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  • 26.04.2012 · IWW-Abrufnummer 121784

    Finanzgericht Hamburg: Beschluss vom 30.01.2012 – 4 V 4/12

    Unterlässt es das Hauptzollamt trotz eines mit der Einspruchsbegründung gestellten Antrags nach § 364 AO, einem Steuerschuldner die Besteuerungsunterlagen mitzuteilen, kann dies bereits die Aussetzung der Vollziehung des Steuerbescheides rechtfertigen.


    Tatbestand
    I.
    Der Antragsteller begehrt die Aussetzung der Vollziehung eines Kaffeesteuerbescheides.
    Im ... 2006 gründete der Antragsteller gemeinsam mit seiner Ehefrau die Firma A mit Sitz in den Niederlanden, die dort in das Handelsregister eingetragen wurde. Inhaberin der Firma war die Ehefrau des Antragstellers. Diese Firma vertrieb über ihren Internetshop (der Antragsteller war Inhaber der Domain ...) sowie das Auktionshaus ... zwischen dem 04.05.2006 und dem 03.03.2009 unversteuerten Kaffee aus den Niederlanden an Kunden in Deutschland. Von Deutschland aus leiteten der Antragsteller und seine Ehefrau eingehende Bestellungen an den Kaffeeröster B in den Niederlanden weiter und kümmerten sich um die Geschäftsabwicklung. Der Versand des Kaffees erfolgte durch den Kaffeeröster B. In den Niederlanden fand keinerlei Geschäftstätigkeit statt, dort eingehende Telefongespräche wurden von einer im gleichen Haus ansässigen Immobilienfirma angenommen, ein Mitarbeiter des Kaffeerösters holte dorthin zurückgesandte Pakete ab. Die Käufer zahlten den Kaufpreis für den Kaffee jeweils auf ein Konto bei einer deutschen Bank, der Antragsteller und seine Ehefrau leiteten die eingehenden Zahlungen über ein niederländisches Konto an den Kaffeeröster B weiter. Die Einzelheiten des Sachverhalts ergeben sich aus dem Schlussbericht des Zollfahndungsamts C vom 12.10.2010, auf den ergänzend Bezug genommen wird.
    Mit Bescheid vom 05.09.2011 setzte der Antragsgegner gegenüber dem Antragsteller Kaffeesteuer in Höhe von 165.266,16 € fest. Die Kaffeesteuer sei gemäß § 11 Abs. 1 S. 2 bzw. § 11 Abs. 2 S. 1 KaffeeStG entstanden. Der Antragsteller sei Steuerschuldner geworden, weil er den Kaffee erstmals im Steuergebiet zu gewerblichen Zwecken verwandt habe. Ein Versandhandel liege nicht vor, weil der Antragsteller seinen Sitz im Steuergebiet gehabt habe.
    Am 04.10.2011 legte der Antragsteller gegen den Bescheid vom 05.09.2011 Einspruch ein, beantragte die Aussetzung der Vollziehung und beantragte die Mitteilung der Besteuerungsunterlagen gem. § 364 AO. Darin beruft er sich auf Festsetzungsverjährung, da die Festsetzungsfrist gem. § 169 Abs. 1 AO ein Jahr ab Entstehung der Steuer betrage. Eine vorsätzliche Steuerhinterziehung, die die Festsetzungsfrist auf 10 Jahre verlängere, liege nicht vor. Die Vollziehung des Bescheides bedeute zudem eine unbillige Härte. 1996 habe er eine eidesstattliche Versicherung abgegeben. Gemeinsam mit seiner Ehefrau verdiene er monatlich ca. 1.200 €, wovon beide 350 € Kaltmiete und 80 € Stromkosten aufbringen müssten. Eine Vollstreckung würde ihren wirtschaftlichen Ruin herbeiführen.
    Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 18.11.2011 ab. Der Antragsteller habe gemeinsam mit seiner Ehefrau von seinem Wohnsitz in Deutschland die Kaffeeverkäufe abgewickelt. Am Firmensitz in den Niederlanden habe keine geschäftliche Tätigkeit stattgefunden. Der Zahlungsverkehr sei vornehmlich über deutsche Bankkonten abgewickelt worden, über die der Antragsteller und seine Ehefrau verfügungsberechtigt gewesen seien. Insgesamt seien 75.464 kg Kaffee verkauft worden. Ein Versandhandel nach § 12 KaffeeStG liege nicht vor, da der Antragsteller den Kaffee nicht aus einem anderen Mitgliedstaat an nichtgewerbliche Verwender im Steuergebiet geliefert habe. Sämtliche geschäftlichen Tätigkeiten seien am Wohnsitz in Deutschland durchgeführt worden. Vielmehr sei die Kaffeesteuer nach § 11 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bzw. Abs. 2 S. 1 KaffeeStG entstanden. Da der Antragsteller den Kaffee besessen oder verwendet habe, sei er Steuerschuldner i. S. v. § 11 Abs. 2 KaffeeStG geworden. Die Festsetzungsfrist betrage gem. § 169 Abs. 2 S. 2 AO 10 Jahre, da die Steuern hinterzogen worden seien. Zumindest liege eine leichtfertige Steuerverkürzung i. S. v. § 378 Abs. 1 AO vor. Er habe in den Niederlanden eine Scheinfirma gegründet, um unter den Tatbestand des Versandhandels nach § 12 KaffeeStG zu fallen. Dass er damit eine gesetzliche Regel umgehe, habe ihm bewusst sein müssen. Eine unbillige Härte liege nicht vor. Der Antragsteller habe bislang keinen Stundungsantrag gestellt, angesichts der geringen Erfolgsaussichten gebe es keine Rechtfertigung für die Aussetzung der Vollziehung.
    Am 09.01.2012 hat der Antragsteller den vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Er bezieht sich auf die Begründung seines Aussetzungsantrags und betont, es sei ihm nicht darum gegangen, von ihm angeblich geschuldete Steuern nicht anzugeben und abzuführen. Auf seiner Homepage habe er darauf hingewiesen, dass Steuerschuldner der Kaffeesteuer in Deutschland der Endverbraucher sei, daher sei die Kaffeesteuer nicht in den Verkaufspreis eingeflossen. Dagegen, dass er bewusst die Hinterziehung von Steuern in Kauf genommen habe, spreche auch, dass sein Sohn in einem anderen Fall vom Hauptzollamt D als Kaffeesteuerschuldner in Anspruch genommen werde, weil er als Endverbraucher über einen Internetversand in den Niederlanden Kaffee bezogen habe. Er sei daher davon ausgegangen, dass bei einem Versand übers Internet der Endverbraucher und nicht der Händler Steuerschuldner sei. Zudem sei der Steuerbescheid rechtswidrig, weil ihm trotz entsprechender Beantragung bislang die Besteuerungsunterlagen gemäß § 364 AO und sämtliche Beweismittel, Beweisergebnisse etc. nicht zugänglich gemacht worden seien. Dies verstoße gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Die Berechnungen des Antragsgegners seien nicht nachvollziehbar.
    Der Antragsteller beantragt,
    die Vollziehung des Bescheides vom 05.09.2011 auszusetzen.
    Der Antragsgegner beantragt,
    den Antrag abzulehnen.
    Er trägt ergänzend vor, bei einem Versandhandel nach § 12 KaffeeStG werde Steuerschuldner der Empfänger des Kaffees, also der Endverbraucher, wie z. B. der Sohn des Antragstellers in dem von ihm beschriebenen Fall. Im Streitfall habe jedoch kein Versandhandel vorgelegen. Dass der Antragsteller die Mitteilung der Besteuerungsunterlagen beantragt habe, sei zutreffend, diese seien jedoch dem Steuerbescheid zu entnehmen gewesen. Zudem habe der Antragsteller im Steuerstrafverfahren Akteneinsicht beantragt und erhalten und damit sämtliche auch im Besteuerungsverfahren erheblichen Unterlagen zur Kenntnis bekommen.
    Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Sachakte des Antragsgegners Bezug genommen.
    Gründe
    II.
    Der zulässige Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat Erfolg.
    Nach § 69 Abs. 3 FGO kann das Gericht der Hauptsache einem Antrag auf Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung eines Verwaltungsakts unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 bis 6 FGO entsprechen. Danach soll die Vollziehung ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 69 Abs. 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheides neben die für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umstände gewichtige Gründe treten, die eine Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (BFH, Beschluss vom 26.08.2004, V B 243/03; Beschluss vom 23.08.2004, IV S 7/04). Die Aussetzung der Vollziehung setzt dabei nicht voraus, dass die für die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte sprechenden Gründe überwiegen (BFH, Beschluss vom 26.04.2004, VI B 43/04; Beschluss vom 20.05.1997, VIII B 108/96). Sie kann vielmehr sogar dann zu gewähren sein, wenn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides später im Hauptverfahren bestätigt werden sollte (BFH, Beschluss vom 23.08.2004, IV S 7/04). Gemäß § 69 Abs. 2 S. 3 FGO kann die Aussetzung von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. Die Umstände, die die Aussetzung der Vollziehung rechtfertigen, hat der Antragsteller glaubhaft zu machen (vgl. BFH, Beschluss vom 23.08.2000, VII B 145/00).
    Die Aussetzung der Vollziehung ist im Streitfall bereits deshalb zu gewähren, weil der Antragsgegner seiner Pflicht zur Mitteilung der Besteuerungsunterlagen nach § 364 AO nicht nachgekommen ist. Nach dieser Bestimmung sind den Beteiligten die Unterlagen der Besteuerung auf Antrag oder, wenn die Begründung des Einspruchs dazu Anlass gibt, von Amts wegen mitzuteilen. Der Anspruch auf Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen ist Ausfluss des in Art. 103 Abs. 1 GG verbürgten Anspruchs auf rechtliches Gehör. Unterlagen der Besteuerung in diesem Sinne sind alle Beweismittel und Beweisergebnisse im weiteren Sinne, die geeignet sind, das Ergebnis des Verfahrens zu beeinflussen. Hierzu gehören etwa Gutachten, Zeugenaussagen, Urkunden, Berechnungsgrundlagen etc. (FG Düsseldorf, Beschluss vom 19.03.2007, 16 V 4828/06; Seer in Tipke/Kruse § 364 Rn. 2). Solange die Finanzbehörde ihre Verpflichtung aus § 364 AO nicht nachkommt, kann nach allgemeiner Auffassung allein deshalb die Aussetzung der Vollziehung gerechtfertigt sein (BFH, Urteil vom 04.04.1978, VII R 71/77; FG Düsseldorf, Beschluss vom 19.03.2007, 16 V 4828/06; Seer in Tipke/Kruse § 364 Rn. 2).
    Der Antragsteller hat bereits mit der Einlegung des Einspruchs durch seinen Prozessbevollmächtigten gemäß § 364 AO beantragt, ihm die Besteuerungsunterlagen mitzuteilen. Dem ist der Antragsgegner bislang nicht nachgekommen. Erstmals in der Antragserwiderung vom 19.01.2012 hat er zu diesem Antrag Stellung genommen und darauf hingewiesen, dass dem Antrag bereits durch Akteneinsicht im Steuerstrafverfahren am 13.04.2010 vollumfänglich entsprochen worden sei, weswegen eine Mitteilung der Besteuerungsunterlagen entbehrlich gewesen sei. Diese Begründung trägt nicht und wird dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs nicht gerecht.
    Die Besteuerung beruhte nicht nur auf Unterlagen, die dem Antragsteller ohnehin bekannt sein müssen, weil es sich um seine Geschäftsunterlagen handelte. Aus dem Schlussbericht des Zollfahndungsamts C vom 12.10.2010 ergibt sich, dass Beweismittel nicht nur die beim Antragsteller beschlagnahmten Unterlagen, sondern auch diverse Zeugenaussagen sind, über die sich Protokolle in den Ermittlungsakten finden müssten. Abgesehen davon sind die Geschäftsunterlagen des Antragstellers im Ermittlungsverfahren sichergestellt worden, stehen ihm daher aktuell nicht zur Verfügung und können von ihm zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Kaffeesteuerbescheides nicht herangezogen werden.
    Der Antragsgegner kann die Versagung der Mitteilung der Besteuerungsunterlagen auch nicht unter Hinweis auf die im Strafverfahren erfolgte Akteneinsicht begründen. Es mag zwar sein, dass sich alle Besteuerungsunterlagen in den Strafakten befinden und insofern auch Gegenstand der am 13.10.2010 bewilligten Akteneinsicht waren. Bei seiner Argumentation übersieht der Antragsgegner jedoch einerseits, dass es sich bei dem Strafverfahren und dem Besteuerungsverfahren um gänzlich unterschiedliche Verfahren handelt und andererseits, dass Akteneinsicht im Strafverfahren bereits vor Erlass des Kaffeesteuerbescheides vom 05.09.2011 genommen worden sein dürfte. Die Akteneinsicht konnte dann also gar nicht mit Blick auf eine mögliche Anfechtung des Kaffeesteuerbescheides erfolgen. Der Anspruch auf Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen tritt an die Stelle des in der Abgabenordnung nicht vorgesehenen Rechts auf Akteneinsicht und dient dazu, den Steuerpflichtigen in Kenntnis all der Grundlagen zu setzen, aufgrund derer das Hauptzollamt die Steuer festgesetzt hat (vgl. FG Düsseldorf, Beschluss vom 19.03.2007, 16 V 4828/06). Dann muss er die Besteuerungsunterlagen aber auch zu einem Zeitpunkt mitgeteilt bekommen, zu dem er weiß, dass er Adressat eines Steuerbescheides geworden ist und die Unterlagen im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides einsehen muss. Die Akteneinsicht (nur) im Strafverfahren erfolgt regelmäßig unter einem ganz anderen Blickwinkel (vgl. FG Düsseldorf, Beschluss vom 19.03.2007, 16 V 4828/06).
    Insofern rechtfertigt sich die Aussetzung der Vollziehung schon aus formalen Gründen. Vor Gewährung des rechtlichen Gehörs kommt auch vor dem Hintergrund des rechtsstaatlichen Gebots der Verfahrensfairness eine Vollziehung des Bescheides vom 05.09.2011 solange nicht Betracht, wie der Antragsteller keine Möglichkeit hatte, Kenntnis von den Besteuerungsunterlagen zu nehmen.
    Inwieweit materiell-rechtliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des Kaffeesteuerbescheides vom 05.09.2011 bestehen, braucht der Senat in diesem Verfahren nicht mehr zu entscheiden.
    Von der Anordnung einer Sicherheitsleistung sieht der Senat ab. Die Sicherheitsleistung hat den vornehmlichen Zweck, einen Steuerausfall nach einem für den Steuerpflichtigen ungünstigen Ausgang des Verfahrens zu vermeiden. Auch wenn der Antragsteller sein Vorbringen zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen bislang nicht substantiiert hat, legen sein Vortrag in der Einspruchsbegründung und die Tatsache, dass er Prozesskostenhilfe beantragt hat, die Annahme nahe, dass er die Abgabenforderung in Höhe von 165.266,16 € nicht so ohne weiteres wird begleichen können. Insofern ist nicht ersichtlich, dass die Wahrscheinlichkeit eines Steuerausfalls durch die Anordnung der Vollziehung erhöht wird, zumal der Antragsgegner durch eine zeitnahe Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen und eine kurzfristige Einspruchsentscheidung den Aussetzungszeitraum überschaubar halten kann.
    Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 135 Abs. 1 i. V. m. § 128 Abs. 3, 115 Abs. 2 FGO.

    VorschriftenAO § 364

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