oder unvollständige Angaben über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen macht - also über Umstände, die den Grund oder die Höhe der Zahlungspflicht betreffen, insbesondere das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses sowie die Höhe des Entgeltes (Fischer aaO., § 266 a Rn. 20). Unvollständig sind Angaben, wenn die in einer den Anschein der Vollständigkeit erweckenden Erklärung enthaltenen Angaben zwar für sich betrachtet richtig sind, durch Weglassen anderer sozialversicherungsrechtlich erheblicher Angaben aber insgesamt ein falsches Bild übermittelt wird; wenn also beispielsweise die Jahresmeldung nach § 28 a Absatz 2 SGB IV nur einen Teil der tatsächlich Beschäftigten enthält.

    Dieser Verpflichtung hat der Beklagte objektiv zuwider gehandelt.

    Aus dem Prüfbericht der Deutschen Rentenversicherung vom 05.11.2007 (Anlage K 2 = GA 12 ff.) ergibt sich, dass er als organschaftlicher Vertreter der Firma pp. in erheblichem Umfang bei dieser Arbeitnehmer beschäftigt hat, ohne diese und die von diesen bezogenen Entgelte entsprechend seiner Verpflichtung aus § 28 a SGB IV vollständig der zuständigen Einzugsstelle zu melden. Das hat der Beklagte in seiner landgerichtlichen Anhörung (GA 71) im Grundsatz selbst eingeräumt und erklärt, er habe unterschiedlich viele Leute je nach Bedarf auch "mal so" beschäftigt. Eine übersichtliche, in sich geordnete Aufstellung der bei der Firma pp. beschäftigten Mitarbeiter hat der Steuerberater nie erhalten. Der Beklagte will ihm nur "Stundenzettel" gegeben haben. Daraus folgt schon, dass er nicht für eine rechtzeitige Meldung gesorgt hat, denn nach § 28a Abs. 4 SGB IV hätte eine solche unter genauer Bezeichnung des Arbeitnehmers spätestens bei dessen Arbeitsaufnahme erfolgen müssen. Zudem steht nicht fest und ist vom Beklagten im Rahmen der ihn, wie dargelegt, treffenden sekundären Darlegungslast auch nicht aufgezeigt worden, dass die dem Steuerberater vorgeblich übergebenen "Stundenzettel" alle zur ordnungsgemäßen Anmeldung der Arbeitnehmer erforderlichen Angaben enthielten und dass sie für alle tatsächlich beschäftigten Arbeitnehmer übermittelt wurden. Das Gegenteil ergibt sich aus dem Prüfbericht.

    c. Der Beklagte kann sich nicht mit Erfolg damit entlasten, die Aufgabe, die von ihm beschäftigten Arbeitnehmer bei der zuständigen Einzugsstelle zu melden, dem Steuerberater übertragen zu haben.

    Der organschaftliche Vertreter braucht die in sein Ressort fallenden Aufgaben zwar nicht in eigener Person zu erledigen, sondern er kann sie auf andere delegieren. Eine solche Delegation beseitigt aber nicht die Eigenverantwortlichkeit. Kraft seiner Organisationsgewalt muss der organschaftliche Vertreter in geeigneter Weise sicherstellen, dass die der Gesellschaft obliegenden und originär von ihm wahrzunehmenden Aufgaben durch die von ihm beauftragte Person auch tatsächlich erfüllt werden. Das setzt zum einen voraus, dass dem Beauftragten die zur Wahrnehmung der ihm übertragenen Aufgabe erforderlichen Informationen zeitnah und vollständig erteilt werden. Zum anderen muss der organschaftliche Vertreter sich durch Vorlage der tatsächlich erfolgten Anmeldungen zumindest im Rahmen stichprobenartiger Kontrollen vergewissern, dass alle bei ihm beschäftigten Mitarbeiter dem Sozialversicherungsträger auch gemeldet wurden (BGH, Urteil vom 15.10.1996 - VI ZR 319/95 - aaO.).

    Im Streitfall konnte der Steuerberater, wie sich aus der Einlassung des Beklagten ergibt, die Anmeldungen nur vornehmen, wenn er entsprechend vollständige und zutreffende Angaben von dem Beklagten erhalten hatte. Dass dies nicht der Fall gewesen sein kann, ergibt sich bereits aus dem Prüfbericht. Darüber hinaus hat der Beklagte die ihm obliegende Überprüfung, ob der Steuerberater die Meldungen korrekt vornehmen konnte und vorgenommen hat, was bei der von ihm geschilderten "Stundenzettelpraxis" keineswegs selbstverständlich war, nicht vorgenommen.

    d. Mit den nicht abgeführten Arbeitgeberanteilen ist der Taterfolg des § 266a Abs. 2 StGB eingetreten.

    e. Dem Beklagten fällt wegen der aufgezeigten Pflichtverletzungen auch Vorsatz zur Last.

    Erforderlich, aber auch ausreichend ist in allen Varianten des § 266 a StGB bedingter Vorsatz (BGH, Urteil vom 15. Oktober 1996 - VI ZR 319/95 - aaO., jurisRn. 28; BGH, Urteil vom 21. Januar 1997 - VI ZR 338/95 -, BGHZ 134, 304-315, jurisRn. 27; Schönke/Schröder/Perron, aaO., § 266 a Rn. 17).

    In der strafrechtlichen Judikatur wird in Anlehnung an die Einwilligungstheorie darauf abgestellt, dass der Täter das den Tatbestand verwirklichende Verhalten - hier die unvollständigen Angaben zu sozialversicherungsrechtlich erheblichen Tatsachen und das damit einhergehende Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen - billigend in Kauf genommen und nicht auf die Erfüllung der Ansprüche der Sozialversicherungsträger hingewirkt hat (BGH, Urteil vom 2. 6. 2008 - II ZR 27/07 - NJW-RR 2008, 1253, 1254 Tz. 11; BGH, Urteil vom 11. 12. 2001 - VI ZR 350/00 - NJW 2002, 1123, 1125 unter II. 3. c. bb.; Fischer aaO. § 266 a Rn. 23).

    Die aus § 28 a SGB IV folgenden Meldepflichten waren dem Beklagten bekannt. Dass nicht alle bei der von ihm geführten Firma pp. beschäftigten Arbeitnehmer zeitnah (§ 28a Abs. 4 SGB IV) zur Arbeitsaufnahme der zuständigen Einzugsstelle gemeldet wurden, wusste er. Er hat auch nicht kontrolliert, ob Anmeldungen vom Steuerberater anhand der diesem übergebenen "Stundenzettel" korrekt vorgenommen werden konnten und vorgenommen wurden. Im Übrigen konnte der Steuerberater nur solche Arbeitnehmer melden, die ihm vorher von dem Beklagten in seiner Eigenschaft als organschaftlicher Vertreter der Firma pp. benannt worden waren.

    Die Abgrenzung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz ist mitunter schwierig. In Ermangelung anderer valider Erkenntnisquellen muss in solchen Fällen von dem äußeren Geschehensablauf und den bekannten Gesamtumständen auf die subjektive Tatseite geschlossen werden. Während bei singulären Zuwiderhandlungen und im Übrigen pflichtgemäßen Meldungen die Annahme von bloßer Fahrlässigkeit nahe liegen dürfte, spricht bei einer Vielzahl von Zuwiderhandlungen und Hinweisen darauf, dass die Unvollständigkeit der Meldungen "System hatte", alles für bedingten Vorsatz im Sinne eines zumindest billigenden Inkaufnehmens. Hierbei ist auch in den Blick zu nehmen, dass unvollständigem Meldungen nicht nur die Sozialversicherungsträger schädigen, sondern dem den Arbeitgeberanteil schuldenden Verletzer und dessen Unternehmen zum Vermögensvorteil gereichen und ihm Wettbewerbsvorteile gegenüber rechtstreuen Konkurrenzunternehmern verschaffen. Deshalb spricht eine, wie hier, große Anzahl von Zuwiderhandlungen entschieden gegen bloße Nachlässigkeit oder interesselose Gleichgültigkeit, sondern für ein zumindest bedingt vorsätzliches, dem eigenen Vermögensvorteil oder dem der vom Täter geführten Gesellschaft dienendes Verhalten.

    Einem bedingt vorsätzlichen Handeln des Beklagten steht auch nicht entgegen, dass er sich auf den von ihm beauftragten Steuerberater verlassen haben will, denn dieser konnte nur solche Arbeitnehmer bei der Sozialversicherung melden, die ihm vorher von dem Beklagten übermittelt worden waren. Daraus folgt klar und eindeutig, dass es der Beklagte als organschaftlicher Vertreter der Firma pp. selbst in der Hand hatte zu entscheiden, ob bzw. welche Arbeitnehmer er als sozialversicherungspflichtig Beschäftigte gegenüber der Einzugsstelle melden wollte. In Anbetracht der Vielzahl der unterbliebenen bzw. unvollständigen Meldungen ist der Senat davon überzeugt, dass der Beklagte bei der Firma pp. beschäftigte Arbeitnehmer nur in geringem Umfang seinem Steuerberater zur Weiterleitung an die Einzugsstelle gemeldet hat.

    Die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge war dem Beklagten als organschaftlicher Vertreter der Firma pp. auch möglich. Anhaltspunkte dafür, dass die Firma pp. hierzu finanziell nicht in der Lage war, liegen nicht vor. Dies wird von dem Beklagten auch nicht geltend gemacht.

    3. Der Klägerin ist durch das strafbewehrte Fehlverhalten des Beklagten ein weiterer Schaden in geltend gemachter Höhe von 72.053,41 € entstanden.

    Diesen Schaden hat die Klägerin unter Bezugnahme auf den Prüfbescheid der Deutschen Rentenversicherung vom 05.11.2010 (GA 13 ff.) schlüssig dargelegt (KG Berlin, Urteil vom 11.11.2008 - 4 U 149/07 - zit. nach jurisRn. 12). Ein weitergehender Vortrag zur Schadenshöhe ist ihr nicht möglich, weil sie selbst aufgrund der unterbliebenen Meldungen nicht feststellen kann, in welchem Umfang der Beklagte Arbeiter beschäftigt hat. Darüber hinaus hat die Klägerin ihren Vortrag durch Vorlage der monatlichen Zuordnung der ausgebliebenen Gesamtsozialversicherungsbeiträge (Anlage K6 = GA 115), unterteilt nach Arbeitnehmer- (Anlage K7 = GA 116) und Arbeitgeberbeiträgen (Anlage K8 = GA 117) weiter konkretisiert. Es wäre dann Sache des Beklagten im Rahmen der ihm obliegenden sekundären Behauptungslast gewesen, diesem Vortrag substantiiert entgegenzutreten und im Einzelnen dazulegen, welche Arbeitnehmer in dem entscheidungserheblichen Zeitraum in welchem Umfang tatsächlich beschäftigt wurden. Hierzu fehlt aber auch in der Berufung jeder Vortrag.

    Der Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass ihm ein solcher Vortrag erst nach einem entsprechend substantiierten Vortrag der Klägerin möglich ist, denn er allein kann den Sachverhalt weiter aufklären und hierzu weiter vortragen. Denn er hat als organschaftlicher Vertreter der Firma pp. die Arbeitnehmer beschäftigt, so dass nur er in der Lage ist, zu dem Umfang der Beschäftigungsverhältnisse und dem tatsächlich gezahlten Lohn konkrete Angaben zu machen.

    Dem steht, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, auch nicht entgegen, dass die Entscheidung im Verhältnis zur Rentenversicherung noch nicht rechtskräftig ist, da Vorgreiflichkeit insoweit nicht vorliegt. Vielmehr hätte der Beklagte die Einwände gegen die Feststellungen des Prüfbescheids auch in vorliegendem Verfahren geltend machen können und müssen, worauf das Landgericht im Termin vom 08.10.2010 (GA 71) ausdrücklich hingewiesen hat. Dennoch ist kein weitergehender Vortrag erfolgt.

    4. Die Entscheidung über die Zinsforderung beruht auf den §§ 286 Abs. 1 Satz 1, 288 BGB. Der Beklagte ist mit Schreiben der Klägerin vom 10.11.2011 (Anlage K 5 = GA 37 f.) unter Fristsetzung zum 02.12.2011 zur Zahlung aufgefordert worden. Soweit die Klägerin einen früheren Verzugseintritt mit den Fälligkeitsvorschriften der §§ 22, 23 SGB IV begründet, betreffen diese lediglich die Beitragsschuld der Firma pp., nicht jedoch ihre Schadensersatzforderung gegen den Beklagten.

    III. Auf Antrag der Klägerin war somit auch festzustellen, dass die ausgeurteilte Forderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung - § 266 a Abs. 2 StGB - beruht (vgl. BGHZ 109, 275(276); 152, 166 (171)).

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 i. V. m. 709 Satz 2 ZPO.

    Die Revision war nicht zuzulassen, da es an den erforderlichen Voraussetzungen fehlt (§§ 542 Abs. 1, 543 Abs. 1 Ziffer 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 ZPO).

    RechtsgebieteStGB, BGBVorschriften§ 266a Abs. 2 StGB; § 823 Abs. 2 BGB

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