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  • 05.07.2012 · IWW-Abrufnummer 123420

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 20.12.2011 – 9 K 9051/09

    1. Im Verfahren wegen Lohnsteuerhaftung des Geschäftsführers einer GmbH können die finanziellen Schwierigkeiten der GmbH den für die Abführung von Lohnsteuer verantwortlichen Geschäftsführer nicht ohne weiteres entlasten.
    2. Verstößt der Geschäftsführer gegen die Pflicht bei Liquiditätsengpässen die Löhne nur gekürzt als Vorschuss oder Teilbetrag auszuzahlen, so dass er aus den dann übrig bleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das FA abführen kann, geht er bewusst das Haftungsrisiko nach § 69 AO ein. Die Nichtrealisierung der Erwartung verbesserter Liquidität liegt in seiner Risikosphäre.
    3. Die Pflichtverletzung der nicht rechtzeitige Tilgung einer Steuerschuld ist auch dann ursächlich für den eingetretenen Schaden des FA, wenn der Geschäftsführer verspätet zahlt, die verspätete Zahlung aber in einen Zeitraum fällt, in dem sie nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter angefochten werden kann.
    4. Der GmbH-Geschäftsführer kann nicht gegen die Haftungsinanspruchnahme wegen rückständiger Lohnsteuern vorbringen, er habe mit dem Vollziehungsbeamten des FA eine Übereinkunft über eine bestimmte Zahlungsmodalität bezüglich der rückständigen Lohnsteuerverbindlichkeiten getroffen, denn ein Vollziehungsbeamter ist ausschließlich mit Vollstreckungsangelegenheiten befasst und kann nicht die Pflichten eines Arbeitgebers nach § 41a Abs. 1 EStG zur pünktlichen Abführung von Lohnsteuer außer Kraft setzen.


    IM NAMEN DES VOLKES
    URTEIL
    In dem Rechtsstreit
    hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 9. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 20. Dezember 2011 durch Richter am Finanzgericht … als Einzelrichter für Recht erkannt:
    Die Klage wird abgewiesen.
    Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
    Tatbestand:
    Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte den Kläger als früheren Geschäftsführer einer … GmbH mit Sitz in Berlin (künftig: GmbH) für rückständige Lohnsteuerverbindlichkeiten dieser Gesellschaft persönlich in Haftung nehmen kann.
    Der 19… geborene Kläger war vom 30. Januar 2002 bis zum 1. Juli 2008 (= Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH) alleiniger GmbHGeschäftsführer der am … Juni 2000 gegründeten GmbH. Unternehmensgegenstand war die Entwicklung und der Vertrieb … sowie von Technologien zur ….
    Die GmbH reichte am … Dezember 2007 eine Lohnsteuer- und Lohnkirchensteueranmeldung für den Monat Dezember 2007 mit einer Zahllast in Höhe von insgesamt 7 714,07 EUR beim Beklagten ein. Am … Januar 2008 reichte sie eine Lohnsteueranmeldung für den Monat Januar 2008 mit einer Zahllast in Höhe von insgesamt 7 214,89 EUR ein.
    Am f… März 2008 wurden aufgrund eines entsprechenden, vom Kläger ausgefüllten Überweisungsauftrags 12 912,60 EUR mit dem hinzugefügten Bestimmungszweck „LSt 12/2007” vom Geschäftskonto der GmbH auf ein Bankkonto des Beklagten transferiert. Der Betrag entsprach centgenau der bereits am 10. Februar 2008 fällig gewordenen Umsatzsteuervorauszahlung für den Monat Dezember 2007.
    Am … April 2008 erhielt ein Vollziehungsbeamter des Beklagten den Auftrag, u. a. wegen rückständiger Lohnsteuerverbindlichkeiten der GmbH ab dem Monat Oktober 2007 in das bewegliche Vermögen der Gesellschaft zu vollstrecken. Am …. April 2008 erhielt der Vollziehungsbeamte von der GmbH einen Scheck über 9 000,00 EUR. Am … April 2008 erhielt der Vollziehungsbeamte von der GmbH einen weiteren Scheck über 9 301,57 EUR. Die Deutsche Bundesbank sandte beide Schecks mit dem Vermerk zurück, dass sie vom bezogenen Kreditinstitut mangels Kontodeckung nicht eingelöst worden seien.
    Am … Mai 2008 stellte die GmbH, vertreten durch den Kläger, beim Amtsgericht … einen Eigenantrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Daraufhin ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom … Mai 2008 die vorläufige Insolvenzverwaltung an und beauftragte den vorläufigen Insolvenzverwalter, Herrn Rechtsanwalt M. aus B., mit der Erstellung eines Gutachtens über die finanziellen Verhältnisse der GmbH. Dieser stattete am … Juni 2008 sein Gutachten ab. Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom … Juli 2008 wurde das eigentliche Insolvenzverfahren eröffnet.
    Mit Schriftsatz vom … Dezember 2008 erklärte der Insolvenzverwalter gegenüber dem Beklagten unter Berufung auf § 133 Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) die Anfechtung folgender Zahlungen seitens der GmbH:

    4.12.20072 877,19 EUR(Lohnsteuer September 2007)
    7.1.2008405,50 „(Säumniszuschläge zur Lohnsteuer 09/2007)
    4.3.200812 912,60 „(Umsatzsteuervorauszahlung Dezember 2007)
    1.4. 2008104,18 „(Kirchensteuer 09/11/12-2007)
    1.4.2008219,00 „(Säumniszuschläge Lohnsteuer Dezember 2007)
    1.4.2008248,00 „(Säumniszuschläge Lohnsteuer November 2007)
    1.4.2008291,53 „(Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer 11/2007)
    1.4.2008362,25 „(Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer 12/2007)
    1.4.20086 223,06 „(Lohnsteuer November 2007)
    2.4.20088 057,41 „(Lohnsteuer Oktober 2007)
    31 700,72 EUR
    Zur Begründung der Anfechtung heißt es in dem Forderungsschreiben u.a.: „Zur Befriedigung aller Gläubiger war die Insolvenzschuldnerin spätestens ab Dezember 2007 nicht mehr in der Lage. Bereits per 30.11.2007 lagen fällige Verbindlichkeiten von ca. 1 300 000,00 EUR vor. Wohingegen liquide Mittel nur in Höhe von ca. 62 000,00 EUR bestanden. Auch im Dezember 2007 lagen die fälligen Verbindlichkeiten bei ca. 1, 3 Mio. EUR und das Guthaben bei ca. 100 000,00 EUR. Im Januar 2008 bestanden fällige Verbindlichkeiten i. H. v. ca. 1,4 Mio. EUR und ein Guthaben von ca. 85 000,00 EUR. Im Februar 2008 belief sich das Guthaben auf ca. 67 000,00 EUR gegenüber fälligen Verbindlichkeiten iHv. ca. 1 420 000,00 EUR. ….”
    Daraufhin kehrte der Beklagte diese Beträge am … Januar 2009 an den Insolvenzverwalter aus.
    Mit auf § 69 i. v. m. § 34 der Abgabenordnung (AO) gestütztem Bescheid vom 9. Oktober 2008 nahm der Beklagte den Kläger wegen folgender rückständiger Abgabenverbindlichkeiten persönlich in Haftung:
    FälligkeitLohnsteuerSolZ zur LStev. KiStr.k. KiSt
    10/07 10.01.20087 312,63 EUR0,00 EUR0,00 EUR0,00 EUR
    01/08 10.02.20086 836,05 EUR333,99 „0,00 „0,00 „
    02/08 10.03.20085 373,71 EUR252,50 „11,23 „8,72 „
    03/08 10.04.20085 373,71 EUR252,50 „11,23 „8,72 „
    Summe24 896,10 EUR838,99 „22,46 „17,44 „
    Gesamtsumme25 774,99 EUR
    Gegen den Haftungsbescheid legte der Kläger fristgerecht Einspruch ein, der jedoch erfolglos blieb und vom Beklagten mit Einspruchsentscheidung vom … Januar 2009 als unbegründet zurückgewiesen wurde.
    Zur Begründung der Haftungsinanspruchnahme führte der Beklagte im Wesentlichen aus, dass der Kläger grob fahrlässig nicht für eine fristgerechte Entrichtung der o. g. Abgabenverbindlichkeiten gesorgt habe. Dem Insolvenzgutachten sei zu entnehmen, dass die finanzielle Situation der GmbH bereits seit Januar 2008 prekär gewesen sei. Dem Kläger hätte es daher oblegen, innerhalb der GmbH für eine Kürzung der Gehaltszahlungen an die Arbeitnehmer zu sorgen. Da er dies pflichtwidrig unterlassen habe, sei es ermessensgerecht, ihn als Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen.
    Im Rahmen seiner hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die GmbH einen Teil der streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten zeitnah durch Überweisung getilgt habe, nämlich in Höhe von 12 912,60 EUR am … März 2008. Der Beklagte sei an die auf der Überweisung angegebene Tilgungsbestimmung nach §§ 47, 224 und 225 Abs. 1 AO gebunden.
    Eine Pflichtverletzung sei in der verspäteten Zahlung zumindest für den Lohnsteueranmeldungszeitraum Januar 2008 nicht gegeben. Im Monat Januar 2008 sei die GmbH nicht liquide gewesen. Es habe sich dabei jedoch lediglich um eine sog. Zahlungsstockung gehandelt. Es sei nämlich zu erwarten gewesen, dass die Gesellschaft ab Februar/März 2008 hinsichtlich der Abgabenrückstände wieder zahlungsfähig sein würde, da Investitionen in Höhe von 750 000,00 EUR zu erwarten gewesen seien.
    Jedenfalls in Bezug auf die per 10. Februar 2008 fällig gewordene Lohnsteuer Januar 2008 wäre der Anfechtungsgrund des § 131 Abs. 1 InsO auch bei pünktlicher Entrichtung der Steuerschuld gegeben gewesen, so dass die verspätete Zahlung für den eingetretenen Steuerausfall nicht kausal gewesen sei. Dies gelte auch für die streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten betr. die Monate Februar und März 2008.
    Im Übrigen sei die Verspätung bei der Entrichtung der Abgabenverbindlichkeiten für die Monate Dezember 2007 und Januar 2008 auch deshalb ohne ein Verschulden in seiner, des Klägers, Person eingetreten, weil er Mitte Februar 2008 mit dem Vollziehungsbeamten des Beklagten eine Übereinkunft dergestalt getroffen habe, dass der rückständige Betrag mit einer ersten Tranche in Höhe von 9 000,00 EUR sofort und in einer weiteren Tranche in Höhe von 9 000,00 EUR im März 2008 beglichen werden solle. Dazu habe er, der Kläger, einem vom Vollziehungsbeamten des Beklagten ausgehändigten Vordruck, der wie ein Scheck ausgesehen habe, unterschrieben. Mit diesem Vordruck sei der Beklagte bevollmächtigt worden, den Betrag in Höhe von 9 000,00 EUR vom Konto der GmbH abzurufen. Das Geschäftskonto der GmbH sei zu diesem Zeitpunkt auch ausreichend gedeckt gewesen, da der Dispositionskredit in Höhe von 50 000,00 EUR bis dato nur in Höhe von 19 000,00 EUR in Anspruch genommen worden sei (Beweis: Zeugnis des Buchhalters der GmbH, Herrn S. aus B.). Hätte der Beklagte die ersten 9 000,00 EUR wie vereinbart vor dem 20. Februar 2008 vom Geschäftskonto der Gesellschaft eingezogen, so hätte eine Insolvenzanfechtung insoweit keinen Erfolg gehabt und ein finanzieller Schaden des Fiskus wäre nicht eingetreten.
    Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,
    den Haftungsbescheid vom … Oktober 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … Januar 2009 aufzuheben, soweit die Haftung den Betrag von 12 862,39 EUR übersteigt.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Er verweist zunächst auf seine Ausführungen in der angefochtenen Einspruchsentscheidung. Bezüglich des Vortrags des Klägers, er habe mit dem Vollzieher eine Vereinbarung getroffen, die Lohnsteuerabzugsbeträge später und in zwei Beträgen (hier: Rückschecks) zu zahlen, sei anzumerken, dass der Gesetzgeber die Stundung von Lohnsteuerabzugsbeträgen ausgeschlossen habe (Hinweis auf § 222 Satz 3 und 4 AO i. V. m. R 41a Satz 3 der Lohnsteuer-Richtlinien 2009). Die Vereinbarung einer Verschiebung der Fälligkeit der rückständigen Lohnsteuerabzugsbeträge i. S. einer Stundung durch den Vollzieher im Rahmen einer Vollstreckungsmaßnahme wäre nicht zulässig und sei auch nicht geschehen. Sofern es während der am … April 2008 durchgeführten Vollstreckungsmaßnahme eine Absprache zur späteren Übergabe/Annahme eines zweiten Schecks gegeben haben sollte, handele es sich um eine kurzfristige Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen und nicht um eine Stundung von Lohnsteuerabzugsbeträgen.
    Dem erkennenden Gericht haben bei seiner Entscheidung vier Bände Haftungs-, Steuer- und Vollstreckungsakten betr. die GmbH (StNr.: ….) vorgelegen, auf deren Inhalt wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beteiligtenvorbringens Bezug genommen wird.
    Entscheidungsgründe
    A. Das Gericht konnte trotz des Nichterscheinens des Klägers oder eines Vertreters von ihm über den Rechtsstreit durch Urteil entscheiden, weil in der ordnungsgemäß an seine Prozessbevollmächtigte zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (vgl. § 91 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
    B. Die Klage ist unbegründet. Der angefochtene Haftungsbescheid vom … Oktober 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … Januar 2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
    a.) Der Kläger hat in mehrfacher Hinsicht sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand des § 69 i. V. m. § 34 AO dadurch verwirklicht, dass er als alleiniger gesetzlicher Vertreter grob fahrlässig nicht für eine fristgerechte Entrichtung der von der GmbH selbst angemeldeten Lohnsteuer- und Lohnkirchensteuerverbindlichkeiten für die Monate Oktober 2007 sowie Januar bis März 2008 gesorgt hat.
    aa.) Die von den Arbeitslöhnen der Arbeitnehmer der GmbH für die Monate Oktober 2007 sowie Januar bis März 2008 einzubehaltende Lohnsteuer und Lohnkirchensteuer war von der GmbH als Arbeitgeberin spätestens am zehnten Tag nach Ablauf des Lohnsteueranmeldungszeitraums dem Finanzamt anzumelden und an dieses abzuführen (§ 41 a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes – EStG –). Die steuerliche Verpflichtung der GmbH zur Einbehaltung, Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer hatte innerhalb der Gesellschaft der Kläger als deren Geschäftsführer zu erfüllen (§ 34 Abs. 1 AO i. V. m. § 35 Abs. 1 des Gesetzes betr. die Gesellschaften mit beschränkter Haftung – GmbHG –). Er hatte insbesondere dafür zu sorgen, dass die Steuern aus den Mitteln entrichtet wurden, die er verwaltete (§ 34 Abs. 1 Satz 2 AO).
    Nach § 69 Abs. 1 AO haftet der GmbH-Geschäftsführer, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden. Die Haftungsvorschrift umfasst demnach als selbständige Möglichkeiten der Tatbestandsverwirklichung die Nichtfestsetzung, die nicht rechtzeitige Festsetzung, die Nichterfüllung und die nicht rechtzeitige Erfüllung der Steueransprüche. Nach mittlerweile ständiger BFH-Rechtsprechung können finanzielle Schwierigkeiten der Gesellschaft den für die Abführung von Lohnsteuer verantwortlichen Geschäftsführer nicht ohne weiteres entlasten. Der Geschäftsführer darf vielmehr, wenn infolge eines Liquiditätsengpasses die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen vereinbarten Löhne (einschließlich Lohnsteueranteil) nicht ausreichen, die Löhne nur gekürzt als Vorschuß oder Teilbetrag auszahlen, so dass er aus den dann übrig bleibenden Mitteln die entsprechende Lohnsteuer an das Finanzamt abführen kann. Wenn der Geschäftsführer dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist und darauf vertraut hat, er werde die Steuerrückstände später nach Behebung der Liquiditätsschwierigkeiten – etwa aufgrund neuer Kredite oder der Einziehung von Außenständen – ausgleichen können, so ist er damit bewusst das Haftungsrisiko eingegangen, und die Nichtrealisierung dieser Erwartungen liegt in seiner Risikosphäre (vgl. dazu nur BFH, Urteil vom 30. April 1993 VII R 67/92, Sammlung der amtlich nicht veröffentlichten Entscheidungen des BFH – BFH/NV – 1994, 142 sowie Beschlüsse vom 9. Dezember 2005 VII B 124-125/05, BFH/NV 2006, 897 und vom 6. Juli 2005 VII B 296/04, BFH/NV 2005, 1753).
    Im vorliegenden Fall hat der Kläger gegen diese Grundsätze dadurch verstossen, dass er die Löhne für die Monate Oktober 2007 sowie Januar bis März 2008 ungekürzt ausgezahlt hat. Dies war deshalb grob fahrlässig, weil sich die GmbH nach den oben wiedergegebenen Ausführungen des Insolvenzverwalters in dessen Anfechtungsschreiben vom 10. Dezember 2008 bereits ab Oktober 2007 in einer schweren finanziellen Schieflage befunden bzw. sich eine solche Schieflage zumindest als unmittelbar bevorstehend bereits abgezeichnet hat.
    bb.) Hinsichtlich des Grundes und der Höhe der streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten sind Einwendungen des Klägers zwar nicht grundsätzlich nach § 166 AO ausgeschlossen, da der Kläger nicht während des gesamten Zeitraums, in dem die GmbH eine Änderung der von ihr selbst erstellten Lohnsteueranmeldungen Oktober 2007 sowie Januar bis März 2008 nach § 164 Abs. 2 AO hätte beantragen können, weiterhin gesetzlicher Vertreter der GmbH i. S. von § 34 AO gewesen ist (er wurde in dieser Funktion am … Juli 2008 durch den Insolvenzverwalter abgelöst, vgl. dazu allgemein BFH-Beschluss vom 28. März 2001 VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217 m. w. N.). Der durch Angehörige der steuerberatenden Berufe vertretene Kläger hat aber keine solchen Einwendungen erhoben und das Insolvenzgericht hat die streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten nach Prüfung durch den Insolvenzverwalter am 26. Oktober 2009 zur Tabelle festgestellt. Das Gericht hat daher auch unter Berücksichtigung des Akteninhalts keine Anhaltspunkte für eine materiell-rechtliche Unrichtigkeit der betreffenden Lohnsteueranmeldungen.
    cc.) Zwischen den vier schuldhaften Pflichtverletzungen des Klägers (nicht rechtzeitige Tilgung der streitgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten für die Monate Oktober 2007 sowie Januar bis März 2008) und dem Eintritt des dadurch entstandenen Vermögensschadens beim Fiskus besteht ein adäquater Kausalzusammenhang, der nicht dadurch entfällt, dass der Insolvenzverwalter nach Insolvenzeröffnung Zahlungen der GmbH unter Berufung auf § 131 InsO erfolgreich angefochten hat und auch weitere Zahlungen, wären sie denn (verspätet) erfolgt wären, erfolgreich hätte anfechten können. Denn Funktion und Schutzzweck des § 69 AO schließen nach mittlerweile ständiger BFH-Rechtsprechung die Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe aus (vgl. dazu insbesondere Urteile vom 5. Juni 2007 VII R 65/05, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2008, 273 und vom 11. November 2008 VII R 19/08, BStBl II 2009,342 unter Aufhebung der gegenteiligen Entscheidung des FG Baden-Württemberg vom 5. Februar 2008 1 K 226/05, Entscheidungen der Finanzgerichte – EFG – 2008, 998; FG München, Urteil vom 15. Dezember 2008 15 K 4118/07, rkr., EFG 2009, 622 m. w. N.; Loose, in: Tipke/Kruse, AO-FGO, 16. Aufl., § 69 Rz. 21). Nach diesen Rechtsprechungsgrundsätzen ist es auch unerheblich, dass die GmbH am … März 2008, also verspätet, 12 912,60 EUR per Überweisung (angeblich zur Tilgung der Lohnsteuerschuld Dezember 2007, die in dieser Höhe aber unstreitig gar nicht bestanden hat) entrichtet hat. Denn nach zutreffender Auffassung von Loose, a.a.O., ist die Pflichtverletzung der nicht rechtzeitige Tilgung einer Steuerschuld auch dann ursächlich für den eingetretenen Schaden des Fiskus, wenn der Geschäftsführer verspätet zahlt, die verspätete Zahlung aber in einen Zeitraum fällt, in dem sie nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter angefochten werden kann. Letzteres ist aber nach übereinstimmender Auffassung der Prozessbeteiligten gemäß § 131 InsO hinsichtlich aller nach dem … Februar 2008 (3-Monats-Zeitraum) durch die GmbH geleisteter Zahlungen möglich gewesen.
    Für die Richtigkeit der unter Zeugenbeweis gestellten Behauptung des Klägers, er habe bereits Mitte Februar 2008 mit dem Vollziehungsbeamten des Beklagten eine Übereinkunft über eine bestimmte Zahlungsmodalität bezüglich der rückständigen Abgabenverbindlichkeiten getroffen, findet sich in den dem Gericht vorliegenden Vollstreckungsakten keinerlei Anhaltspunkte. Im Gegenteil: Die erste Rückstandsanzeige datiert vom 19. März 2008 und der Vollziehungsbeamte hat seinen Arbeitsauftrag überhaupt erst am 1. April 2008 erhalten. Dies spricht klar gegen die Schlüssigkeit dieser Behauptung. Ihr musste das Gericht daher nicht weiter nachgehen, zumal dieser Vortrag nach einem dezidierten Bestreiten seitens des Beklagten in dessen Schriftsatz vom 15. September 2009 im letzten Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 30. November 2009 auch nicht wieder aufgegriffen worden ist. Letztlich wäre er auch entscheidungsunerheblich, denn ein Vollziehungsbeamter ist ausschließlich mit Vollstreckungsangelegenheiten befasst und kann nicht die Pflichten eines Arbeitgebers nach § 41 a Abs. 1 EStG zur pünktlichen Abführung von Lohnsteuern außer Kraft setzen. Dies hätte auch der Kläger als gesetzlicher Vertreter der GmbH wissen oder diesbezüglich die Auskunft eines Angehörigen der steuerberatenden Berufe einholen müssen, was unstreitig unterblieben ist.
    2. Wegen der weiteren Begründung der Entscheidung wird zur Entlastung des Gerichts gemäß § 105 Abs. 5 FGO auf die zutreffenden Ausführungen des Beklagten in dessen Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
    3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    VorschriftenAO § 69, AO § 34 Abs. 1, EStG § 41a Abs. 1, InsO § 131 Abs. 1, InsO § 133 Abs. 1

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