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  • 15.07.2015 · IWW-Abrufnummer 144921

    Oberlandesgericht Braunschweig: Urteil vom 18.03.2015 – 1 Ss 84/14

    Der Strafrahmen des § 374 Abs. 2 S. 2 AO kann nicht damit gerechtfertigt werden, dass der vom Angeklagten persönlich gezogene Vorteil geringer sei als der Steuerschaden.



    Das Fehlen eines Strafschärfungsgrundes (Zuordnung zum Bereich der organisierten Kriminalität) ist nicht geeignet, tragend das Vorliegen eines minder schweren Fall gemäß § 374 Abs. 2 S. 2 AO zu begründen.


    Tenor:

    Auf die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 27. August 2014 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revisionen - an eine andere Kammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.

    Das weitergehende Rechtsmittel des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
    Gründe

    I.

    Der Angeklagte ist vom Amtsgericht Braunschweig am 22. Januar 2014 wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in zwei Fällen (§ 374 Abs. 2 S. 1 AO) mit einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr belegt worden. Die Strafrichterin hat die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt und zudem zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (Art 6 Abs.1 MRK) angeordnet, dass 3 Monate der Strafe als vollstreckt gelten. Das Landgericht Braunschweig hat die Berufung des Angeklagten durch das angefochtene Urteil hinsichtlich des Schuldspruchs verworfen. Im Rechtsfolgenausspruch hat die Kammer das amtsgerichtliche Urteil jedoch aufgehoben und unter Annahme eines minder schweren Falles (§ 374 Abs.2 S. 2 AO) eine Gesamtgeldstrafe von nur 140 Tagessätzen zu je 30,- € verhängt. Außerdem hat das Landgericht bestimmt, dass wegen des Konventionsverstoßes 60 Tagessätze als vollstreckt gelten.

    Nach den Feststellungen des Landgerichts kaufte der Angeklagte am 3. April 2008 (Fall 1) 400 Stangen und am 30. Juli 2008 (Fall 2) weitere 300 Stangen Zigaretten von dem Zeugen S zu einem Preis von 15,- € je Stange. Die Zigaretten (je 200 Stück pro Stange) seien, was der Angeklagte gewusst habe, unter Umgehung der fälligen Verbrauchssteuern, nämlich von Tabaksteuer in Höhe von 11.008,- € (Fall 1: 80.000 Zigaretten) und von 8.256,- € (Fall 2: 60.000 Zigaretten), in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland verbracht worden. Dabei ist die Kammer ohne nähere Ausführungen davon ausgegangen, dass bei der Verbringung in das Steuergebiet der Bundesrepublik Deutschland für jede der insgesamt 140.000 Zigaretten, deren Marke sich aus den Urteilsfeststellungen nicht ergibt, Tabaksteuer in Höhe von mindestens 13,76 Cent angefallen sei. Der Angeklagte habe die Zigaretten erworben, weil er die Stangen für jeweils rund 20,- € habe weiterverkaufen wollen. Er habe in der Absicht gehandelt, seine Einkommensverhältnisse durch zukünftige Geschäfte, von denen ein weiteres (1.000 Stangen) bereits angebahnt gewesen sei, aufzubessern. Die Entscheidung zur rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sei geboten, weil das Verfahren von August 2009 bis Juni 2012 vom Hauptzollamt nicht gefördert worden sei.

    Der Angeklagte hat gegen das Urteil am 1. September 2014 Revision eingelegt. Nach Zustellung der Urteilsgründe (am 25. September 2014) hat er das Rechtsmittel mit einem am 23. Oktober 2014 eingegangenen Schriftsatz begründet. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und bringt gegen den Schuldspruch vor, dass tragfähige Ausführungen zur Gewerbsmäßigkeit fehlten. Die Kammer habe, obgleich dies erforderlich gewesen sei, seine damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht festgestellt. Nähere Ausführungen zur angeblichen Gewinnspanne von 5,- € seien dem Urteil auch nicht zu entnehmen.

    Dass das Verfahren zwischen 2009 und 2012 nicht gefördert worden sei, habe die Kammer fehlerhaft nur im Zusammenhang mit der Vollstreckungslösung erörtert, nicht aber im Rahmen der Strafzumessung. Das Gericht habe sich im Rahmen der Strafzumessung zudem nicht damit auseinandergesetzt, dass die Tatvorwürfe 6 Jahre zurückliegen. Außerdem habe die Kammer bei der Rechtsfolgenentscheidung nicht berücksichtigt, dass er hinsichtlich des äußeren Geschehens geständig gewesen sei. Ferner liege ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot vor, weil die Kammer im Rahmen der Vollstreckungslösung bestimmt habe, dass nur 60 Tagessätze als vollstreckt gelten. Dies sei zu beanstanden, weil das Amtsgericht 3 Monate (= 90 Tagessätze) als vollstreckt angesehen habe. Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Revisionsbegründung vom 22. Oktober 2014 verwiesen. Der Angeklagte beantragt,

    das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 27. August 2014 mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer zurückzuverweisen.

    Die Staatsanwaltschaft hat gegen das angefochtene Urteil am 2. September 2014 ebenfalls Revision eingelegt. Nach Zustellung der Urteilsgründe (am 9. Oktober 2014) hat sie das Rechtsmittel mit einem am 24. Oktober 2014 eingegangenen Schriftsatz begründet. Die Staatsanwaltschaft, die ebenfalls die Sachrüge erhoben hat, wendet sich mit ihrem auf die Rechtsfolge beschränkten und von der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen Rechtsmittel insbesondere gegen die Annahme eines minder schweren Falles. Die Kammer habe bei der erforderlichen Gesamtabwägung zunächst einen Rechtsfehler begangen, indem sie das Fehlen eines Strafschärfungsgrundes (Zuordnung zum Bereich der organisierten Kriminalität) tragend herangezogen habe, um den Strafrahmen des § 374 Abs. 2 S. 2 AO zu begründen. Das weitere Argument der Kammer, der vom Angeklagten persönlich gezogene Vorteil von 3.500,- € sei deutlich geringer als der Steuerschaden, könne einen minder schweren Fall auch nicht rechtfertigen. Es sei vielmehr systemimmanent, dass der Verkürzungsbetrag den Vorteil übersteige. Außerdem sei die Kammer von einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensdauer i.S.d. Art 6 MRK ausgegangen, obgleich die Voraussetzungen des Konventionsverstoßes - insbesondere die Kenntnis des Angeklagten vom Schuldvorwurf - im Urteil nicht dargelegt seien.

    Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,

    die Revision des Angeklagten als unbegründet zu verwerfen, das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 27. August 2014 auf die Revision der Staatsanwaltschaft im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

    II.

    Die Revisionen sind statthaft und auch sonst zulässig. Sie sind insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Beide Rechtsmittel haben hinsichtlich des Strafausspruchs zumindest vorläufig Erfolg. Die weitergehende Revision des Angeklagten ist indes unbegründet.

    1. Soweit es den vom Angeklagten angegriffenen Schuldspruch betrifft, ist auszuführen, dass die Gewerbsmäßigkeit des Vorgehens (zur Definition: Tully in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 373 AO Rn. 7) rechtsfehlerfrei festgestellt ist. Die Kammer hat Ausführungen zu der Anzahl der angekauften Zigaretten gemacht und den beabsichtigten Veräußerungsgewinn von 5,- € pro Stange erläutert. Sie hat zudem festgestellt, dass der Angeklagte ein weiteres Geschäft (Ankauf von 1000 Stangen zum Preis von 15,- € geplant hat. Dass die Kammer die damaligen Vermögensverhältnisse des Angeklagten (Schnellimbiss) nur knapp festgestellt hat, schadet nicht, weil es sich bei den Einkünften aus der Straftat nicht um die Haupteinnahmequelle des Täters handeln muss (Fischer, StGB, 62. Aufl., Rn. 61 vor § 52).

    Es bringt den Schuldspruch ferner nicht in Gefahr, dass die Kammer ohne nähere Erläuterungen bei der Berechnung der Tabaksteuerverkürzung einen Steuersatz von 13,76 Cent pro Zigarette angenommen hat. Die Vorgehensweise der Kammer ist zwar rechtsfehlerhaft, weil der Steuertarif gemäß § 4 Abs. 1 S.1 Nr. 1 TabStG a.F. vom sog. Kleinverkaufspreis (§ 5 Abs. 1 TabstG a.F.) abhängt und dieser näher darzulegen ist (BGH, Beschluss vom 25.03.2010, 1 StR 52/10, juris). Einfluss auf den Schuldspruch hat das indes nicht, weil lediglich ein Kleinverkaufspreis im Bereich zwischen 21 Cent pro Zigarette und 22,26 Cent pro Zigarette zu einem niedrigeren Verkürzungsbetrag führen könnte. Bereits ab einem Kleinverkaufspreis von mehr als 22,26 Cent pro Zigarette läge der nach § 4 Abs. 1 S.1 Nr. 1 TabStG a.F errechnete Verkürzungsbetrag über dem Betrag von 13,76 Cent (8,27 + 5,49 [22,26 x 0,2466] = 13,76). Umgekehrt läge bei einem Kleinverkaufspreis von weniger als 21,- Cent pro Zigarette der gemäß § 4 Abs. 1 S.2 TabStG a. F. errechnete Mindeststeuersatz über 13,76 Cent pro Zigarette. Denn der Betrag von 13,76 Cent pro Zigarette, von dem die Kammer ausgegangen ist, beruht auf einem Kleinverkaufspreis von 21 Cent pro Zigarette, wie die nachfolgende Berechnung zeigt: Die laut der Bekanntmachung des Bundesministeriums der Finanzen gemäß § 4 Abs. 1 S. 4 TabStG a.F. anzusetzende sog. "gängigste Preisklasse" für Zigaretten i. S. d. § 4 Abs. 1 S.2 TabStG a. F. betrug zur Tatzeit (im Jahr 2008) genau 4,- € je 17 Stück Zigaretten, also 23,529 Cent pro Stück (vgl. BGH, Beschluss vom 25.03.2010, 1 StR 52/10, juris). Bei einem Bruttozigarettenpreis von 23,529 Cent pro Stück ergibt sich nach der Formel des § 4 Abs. 1 S.1 Nr. 1 TabStG a.F Tabaksteuer von 14,072 Cent (8,27 ct + [23,529 x 0,2466]), ein Nettopreis für Zigaretten der gängigsten Preisklasse von 19,772 Cent (19,772 Cent x 1,19 = 23,529 Cent) und somit Umsatzsteuer von 3,757 Cent pro Stück. Die nach § 4 Abs. 1 S.2 TabStG a. F. zugrunde zu legenden 96 Prozent der Gesamtsteuerbelastung durch Tabaksteuer und Umsatzsteuer (100 % = 17,829 Cent [14,072 Cent + 3,757 Cent]) entsprechen dann 17,116 Cent pro Stück. Zieht man hiervon nun, wie das ebenfalls von § 4 Abs. 1 S.2 TabStG a. F. gefordert wird, 3,35 Cent Umsatzsteuer ab, die in einem Kleinverkaufspreis von 21 Cent enthalten wären, ergibt sich ein Mindeststeuersatz von genau 13,76 Cent. Wäre der Kleinverkaufspreis noch niedriger als die von der Kammer angenommenen 21 Cent pro Zigarette, verringerte sich der zuletzt genannte Abzugsposten und der Mindeststeuersatz erhöhte sich zwangsläufig. Der denkbar niedrigste Steuersatz betrug zur Tatzeit 13,64 Cent pro Zigarette und wurde bei einem Kleinverkaufspreis von 21,769 Cent erreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 25.03.2010, 1 StR 52/10, juris).

    2. Der Rechtsfolgenausspruch hält allerdings der Überprüfung auf beide Revisionen nicht stand.

    a. Er ist zunächst auf die Revision des Angeklagten aufzuheben, weil die Kammer weder dem langen Zeitablauf seit der Tatbegehung und dem damit abnehmenden Strafbedürfnis noch der erheblichen Verfahrensdauer bei der Strafzumessung Rechnung getragen hat. Das wegen des Zeitablaufs abnehmende Strafbedürfnis und die Belastung, die mit einer langen Verfahrensdauer verbunden ist, sind im Rahmen der Strafzumessung unabhängig davon zu berücksichtigen, ob die Verfahrensdauer auf einem konventionswidrigen Verhalten der Strafverfolgungsbehörden beruht (BGH, Beschluss vom 16.06.2009, 3 StR 173/09, juris, Rn. 5; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 61). Dass die Verfahrensdauer für den Angeklagten belastend war, steht zwar nicht sicher fest, weil sich aus dem Urteil nicht ergibt, wann der Angeklagte, der lediglich die Sachrüge erhoben hat, vom Schuldvorwurf Kenntnis erlangt hat. Im Rahmen der Revision des Angeklagten ist jedoch schon deshalb zu seinen Gunsten von der erforderlichen Kenntnis auszugehen, weil die Kammer zugleich eine konventionswidrige Verfahrensdauer festgestellt hat, was ebenfalls Kenntnis vom Schuldvorwurf voraussetzt (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 50 [BGH 25.10.2005 - 4 StR 139/05]; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 122). Die Rechtsfolgenentscheidung kann auch nicht mit der Begründung gehalten werden, dass die vorgenannten Strafzumessungsfehler durch die durchaus großzügige Anwendung der Vollstreckungslösung (vgl. hierzu: BGH, Beschluss vom 21.02.2013, 1 StR 633/12, juris, Rn. 47 sowie Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 781 f.) kompensiert werden. Denn die Frage, ob die konventionswidrige Verfahrensdauer auf einem konventions- und rechtsstaatswidrigen Verhalten beruht, ist aus der Strafzumessungsentscheidung herausgelöst und deshalb von dieser zu trennen (BGH, Beschluss vom 16.06.2009, 3 StR 173/09, juris, Rn. 5; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 773).

    Das weitere Revisionsvorbringen des Angeklagten greift indes nicht durch. Soweit er die Strafzumessungsentscheidung mit dem Argument angreift, er sei hinsichtlich des äußeren Geschehensablaufs geständig gewesen, ist ihm entgegenzuhalten, dass er weder den Ankauf der Zigaretten noch gar die Umstände, die zur Annahme von Gewerbsmäßigkeit führen, eingeräumt hat (vgl. UA S. 4 f.). Es liegt daher lediglich ein geringfügiges Teilgeständnis vor, das erkennbar kein wesentlicher Strafzumessungsgrund ist und sich daher nicht maßgeblich auf die festgesetzte Strafe ausgewirkt hat (vgl. zu ähnlichen Fällen: Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 50). Ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot des § 331 Abs. 1 StPO ist der Kammer im Berufungsverfahren ebenfalls nicht unterlaufen, indem sie nur 60 Tagessätze als vollstreckt angesehen hat, obgleich das erstinstanzlichen Urteil den Konventionsverstoß mit 3 Monaten bewertet hat. Das Verschlechterungsverbot ist zwar grundsätzlich zu berücksichtigen, wenn das angefochtene Urteil einen Kompensationsausspruch enthält (BGH, Beschluss vom 13.02.2008, 3 StR 563/07, juris, Rn. 6; OLG Celle, Beschluss vom 22.12.2011, 32 Ss 116/11, juris, Rn.3). Dem Verschlechterungsverbot ist jedoch in solchen Fällen genüge getan, wenn die in zweiter Instanz verhängte Strafe, wäre sie vollständig zu verbüßen, jene Strafe nicht übersteigt, die nach dem erstinstanzlichen Urteil zu vollstrecken wäre (BGH, aaO.; OLG Celle, aaO.). Danach ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden. Vielmehr ist in der zweiten Instanz sogar eine Geldstrafe verhängt worden, was anstelle einer Freiheitsstrafe in beliebiger Höhe zulässig ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 331 Rn. 12).

    b. Der Strafausspruch hält auch der Revision der Staatsanwaltschaft nicht stand.

    Ein erster durchgreifender Rechtsfehler liegt vor, weil das Landgericht die Annahme eines minder schweren Falles nicht tragfähig begründet hat. Ein minder schwerer Fall ist nur anzunehmen, wenn die gebotene Gesamtwürdigung zu einem beträchtlichen Überwiegen der mildernden Faktoren führt (Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 85). Allein der Hinweis der Kammer auf fehlende Vorstrafen - ein anerkannter Strafmilderungsgrund (Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 50) - reicht hierfür nicht aus. Weitere tragfähige Argumente zur Begründung eines minder schweren Falles enthalten die Urteilsgründe jedoch nicht. Denn bei den beiden anderen Argumenten, die die Kammer zu Begründung herangezogen hat, handelt es sich nicht um zulässige Strafmilderungsgründe:

    So kann der Strafrahmen des § 374 Abs. 2 S. 2 AO zum einen nicht damit gerechtfertigt werden, dass der vom Angeklagten persönlich gezogene Vorteil (insgesamt 3.500,- €) deutlich geringer sei als der Steuerschaden. Der Staatsanwaltschaft hat hierzu zutreffend ausgeführt, dass es keine Besonderheit ist, wenn die bei legalem Vorgehen zu entrichtende Tabaksteuer den Vorteil übersteigt, den ein Straftäter aus dem illegalen Vorgehen zieht. Wäre das anders, lohnte sich das illegale Vorgehen nicht. Die Kammer durfte sich bei der gebotenen Gesamtabwägung zum anderen nicht tragend darauf stützen, dass der Angeklagte nicht zum Bereich der organisierten Kriminalität gehört. Zwar dient der minder schwere Fall des § 374 Abs. 2 S. 2 AO nach den Gesetzesmaterialien ausdrücklich dazu, eine mildere Bestrafung des Täters in Fällen zu ermöglichen, die nicht der "typischen organisierten Kriminalität zuzurechnen sind" (BR Drucksache 275/07, S. 177 f.). Dennoch ist das Fehlen eines Strafschärfungsgrundes (Zuordnung zum Bereich der organisierten Kriminalität) nicht geeignet, das Vorliegen eines minder schweren Fall tragend zu rechtfertigen (BGH, Urteil vom 12.02.2015, 5 StR 536/14, Rn. 3).

    Ein weiterer Fehler des angefochtenen Urteils liegt darin, dass die Kammer wegen eines Verfahrensstillstandes von August 2009 bis Juni 2012 nach Art 6 Abs.1 MRK einen Vollstreckungsabschlag von 60 Tagessätzen vorgenommen hat, ohne die Voraussetzungen einer konventionswidrigen Verfahrensverzögerung darzulegen (vgl. hierzu: Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 122 ff.). Eine konventionswidrige Verfahrensverzögerung setzt insbesondere voraus, dass der Betroffene Kenntnis vom Schuldvorwurf hat (BGH NStZ-RR 2006, 50 [BGH 25.10.2005 - 4 StR 139/05]; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 122). Ob der Angeklagte im Zeitraum von August 2009 bis Juni 2012 überhaupt Kenntnis vom Verfahren hatte, lässt sich den Urteilsgründen indes nicht entnehmen.

    Schließlich hat die Revision der Staatsanwaltschaft auch deshalb Erfolg, weil die Kammer den konkreten Kleinverkaufspreis nicht festgestellt hat. Diesem Umstand kommt zwar für die Revision des Angeklagten wegen des angenommenen Steuersatzes von nur 13,76 Cent pro Zigarette keine entscheidende Bedeutung zu. Er greift jedoch im Rahmen der Revision der Staatsanwaltschaft durch, weil der für die Strafzumessung bedeutsame (dazu: Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 36) Steuerverkürzungsbetrag gemäß § 4 Abs. 1 S.1 Nr. 1 TabStG a.F. vom Kleinverkaufspreis (§ 5 Abs. 1 TabstG a.F.) abhängt und ein über 22,26 Cent pro Zigarette liegender Kleinverkaufspreis - wie dargelegt - zu einem höheren Verkürzungsbetrag führen würde.

    III.

    Wegen der dargelegten Rechtsfehler ist das Urteil im tenoriertem Umfang gemäß § 353 StPO aufzuheben. Die Sache ist im Umfang der Aufhebung gemäß § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

    IV.

    Eine Kostenentscheidung ist derzeit nicht veranlasst, da der endgültige Ausgang des Verfahrens noch offen ist.

    V.

    Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass sich die Kammer bei der Bestimmung des Kleinverkaufspreises im Wege der Schätzung am durchschnittlichen Kleinverkaufspreis für Markenzigaretten des unteren Preissegments orientieren darf, wenn in Deutschland kein legaler Kleinverkaufskaufspreis existiert (BGH, Beschluss vom 20.11.2008, 1 StR 546/08, juris, Rn. 11).

    VorschriftenAO § 374 Abs. 2 S. 2 StGB § 46 MRK Art. 6 Abs. 1

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